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Anna Katharina Mangold

Prof. Dr. Anna Katharina Mangold, LL.M. im Porträt

"Das Allerwichtigste was eine angehende Wissenschaftlerin mitbringen muss, ist Resilienz!"

Prof. Dr. Anna Katharina Mangold, LL.M. (Cambridge), Professorin an der Europa-Universität Flensburg,* im Interview über ihre positiven Erfahrungen mit dem Peer-Coaching Model und dem Rat, das eigene Visier hochzuklappen, um sich auf einer menschlichen Ebene zu begegnen.

Frau Dr. Mangold, wenn man sich die Zahl Ihrer Veröffentlichungen und Vorträge ansieht, wird klar: Sie sind richtig in der Wissenschaft! War auch Ihnen das schon lange bewusst?

Bereits nach dem ersten Examen dachte ich darüber nach, in die Wissenschaft zu gehen. Ich begann eine Dissertation, entschied mich dann aber doch erst für das Referendariat. Am Ende des Referendariats stellte ich fest, dass da noch etwas in mir schlummerte. Deshalb bin ich an meinen Studienort Freiburg zurückgekehrt, um in einem Forschungsprojekt der Rechtsgeschichte des öffentlichen Rechts mitzuarbeiten. Schon damals hatte ich mit meinem Doktorvater Professor Dr. Rainer Wahl besprochen, dass ich mir vorstellen könnte, in die Wissenschaft zu gehen. Er riet mir, eine Dissertation zu schreiben, „derer ich mich später jedenfalls nicht schämen müsse“. Mit diesem Ansatz konnte ich mir den Weg in die Wissenschaft offenhalten.

Gegen Ende meiner Promotion habe ich mit einer Freundin zusammen ein Peer-Coaching gegründet. Wir wollten herausfinden, ob eine Zukunft in der Wissenschaft für uns tatsächlich der richtige Weg ist. Dabei sind wir sehr strategisch vorgegangen: Wir haben bestimmte Bereiche identifiziert, die aus unserer Sicht zur Wissenschaft gehörten: das Publizieren, auf Konferenzen Vorträge halten, das Netzwerken und natürlich das Unterrichten. In einigen der Aufgaben hatten wir bereits Erfahrungen gesammelt. Die anderen Bereiche arbeiteten wir ab, in dem wir uns von Treffen zu Treffen neue Aufgaben stellten. Uns war wichtig, mit offenen Augen zu sehen, was es bedeutet, wissenschaftlich zu arbeiten. Am Ende war für uns beide jeweils das Ergebnis, dass wir gerne in die Forschung wollten!


Wie gehen Sie damit um, dass der Weg zum ersten festen Ruf in Deutschland ein sehr langer ist?

Es ist etwas nervenzehrend, dass wir in Deutschland – anders als im anglo-amerikanischen Raum – erst etwa im Alter von 40 Jahren eine Erstberufung bekommen. Ich habe mir weniger Gedanken über die institutionellen Rahmenbedingungen gemacht, als darüber, dass es inhaltliche Dinge gibt, die ich gerne sagen möchte.

Mir war klar, dass auf dem Weg in die Wissenschaft nach bestimmten Regeln gespielt wird. Dass Veröffentlichungen und Ähnliches dazu gehören ist nur ein Teil der Regeln. Ein anderer Teil sind Berufungsverfahren. Abstrakt kannte ich das Prozedere. Weniger klar war mir, was es tatsächlich bedeutet, in eine Flautezeit geraten zu können, in der keine Stellen ausgeschrieben sind. Das ist ein großer Unsicherheitsfaktor. Zur Bewältigung dieses Risikofaktors ist es ratsam, für sich selbst gedanklich einen Plan B zu haben. Ich konnte mir immer vorstellen, auch in einem anderen Beruf eine sinnvolle und erfüllende Aufgabe zu finden. Gerade im juristischen Bereich gibt es unendliche Möglichkeiten. Ich habe mir immer klargemacht, dass das Projekt Professur nicht notwendig gelingen muss. Im Zweifel kann man immer noch ein Schild an die Haustür hängen und sagen „Ich bin jetzt Anwältin“. Das ist eine große Freiheit.

Welche Eigenschaft ist für eine Karriere in der Wissenschaft aus Ihrer Sicht besonders wichtig?

Das Allerwichtigste, was eine angehende Wissenschaftlerin mitbringen muss, ist Resilienz, also auch in widrigen Umstände den Glauben an sich selbst nicht zu verlieren, sondern selbst davon überzeugt zu sein, etwas zu sagen zu haben. Bereits der Aufbau der juristischen Ausbildung macht diesen Punkt zur Schwierigkeit. Selbstbewusstsein ist nicht gerade etwas, das im Studium gefördert wird. Das muss man dann selbst in die Hand nehmen. Man darf sich einfach nicht ins Bockshorn jagen lassen.

Darüber hinaus ist Fleiß essentiell. Es ist sehr tröstlich, dass die Rechtswissenschaft kein Gebiet ist, wo es allein auf Genialität ankommt. Noch so geniale Menschen können in der Rechtswissenschaft nichts werden, wenn sie nicht auch fleißig sind – darin liegt ein ausgleichendes Gerechtigkeitselement. Dazu kommt, dass es in der Rechtswissenschaft sehr eigene Persönlichkeiten gibt. Die Fähigkeit, auch mit diesen Menschen umzugehen, ist sicherlich hilfreich.

Nicht zuletzt sollte man in Netzwerken und in Support-Strukturen denken und sicherstellen, dass man nicht alleine durch den harten Qualifikationsprozess geht. Für Frauen ist es in besonderem Maße wichtig, sich immer wieder klar zu machen, dass sie zwar als Einzelne kämpfen müssen, aber dass die Herausforderung, denen sie begegnen, nicht auf ihren persönlichen Eigenschaften beruhen. Vielmehr gibt es bestimmte Strukturen im wissenschaftlichen System, die sich noch daran gewöhnen müssen, dass es auch Frauen in der Wissenschaft gibt.

Haben Sie einen Tipp für den Umgang mit den von Ihnen erwähnten Selbstzweifeln?

Um mit Zweifeln zurechtzukommen, ist es essentiell, sich mit anderen auszutauschen. Jura ist ein Massenstudium. Die Wahrscheinlichkeit, dass andere Menschen ähnliche Erfahrungen machen, ist extrem hoch. Trotzdem kommt es jeder Einzelnen so vor, als sei sie die Einzige, die solche Erfahrungen macht.

Ich propagiere absolut das Peer-Coaching Modell. Wenn man sich gegenseitig unterstützt und ebenso wohlwollend wie wertschätzend miteinander umgeht, schafft man eine gute Ausgangsposition, um sich auch mal in widriges Fahrwasser zu begeben. Für alle meine Projekte hatte ich eine Coaching Gruppe. In meiner Habilitationszeit hat sie mich durch alle Hoch- und Tiefpunkte der Forschungszeit begleitet. Es hilft dabei besonders, sich auf einer menschlichen Ebene zu begegnen und das Visier mal hochzuklappen. Denn alle Menschen haben diese Zweifel. Sie gehören in der Wissenschaft dazu! Wenn man aufhört, Zweifel zu haben, würde man nicht danach streben, sich in den eigenen wissenschaftlichen Arbeiten zu verbessern. Zweifel sind meiner Meinung nach omnipräsent – Männer reden nach meiner Erfahrung weniger über sie. Dennoch kann man auch mit Männern sehr gute Gespräche darüber führen und Strategien austüfteln, um mit der Situation umzugehen. Das Frau sich öffnet, könnte vielleicht auf den ersten Blick als Schwäche erscheinen, hat aber den ganz gegenteiligen Effekt, nämlich zu sehen, dass alle mit diesen Zweifeln nicht alleine sind, sondern dass sich auch andere damit herumschlagen. Allein diese Erkenntnis ist unglaublich befreiend.

Wir müssen lernen, mit dem Gedanken „Mache ich genug?“ umzugehen. Es ist dabei ganz egal, ob ich Zeit für Kinder, Freunde, eine Partnerschaft oder nichtwissenschaftliche Hobbies designiere. Die Frage, wofür wir Zeit aufwenden, stellt sich uns allen unausweichlich. Die Lösung ist, anzuerkennen, dass wir nicht nur WissenschaftlerInnen sind, sondern auch noch andere Facetten unserer Persönlichkeit haben. Dieses Denken könnte ein Wandel in der Wissenschaft als Beruf nach sich ziehen.

Wie erklären Sie sich den geringen Anteil an Professorinnen an deutschen Universitäten?

Ein Teil der Erklärung ist sicherlich, dass das Bild des Jura-Professors noch immer der Mann ist, dessen Frau ihm den Rücken freihält. Egal ob mit oder ohne Kinder, solange man versucht, gleichberechtigt eine Partnerschaft zu leben, fällt man aus diesem Bild heraus. Männlichen Kollegen, die nicht die abwesende Vaterrolle einnehmen, sondern die tatsächlich gleichberechtigt mit ihren Partnerinnen agieren, stoßen auf die gleichen Probleme. Die Einbindung und Verantwortlichkeit gerade von jungen Eltern ist eine Herausforderung, weil wir in der Wissenschaft gesamtgesellschaftlich Strukturen sehen. Das heißt, dass auch hier Frauen in heterosexuellen Partnerschaften nach wie vor ganz überwiegend die Sorgearbeit, aber auch die Hausarbeit übernehmen.

In meinen Augen ist es problematisch, dass die Wissenschaft in keiner Weise drauf ausgelegt ist, den Menschen als Menschen und nicht nur als Wissenschaftler_in zu sehen. Wenn die Verantwortung für Kinder aktiv wahrgenommen wird, entsteht daraus eine krasse Doppelbelastung. Deshalb ist es notwendig, dass kinderlose Personen diese Doppelbelastung selbstverständlicher berücksichtigen. Das bedeutet beispielsweise, Tagungen, Seminarveranstaltungen und Gremiensitzungen auf Zeiten zu legen, die mit Kinderbetreuung kompatibel sind. Solche praktischen Erwägungen im Bewusstsein zu halten, finde ich wichtig. Solidarität zeichnet sich nämlich auch dadurch aus, es für möglich zu halten, dass andere Personen in anderen Herausforderungslagen stecken.

Was könnte man machen, um den Anteil an Professorinnen zu erhöhen?

Angesichts der Multifaktorialität dieses Problems müssen wir an ganz unterschiedlichen Ebenen ansetzen. Es gibt Frauen mit und ohne Kinder, solche aus Akademikerhaushalten, „first-generation“ Studierende und andere mit Migrationshintergrund oder Glaubensüberzeugungen, die nicht der Mehrheitsauffassung in Deutschland entsprechen. All diese Personengruppen innerhalb der Gruppe der Frauen sehen sich jeweils gesonderten Herausforderungen gegenüber, die verschiedener Lösungsansätze bedürfen.

Manche Universitäten versuchen darauf zu reagieren, indem sie besondere Förderprogramme für Frauen einrichten. Obwohl ich selbst von einem solchen Programm profitiert habe, bin ich skeptisch, ob das der richtige Weg ist. Denn diese Sonderung lässt die sonstigen Strukturen unangetastet.

Erfreulicherweise gehen die Universitätsgesetze mit dem Tenure-Track in eine gute Richtung. Aus meiner Sicht muss jedoch noch klarer werden, dass die Zeit, in der die wissenschaftliche Qualifikation stattfindet, den höchsten Arbeitsaufwand mit sich bringt, gleichzeitig aber diejenige Zeit ist, in der Familien gegründet werden und mithin intensive Familienarbeit zu leisten ist. Daher wäre es notwendig, die Qualifikationsgänge zu verändern, um früher Sicherheit zu schaffen. Je früher in der Qualifikationsphase die Bewertung stattfindet, desto mehr schlagen sich allerdings Prognoseentscheidungen dahingehend nieder, wie sich diese Person wohl in der Zukunft entwickeln wird. Untersuchungen haben gezeigt, dass bei Juniorprofessuren junge Männer, Wissenschaftler aus Akademikerhaushalten oder – am idealsten noch – Kinder von Professoren eingestellt werden. Verlagern wir die Entscheidung zeitlich nach vorne, müssen wir Gegengewichte schaffen, um solchen Zuschreibungen entgegenzuwirken. Hierbei ist noch nicht mal das geschlechtliche Problem so groß, sondern es ist vor allem ein Klassenproblem.

Was macht Ihnen mehr Spaß – die Lehre oder die Forschung?

Ich bin der Auffassung, dass das eine von dem anderen profitiert. Ich versuche, in der Lehre die aktuelle Forschung von Kollegen und Kolleginnen einzubauen, um zu zeigen, dass wir in der Forschung aktuelle und relevanten Fragen behandeln. Eine Aufgabe von mir als Lehrende ist es, Studierende an das wissenschaftliche Fragen heranzuführen, indem ich sie zum Beispiel selbstständig Forschungsprojekte entwickeln lasse. Zudem werde ich in meinem Unterricht immer wieder mit interessanten Fragen und Perspektiven konfrontiert, die meine eigene Forschung leiten. Das ist ein Anstoß, den ich nicht missen möchte. Umgekehrt glaube ich, dass Forschung ohne die Rückbindung an das, was die Studierenden dazu sagen, in Gefahr steht, abgehoben zu werden.

Sie haben einen LL.M.-Titel von der University of Cambridge. Wurde Ihr eigener Lehrstil von Ihren Erfahrungen dort geprägt?

Das Besondere an dieser Universität – wie an vielen privilegierten Universitäten – ist, dass die Betreuungsquote extrem gut ist. Das hat mir sehr gefallen. Man muss jedoch auch bedenken, dass eine solche Universität gerade für ihre „Trade Mark Produkte“ berühmt ist. Sie gibt eine solide Ausbildung, was zu einer gewissen Versteinerung dessen führt, was unterrichtet wird. Sehr viel Wissen ist kanonisiert. Dieser Kanonisierungsprozess trägt dazu bei, dass Minderheitenauffassungen tendenziell eher ausgegrenzt werden. In Cambridge gab es eine sehr klare Fokussierung auf analytische Philosophie. Sozialkritische, politische, feministische Rechtsphilosophie oder Gerechtigkeitstheorien kamen so gut wie nicht vor. Nach meiner Einschätzung wagt eine traditionelle Universität weniger, innovative Themen anzuschneiden. Interessanterweise ist das in den USA anders, jedenfalls was Harvard betrifft. Dort werden seit langer Zeit sehr kritische Linien und Traditionen der Rechtswissenschaft gegründet.

In England hat mich die einfache Zugänglichkeit der Professoren und Professorinnen beeindruckt. Toll fand ich die Erfahrung, wertgeschätzt zu werden. Das versuche ich in meiner Lehre umzusetzen. Ich bin einfach erreichbar und scheue mich auch vor sozialen Medien nicht. Ich finde es toll, wenn Studierende ihre eigene Stimme hören lassen. Mir liegt viel daran, den Studierenden klar zu machen: „Ihr habt hier auch etwas zu sagen, und es ist wichtig, dass Ihr hier seid!“ Ich finde, in Deutschland kommt die Wertschätzung der Meinungen und der Motivationen der Studierenden oft zu kurz.

Meine Erfahrung in England hat mich beeinflusst, mit den Studierenden auf ein Vertrauensmodell überzugehen, also anstatt mit Misstrauen zu agieren und die Studierenden zu überprüfen, einfach davon auszugehen, dass sie interessiert sind und anwesend sein wollen. Damit habe ich wirklich ganz hervorragende Erfolge erzielt. Ich habe konsequent ausprobiert, was klappt. Mein Eindruck ist, dass es super funktioniert, wenn die Leute das Gefühl haben, auch selbst wirkmächtig zu sein.

Haben Sie das Gefühl, dass andere Länder, beispielsweise England, im Vergleich zu Deutschland für Themen wie Antidiskriminierung und gender-bias besser sensibilisiert sind?

Deutschland hinkt dem englischsprachigen Diskurs etwa 20 Jahre hinterher. Bei der Frage von Geschlecht in der Rechtswissenschaft waren die Ergebnisse aus den 60er-70er Jahren der US-amerikanischen Forschung führend. Erst seit dem Ende der 80er Jahre wurden diese in Deutschland von feministischen Wissenschaftlerinnen importiert. Ein bemerkenswerter Unterschied zu anderen Kulturen ist, dass feministische Rechtswissenschaft in Deutschland quasi ausschließlich ein Thema für Frauen zu sein scheint. In der englischsprachigen und internationalen Debatte gibt es viel mehr Männer, die sich selbstverständlich feministischen Themen widmen. In Deutschland wird „feministisch“ als politisches Programm gedeutet, während man es genauso gut als wissenschaftlich-analytisches Programm sehen kann, wo es dann nämlich um die Analyse von Ungleichheiten geht. Eine Breitenwirkung der feministischen Rechtswissenschaft, dass also deren Existenz und Bedeutung natürlich ist, existiert in Deutschland noch nicht.

Ähnlich ist das Bild im Antidiskriminierungsrecht, wobei man dort eine größere Durchmischung beobachtet, eben weil es sich von der Fokussierung entfernt, die oftmals mit Feminismus in Zusammenhang gebracht wird.

Ist der Kampf der Gleichberechtigung in Ihren Augen ein Kampf, den wir Frauen alleine ausfechten müssen?

Es kann sein, dass es manchmal günstig ist, einen Raum zu schaffen, um nur unter Frauen zu sprechen. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass Männer diesem System genauso ausgeliefert sind wie Frauen. Es gibt auch Männer in gleichberechtigten Partnerschaften und Männer, die die Erziehung ihrer Kinder übernehmen wollen. Auch sie wollen das System ändern und ecken an, weil sie untypische Männerrollen übernehmen.

Wir bewegen uns in einer von Männern mitbestimmten und manchmal von Männern dominierten Welt. Das bedeutet, dass jede Frau für sich einen Weg finden muss, wie sie mit dieser Tatsache umgeht. Mein Weg ist der, dass ich davon ausgehe, dass es unter Männern wie unter Frauen solche und solche gibt. Es ist wichtig, Allianzen zu schmieden und Männer mit ins Boot zu holen, um die Strukturen zu verändern. Ich glaube, alleine werden Frauen es nicht schaffen, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu ändern.

Während Ihrer Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin haben Sie an der Universität Freiburg das Frauenförderprogramm Justitia Mentoring gegründet. Wie kam es dazu?

Zusammen mit zwei Kolleginnen stellten wir fest, dass sich die Studentinnen in unseren Übungen viel weniger meldeten als ihre männlichen Kommilitonen. Gleichzeitig haben wir immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die Studentinnen zwar oft ganz still waren, dann aber die beste Klausur schrieben. Uns selbst beeinflusste dieses „laute Schweigen“. Wir schätzen die Studentinnen fachlich vorerst schlechter ein. Das ist besonders misslich, weil das Jurastudium und die juristischen Prüfungen zu einem nicht geringen Anteil von mündlicher Beteiligung leben. Für sich einstehen und sich sichtbar verhalten ist offensichtlich etwas, was zwischen den Geschlechtern in unserer nicht statistisch validen Probe ungleich verteilt war. Auch ich selbst reflektierte, dass ich zwar selbstbewusst mit meinem Abi an die Uni gekommen war, aber im Laufe der Semester verstummt bin. Ich war eingeschüchtert von den oftmals sehr bestimmt auftretenden Kommilitonen. Sie schienen sich alle immer so sicher. Dann ging ich auf die Examensvorbereitung zu und mir wurde klar, dass ich meine Fragen stellen musste, um nicht dumm zu bleiben. Hinzu kommt, dass viele universitären Stellen über die aktive Teilnahme am Unterricht vergeben werden. Wir wollten die Frauen von vornherein dafür sensibilisieren, die eigenen Komfortzone zu verlassen und zu üben, sich in einer von Männern dominierten Welt zu bewegen. Uns war es bei der Gründung von Justitia Mentoring wichtig, ein individuelles Programm zu entwickeln. Unsere Idee war, dass eine erfahrene Mentorin einer etwas jüngeren Mentee zur Seite gestellt wird und die beiden sich als „Tandem“ in regelmäßigen Abständen treffen, um sich auszutauschen. Das Mentoring-Konzept schien passend, weil es ermöglicht, individuell darauf einzugehen, was die jeweiligen persönlichen Ziele sind. Auch hier geht es darum, aus der Vereinzelung herauszutreten. Noch heute ist die Tandembeziehung eine Hauptsäule des Programms.

Ich bin nach wir vor der Auffassung, dass es diese Form von individuellen Förderprogramm sind, die wirklich erfolgversprechend sind. Nicht alle Frauen werden über einen Kamm geschoren, denn es gibt keine vorgegebene Idee davon, was Karriere eigentlich bedeutet. Vielmehr sollen Frauen im individuellen Fall dazu ermutigt werden, sich selbst ernst zu nehmen und herauszufinden, was ihr Ziel ist.

In unserem Porträt mit Frau Dr. Völzmann wurden Sie von Ihr als Vorbild nominiert. Sind Sie sich Ihrer Vorbildrolle gegenüber anderen Juristinnen und Ihren StudentInnen bewusst? 

Ich bin der Ansicht, dass Frauen sich solidarisch verhalten sollten. Die Frage des Vorbildes ist eine ganz interessante. Wenn man genauer hinschaut, kommen natürlich auch Ambivalenzen zutage. Kein Mensch ist in allen Bereichen perfekt. Aber darum geht es auch gar nicht. Vielmehr geht es darum, in einer bestimmten Situation oder Eigenschaft vorbildlich zu sein. Ich finde, das können im Übrigen nicht nur Frauen sein, sondern natürlich auch Männer.

 

Natürlich hoffe ich, dass ich mich so verhalte, dass andere Menschen aus dem, wie ich mich verhalte, Anregung für ihr eigenes Verhalten ziehen können. Ich finde aber auch, dass es keine Frage sein sollte, sich anständig und solidarisch zu verhalten. Dann ist es eine absolute Selbstverständlichkeit, Menschen zugewandt zu sein und zu versuchen, sie dabei zu unterstützen, ihr Potential zu entfalten. Solidarisch zu handeln bedeutet für mich, andere Frauen und Männer zu unterstützen. Ich glaube daran, dass die einzige Möglichkeit, dieses System, das oftmals so unmenschlich daherkommt, zu verändern darin liegt, dass ich offen in die Welt gehe und mich verletzlich zeige. Das ist mein Beitrag. Wir sind in einem hochkompetitiven System in der Wissenschaft, aber das muss ich mir ja nicht zu eigen machen.

 

 

Welchen Rat würden Sie Ihrem früheren Ich geben?

Ich habe alle meine Entscheidungen immer nach besten Wissen und Gewissen und unter Einbeziehung aller mir zur Verfügung stehenden Informationen getroffen, weil ich unterstützt war von meinen Peer-Coaching Teams. Ich habe keine Entscheidung getroffen, die nicht auf Herz und Niere in Gesprächen und aus allen Perspektiven mehrfach beleuchtet war. Weil das so ist, habe ich noch nie mit einer einzigen Entscheidung gehadert. Es kann natürlich immer sein, dass ich hinterher schlauer bin, weil sich die Dinge anders entwickeln als angenommen. Ich würde mich daher darin bestärken, wieder ein Peer-Coaching Team zu finden.

An der Goethe Universität in Frankfurt leiten Sie den Lesekreis Feministische Rechtstheorie. Welche Bücher würden Sie uns in diesem Bereich als „Must-Reads“ empfehlen? 

Die feministische Rechtswissenschaft ist eine Herangehensweise, bei der man sich Problemlagen ansieht, die sich im tatsächlichen Leben stellen. Es geht nicht nur darum, feministische Texte zu lesen, sondern darum, mit einem feministischen Blick Gesetze und Urteile zu analysieren. Dabei verändern sich die Themen immer wieder. Wer hätte beispielsweise gedacht, dass der Bundestag die Ehe öffnet? Bei dieser Entwicklung wäre es komisch, Texte aus den 60ern zu lesen.

Tolle Einführungstexte gibt es beispielsweise von Professorin Dr. Susanne Baer, Professorin Dr. Ulrike Lembke oder Professorin Dr. Ute Sacksofsky. Besonders das von Ulrike Lembke und Lena Foljanty herausgegebene Feministische Studienbuch im Nomos-Verlag kann ich als Eingangslektüre sehr empfehlen. Im Übrigen würde ich mir eine Gruppe suchen mit interessierten Personen und dann gemeinsam überlegen, was die Leute interessiert. Dann lassen sich spezifische Texte heraussuchen, an die dann feministische Fragen gerichtet werden können.

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Meine Habilitations-Betreuerin Professorin Dr. Ute Sacksofsky hat mich sehr beeindruckt und beeinflusst. In Vielem ist sie für mich sehr vorbildlich, weil sie in ihrer Generation durch die ganzen Widrigkeiten gegangen ist, die ich mir gar nicht ausmalen kann. Aber sie wurde bereits nominiert.

Daher möchte ich meine beiden Kolleginnen Professorin Dr. Nora Markard und Professorin Dr. Anuscheh Farahat nominieren, mit denen ich mein Peer-Coaching mache und die ich, jede auf ihrer Weise, für absolut außergewöhnliche Frauen halte. Beide sind wissenschaftlich brillant und schreiben Rechtswissenschaft aus einer dezidiert kritischen Position. Sie sind für mich persönlich vorbildlich, weil sie mit großer analytischer Schärfe, sowohl wissenschaftlich als auch institutionell, Situationen analysieren und einen sehr klaren Blick darauf haben, wie unsere Disziplin funktioniert. Das ist für mich vorbildlich. Ich schätze sie als Wissenschaftlerinnen und menschlich, und ich finde, noch mehr Leute sollten sie kennenlernen.

Vielen Dank für das nette Gespräch und die Zeit, die Sie sich dafür genommen haben!

Freiburg, 24. September 2018. Das Interview führte Sita Rau.
* Anm. d. Red.: Als das Interview geführt wurde, war Prof. Dr. Mangold, LL.M. noch Privatdozentin und Schumpeter Fellow der VW Stiftung.

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