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Alisha Andert

Alisha Andert, LL.M im Porträt

„Kollaboration ist alles!“

A​lisha Andert, LL.M, Head of Legal Innovation bei Chevalier, Vorstandsvorsitzende des Legal Tech Verbandes und Mitgründerin von This is Legal Design, über Legal Tech und Legal Design, der Full-Service-Kanzlei der Zukunft und der Wichtigkeit von ehrlichen Empfehlungen.

Alisha, Du bist Head of Legal Innovation bei der Arbeitsrechtskanzlei Chevalier, nachdem Du zuvor schon Head of Legal Innovation bei Flightright warst. Was verbirgt sich hinter der Position Head of Legal Innovation?

Eigentlich wäre Business Development eine klassischere Bezeichnung dafür. Meine Aufgabe liegt im Ergebnis darin, sicherzustellen, dass Chevalier sich so weiterentwickelt, dass wir die attraktivste Arbeitsrechtskanzlei auf dem Markt werden. Dafür kommt es unter anderem darauf an, dass wir neue Produkte aus der Perspektive der Kundschaft heraus entwickeln. Es geht also nicht so sehr um die Perspektive der Anwaltschaft. Für mich ist die wesentliche KPI (kurz für: Key Performance Indicator) deswegen die Zufriedenheit der Kund*innen. Daraus folgt auch, dass wenn die Kund*innenunzufrieden sind, ich dem gesamten Vorgang auf den Grund gehe, um die Qualität unserer Leistung zu sichern. Neben neuen Produkten fördere ich die geschäftliche Weiterentwicklung von Chevalier aber vor allem dadurch, dass ich Kooperationen mit anderen Unternehmen wie Rechtsschutzversicherungen organisiere. Dadurch verbessern wir am Ende des Tages die Customer Journey für die Kund*innen, da sich der gesamte Prozess eines rechtlichen Falls für die Kund*innen "rund" anfühlt.

Was versteht man unter Legal Design und wie verhält sich insbesondere Legal Tech dazu?

Die Frage habe ich zum Glück schon ein paar Mal beantwortet (lacht). Legal Design meint die Anwendung unterschiedlicher Methoden und Ansätze zur Gestaltung im Rechtsbereich. Grundsätzlich kann man erstmal alles außerhalb des Kernbereichs der juristischen Methodik wie Subsumtion und Auslegung gestalten. Das ist bisher im Rechtsbereich im Rahmen der Customer Journey noch überhaupt nicht getan worden, obwohl es da wunderbar anwendbar ist.

 

Die bekannteste Methode, wie man Dinge gestaltet, ist das Design Thinking. Das ist ein Innovationsansatz, der die Art und Weise, wie Designer*innen arbeiten auf andere komplexe Probleme überträgt. Dieser Ansatz ist im Kern personenorientiert. Man fragt sich, was für die Nutzer*innen besonders "begehrlich" ist. Design Thinking eignet sich als Ansatz daher besonders gut dazu, Produkte und Dienstleistungen für den Rechtsbereich zu entwickeln. Schließlich will man als Unternehmen oder Kanzlei Leistungen anbieten, die "gewollt werden", sodass die Kundschaft  oder Mandantschaft bei einem bleiben und zufrieden sind.

Zurück zu Legal Design: dieses kann als Herangehensweise für Legal Tech beziehungsweise rechtliche Anwendungen dienen und rückt die Nutzerbedürfnisse dabei in den Vordergrund. Legal Tech ist ja keine Methode, sondern eher ein Ergebnis: z.B. ein Produkt, das digital funktioniert oder eine Anwendung. Ich verstehe den Begriff Legal Tech im Übrigen sehr weit: für mich ist das die Digitalisierung des Rechts und alles was damit zu tun hat.

Du hast neben der klassischen juristischen Ausbildung mit erstem und zweitem Staatsexamen sowie einem LL.M. noch den Studiengang Design Thinking absolviert. Anschließend hast Du, noch im Referendariat, This is Legal Design zusammen mit Lina Krawietz gegründet. Braucht es beide Ausbildungsrichtungen, um im Bereich Legal Design erfolgreich zu sein?

Ich glaube nicht, dass es eine Voraussetzung ist, aber ich glaube, dass es hilft. 

 

Die Jura-Ausbildung hat eine sehr analytische Seite, es geht auch viel um sprachliche Genauigkeit. Man lernt allerdings sehr viele Dinge auch nicht, wie beispielsweise Teamarbeit, kreatives Denken, interdisziplinäres Arbeiten, präsentieren, priorisieren uvm. Der juristische Stoff wird über die fünf Jahre des Studiums recht isoliert gelernt.

 

Durch Legal Design wird der klassische Jura-Bereich um neue Impulse bereichert. Dafür braucht man weitere Fähigkeiten, die man im Jura-Studium nicht lernt. Es muss aber nicht unbedingt Design Thinking sein. Alternativ kann man sich auch mit Business Process Modelling oder mit visuellem Design auseinandersetzen, um dann z.B. Prozesse optimieren oder Dokumente nutzerfreundlicher gestalten zu können. Legal Design ist für mich das Zusammenkommen all dieser Disziplinen.

Nicht notwendig wäre es meiner Meinung nach selbst noch Informatik zu studieren, um dann wieder alles alleine machen zu können. Es geht eher darum, mit anderen Disziplinen, wie der Informatik, zusammenarbeiten zu können. Diese Einzelkämpfer*innenmentalität, die man im Jura-Studium entwickelt, sollte man im Bereich Legal Design ablegen.

 

Wie kann man sich dem Bereich annähern, insbesondere im Studium bzw. im Referendariat?

Lina und ich werden das recht häufig gefragt. Auf unserer Webseite findet sich eine Seite mit Links und Buchempfehlungen (Anm. der Redaktion: https://www.thisislegaldesign.com/post/legal-design-was-wie-wo).

 

Außerdem gibt es auf der Homepage des Legal Design Labs viele Beispiele aus der Praxis, die veranschaulichen sehr gut was digitale Justiz bedeutet.

 

Zudem würde ich den Kontakt mit berufstätigen Personen suchen. Im Bereich Legal Design sind alle extrem aufgeschlossen, denn der Bereich lebt vom Austausch mit den Kolleg*innen und von Kollaborationen. Und, wenn jetzt nicht gerade Corona wäre, dann würde ich auch Veranstaltungen empfehlen  dort kann man die Leute direkt ansprechen. Man sollte auf keinen Fall mit einer Einzelkämpfer*innenmentalität da herangehen. Kollaboration ist alles!

Wie verändert Legal Design die Zukunft der juristischen Beratung?

Ich denke, dass Jurist*innen nicht mehr nur die rechtliche Beratung übernehmen werden, sondern dass sie eher Teil eines größeren Nutzererlebnisses sind. Da kommt eine Kombination aus IT, Nutzerdesign, Prozessen und BWL zusammen und die rechtliche Beratung muss ganzheitlich sein. Viele der Großkanzleien bezeichnen sich als Full-Service-Kanzleien. Das bedeutet erstmal nur, dass sie 24/7 erreichbar sind und alle Rechtsgebiete abdecken. Aber damit sind sie nicht wirklich serviceorientiert. Das fehlt dem Rechtsdienstleistungsmarkt. Viele der Kanzleien bewegen sich nicht mit den Digitalisierungsprozessen ihrer Mandantschaft. Die Bearbeitung großer Datenmengen erfolgt beispielsweise noch so oft manuell, obwohl das schon längst digitalisiert und automatisiert sein könnte.

Ich glaube auch, dass eine Großkanzlei kommen wird, die das von vorneherein richtig macht. Eine Kanzlei, die sich direkt service- und technologiebasiert aufstellt und eine völlig andere Leistung anbieten kann. Das hat dann auch Auswirkungen auf das Pricing, weil man langfristig von "billable hours" wegkommen wird und anfängt, effizienter zu arbeiten. Das wird eine ganz andere Art von Full-Service sein. Dienstleistung heißt nämlich nicht einfach nur, immer ansprechbar, sondern flexibel, agil und modern zu sein.

Du hast den Legal Tech Verband mitbegründet, dessen Vorstandsvorsitzende Du bist. Welche Funktion erfüllt der Legal Tech Verband für Dich?

 

Der LTV hat zwei wesentliche Funktionen. Erstens wollen wir ein Netzwerk schaffen, zwischen modernen Jurist*innen, die voneinander lernen wollen. Kein Silodenken, sondern ein Miteinander.

 

Und zweitens fehlte es bisher an einer politischen Interessenvertretung, die eine progressive politische Stimme darstellt, um einen langfristig innovativen Rechtsmarkt zu schaffen. Denn dafür braucht man innovative Regelungen. Legal Tech im Sinne von alternativen Rechtsdienstleistern sind allerdings bisher kaum rechtlich geregelt. Das führt zu großer Rechtsunsicherheit. Für Portale wie Flightright gibt es beispielsweise kaum Regulation. Gleichzeitig sind Kanzleien in ihrer Gestaltungsfreiheit durch ein strenges Berufsrecht beschränkt. Bestes Beispiel dafür ist das Fremdfinanzierungsverbot, welches verhindert, dass man sich auch mal Geldgeber*innen an Bord holt. Die Digitalisierung muss deshalb durch Eigenkapital gestemmt werden, was nicht immer möglich ist. Auch eine erfolgsbasierte Vergütung wäre kundennah und attraktiver wie sich am Erfolg der Legal Tech Verbraucher*innenportale zeigt, ist vom Gesetz für Rechtsanwält*innen aber nicht vorgesehen.

So wie es weniger Gründerinnen als Gründer gibt, ist auch der Bereich Legal Tech im Allgemeinen männlich geprägt. Macht sich das in Deinem Alltag irgendwie bemerkbar?

(grinst) Ich habe Glück —  sowohl bei Chevalier als auch bei This is Legal Design sind die Frauen in der Mehrzahl. Das freut mich sehr.

 

Beim Legal Tech Verband ist das etwas anders. Das liegt unter anderem daran, dass Kanzleien und Unternehmen, keine Einzelpersonen, hier Mitglied werden und deren Geschäftsführung meist männlich dominiert ist. Das problematische daran ist, dass durch die fehlenden Frauen auch Sichtweisen verborgen bleiben. Langfristig streben wir hier eine bessere Aufteilung an. Dafür müssen wir als Gesellschaft aber an einigen Stellschrauben drehen.

Sollten sich Frauen in von Männern dominierten Bereichen besonders gegenseitig unterstützen?

Da finde ich ganz klar, ja! Männer machen das auch. Sie machen es nicht (bewusst), um Frauen auszugrenzen. Aber, Thomas befördert eben eher Thomas, weil dieser ihm ähnlich ist. Ich habe das Glück in einem Umfeld zu arbeiten, in dem ich mich als Frau nicht benachteiligt fühle und vor allem auch von Männern gefördert wurde. Dennoch ist es wichtig, sich für andere Frauen einzusetzen, um diesen Sichtbarkeit zu verschaffen und irgendwann zu einem Selbstverständnis zu kommen.

Auch der Legal Tech Verband ist männlich geprägt. Welche Qualifikationen sollte eine Juristin mitbringen, um im Legal Tech Verband ein Amt, etwa als Beirätin oder als Mitglied des Vorstands, einnehmen zu können?

Man muss eine wichtige Rolle im Unternehmen oder der Kanzlei spielen. Allerdings ist das auch schwierig zu sagen, was daneben konkret eine Rolle spielt, da der Vorstand ja gewählt wird. Als Beirätin kommen zum Beispiel auch Positionen in der Wissenschaft in Frage. Einfach Frauen, die sich intensiv mit dem Thema “Digitalisierung des Rechts” auseinandersetzen.

Insbesondere für den Beirat habe ich sogar schon Frauen angefragt, die das aber zum Beispiel aus Kapazitätsgründen nicht wollten. Es ist leider manchmal gar nicht so leicht, wie man es sich vorstellt, eine ausgeglichene Besetzung hinzukriegen. Von all den Anfragen, die wir als Legal Tech Verband bekommen haben im Hinblick auf Mitgliedschaft oder Mitwirken, kann ich an einer Hand abzählen, wie viele von Frauen kamen. Die Männer hingegen wollen sich scheinbar an allen Ecken einbringen. Mir ist bewusst, dass das wiederum auch an der fehlenden Sichtbarkeit von Frauen liegt, aber es ist schon auch ein Henne/Ei - Problem. Ich war selbst erstaunt, wie schwierig es ist, weiblich zu besetzen.

Die Debatte um Geschlechterparität, und wie man sie in Führungspositionen erreichen kann, hat in juristischen Berufen Einzug gehalten. Brauchen wir ähnliche Debatten nicht auch mit Blick auf andere unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppen, etwa People of Colour (PoC)?

Ja, ich finde, man sollte immer an Stellen, wo Ungerechtigkeiten bestehen, diskutieren. Aber Frauen sind keine Minderheit. Vielmehr stellen sie im Jura-Studium sogar die Mehrheit dar. Auch im Job ist es zu großen Teilen noch ausgeglichen, das nimmt erst auf dem Weg nach oben ab.

Bei "anderen" Minderheiten liegen andere Probleme zugrunde. Die Debatte zu unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppen sollte nicht mit der Frauenfrage vermischt werden. Das würde zu einer Verwässerung des Problems führen. Ich selbst habe in meinem juristischen Bereich bereits im Studium kaum PoC wahrgenommen, das war nicht erst im Job so. Da sprechen wir also von völlig anderen Stellschrauben. Ich halte deshalb nicht viel davon, die Debatten (die aber ebenfalls geführt werden müssen) an dieser Stelle zu öffnen.

Gibt es etwas, das Du Dir hier von der juristischen Ausbildung, Arbeitgeber*innen und der Politik wünscht?

Ja (lacht)! Wo soll ich da anfangen?!

Von der juristischen Ausbildung würde ich mir wünschen, dass sie mehr auf die digitale Welt und das digitale Leben vorbereitet. Und dass neben digitalen Tools, der Kontakt mit anderen Disziplinen zumindest ein Aspekt der Ausbildung wird.

Von Arbeitgeber*innen würde ich mir wünschen, dass sie Talente und Fähigkeiten erkennen und fördern, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe und Herkunft.

Und von der Politik: mehr Offenheit und Mut für eine "neue" juristische Welt. Deutschland kann es sich nicht leisten, die Digitalisierung im Recht noch weiter zu verschlafen, ansonsten gibt es am Ende keine ausbalancierte Lösung und viele Geschäfte werden kaputt gehen.

Was können Individuen dazu beitragen, strukturelle Ungleichheiten abzubauen?

Ich glaube, das funktioniert am Besten in einer privilegierten Position, wenn man also ein großes und gutes Netzwerk hat oder in einer Führungsposition arbeitet.

 

Da kann man andere dann "hochheben", indem man Kontakte herstellt und Empfehlungen ausspricht. Diese müssen aber ernst gemeint sein, um ein strukturelles Gleichgewicht herzustellen. Sie dürfen nicht dazu dienen, unqualifizierten oder nicht gut qualifizierten Personen weiterzuhelfen, dann werden solche Empfehlungen schnell nicht mehr als ehrlich wahrgenommen. Ich habe oft davon profitiert, dass z.B. eine anerkannte Person gesagt hat "Hey, frag mal Alisha Andert, ob sie den Vortrag halten will" und nun vermittle ich ebenfalls Personen meine Kontakte.

Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Ich habe überlegt und finde, dass es da sehr viele gibt. Aber wer meinen Weg nachhaltig beeinflusst hat, ist meine Mitgründerin von This is Legal Design: Lina Krawietz. Sie hat meinen Weg einfach am meisten geprägt. Wir haben zusammen studiert und sie hat nach dem 1. Examen einen anderen Weg gewählt. Sie kam nämlich frühzeitig zum Design Thinking, hat dann bei SAP gearbeitet und mit Legal Design einen Weg gefunden, der sich insbesondere für Leute eignet, die sich nicht zu 100 Prozent im klassischen Jura wiederfinden.

 

Herzlichen Dank für das tolle Gespräch und die Zeit, die Du Dir dafür genommen hast!!

 

Berlin / Frankfurt, 16. Oktober 2020. Das Interview führte Karen Kelat.

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