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Dr. Anja von Harling

Dr. Anja von Harling im Porträt

„Es ist nie zu spät, sich wieder auf den Weg zu machen.“

Dr. Anja von Harling, stellvertretende Pressesprecherin des Bundesverfassungsgerichts, über die Schönheit der Rechtswissenschaften und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in Zeiten von Spitzenbelastungen.

Liebe Frau Dr. von Harling, in unserem Vorgespräch haben Sie erzählt, dass Sie ein großes Interesse an Darstellung, Ästhetik und Schönheit haben. Mein erster Gedanke gilt dabei nicht den Rechtswissenschaften. Wieso haben Sie sich für das Jura-Studium entschieden?

In meinen Augen schließt das eine das andere nicht aus, im Gegenteil. Ohne einen Ausgleich durch das Erleben von Schönheit in Musik, Kunst und Kultur ist ein Jura-Studium wohl schwerlich erträglich. Wenngleich: Auch das Gesetzeswerk hat seine eigene Schönheit, die ruhige Logik des Paragrafenwerks. Für das Jura-Studium habe ich mich entschieden, weil ich mich – ich war jung und voller Ideale – für die Rechte der Schwächeren und von Randgruppen einsetzen wollte, und auch, weil mich logisches Denken beruhigt und erdet.

Wie haben Sie das Studium in Erinnerung?

Mir fehlte gerade am Anfang jeder geistige Höhenflug. Stattdessen habe ich gelangweilt meine Lehrbücher studiert. Und ich traf auch manche "furchtbare Juristen" (Anm. d. Red.: vgl. Ingo Müller, Furchtbare Juristen, 1987). Mehr Spaß hat es erst gegen Ende gemacht, eben als man anfing, das Gesamtkunstwerk des Rechts zu erkennen und zu verstehen.

Nach dem Referendariat haben Sie sich für die Justizlaufbahn entschieden. Warum?

Als Richterin ist man frei und nur seinem Gewissen unterworfen. Man muss sich niemandem andienen, sondern kann unbeeinflusst Recht anwenden und Recht sprechen. Man ist Teil eines großen Ganzen, in dem man immer wieder korrigiert wird und sich dauerhaft fortentwickeln kann. Ich mag auch die Atmosphäre in einer Behörde.

Zudem spielt sicher auch eine Rolle, dass auch mein Vater in der Justiz war, in den 70er Jahren als Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof und zuletzt dort als Vorsitzender Richter. Sein berufliches Erleben war Teil unseres Familienalltags. Wir lebten zeitweise in Bedrohungssituationen. Als Kind habe ich mit meinen kleinen Cousinen "Baader-Meinhof-Bande" gespielt und mit meiner besten Freundin "Schleyer-Entführung". Natürlich nahm im Spiel alles ein gutes Ende. Für mich stand allerdings auch fest: Ich möchte keine Strafrichterin werden.

Während Ihrer Tätigkeit als Richterin haben Sie eine Zusatzausbildung zur Güterichterin gemacht. Wie kam es dazu?

Ich bin eine große Anhängerin der Idee der gütlichen Einigung und habe schon von Anfang an die Mehrheit der mir als Zivilrichterin zugeteilten Verfahren mit einem Vergleich beenden können. Da lag es nahe, dass man mir die Rolle der Güterichterin antrug. Ich habe mich mit großem Eifer und Elan auf sämtliche Fortbildungen gestürzt, die die Justiz bundesweit anzubieten hatte, und habe Mediation und verschiedene Kommunikationsmethoden gelernt. Am Landgericht und auch während meiner Abordnung am Oberlandesgericht habe ich dann zahlreiche Güteverfahren durchgeführt, angefangen vom Nachbarstreit bis zur Auseinandersetzung von Rechtsanwaltskanzleien.

Sie haben das Güteverfahren als "Hochkultur" bezeichnet. Was meinen Sie damit?

 

Den Richterspruch halte ich nicht in jedem Konflikt zwischen Personen, privat wie im kaufmännischen Bereich, für das geeignete Mittel. Oft löst das Urteil nur einen kleinen Teil der Probleme, die die Parteien miteinander haben. Und der Ausgang des Rechtsstreits hängt manchmal auch davon ab, wer die besseren Beweismittel hat. Um den Konflikt wirklich zu bereinigen, eignet sich daher oft eher das moderierte Gespräch, in dem die Parteien ihren Konflikt und die dahinterliegende Problematik unter sachkundiger Anleitung selbst lösen und eine Einigung erzielen. Ich glaube, je höher eine Gesellschaft entwickelt ist, desto eher wird sie im Konfliktfall zum ausgleichenden Gespräch statt zur streitigen Auseinandersetzung greifen.

Sie sind seit über einem Jahr stellvertretende Pressesprecherin am Bundesverfassungsgericht. Wie kamen Sie zu dieser Stelle?

Nach meiner Abordnung zum Oberlandesgericht wurde ich seitens des Justizministeriums Baden-Württemberg für diese Stelle empfohlen. Ich weiß nicht, ob dabei auch eine Rolle gespielt hat, dass ich mich so für das Güteverfahren eingesetzt habe. Jedenfalls geschah dieses Engagement ohne jeden Hintergedanken in Richtung Karriere, sondern einzig und allein aus Freude an dieser Tätigkeit.

Inwiefern unterscheidet sich die Arbeit als Pressesprecherin von der Arbeit als Richterin?

In jeder Hinsicht. Meine Aufgaben hier sind die Betreuung und Fortentwicklung der Website und des gesamten Online-Auftritts des Gerichts, das Abfassen von Pressemitteilungen und vor allem Öffentlichkeitsarbeit. Hierbei arbeite ich auch an der medialen/filmischen Präsentation des Gerichts mit. Wir haben schon einige filmische Projekte über die Arbeit des Gerichts verwirklicht und wollen weiter mit dem Medium Film arbeiten. Ich stehe im engen Austausch mit den Agenturen und betreue sie auch bei dem Dreh. Das macht mir unglaublich viel Spaß und kommt meinem Bedürfnis nach Schönheit entgegen, von dem in Ihrer ersten Frage die Rede war. Dazu kommt das besondere Umfeld hier. Man arbeitet in einem schönen Gebäude mit außergewöhnlichen, in vieler Hinsicht begabten Menschen zusammen.

Sie haben bereits während des Referendariats das erste von drei Kindern bekommen, zusätzlich fand Ihre mündliche Doktorprüfung vier Wochen vor dem Geburtstermin statt. Wie haben Sie diese dreifache Belastung gemeistert?

Es war eine turbulente Zeit, wir sind auch noch dreimal umgezogen wegen der beruflichen Entwicklung meines Mannes, so dass ich das Referendariat in mehreren Bundesländern absolvierte. Trotzdem war unsere erste Tochter ein Wunschkind. Ich habe nie gewartet, bis alle Randbedingungen stimmten. Mein Motto war: Einfach ins kalte Wasser springen und dann fügen sich die Dinge schon.

Wie haben Sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf organisiert?

Das war nicht immer ganz einfach. Es gab immer wieder Zeiten der Spitzenbelastung. Dem folgten aber Phasen der Entspannung, weil man sich an jede neue Situation schließlich gewöhnt. Ich habe für jedes Kind ein Jahr pausiert, meistens halbtags gearbeitet und nie zu weit im Voraus geplant. Es galt, jeden Tag, jede Ferien und jeden Krankheitsfall erneut zu organisieren. Und irgendwie hat sich immer ein Weg gefunden - auch dank der Unterstützung in der großen Familie.

In Ihrem Fall erfolgte die Abordnung an das Bundesverfassungsgericht vergleichsweise spät, warum?

Eines meiner Kinder bedurfte einer besonderen Fürsorge, daher habe ich sämtliche größeren beruflichen Schritte wie die Abordnung ans Oberlandesgericht geschoben, bis ich dieses Kind über den Berg gebracht hatte. Und ich bin der baden-württembergischen Justiz und dem Bundesverfassungsgericht sehr dankbar dafür, dass sie mir trotzdem diese wunderbare Chance der beruflichen und persönlichen Weiterentwicklung gegeben haben. Ich sehe das als Beleg dafür, dass Förderung von Frauen mit Kindern auf allen Ebenen und in vielen Lebensphasen möglich ist. Und es zeigt auch: Es ist nie zu spät, sich wieder auf den Weg zu machen.

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Vorbilder direkt habe ich nicht. Ich habe allerdings gerade hier im Hause beeindruckende Richterinnen-Persönlichkeiten kennengelernt. Und ich habe auch Freude an der nachwachsenden Juristinnen-Generation: Sie stürzen sich unerschrocken in jedes berufliche Abenteuer, gehen bedenkenlos ins Ausland, halten volle Gleichberechtigung und eine gerechte Rollenverteilung für selbstverständlich und haben so viel Kraft und Power, dass sie die Männer leicht mal abhängen. Meine große Tochter ist so und auch manch junge Kollegin hier am Bundesverfassungsgericht.

Vielen Dank für das Interview!

München / Baden-Baden, 3. Februar 2021. Dr. von Harling hat die Fragen schriftlich beantwortet. Die Fragen stellte Dr. Franziska Huber.

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