Dr. Alexa Ningelgen im Porträt
"Karriere in der Großkanzlei ist vielfältiger als viele denken."
Dr. Alexa Ningelgen, Partnerin bei McDermott Will & Emery, über ihre Aufgaben als Diversity Partnerin und die Umsetzung alternativer Stundenmodelle in Kanzleien.
Frau Ningelgen, Sie sind seit 2017 Partnerin bei McDermott Will & Emery und leiten das Öffentlich-Rechtliche Team in Deutschland. Was gefällt Ihnen besonders am Öffentlichen Recht?
Generell schätze ich besonders die Variationsbreite der Öffentlich-Rechtlichen Beratung, die sich auch in unserer sehr diversen Mandantenstruktur widerspiegelt. In unserer Öffentlich-Rechtlichen Praxis beraten wir sowohl die öffentliche Hand als auch privat-wirtschaftliche Mandanten. Das bedeutet, dass unsere Mandanten abhängig davon, ob sie beispielsweise Sachbearbeiter bei einer Behörde oder Private Equity Investoren sind, teilweise unterschiedliche Anforderungen an uns als Berater haben und dementsprechend auch eine andere Art der Mandatenansprache erwarten. Dazu kommt, dass das Öffentliche Recht auch inhaltlich sehr breit gefächert ist und wir als einziges Öffentlich-Rechtliches Team für McDermott in Deutschland sowohl unseren Mandanten direkt als auch unseren Kollegen als Ansprechpartner für Öffentlich-Rechtliche Fragen zur Verfügung stehen.
Neben dieser Vielfältigkeit und Breite ist das Öffentliche Recht zudem ein sehr dynamisches Rechtsgebiet, in das aktuelle Trends und Entwicklungen wie E-Mobility oder Technical Solutions einfließen. So beraten wir unter anderem Hersteller von E-Scootern beim Eintritt in den deutschen Markt oder Property Owners bei dem Rollout von E-Ladesäulen. Auch haben wir kürzlich ein Legal Tech Tool für Mandanten der öffentlichen Hand entwickelt, das es unseren Mandanten erlaubt, Verwaltungsverfahren effektiver und rechtssicherer abzuwickeln.
Diese Zusammenschau macht den Job als Öffentlich-Rechtler in einer internationalen Großkanzlei so abwechslungsreich und interessant.
Sie sind auch Diversity Partnerin. Wie sehen Ihre Aufgaben als Diversity Partnerin aus?
Wir sind in Deutschland Teil eines internationalen Diversity-Netzwerks bei McDermott, unserem Diversity and Inclusion Netzwerk. Gemeinsam entwickeln wir Konzepte, wie wir unsere Kanzlei für alle Kolleginnen und Kollegen als Raum für individuelle Entfaltung nutzen und alle in ihrem individuellen Fortkommen unterstützen können. Diversity ist natürlich ein sehr breites Feld.
Wir organisieren eine Reihe von internen und externen Veranstaltungen, wie beispielsweise Networking Lunches, um das interne Netzwerken für junge Kollegen und Kolleginnen zu erleichtern und die Visibilität zu erhöhen, interne Fortbildungen, die Themen wie unconscious biases zum Thema haben, Female client events, um spezifische externe Netzwerke zu bilden und zu bedienen und den Besuch von LGBTQ+ Messen, um auch im Bereich Recruiting aus einem möglichst großen Pool an exzellenten Bewerberinnen und Bewerbern schöpfen zu können. Daneben stoßen wir größere und kleinere Projekte an, wie zum Beispiel die Fortentwicklung eines Leaver-Fragebogens, der es uns ermöglichen soll, mehr über mögliche strukturelle Gründe für Weggänge zu erfahren und entsprechend zu reagieren.
Das Spektrum der Tätigkeit ist sehr bunt. Entscheidend für uns als Kanzlei ist der offene und respektvolle Umgang miteinander. Wir begreifen Vielfalt als Bereicherung und wollen als Team gewinnen!
Was bedeutet es für Sie persönlich, Diversity Partnerin zu sein?
Es macht eine Menge Spaß! Ich denke, dass der richtige Umgang mit Vielfalt für Kanzleien bereits heute sehr wichtig ist und in Zukunft sicherlich noch wichtiger wird. Ich sehe meine Aufgabe darin, ein offenes Ohr für Anregungen und Sorgen von Kolleginnen und Kollegen zu haben und gemeinsam Initiativen zu starten, die unsere Kanzlei auch in diesem Bereich noch weiter voranbringen.
Denn auch nach einigen Jahren in der Großkanzlei-Welt höre ich noch Aussagen, die mich persönlich traurig machen. Wenn beispielsweise Juristinnen sagen, dass sie gerne Kinder bekommen hätten, sich aber nicht getraut haben, da sie dachten, dass ein Kind ein Karrierekiller sei oder dass sie mit dem ersten Kind akzeptiert haben, dass ihre Karriere vorbei sei, dann macht mich das betroffen. Gerne möchte ich, soweit wie möglich, meinen Beitrag dazu leisten, dass sich die Kultur innerhalb unserer Industrie diesbezüglich weiter ändert.
McDermott Will & Emery bietet verschiedene Teilzeitmodelle an. Was sind aus Ihrer Sicht, der Perspektive als Partnerin, Vorteile und gegebenenfalls Schwierigkeiten in der Anwendung verschiedener Teilzeitmodelle innerhalb eines Teams?
Ja, wir bieten unterschiedliche Arbeitszeitmodelle an, auch in Teilzeit, und erhalten hierzu ein sehr positives Feedback, sowohl von unseren männlichen und weiblichen Kollegen als auch aus dem Markt. Früher wurde in meiner Wahrnehmung oft unterschieden zwischen „normaler“ Teilzeit, als Bezeichnung der Teilzeit für die Kinderbetreuung, und „anlassloser“ Teilzeit. Eine solche Unterscheidung gibt es bei McDermott nicht.
In meinem Team sind zum Beispiel alle Arbeitszeitmodelle vertreten: Neben Voll- und Teilzeit gibt es auch das alternative Stundenmodell. Die Teamarbeit mit verschiedenen Arbeitszeitmodellen funktioniert aus meiner Sicht sehr gut. Auch aus meinem Team kommt hierzu positives Feedback, ebenso, wie aus anderen Teams mit verschiedenen Arbeitszeitmodellen. Entscheidend ist aus meiner Sicht, Erwartungen von Anfang an klar zu kommunizieren. Insbesondere in der Abgrenzung von Teilzeit zum alternativen Stundenmodell muss klar sein, dass der Grad der erwarteten Flexibilität unterschiedlich ist. Beim alternativen Stundenmodell wird in der Regel kaum Flexibilität erwartet. Die Kolleginnen und Kollegen haben ein fixes Stundenkontingent, wenn das Stundenkontingent aufgebraucht ist, dann ist die Arbeitszeit grundsätzlich beendet. In meinem Team handhaben wir es so, dass die Kollegin, die im alternativen Stundenmodell arbeitet, durchaus flexibel arbeitet und nicht jeden Tag zu einer fixen Uhrzeit aufhört zu arbeiten. Diese Kollegin hat von Beginn an klar gesagt, dass sie trotz des alternativen Stundenmodells in gewissem Maß flexibel sein kann und will. Die Überstunden, die sie durch ihre Flexibilität ansammelt, werden aber zeitnah ausgeglichen.
Können demnach auch Teilzeitkräfte, oder sogar Kolleginnen und Kollegen im alternativen Stundenmodell, alleine und voll verantwortlich auf einem Mandat arbeiten?
Weder das Teilzeitmodell noch das alternative Stundenmodell bei McDermott sind auf "Hilfstätigkeiten" beschränkt. Es ist selbstverständlich möglich und gewollt, dass diese Kollegen und Kolleginnen auch alleine und voll verantwortlich auf Mandaten arbeiten. In welchem Maße das gelingt, ist natürlich abhängig von der Berufserfahrung der einzelnen Kollegin oder des einzelnen Kollegen und dem Zuschnitt der Aufgabenstellung. Zudem erfordert eine solche Konstellation vielleicht im Einzelfall von Partnerseite ein erhöhtes Maß an Planung und Steuerung.
Frau Ningelgen, Sie sind auch Mutter. Wie sind sie als Familie organisiert, um die Berufstätigkeit von Ihnen und Ihrem Mann mit dem Familienleben zu vereinbaren?
Da mein Mann und ich beide im gleichen Job in Vollzeit tätig sind, stellt uns diese Frage im Alltag immer wieder vor kleinere und auch mal größere Herausforderungen, das ist klar. Ich sage gerne – und nur halb im Scherz – dass die Arbeit in einer Großkanzlei eine perfekte Vorbereitung auf die Elternschaft ist. Man lernt sich zu organisieren, stets flexibel auf verschiedene Situationen zu reagieren, loszulassen und anderen zu vertrauen, im Team zu arbeiten und ab und an mit wenig Schlaf auszukommen. Daher muss ich sagen, dass es nicht so herausfordernd ist, wie ich es mir im Vorfeld vorgestellt habe. Das liegt aber natürlich auch daran, dass wir Hilfe von tollen Großeltern und externe Betreuungsmöglichkeiten haben.
Glauben Sie, dass Vorbilder oder Mentoren und Mentorinnen für junge Juristinnen wichtig sind und hatten Sie selbst welche?
Das ist eine Frage, die wir immer wieder intern kontrovers diskutieren. Ich glaube, dass Vorbilder vielleicht manche Kolleginnen und Kollegen ermutigen können. Es hilft zu sehen, dass am eigenen Arbeitsplatz schon unterschiedlichste Karriewege eingeschlagen wurden, dass andere es vor einem ebenfalls geschafft haben ihre individuellen Karriereziele zu verwirklichen. Die Karriere in der Großkanzlei ist vielfältiger und weniger stromlinienförmig als viele glauben.
Ich selbst hatte verschiedene Vorbilder und Mentoren, übrigens ausschließlich Männer. Das mag allerdings daran liegen, dass es früher einfach weniger Partnerinnen gab als heute.
Eine Karriere verläuft selten geradlinig. Welche Hindernisse mussten Sie auf Ihrem Karriereweg überqueren?
Es gab keine großen, einschneidenden Hindernisse, sondern eher alltägliche Schwierigkeiten, die mich im Laufe meiner Karriere begleitet haben und noch immer begleiten. Nicht nur aus Erfolgen sondern auch aus Niederlagen zu schöpfen gehört beispielsweise dazu. Natürlich ist es nicht angenehm, wenn man als Anwältin oder Anwalt einen Prozess verliert, von dem man glaubte, ihn zu gewinnen. Aber das spornt natürlich auch an.
Ein Thema, das mich persönlich beschäftigt hat und auch weiterhin beschäftigt, ist das schon angesprochene Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es gibt mir einfach zu denken, dass sich sehr viele Kolleginnen und Kollegen hierüber den Kopf zerbrechen.
Die von Ihnen beschriebenen Schwierigkeiten sind also eher familienspezifischer als frauenspezifischer Art?
Ja, diese Schwierigkeiten sind grundsätzlich familienspezifisch und nicht nur frauenspezifisch. Es gibt auch viele Männer, für die das Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine zentrale Rolle spielt. Wie einige Kolleginnen arbeiten auch einige männliche Kollegen in Teilzeit, um mehr Zeit mit ihrer Familie zu verbringen. Angesprochen werde ich allerdings vermehrt von Frauen auf dieses Thema, egal ob im Vorstellungsgespräch oder im Kanzleialltag. Ich beobachte, dass die größte Schwierigkeit für junge Kolleginnen oft die Frage ist, welches der richtige Zeitpunkt für die Familiengründung ist. Da gibt es nur die eine, zwar banale, aber immer richtige Antwort, dass es den einen "richtigen" Zeitpunkt nicht gibt.
Unabhängig von dem Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Lässt sich eine Karriere zur Partnerin oder zum Partner zu einem gewissen Grad planen und welche Ratschläge können Sie hierfür geben?
Es ist relativ selten, dass jemand ab Tag eins seines Berufslebens den Plan verfolgt, Partner oder Partnerin in einer Großkanzlei zu werden. Ich denke, dass es zu Beginn einer Karriere vor allem wichtig ist, fachliche Expertise aufzubauen und inhaltliche Sicherheit in "seinem" Rechtsgebiet zu gewinnen. Natürlich sind ab einem gewissen Zeitpunkt in der Karriere strategische Überlegungen angebracht und wichtig. Diese Überlegungen sollten dann dahingehen, was Mandanten von einem erwarten und was der persönliche business case innerhalb der Kanzlei und dem jeweiligen Rechtsgebiet ist. Um dies herauszufinden sind entsprechende Netzwerke maßgeblich – Netzwerke innerhalb der Kanzlei und außerhalb.
Dies sind auch die Fragen, die meine Mentees in unserem internen Mentoring-Programm umtreiben. Die Entwicklung des business case ist entscheidend, da der Schritt in die Partnerschaft im Wesentlichen hierauf beruht.
Gibt es bestimmte Parameter, die ähnlich oder identisch sind bei der Entwicklung eines business case?
Ich denke ja. Es lohnt sich zu fragen, was Mandanten wirklich wollen und was sie an der eigenen Arbeit schätzen. Der erste Schritt ist, sich diese Fragen zu stellen, ein zweiter Schritt ist dann, die jeweiligen Nischen und Spezialisierungen für sich zu suchen und zu finden, die für die eigene Persönlichkeit und das eigene Buisness individuell passend sind.
Zuletzt, welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?
Mir fällt spontan Jutta Limbach ein, die aber leider schon verstorben ist und deswegen nicht mehr interviewt werden kann.
Vielen Dank für das Gespräch und die Zeit, die Sie Sich dafür genommen haben!
Düsseldorf, 24. Oktober 2019. Das Interview führte Ilka Beimel.
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