Dr. Angela Kerek im Porträt
„Die Wechselwirkung zwischen Leistung und Erholung bringt auf Dauer Erfolg.“
Dr. Angela Kerek, Partnerin bei Morrison & Foerster, ehemalige Spitzensportlerin und Buchautorin über positive Energie, physische und psychische Gesundheit im (Berufs-)Alltag und wie es gelingt mental stark zu sein und dabei die eigene Performance zu optimieren.
Liebe Frau Dr. Kerek, Sie sind mit 16 Jahren aus Rumänien nach Deutschland eingewandert, haben zunächst Profi-Tennis gespielt und im Anschluss Jura studiert und sind Anwältin geworden. Welche Erfahrungen verbinden Sie mit welchem Lebensabschnitt?
Es sind sicherlich unterschiedliche Stufen der eigenen Reife, aber auch der Interessen, der Motivation, der Leistungsfähigkeit und der Zufriedenheit. Umso älter man wird, desto mehr werden innere und stille Erfolge wichtiger als die äußere Anerkennung und Auszeichnungen. Mein Migrations- und Sporthintergrund spielt eine hohe Rolle dabei, in einem damals fremden Land aufgenommen zu werden und dazu gehören zu wollen. Es sind natürlich abstrakte Vorstellungen, die jedoch jeden, der in einem anderen Land ankommt, stark beeinflussen.
In welchem dieser Lebensabschnitte haben Sie am meisten gelernt?
Das kann ich so pauschal nicht sagen. Vielmehr habe ich in jedem Lebensabschnitt andere Sachen gelernt, die mir immer wieder auch in neuen Zusammenhängen geholfen haben. So lernt man zum Beispiel im Sport, dass Ausdauer und Übung, sowie Durchhaltevermögen wichtiger sind und weiterbringen als Talent. Das gilt auch im Bereich der Anwaltschaft. Genau so steht es mit der Erkenntnis, dass auf Dauer nur die Wechselwirkung zwischen Leistung und Erholung eine Steigerung der eigenen Leistung bewirkt, und mit der Fähigkeit sich selbst als Maßstab zu sehen, und nicht gegen andere zu konkurrieren. Die Einteilung der eigenen Energie und die zunehmende Priorisierung von Sachen, die einem positive Energie geben, ist auch eine sehr wichtige Erkenntnis.
Sie sind jetzt Partnerin bei Morrison & Foerster im Bereich Finance. Wie sind Sie zu diesem Beruf und dem Fachbereich gekommen?
Das war bei mir eher Zufall. Ich wollte als Anwältin in einer Großkanzlei anfangen zu arbeiten. Ich promovierte gerade im Verfassungsrecht, gefragt wurden jedoch Kolleg*innen in Finanzierungen – das war kurz vor der Finanzkrise. Die Kolleg*innen, die ich gesprochen habe, und die Stimmung in dem Fachbereich waren sehr nett, also habe ich im Banking (Kreditsicherungsrecht im BGB) angefangen. Und es lag mir inhaltlich und vom Tempo her von Anfang an.
Das Thema mentale Gesundheit und Resilienz, insbesondere im Anwaltsberuf, liegt Ihnen besonders am Herzen. Welche Initiativen haben Sie speziell in Ihrer Kanzlei ins Leben gerufen, um für die psychische und physische Gesundheit zu sorgen?
Wir haben ein ganzheitliches Gesundheitsprogramm HealthyMoFo im Berliner Büro ins Leben gerufen. Themen wie Körper, Geist, Ernährung, persönliches Wachstum und soziales Umfeld gehen wir systematisch jedes Jahr über Lunch & Learn Sessions an. Daneben bieten wir Personal Training, Yoga und Pilates an. Ebenfalls gibt es Gruppen, die eine mehrtägige Fahrradtour über die Alpen oder nach Italien machen, andere, die zusammen Tennis spielen oder miteinander segeln. Wir bieten zudem, in Zusammenarbeit mit der Uniklinik Charité in Berlin, schnellen Zugang zu Sprechstunden mit Psychologen.
Das Angebot in Berlin wird ergänzt mit Schulungen aus den USA zu Früherkennung und Umgang mit mentalen Erkrankungen und Vorstufen dazu. Wir haben zudem Zugang zu einem Portal mit vielfältigen Angeboten, inklusive persönliche Einzelgespräche, Ernährungsberatung, ein Abo zu der App Calm, und vieles mehr.
Wie sorgen Sie persönlich mit zwei Kindern, als Anwältin in einer Wirtschaftskanzlei und Autorin für Ihre mentale und physische Gesundheit?
Gesundheit bedeutet für jeden Menschen etwas Anderes. Jeder fühlt sich bei anderen Sachen wohl und hat zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Bedürfnisse. Wichtig ist es, Gesundheit als einen Prozess, nicht als einen Zustand oder als ein Ziel zu begreifen.
Ich bin ein Mensch, der auf Routinen aufbaut. Meine Woche ist auf zwei (mittlerweile drei) feste Säulen aufgebaut: Montag und Mittwoch habe ich Personal Training und Samstag spiele ich Tennis. Das sind jeweils eine Stunde gleich zum Anfang des Tages, damit nichts schieflaufen kann. In der Regel schaffe ich es noch ein bis zwei Mal in der Woche zu Laufen, um den Kopf frei zu bekommen. Ich bin extrem bewusst bei meiner Ernährung, ich esse kein "processed food" und ernähre mich zu circa 95% vegan.
Die Kinder haben auch Sporteinheiten, denn ich möchte ihnen ein gutes Körperbewusstsein mitgeben. Die Ernährung ist eine harte Nuss – ich kämpfe stets sehr stark gegen das überall für Kinder angebotene zuckerhaltige Essen.
Sie haben ein Buch "Winning Inside" geschrieben, das u.a. auf Ihren Erfahrungen aus dem Spitzensport beruht, die auch im (Berufs-)alltag helfen. Worum geht es in Ihrem Buch genau?
In dem Buch geht es darum, sich näher anzugucken, wie Sportler*innen trainieren, um ihre Ziele zu erreichen, und ihre Leistung über Jahre punktgenau abzurufen. Dafür benutzen wir auch sehr schöne plastische Beispiele, die man sich gut merken kann. Warum meint Christiano Ronaldo, dass es mit €32 Millionen pro Jahr zu wenig verdient? Was spielt Geld für eine Rolle? Mit welcher Einstellung tritt Jens Lehmann gegen den Titan Oliver Kahn an, um ihn als Nummer 1 abzulösen? Was spielt es für eine Rolle, wie wir in unserem Kopf bei den größten Chancen unseres Lebens denken – das schaffe ich doch nie, oder, endlich habe ich die Chance meines Lebens bekommen, um zu zeigen, was ich kann.
Wir nehmen uns diese Vorbilder und übertragen sie ins Berufsleben. Wie oft sollte ich Pausen machen, wie ist mein Schlaf- und Biorhythmus, sprich, wann sollte ich am besten was bearbeiten, wie denke ich über meine Motivation für den Beruf nach, wie denke ich über Vergleiche zu anderen Kolleg*innen nach, was treibt mich an, wie entspanne ich, wie setze ich Prioritäten?
Es gibt sehr viele Sachen, die wir von den Spitzensportler*innen lernen können, die wir im Beruf nicht richtig hinbekommen. Wir können nicht über lange Zeiten 24/7 für Mandant*innen verfügbar sein, wir können nicht ständig durchpowern und meinen, dass es als schwach abgestempelt wird, wenn wir uns nicht komplett aufopfern und bis zum Umfallen arbeiten. Diese Ansichten und Einstellungen müssen sich ändern.
Könnten Sie uns ein paar Tipps und Strategien aus Ihrem Buch mitgeben, wie es gelingt mental stark zu sein und dabei die eigene Performance zu maximieren?
Zunächst wäre es mir wichtig klarzustellen, dass es nicht um Maximierung, sondern vielmehr um die Optimierung von Performance geht – das ist ein großer Unterschied. Es geht nicht um mehr, sondern um besser, weil klüger. Mentale Stärke ist, genauso wie Gesundheit im Allgemeinen auch, ein Prozess, und kein Ziel oder (Dauer-)Zustand. Es ist wie eine Busfahrt, die jeden Tag irgendwie anders verläuft. Es geht darum, wie ich den Bus jeden Tag fahre, nicht darum, wohin er fährt. Ist es kalt draußen, wie wärme ich den Motor auf, steigen Leute in den Bus, wie gehe ich mit diesen Leuten um und wie reagiere ich auf ihre (Un-)Freundlichkeit, gebe ich mehr Gas oder fahre ich vorsichtig, muss ich tanken oder kann ich noch weiterfahren etc.? Der Punkt ist, dass ich meine Gedanken, die während der Fahrt aufkommen, sowie meine Fähigkeiten, den Bus zu fahren, stets bewusst trainieren muss. Wie bei den Muskeln, so geht es mit den Denkgewohnheiten auch: Use it or lose it. Es sind die kleinen Entscheidungen, die wir für uns selbst treffen, die uns im Ergebnis ausmachen.
Welche Eigenschaften zeichnen Sie als Chefin aus, was ist Ihnen bei der Führung Ihres Teams besonders wichtig?
Mir ist sehr wichtig, dass die Kolleg*innen selbstständig entscheiden und lernen, Verantwortung zu übernehmen. Gleichzeitig sollen sie auch wissen, dass ihr Rücken gedeckt ist. Mir ist ebenfalls wichtig, dass das Umfeld so ausgestaltet ist, dass die Kolleg*innen sich trauen, eine andere Meinung zu vertreten und Kritik auszuüben.
Worauf legen Associates aus Ihrer Sicht derzeit besonders viel Wert bezogen auf ihr berufliches Umfeld?
Das ist schwer für mich, das so allgemein zu sagen. Ich bekomme es aber zunehmend mit, dass die Bereitschaft, sich für den Beruf "aufzuopfern" nicht mehr so groß ist – zum Glück! – wie in den vorigen Generationen. Es gibt aber auch hier noch viel zu tun, denn die erneut steigenden Gehälter suggerieren natürlich unbewusst, dass man für ein so hohes Gehalt die vollständige Hingabe als Gegenleistung erwartet. Das geht aber m.E. in die falsche Richtung, denn es kann nicht auf Dauer aufrechterhalten werden.
Immer mehr Väter nehmen Elternzeit, was mich unheimlich freut. Auch merke ich, dass eine viel größere Auswahlmöglichkeit bezüglich der Arbeitsstelle besteht, als Mitte 2000. Es ändert sich auch die Auffassung, dass man sehr lange bei einem Arbeitsgeber oder einer Arbeitgeberin bleiben muss/soll – junge Leute probieren viel mehr aus.
Auch beobachte ich, dass es immer wichtiger wird, einen "Purpose" zu haben, wofür und in welchem Umfeld man arbeitet, was natürlich in unserer Branche zusätzlich zu der Profitabilität eine eher schwer zu beantwortende Frage ist.
Sie haben einige Jahre bei Linklaters in London gearbeitet. Gab es dort Unterschiede in der Ausbildung der Associates im Vergleich zu Deutschland?
Ich fand, dass man in oder aus London viel mehr Anleitung bekommen hat, trotz der als zurückhaltend geltenden Art der Engländer. Die Entwicklung der eigenen Datenbanken war in besonders starkem Maße aus London getrieben. Die Vielfalt und die Tiefe der Materialien hat mich immer sehr stark beeindruckt.
Gibt es einen Ratschlag, den Sie früher selber gern gehabt hätten und jungen Juristinnen für mit auf den Weg geben können?
Ah, da gibt es sehr viele… So zum Beispiel: Die Reaktionen der Leute haben nicht so viel mit Dir persönlich zu tun, sondern vielmehr mit ihren eigenen Problemen; versuche Dich darauf zu konzentrieren, was Du kontrollieren kannst, und Dein Leben und Glück nicht davon abhängig machen, was Du nicht beeinflussen kannst; der Vergleich mit anderen ist ein Killer des eigenen Glücks und so schwer herauszubekommen, wenn das Umfeld mit solchen Vergleichen arbeitet; der Unterschied zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation; etc.
Haben oder hatten Sie Vorbilder im Tennis und/oder im juristischen Bereich?
Ich habe viele Vorbilder für einzelne Eigenschaften oder Taten, wie Billie Jean King, Steffi Graf, Eliud Kipchoge, Rafael Nadal, Roger Federer, Christin Lagarde, Jane Goodall, David Attenborough, Bethany Hamilton, Reinhold Messner, etc., und jetzt ist ein neuer dazugekommen, der Nepalese Nirmal Purja, der alle 14 8000er in 6 Monaten bestiegen hat – eine unglaubliche Inspiration.
Gibt es Gemeinsamkeiten Ihrer Vorbilder im Tennis und im juristischen Bereich? Falls ja, welche?
Es ist der Glaube an sich selbst und die Entschlossenheit, für das Richtige und für sich einzutreten.
Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?
Meike von Levetzow von Noerr, weil sie mit unglaublich viel Engagement sich für sich selber und für den Zusammenhalt und das Wohlergehen von anderen einsetzt. Weil sie das, was sie ändern möchte, in die Hand nimmt, und einfach macht. Weil sie nicht zurückschreckt und versteht, dass all die Stärken und das Glück in uns selber ist.
Anne Grewlich von Ashurst, weil sie ein unglaubliches Team um sich herum aufgebaut hat, und sehr viel dafür gibt, dass es den Leuten im Team gut geht. Sie ist Mutter, Fachbereichsleiterin und eine begehrte Finanzierungsanwältin, eine Französin, die in einem fremden Land mit Deutsch als Fremdsprache Unglaubliches leistet.
Vielen Dank für das spannende Interview!
München und Berlin, 5. Januar 2022. Frau Dr. Angela Kerek hat die Fragen schriftlich beantwortet. Das Interview führte Marina Arntzen, LL.M.
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