Angelica von der Decken im Porträt
"Auszeiten helfen, den Spagat zwischen Beruf und Alltag gelassener zu bewältigen."
Angelica von der Decken, Of Counsel bei BEITEN BURKHARDT, über den Gewerblichen Rechtsschutz im Einklang mit der Kunst, die Bereicherung durch Nebentätigkeiten und den Fehler vieler Frauen, keine Strategie für ihre berufliche Karriere zu haben.
Frau von der Decken, Sie sind seit 1981 Rechtsanwältin und nach dem Ausscheiden aus der Partnerschaft
inzwischen Of Counsel bei BEITEN BURKHARDT. Welche Vorteile hat die Position einer Of Counsel?
Für mich ist diese Position wunderbar. Als Of Counsel bin ich weitgehend aus dem laufenden Geschäft heraus. Ich kann mich auf Themen wie Business Development, Akquise und Marketing fokussieren. In großen Mandaten und Mediationen bringe ich weiter meine Erfahrung ein und bin beratend tätig, was gut zu meiner strategischen Denkweise passt. Außerdem kann ich meine Mandate auf jüngere Partnerinnen (und Partner) überführen und sie damit fördern. Das macht sehr viel Spaß. Darüber hinaus habe ich nun Zeit, meine Tätigkeit als Coach weiter auszubauen - ich coache Mandanten in verfahrenen Situationen und berate Frauen im Beruf. Dabei geht es im Wesentlichen um sog. Soft Skills, um den Spagat zwischen Beruf und Alltag gelassener und unbeschwerter zu bewältigen.
Sie sind Fachanwältin für Gewerblichen Rechtsschutz und interessieren sich sehr für Kunst. Was fasziniert Sie besonders an dem Fachgebiet Gewerblicher Rechtsschutz und wie wichtig ist Ihre Kunstexpertise in diesem Zusammenhang?
Das Fachgebiet Gewerblicher Rechtsschutz ist sehr vielseitig und komplex: Es bietet einen Strauß von spannenden Themen wie Markenrecht, Urheberrecht, IT/Digitalisierung. So wird es nie langweilig. Der Gewerbliche Rechtsschutz ist außerdem in weiten Teilen europäisch harmonisiert und damit gesetzlich neu geregelt. Es verändert sich immer etwas. Schließlich liegt mir dieser Rechtsbereich im Blut. Mein Vater war schon in diesem Bereich tätig. Wir haben oft beim Abendbrot über urheberrechtliche oder presserechtliche Themen geredet.
Meine Leidenschaft für die Kunst passt natürlich gut zum gewerblichen Rechtsschutz, insbesondere zum Urheberrecht. Mit Mandanten, wie Künstlern, Regisseuren oder Drehbuchautoren kann ich mich durch meine Kunstexpertise viel besser austauschen und ihre Anliegen besser verstehen. Ich sehe die Kunst von einer anderen Seite - mit klarem Kopf und juristischem Denken. Ich selber bin zu diesem Hobby ein bisschen durch meine Eltern, aber wesentlich während meiner Referendarszeit in New York gekommen. Freunde haben mich zu Galeristen mitgenommen. Ich war sofort fasziniert. In München habe ich dann direkt über einer bekannten Galerie gewohnt und bis zu meiner Hochzeit alle Tantiemen direkt dorthin getragen. Inzwischen hatte ich das große Glück, dass ich als kleine unbedeutende Sammlerin, Mitglied eines Kunstnetzwerkes geworden bin und so direkten Draht zu Museumsdirektorinnen und Kuratorinnen, Galeristinnen und Künstlerinnen habe. Initiatorin dieses Netzwerkes ist die Galeristin Barbara Gross, die übrigens eine der wenigen Galeristinnen ist, die sich seit mehr als 30 Jahren gezielt auf Künstlerinnen spezialisiert hat und die ganzen großen international renommierten Künstlerinnen in ihrem Programm führt.
Neben Ihrer Tätigkeit als Anwältin, Vorstand der Rechtsanwaltskammer und Schatzmeisterin der Pinakothek der Moderne coachen Sie auch junge Juristinnen auf Ihrem Karriereweg. Wie wichtig sind nebenberufliche Tätigkeiten für Sie?
Nebenberufliche Tätigkeiten sind extrem wichtig, um einen Blick über den Tellerrand, den Kontakt zur Basis zu behalten und nicht völlig abzuheben und: Durch meine Nebentätigkeiten habe ich mir ein großes Netzwerk aufgebaut, das mir bei der Akquisition von Mandaten sehr geholfen hat.
Sie sind 1992 die erste Partnerin bei BEITEN BURKHARDTgeworden. Mit welchen Herausforderungen hatten Sie als einzige Frau in der Führungsriege zu kämpfen?
Am Anfang gab es überhaupt keine speziellen Herausforderungen für mich als Frau zwischen den Partnern. BEITEN BURKHARDT war der Zeit weit voraus. Ich war 1992 die erste Teilzeit Equity Partnerin Deutschlands mit 70 Prozent und dies nicht etwa wegen Kindern, sondern weil mein Mann im Bayerischen Wald ein Bergwerk leitete und ich dorthin pendelte. BEITEN BURKHARDT hat schon früh gezielt Frauen gefördert, hatten meine Partner doch festgestellt, dass die Rechtsabteilungen amerikanischer Unternehmen von Frauen geleitet wurden. Entsprechend wurde die Kanzleistruktur angepasst.
Was hat sich in der Zwischenzeit verändert und verbessert und wo sehen Sie noch Potenzial?
Im Zuge verschiedener Umstrukturierungen ist leider die Klausel im Partnerschaftsvertrag, die die Teilzeit von Equity Partnern seit 1992 regelte, verloren gegangen. Ich habe mich sehr dafür eingesetzt, das wieder "zu reparieren", mit Erfolg. Seit 2 Jahren sieht unser Partnervertrag wieder vor, dass eine Equity Partnerschaft auch in Teilzeit (ab 60 Prozent) möglich ist. Ich bin zuversichtlich, dass nun sehr schnell verschiedene Equity Partnerinnen ernannt werden, die schon seit Jahren zeigen, dass sie auch in Teilzeit hervorragend Arbeit leisten und zwar in allen Rechtsgebieten, auch im Bereich M&A.
Verbesserungspotenzial besteht bei uns möglicherweise noch im Bereich von Notfallservices für Eltern, wie kurzfristige Babysitter. Es ist aber sehr schwer, hier Dinge anzubieten, die dann auch wirklich angenommen werden. Dazu sind die Wünsche unserer jungen Anwältinnen und Anwälte zu unterschiedlich. Ein Beispiel: Vor einigen Jahren haben wir versucht, in der Nähe der Kanzlei eine KiTA aufzubauen - das Projekt wurde dann aber verworfen, weil der Bedarf nicht da war. Die meisten Eltern bringen ihre Kinder lieber in der Nähe ihrer Wohnung in einer KiTA unter.
Sie sagten gerade eben, dass Ihre Kanzlei ganz gezielt Frauen in die Partnerschaft ernannt hat und vermutlich immer noch ernennt. Wie beurteilen Sie diese gezielte Frauenförderung?
Gezielte Frauenförderung ist aus meiner Sicht absolut notwendig. Mit jeder Benennung eines männlichen Partners ohne gleichzeitige Wahl einer Partnerin wird das Verhältnis von Mann und Frau auf Partnerebene weiter verschlechtert. Es muss daher sehr viel geschehen, um das bisherige Ungleichgewicht zumindest ein bisschen zu korrigieren. Das ist schwierig. Denn gerade in Kanzleien ist die Struktur konservativ geprägt, weil unsere Anwälte oft noch in herkömmlichen Mustern leben und ihre Frauen, auch wenn die meisten natürlich berufstätig sind, spätestens nach dem zweiten oder dritten Kind zuhause bleiben, um sich um die Familie zu kümmern. Diese Männer können sich oft nicht vorstellen, dass es möglich ist, berufstätig zu sein und sich gleichzeitig um die Kinder zu kümmern. Eine gezielte Förderung trägt dazu bei, die Versäumnisse aus den vergangenen Jahren zumindest etwas auszugleichen.
Sie haben mit Anfang 40 zwei Kinder bekommen. Im Gespräch haben Sie erzählt, dass Ihr Mann und Sie - auch mit kleinen Kindern - eine Fernbeziehung geführt haben. Wie haben Sie den (beruflichen) Alltag in dieser besonderen Konstellation gemeistert?
Vor allem eine gute Organisation hat uns geholfen, die Zeit zu meistern. Wir hatten ein Kindermädchen und die Kinder (lachend fügt sie hinzu - nicht ich) haben meinen Mann überredet, schon am Donnerstag Abend nach Hause zu kommen und erst Montag Morgens sehr früh zu verschwinden. Dadurch gab es nie einen Abschied und wir hatten genug intensive Zeit von Freitag bis Sonntag. (Frau von der Decken denkt kurz nach und fügt dann lachend hinzu) Wegen der Pendelei war unser Familienleben vielleicht sogar entspannter als in anderen Familien. Denn von Montag bis Mittwoch musste ich mich morgens und abends nur um die Kinder und nicht auch noch um meinen Mann kümmern - nach dem Motto: "Was gibt es zum Abendessen?". Mein Mann hat mich auch immer sehr entlastet, Papierkram erledigt und viel gekocht. Er wollte eine berufstätige Frau und hat mich daher immer aktiv in allen Familienangelegenheiten unterstützt. Besonders wichtig war meine Berufstätigkeit auch für uns als Familie, als mein Mann seinen Job aufgab und nach Frankfurt wechselte.
Sie stehen jungen Juristinnen als Mentorin zur Seite. Welchen Rat geben Sie, wenn Ihre Mentees fragen, wie sie am besten Ihre Karriere aktiv vorantreiben können und trotzdem noch genug Zeit für Ihre Familie haben möchten?
"Aktiv vorantreiben" ist das Stichwort. Frauen lassen zu viel auf sich zukommen. Das habe ich anfänglich auch getan. Sie sollten sich aber ähnlich wie die Männer eine Strategie überlegen, was sie alles erreichen wollen. Und sie sollten nicht darauf warten, gefragt zu werden, sondern ihr berufliches Fortkommen im Fokus haben. Im Unterschied zu Männern, die sich oft einen Businessplan für ihren Job machen, haben Frauen oft keine Strategie. Sie haben beispielsweise keine genaue Vorstellung davon, was sie verdienen wollen. Das ist ihnen nicht wichtig. Dadurch verpassen sie oft den Anschluss. Ich ermutige Frauen, unangenehme Gespräche nicht zu scheuen, sondern gezielt über Karriere und auch über Geld mit ihren Vorgesetzten zu reden. Ich selber habe großes Glück gehabt und habe immer eher zufällig im richtigen Moment die richtige Entscheidung getroffen. Ich war auf einem Jungengymnasium und hatte daher immer die Vorstellung der völligen Gleichberechtigung. Erst im Beruf habe ich dann festgestellt, dass es tatsächlich nicht so ist. Als ich 32 Jahre war, rief ein Freund mich an und fragte, was ich jetzt verdiene und was ich mit 35 verdienen wolle. Er habe sich den Betrag xy als Ziel gesetzt. So hatte ich noch nie gedacht. Von diesem Betrag xy war ich weit entfernt. Doch es poppte sofort der Gedanke auf: "Was der kann, kann ich auch". Und so hatte ich mit 35 Jahren ein Gehalt, von dem ich noch nie geträumt hatte. Frauen sollten also für sich sorgen, ihre Karriere planen und sich coachen oder beraten lassen. Denn sonst werden sie von ihren Bedenken immer wieder ausgebremst. Immer wieder höre ich von Frauen: "Jetzt ist nicht die richtige Zeit für den nächsten Karriereschritt", wegen kleiner Kinder oder Eltern, denen es nicht gut geht. Aus meiner Sicht ist das nicht das richtige Argument. Denn es ist nie die richtige Zeit - irgendetwas steht einem nächsten Karriereschritt immer entgegen.
Außerdem sollten Frauen sich vernetzen und gezielt auch einige Frauennetzwerke suchen. In diesen habe ich mir immer wieder die größte Unterstützung geholt. Nichts spricht gegen ein Frauennetzwerk. Die Männer haben schließlich auch ihre Herrenclubs, in die wir nicht herein kommen.
Welche Unterstützung sollten Großkanzleien Frauen geben, damit sie Beruf und Familie erfolgreich vereinbaren können?
Kanzleien sollten bestimmte Services wie beispielsweise einen Wäschedienst, Reinigung, Babysitter Notfallservice anbieten und Coaching zu sog. Soft Skills. Auch ein Stimmtraining für Frauen ist oft hilfreich. Wenige von uns benutzen die Stimme in der richtigen Tonlage. Wichtig ist auch, dass Frauen ein Mentoring angeboten wird. Es gibt Cross Mentoring Programme zwischen Kanzleien. Schließlich sollte Coaching angeboten werden, entweder um die Karriere anzuschieben, oder um einfach den Akku wieder aufzuladen. Frauen (und auch Männer) sollten immer wieder die Möglichkeit haben, ihre Kräfte neu zu sortieren. Deshalb gibt es inzwischen viele Anwaltskanzleien, die Coaching für ihre Partnerinnen und Partner anbieten.
Gibt es auch eine Notwendigkeit für Großkanzleien, gezielt Männer zu unterstützen, sich mehr Zeit für die Familie nehmen zu können, ohne dass dadurch die Karriere beeinträchtigt wird?
Eine gezielte Unterstützung von Männern wird nur dann notwendig, wenn Männer in diesen Kanzleien oder Unternehmen auch extreme Frauenförderungsprogramme angeboten werden. Denn sonst entsteht schnell eine ungute Atmosphäre. Ansonsten gibt es aus meiner Sicht dafür keine Notwendigkeit. Männer sind in der Regel strategisch besser aufgestellt. Sie nehmen sich ihre Rechte eher als Frauen. Ich sehe, dass sich jüngere Partner mit großer Selbstverständlichkeit Elternzeit nehmen. Auch haben wir schon einige Salary Partner, die ihre Tätigkeit auf 80 Prozent begrenzt haben.
Ihr Lebenslauf liest sich wie im Bilderbuch: Sie vereinen Familie, Nebentätigkeiten und Ihren Beruf als Rechtsanwältin hervorragend. Gab es berufliche Situationen, in denen Sie Fehler gemacht haben, die Sie aus heutiger Sicht hätten vermeiden können?
Ja, ich habe mehrere Fehler gemacht. Wenn ich etwas strategischer gedacht hätte, hätte ich mir viel Stress erspart. Ein Fehler liegt fast 20 Jahre zurück. Ich war Equity Partnerin mit 70 Prozent und habe, ohne vorher diese Veränderung mit allen Konsequenzen zu durchdenken, meine Tätigkeit auf 100 Prozent hochsetzen lassen, als mein Mann sich beruflich umorientierte. Das Ergebnis war, dass ich plötzlich einem riesigen Umsatzdruck ausgesetzt war. Ich hatte nicht bedacht, dass ich meinen Umsatz nicht einfach von 70 auf 100 Prozent innerhalb kürzester Zeit hochfahren konnte. Der zweite Fehler wirkte sich vor etwa 10 Jahren aus. Ich hatte nicht vorhergesehen, wie sich die Struktur der Kanzlei über die Jahre verändert. Die Partner, die mich zur Partnerin ernannt hatten, waren aus Altergründen ausgeschieden und mit ihrem Geschäft auch noch zu anderen Kanzleien gewechselt. Teile meines Geschäftes brachen damit weg. Ich musste plötzlich viel mehr akquirieren und war mit dieser Aufgabe zunächst überfordert. Dieser Fehler hat sich im Nachhinein sehr positiv ausgewirkt. Ich habe vor 10 Jahren einen Akquisekurs besucht und damit mein Geschäft noch einmal völlig neu befeuert. Inzwischen halte ich sogar Vorträge, wie man richtig akquiriert. Und ich bin eher zufällig in eine Coachingausbildung hineingestolpert, von der ich bis heute sehr profitiere, indem ich nicht nur Mandanten coache, sondern auch vielen Menschen um mich herum helfen kann, sich neu auszurichten.
Sie haben sehr viele Netzwerke geschlossen. Wie wichtig sind und waren diese Netzwerke für Ihre Karriere und wie haben Sie diese Netzwerke geknüpft?
Die Wichtigkeit von Netzwerken ist mir eigentlich erst im Rahmen meiner Coachingausbildung vor 10 Jahren klar geworden. Das Knüpfen von Beziehungen/Netzwerken ist in vielerlei Hinsicht hilfreich. In einigen Netzwerken habe ich fachliche Unterstützung gefunden. Andere Netzwerke sind für die Akquise wichtig. Und Frauennetzwerke sind auch noch wichtig, um das Selbstbewusstsein der Frau in einem oft noch ein bisschen schwierigen Umfeld zu stärken.
Wie wichtig waren Vorbilder insbesondere am Anfang Ihrer Karriere für Sie?
Ich habe erst viel später gemerkt, wie wichtig Vorbilder sind. Mein Vater war immer ein gutes und wichtigstes Vorbild, obwohl ich das als junges Mädchen natürlich nicht wahr haben wollte. Er war ein bekannter Presserichter und dann später ein bekannter (Presse) Rechtsanwalt.
Darüber hinaus waren Dr. Gisela Wild (ehemalige Partnerin bei Taylor Wessing und auch Verfassungsrichterin) mein großes Vorbild sowie Carmen Lichtenstein (Partnerin von Lichtenstein & Körner), die leider 2011 verstorben ist.
Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?
Frau Dr. Gisela Wild. Sie hat den Prozess der "Frauen gegen den Stern" geführt und maßgeblich an dem Volkszählungsurteil von 1983 mitgewirkt und uns so vor der ersten Volkszählung bewahrt.
Vielen Dank für das spannende Interview!
München, 8. Oktober 2019. Das Interview führte Marina Arntzen.
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