top of page
Angelika Niebler

Angelika Niebler im Porträt

Frauen sollten Chancen beherzt ergreifen.

Prof. Dr. Angelika Niebler, Mitglied des Europäischen Parlaments und Of Counsel bei Gibson Dunn & Crutcher, über ihre Arbeit als Abgeordnete im Europäischen Parlament, die Einführung der Frauenquote bei der CSU und die Bedeutung von Netzwerken.

Frau Niebler, Sie haben Jura in München und Genf studiert und in München und London das Referendariat gemacht. Wieso haben Sie sich für das Jurastudium entschieden?

Eigentlich wollte ich Ärztin werden. Ich jobbte in den Ferien als Schwesternhelferin in einer Klinik und stellte dabei allerdings fest, dass das nichts für mich ist. Mein Praktikum in einer Münchner Anwaltskanzlei hat mir richtig Lust auf ein Jurastudium gemacht. Ich wollte dann Anwältin werden.

Nach dem 2. Staatsexamen haben Sie sich dazu entschieden zu promovieren – was war Ihre Motivation? Würden Sie jungen Frauen heute auch empfehlen in jedem Fall zu promovieren?

Für eine Juristin ist eine Promotion aus meiner Sicht immer noch ein Qualitätsmerkmal, gerade in internationalen Kanzleien, in denen ich immer arbeiten wollte. Heute sehe ich das mit einer Promotion jedoch entspannter. Der Arbeitsmarkt hat sich verändert, die Herausforderungen und damit auch Anforderungen an die beruflichen Qualifikationen sind andere, gerade auch durch die Digitalisierung.

Ihre Dissertation haben Sie im Bereich Rechtsinformatik verfasst und Ihren Berufseinstieg als Rechtsanwältin im Bereich des Wettbewerbsrechts, Datenschutz und Cyber Security gewählt. Wie sind Sie auf diese – damals noch sehr jungen – Rechtsbereich aufmerksam geworden?

Ich habe bei Prof. Dr. Lothar Philipps promoviert, der seinerzeit einer der führenden Juristen in diesem Bereich war. Er befasste sich schon vor über 35 Jahren mit Expertensystemen, neuronalen Netzen und der Wirkung von IT in der Rechtswissenschaft. Er hat mich für dieses Thema begeistert. Die Spezialisierung in der Sozietät kam mit den Mandaten, die ich dort bearbeitet habe.

Sie haben als Berufseinstieg die Tätigkeit als Rechtsanwältin gewählt. Was war Ihre Motivation hierzu?

Die Freude, Interessen von Mandanten zu vertreten, gemeinsam an Strategien zu arbeiten, wie sich neue Geschäftsideen im rechtlichen Rahmen umsetzen lassen, mit denen Mandanten und Mandantinnen in den Markt gehen wollten. Ich bin auch gerne zu Gericht gegangen. Da gab es oft Überraschungen, neue Entwicklungen, mit denen man umgehen musste. Wie in der Politik!

Frau Niebler, Sie sind seit 1999 Mitglied des Europäischen Parlaments. Wie ist es zu Ihrem politischen Engagement gekommen?

Ich habe mich während meiner Studienzeit ehrenamtlich politisch engagiert und habe seit 1996 als Mitglied des Ebersberger Kreistages ein kommunales Mandat. Politik ist so vielseitig, so faszinierend, auf kommunaler Ebene ebenso wie in jedem Parlament.

Sie haben sich entschieden als Abgeordnete für das Europäische Parlament zu kandidieren. Was hat Sie zu dieser Entscheidung bewegt?

Europa hat mich schon in meiner Schulzeit begeistert. Während dem Studium war ich in vielen europäischen Ländern, lernte Land und Leute kennen. Das Zusammenwachsen in Europa zu einer Europäischen Union mit gemeinsamem Binnenmarkt, gemeinsamer Währung, Schengenraum, offenen Grenzen war für mich eines der politischen Projekte, die mich am meisten beeindruckt haben. Dazu wollte ich gerne einen Beitrag leisten.

Das Europäische Parlament ist ein Präsenzparlament in Brüssel und Straßburg. Wie teilt sich Ihre Arbeit zwischen Brüssel/Straßburg und Ihrem Heimatwahlkreis bei München auf?

Mit Ausnahme der parlamentarischen Sommerpause bin ich fast jede Woche in Brüssel oder Straßburg: Zwei Wochen im Monat tagen die Ausschüsse des Parlaments in Brüssel, eine Woche im Monat finden in Brüssel die Fraktionssitzungen statt und eine Woche pro Monat ist Plenartagung in Straßburg. In meinem Heimatwahlkreis – ganz Oberbayern mit der Landeshauptstadt München – bin ich an den „Randtagen“ der Woche, also montagvormittags, freitags und an den Wochenenden sowie in den sog. sitzungsfreien „grünen“ Wochen drei bis vier Mal im Jahr.

Sie waren zehn Jahre Vorsitzende der Frauen-Union Bayern. Was hat Sie dazu motiviert, für diese Position zu kandidieren?

Chancengerechtigkeit und Gleichberechtigung sind mir immer ganz wichtig gewesen. Ich fand seinerzeit, dass die vielen engagierten Frauen in der CSU viel zu wenig in den Ämtern und Mandaten vertreten waren. Wir haben in der Frauen-Union dann zunächst ein Mentoring-Programm ins Leben gerufen, das bis heute erfolgreich läuft. Es ist eines der besten Frauenförderprogramme, das ich kenne, da Mentees über viele Monate hinweg eine Berufspolitikerin begleiten und so neben einem Schulungsprogramm Erfahrungen in der Praxis sammeln können. Gleichzeitig bauen die Frauen in dieser Zeit ihr eigenes Netzwerk auf.

Während Ihrer Amtszeit als Vorsitzende der Frauen-Union Bayern wurde die Frauenquote für politische Ämter in der CSU eingeführt. Können Sie erläutern, welchen Hintergrund die Einführung der Quote hatte und was Sie bewirkt hat?

Die Einführung der Frauenquote in der CSU 2010 war seinerzeit hoch umstritten. Wir diskutierten hierüber auf dem Parteitag über vier Stunden und stimmten dann in geheimer Abstimmung am Ende für die Quote. Das war echt ein Durchbruch in der Partei, in der der Frauenanteil seinerzeit bei unter 20 % lag. Erheben wir als CSU den Anspruch, Volkspartei zu sein, müssen wir die gesellschaftliche Vielfalt auch in unserer Mitgliedstruktur, den Ämtern und Mandaten widerspiegeln. Das war damals das Thema und das gilt heute noch.

Sie sind Mutter von zwei Söhnen, die Sie während Ihrer Zeit als Abgeordnete im Europäischen Parlament bekommen haben. Kurz nach der Geburt Ihres zweiten Sohnes haben Sie zudem den Vorsitz des Ausschusses für Energie, Industrie und Forschung übernommen. Wie lassen sich Mandat und Familie vereinbaren? Sollte man berufliche Chancen für die Familie verstreichen lassen?

 

Familie haben und Karriere machen ist möglich. Ich kann alle Frauen nur ermuntern, Chancen, die sich im Beruf, in der Politik, im gesellschaftlichen, sozialen Umfeld ergeben, beherzt zu ergreifen. Mit Hilfe der Familie, von Freundinnen und Freunden und der notwendigen Gelassenheit lässt sich viel erreichen. Wichtig ist, die Ansprüche an sich selbst nicht immer zu hochzuschrauben. Man muss nicht in allem 100 Prozent perfekt sein.

Insbesondere Frauen neigen oft dazu sehr schnell aufzugeben, wenn sie Ziele zunächst nicht erreichen. Wie sind Sie mit Enttäuschungen oder auch beruflichen Niederlagen umgegangen? Haben Sie Tipps und Anregungen, wie man insbesondere im beruflichen Kontext eine größere Resilienz aufbauen kann?

Das ist ein wichtiger Punkt. Karrieren verlaufen in der Regel nicht linear, es gibt immer wieder einmal Stillstand oder Hindernisse, auch Rückschläge. Entscheidend ist, wie man damit umgeht, oder anders formuliert: Ob man als Siegerin oder Verliererin von der Bühne geht, hat man auch selbst in der Hand. Ich habe erlebt, dass selbst bei einer verlorenen Abstimmung die unterlegene Kandidatin die gefühlte Gewinnerin war und diese dann große Karriere gemacht hat. Es ist wie im Sport: Den WM-Titel holt man sich in der Regel nicht bei der ersten Teilnahme.

Die Bedeutung von Netzwerken wird immer noch oft unterschätzt. Welche Netzwerke haben Sie im privaten, beruflichen und politischen Bereich geprägt? Welchen Stellenwert haben Netzwerke für Sie?

Netzwerke sind ganz wichtig, in allen Bereichen. Privat braucht man Freundinnen und Freunde, die einen motivieren, auch zur richtigen Zeit einmal den notwendigen „Schubs“ geben, etwas (Neues) auszuprobieren oder ein Risiko einzugehen. In der Politik und im Beruf helfen Netzwerke auch enorm. In der Politik braucht man ja für seine Vorstellungen Mehrheiten, dafür hilft das Netzwerk. Über die beruflichen Netzwerke läuft oft der erste Kontakt, der dann auch zu Mandaten führt.

Egal, in welchem Netzwerk man eingebunden ist, es muss jedenfalls auch Freude machen, sich mit anderen zu engagieren. Entscheidend ist allerdings eine gewisse Kontinuität in der Pflege seiner Netzwerke und Beziehungen.

Was würden Sie jungen Jurist:innen empfehlen, wenn Sie auf der Suche nach dem richtigen Netzwerk sind?

Da gibt es kein Patentrezept. Man sollte jedenfalls nur in ein Netzwerk gehen, das zu einem passt. Man muss sich gerne mit den Mitgliedern des Netzwerks austauschen, gestalten, entwickeln wollen, sonst sollte man es bleiben lassen. Man kann auch verschiedene Netzwerke erst einmal ausprobieren, bis man das passende gefunden hat, bei dem man dann mit Herzblut dabei ist.

Wir alle neigen zu Perfektionismus – dieser macht uns besser, kann uns aber auch im Weg stehen. Haben Sie einen Tipp, wie man mit Perfektionismus gut umgeht?

Ich bin auch Perfektionistin, insofern habe ich auch lernen müssen. Von meinen Kolleginnen und Kollegen im Europaparlament habe ich viel abgeschaut. Mit Gelassenheit lassen sich viele Probleme lösen. Und man sollte nicht nachtragend sein oder Dinge persönlich nehmen. Eine gewisse Distanz zu manchen Themen tut gut.

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Mein großes Vorbild habe ich in der bayerischen Justiz gefunden. Die langjährige Präsidentin des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, Frau Hildegund Holzheid, hat in all ihren herausgehobenen Ämtern und Funktionen stets Frauen gefördert und unterstützt. Ich war beeindruckt, als ich sie beim Fernsehrat des ZDF vor vielen Jahren kennenlernte. Ich erlebte sie und erlebe sie bis heute immer freundlich im Gespräch und in Diskussionen, immer verbindlich im Ton, immer klar in ihrer Positionierung. Und immer eigenständig in ihrer Meinungsbildung, nie dem Mainstream folgend. Bis heute pflegt sie ihre zahlreichen Netzwerke in der Justiz, in der Politik, in der Kultur, in ihrem gesellschaftlichen Umfeld. Ein echtes Vorbild für mich – bis heute.

Vielen Dank für das spannende Interview!

Brüssel / München, 14. April 2023. Prof. Dr. Angelika Niebler hat die Fragen schriftlich beantwortet. Die Fragen stellte Dr. Christina Albath.

Spannende Porträts, die Dich ebenfalls interessieren könnten:

Carmen Wegge, Mitglied des Deutschen Bundestages, über ihre Erfahrungen als Abgeordnete im Deutschen Bundestag, die Aufteilung der Arbeit zwischen Berlin und dem Heimatwahlkreis und die Vereinbarkeit von Mandat und der Familie. Weiterlesen

 

Prof. Dr. Paulina Starski, Professorin für deutsches und ausländisches Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Senior Research Affiliate am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg, über die Privilegien und Herausforderungen der Wissenschaft, den selbstkritischen Blick auf die eigene Arbeit und Forschungsaufenthalte mit der Familie im AuslandWeiterlesen 

 

bottom of page