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Prof. Dr. Anika Klafki im Porträt

„Man muss konsequent Prioritäten setzen!“

 

Prof. Dr. Anika Klafki, Juniorprofessorin und Richterin am Thüringer Verfassungsgerichtshof, über den Umgang mit orientierungslosen Phasen, dem strategischen Aufbau einer wissenschaftlichen Karriere und Wegen zu medialer Präsenz.

Anika, Du bist seit Oktober 2019 als W1-Professorin für Öffentliches Recht an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena tätig. Wie lief Deine wissenschaftliche Karriere, bis es zu Deinem ersten Ruf kam?

Nach Studium und Referendariat habe ich eine Stelle als wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl von Prof. Dr. Hermann Pünder an der Bucerius Law School angenommen und dort meine Doktorarbeit geschrieben. Das war ein Segen; denn die Zeit am Lehrstuhl war ganz wunderbar. Neben der Promotion habe ich immer wieder – gemeinsam mit Hermann Pünder oder auch alleine – Beiträge zu unterschiedlichen Themen geschrieben. Kurz nachdem ich dann die Doktorarbeit fertig gestellt und –  nunmehr als wissenschaftliche Assistentin – mit der Arbeit an meiner Habilitationsschrift begonnen hatte, kam dann die Ausschreibung der W1-Professur in Jena. (Anm. der Redaktion: Die W1-Professur ist eine mögliche Qualifikationsphase in der wissenschaftlichen Karriere im Anschluss an die Promotion. W1-Professorinnen und -Professoren füllen den Aufgabenbereich einer Professur aus und qualifizieren sich dadurch für die Berufbarkeit auf eine Lebenszeitprofessur (W2- bzw. W3-Professur).)

Wann wurde Dir klar, dass Du die wissenschaftliche Laufbahn einschlagen möchtest?

Das ist mir erst vergleichsweise spät klargeworden. Zu Beginn des Studiums wollte ich eigentlich Völkerrechtlerin werden, um dann später einmal bei den Vereinten Nationen zu arbeiten. Während eines dortigen Praktikums wurde ich jedoch schnell desillusioniert, was die praktische Wirksamkeit völkerrechtlicher Resolutionen angeht. Ich habe gemerkt, dass das doch nichts für mich ist. Im Referendariat habe ich dann vieles ausprobiert und war auch mit Freude bei der Sache. So richtig gebrannt habe ich aber für keinen der klassischen juristischen Berufe. Ich war plötzlich ziemlich orientierungslos. Ein guter Freund sagte mir in dieser Zeit einmal: „Mach Dir keine Sorgen. Der rote Faden findet Dich!“ Er sollte recht behalten.

 

Zunächst fasste ich den Plan, schnell zu promovieren, um dann in einer Kanzlei das große Geld zu verdienen. Zum Glück kam es anders: Über einen guten Freund landete ich – fast ein wenig zufällig – am Lehrstuhl von Hermann Pünder. Das Schicksal hat es dabei gut mit mir gemeint. Zum einen bin ich dadurch Teil eines ganz wunderbaren Lehrstuhlteams geworden. Zum anderen habe ich in Hermann Pünder einen erstklassigen akademischen Lehrer und Mentor gefunden. Er hat mich das Schreiben gelehrt und ist bis heute mein engster Berater in allen Fragen des akademischen Lebens. Prägend war für mich auch der regelmäßige Besuch der Jungen Tagung Öffentliches Recht (damals noch „Assistententagung“). Die ganze Atmosphäre des wissenschaftlichen Austausches dort hat mich begeistert und nachdem mein eigener Vortrag auch gut aufgenommen wurde, dachte ich mir: „Anika, das ist es!“

Du hast Dich in Deiner Dissertation mit Pandemien auseinandergesetzt. Das war zu einer Zeit, in der von Covid-19 noch keine Rede war. In den letzten zwei Jahren hat Deine Arbeit und Deine Person dann sehr viel mediale Aufmerksamkeit bekommen. Wie war bzw. ist das für Dich?

Das war natürlich ein großes Glück für mich, da meine Arbeit auf einmal sehr sichtbar geworden ist. Zwar wurde mein Buch „Risiko und Recht“ auch schon vor der Pandemie gut besprochen; dennoch waren Pandemien natürlich ein echtes Nischenthema. Von der Medienpräsenz habe ich sehr profitiert. Wissenschaftlich ist das natürlich völlig irrelevant, aber für das Universitätspräsidium ist es schon attraktiv, wenn der Name der Universität regelmäßig in überregionalen Medien auftaucht und wird wohlwollend wahrgenommen. Außerdem habe ich viele Anfragen aus der Politik bekommen, die es mir ermöglichten – im eng begrenzten Rahmen der Politikberatung – an der Fortentwicklung des Infektionsschutzrechts mitzuwirken.

Allerdings kam die Medienpräsenz nicht von alleine. Man darf sich nicht einbilden, dass Journalistinnen und Journalisten die Zeit hätten, juristische Monografien zu wälzen. Ich habe ganz bewusst zu Beginn der Pandemie mehrere Blogposts beim Verfassungsblog und Juwiss veröffentlicht, um für diese Kreise sichtbar zu sein. Erst wenn man von Journalistinnen und Journalisten wahrgenommen wird, zahlt sich die Tatsache, dass man in einem Gebiet auch tatsächlich über besondere Expertise verfügt, überhaupt erst aus.

Im Vorgespräch hast Du erzählt, dass Du für Deine berufliche Laufbahn auch viele strategische Entscheidungen getroffen hast. Erklärst Du uns, was Du damit jungen Jurist*innen mit auf den Weg geben willst?

Sobald man ein berufliches Ziel vor Augen hat, lohnt es sich, genau darüber nachzudenken, wie man es erreichen kann. Ich glaube, was oft übersehen wird, ist, wie wichtig es ist, Netzwerke zu knüpfen und sichtbar zu sein. Dazu muss man sich aktiv einbringen. In der akademischen Welt bedeutet das, an Tagungen teilzunehmen, sich auf Calls zu bewerben, selbst Veranstaltungen zu organisieren und sich in bestehenden Netzwerken, wie zum Beispiel Juwiss, einzubringen. Über geschickt positionierte Blogposts zu tagesaktuellen Themen kann man zudem – mit etwas Glück – Medieninteresse auf sich ziehen.

 

Außerdem muss man konsequent Prioritäten setzen. Man kann beispielsweise unendlich viel Zeit und Liebe in die Lehre investieren und das ist auch sehr ehrenwert. Wenn man dabei jedoch seine Dissertation aus den Augen verliert, dann schadet man sich selbst.

 

Schließlich ist es, glaube ich, wichtig, faktische Hierarchien und implizite Regeln zu erkennen und sich in ihnen sehr bewusst zu verhalten. Selten geht es in Verhandlungssituationen nur um das „beste Argument“. Das bedeutet nicht, dass man nach oben buckeln soll; ich bin selbst eher ein bisschen „nassforsch“ – wie ein Kollege mal zu mir sagte. Es ist aber wichtig, ein Gespür dafür zu entwickeln, welche impliziten Verhaltenserwartungen bestehen, welche Allianzen, Konkurrenzen und Rangordnungen bestehen, um abschätzen zu können, wie man sich strategisch gut positioniert, wie man eigene Anliegen gut durchbringen und was man sich auch mal an „Regelbrüchen“ leisten kann. Für mich war insoweit mein politisches Engagement bei den Jusos eine gute Schule.

 
Neben Deiner Tätigkeit als Juniorprofessorin wurdest Du im Februar 2022 auch als Richterin an den Thüringer Verfassungsgerichtshof berufen. Wie kam es dazu?

Das kam für mich ziemlich unerwartet. Ich bekam plötzlich einen Anruf des Vorsitzenden einer Regierungsfraktion. Tatsächlich hatte ich aber schon vorher mal darüber nachgedacht, wie man sich für dieses Amt geschickt in Position bringen könnte. Meine Strategie war eigentlich, nach meiner Berufung auf die Vollprofessur rechtzeitig eine Abendveranstaltung (z.B. Podiumsdiskussion) mit entscheidenden Personen aus der Landespolitik zu einem aktuellen Thema zu veranstalten, wenn wieder Nachwahlen anstehen, um als potenzielle Kandidatin sichtbar zu sein. Dass ich auch als Juniorprofessorin in Betracht käme, wäre mir damals nicht in den Sinn gekommen. Ich glaube auch da hat mir meine Corona-Medienpräsenz sehr geholfen. Außerdem war ich – als junge Frau, langjähriges Mitglied der SPD und Einwohnerin des Landes Thüringen – einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

 

Wie kann man sich die Tätigkeit als Richterin am Thüringer Verfassungsgerichtshof vorstellen?

 

Das Amt als Richterin am Thüringer Verfassungsgerichtshof ist mir eine besondere Ehre und Freude. Das Gericht entscheidet grundsätzlich als Kollegialorgan mit neun Richterinnen und Richtern; nur Verfahren, die offensichtlich unzulässig sind, können von drei Richterinnen bzw. Richtern entschieden werden. Für jedes Verfahren gibt es eine Berichterstatterin bzw. einen Berichterstatter, die bzw. der das Verfahren zunächst in einem Votum, später in einem Entscheidungsentwurf vorbereitet und den anderen zur Diskussion stellt. Ich war gleich bei meinem ersten Verfahren Berichterstatterin. Das war herausfordernd, hat aber auch großen Spaß gemacht. Eine große Erleichterung ist, dass es wissenschaftliche Mitarbeitende gibt, die selbst Richterinnen bzw. Richter sind und einem bei dem Entwurf des Votums zur Seite stehen.

Du bist erst 35 Jahre alt und bereits Professorin und Richterin am Thüringer Verfassungsgerichtshof. Hast du bei diesem beeindruckenden Lebenslauf auch Rückschläge erlebt oder ab und zu an Deinen Entscheidungen gezweifelt? 

Tatsächlich ja erstmal „nur“ Juniorprofessorin, aber immerhin mit tenure track auf W3 (Anm. der Redaktion: tenure track bedeutet die Chance, nach einer befristeten Bewährungszeit als W1-Professorin eine Lebenszeitprofessur zu erhalten).

 

Ich habe oft Rückschläge erlebt. Man darf sich dadurch nicht entmutigen lassen. Hier mal einige Beispiele: Auf eine Bewerbung als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität habe ich nie eine Antwort erhalten. Als ich im Sekretariat der betreffenden Person anrief, sagte man mir, XY habe nun wirklich keine Zeit, jede beliebige Mail zu beantworten. Außerdem musste ich meinen ersten gemeinsamen Aufsatz mit Hermann Pünder fünf Mal neu schreiben, bevor er gut genug geschrieben war (kurzzeitig habe ich überlegt, zu kündigen. Gut, dass ich es nicht getan habe!). Auch mein Promotionsvortrag wurde von drei Archivzeitschriften abgelehnt, bevor ich ihn schließlich gut unterbringen konnte. Und schließlich war ich in Jena „nur“ auf Platz 2 der Berufungsliste. Die Person auf Platz 1 hat aber zum Glück abgesagt.

Du bist Mutter eines kleinen Sohnes. Würdest Du uns einen Einblick geben, wie Du Deinen Alltag organisierst?

Ich habe das große Glück, dass sowohl ich als auch mein Mann, der Richter ist, sehr flexible Arbeitszeiten haben. Wir wechseln uns immer ab, was das Hinbringen und Abholen von der Kita angeht. Abends, wenn der Kleine im Bett ist, arbeiten wir beide noch mindestens eine Stunde, bevor wir es uns gemütlich machen. Im Moment arbeite ich etwas weniger als früher, dafür aber auch deutlich effizienter.

Du bist Mitglied im Verein „Junge Wissenschaft im Öffentlichen Recht e.V.“. Kannst Du uns etwas zu diesem Verein erzählen?

Der Verein „Junge Wissenschaft im Öffentlichen Recht“ ist aus den verbleibenden Finanzmitteln der Assistententagung 2012 entstanden. Das damalige Team hat das Geld dazu eingesetzt, den juwissblog als „Assistententagung de tous les jours“ ins Leben zu rufen. Das Projekt läuft bis heute sehr erfolgreich mit immer neuen Vorstands-, Redaktions- und Editorial Board-Mitgliedern. Juwiss hat sich aus meiner Sicht als Kaderschmiede im Öffentlichen Recht etabliert. Schaut man sich die Liste der Ehemaligen an, fällt der sehr hohe Professorinnen- und Professorenanteil auf. Für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlicher ist es daher ein sehr attraktives Netzwerk. 

Du warst während Deiner juristischen Ausbildung z.B. in Brisbane, Marseille und Istanbul und auch als Lehrbeauftragte in Sarajevo tätig. Wieso hast Du Dich für so viele verschiedene Auslandsaufenthalte entschieden?

Die meisten dieser Aufenthalte habe ich eher aus touristischen als aus strategischen Gründen ausgewählt. Ich hatte einfach Lust, mal längere Zeit an diesen Orten zu verbringen. Insbesondere die Station in Istanbul war für mich eine große kulturelle Bereicherung. Damals habe ich mit großem Eifer die türkische Sprache erlernt und konnte am Ende sogar ganz passabel türkisch sprechen.

Der Sarajevo-Aufenthalt war auch wissenschaftlich ertragreich. Das dortige Verfassungssystem war Gegenstand meines Assistententagungsvortrages in Augsburg 2015. Dieser Vortrag hatte für mich eine ganz besondere Bedeutung. Ich habe ihn unendlich oft geprobt. Damals war das für mich der entscheidende Prüfstein. Ich habe mir gesagt: „Wenn das gut läuft, dann will ich es mit der wissenschaftlichen Laufbahn versuchen.“

Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

 

Ich nominiere Professorin Margarete Schuler-Harms. Sie war meine selbstgewählte Mentorin im Rahmen Magdalene-Schoch-Mentoring-Programms und hat mich in dieser Rolle eng auf meinem wissenschaftlichen Weg begleitet. Ich finde Sie in vielerlei Hinsicht beeindruckend. Sie hat zu einer Zeit Familie und Beruf erfolgreich vereint, als das für Frauen noch kaum möglich war. Auch befasst sie sich immer wieder mit unbequemen Fragestellungen (insbesondere Gender-Themen), die sie so klug, besonnen und unaufgeregt in die Debatte einbringt, dass sie sich auch in konservativen Kreisen des Öffentlichen Rechts Gehör verschafft.

Vielen Dank für das spannende Interview!

München / Jena, 24. August 2022. Das Interview führte Dr. Franziska Huber. Prof. Dr. Anika Klafki beantwortete die Fragen schriftlich.

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