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Anna von Rebay

Dr. Anna von Rebay, LL.M., im Porträt

„Wenn Staaten Meeresschutzverträge nicht durchsetzen, sind diese wirkungslos!“

Dr. Anna von Rebay, LL.M., Gründerin von Ocean Vision Legal, über die Gründung der weltweit ersten ausschließlich auf den Meeresschutz spezialisierten Kanzlei, ihre Leidenschaft für die Ozeane zu kämpfen und wie Menschenrechte und der Meeresschutz zusammenhängen.

Anna, nach Jurastudium und Referendariat in München und anschließender Promotion an der Universität Potsdam hast Du in Australien und in einer Großkanzlei erste Berufserfahrung als Anwältin gesammelt. Was hat Dich dazu bewogen, Deine eigene Kanzlei „Ocean Vision Legal“ zu gründen?

Ocean Vision Legal ist das Kind meiner Leidenschaft für das Meer und meiner Stärke in Verhandlungen und Prozessrecht. Ich liebe es, meine Meinung darzulegen und diese zu verteidigen. Deswegen habe ich zunächst in einer Kanzlei im Prozessrecht angefangen. Aber inhaltlich fand ich die Themen nicht spannend. Als ich dann meine Doktorarbeit abgegeben habe, bin ich in mich gegangen und habe mich gefragt, was ich machen möchte. Ich habe im Seerecht und Meeresschutz promoviert. Diese Expertise wollte ich nutzen. Erst habe ich überlegt, mich bei einer NGO oder einer anderen Kanzlei zu bewerben, die auf Umweltrecht oder Seerecht spezialisiert ist, aber ich bin ein Freigeist. Ich wollte mich nicht wieder in ein Korsett zwängen lassen. Ich wollte einerseits aktiv Maßnahmen für den Meeresschutz ergreifen, andererseits so frei wie möglich von jedem Standort arbeiten können. Meine Intention war uneingeschränkt für die Meere einzustehen, daher kommt auch einer der Slogans meiner Kanzlei „Direct Legal Action for Saving the Ocean through Law“, abgeleitet von dem Motto der Meeresschutzorganisation Sea Sheperd, die auf direkte Meeresschutzaktionen gerichtet sind und bei der ich auch ehrenamtlich als Volontärin arbeite.

„Ocean Vision Legal“ ist weltweit die erste Kanzlei, die sich rein auf den Meeresschutz spezialisiert hat. Woher kommt Dein Interesse für den Meeresschutz?

Das geht weit in meine Jugend zurück. Damals habe ich viele Bücher über Menschenrechte und Umweltschutz gelesen, die mir meine Mutter geschenkt hat. Deswegen habe ich auch das Jurastudium angefangen. Leider gleicht das Jurastudium, insbesondere in Deutschland, eher einem Hamsterrad, als dass es Interessen gezielt fördert. Auch ich war damals in diesem Hamsterrad, ich war völlig gefangen und hatte einen Tunnelblick. Ich dachte, ich müsste jetzt meine Karriere verfolgen, in einer Großkanzlei arbeiten und so fort. Doch dann hatte ich diesen Moment der Rückbesinnung: Ich saß am Strand in Indonesien und blickte aufs Meer. In diesem Moment ist mir bewusst geworden, dass es mir egal ist, ob dieses oder jenes Unternehmen mehr oder weniger Geld durch einen Prozess gewinnt oder verliert. Ich hatte die Erkenntnis, wenn wir das Meer zerstören, dann zerstören wir die Menschen. So habe ich beschlossen, meine Doktorarbeit im Meeresschutz zu schreiben und mich auf dieses Rechtsgebiet zu spezialisieren.

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Wie wichtig ist Idealismus in der Rechtswissenschaft? Braucht man in Jura Visionen um etwas zu bewegen oder reicht es, fachlich überzeugend zu sein?

Am besten ist beides. Ich bin eine klassische Juristin. Ich liebe das strukturierte Arbeiten und die logischen Zusammenhänge. Mir hat Jura immer Spaß gemacht und ich habe auch gute Examina geschrieben. Das Handwerkzeug ist schon eine wichtige Grundlage. Mit dieser Grundlage kannst Du aber auch überall tätig werden, in einer Großkanzlei oder beim Staat. Aber wenn Du wirklich Pionierarbeit leisten und etwas bewegen möchtest, dann gehört eine ordentliche Portion Idealismus dazu, damit man das erreicht, was man möchte.

Hattest Du Sorgen und Vorbehalte vor dem Schritt in die Selbstständigkeit, insbesondere bei einer solch ungewöhnlichen und einzigartigen Spezialisierung?

Wenig, dazu bin ich zu idealistisch. Ich springe sehr gerne ins kalte Wasser. Da geht es mir gut. (lacht) Im Fall von Ocean Vision Legal müssen zwar keine riesigen Investitionen getätigt werden, da die Kanzlei nur online arbeitet. Allerdings ist das Unternehmertum als solches eine Herausforderung, weil man dafür im Jurastudium nicht ausgebildet geschweige denn in irgendeiner Weise darauf vorbereitet wird. Aber insgesamt macht es mir wirklich sehr viel Spaß und ich lerne immer mehr dazu.

Du lebst auf Bali in Indonesien, arbeitest damit grundsätzlich nur remote. Welche Vorteile, aber auch welche Nachteile, gehen damit einher?​

Ein Vorteil ist die Chance, dass ich Mandant:innen auf der ganzen Welt akquirieren kann. Es ergibt in meinem Bereich auch wenig Sinn, eine Kanzlei mit einem festen Standort zu haben. Man kann sich so das Leben einrichten, wie man will. Ein Nachteil ist sicherlich, dass man seine Mitarbeiter:innen nicht immer sieht. Man kann sich nicht einfach auf einen Kaffee im Büro treffen. Daher braucht es eine enge Interaktion mit den Teammitgliedern. Bei uns gibt es zum Beispiel jede Woche einen Teamcall und ich tausche ich mich mit jedem Teammitglied jede Woche in Einzelgesprächen aus. Ich muss gewährleisten, dass meine Mitarbeiter:innen sich auf mich verlassen können. Gerade am Anfang sind sie bei jedem Meeting dabei, damit sie meinen Stil mitbekommen. Sie lernen, wie ich arbeite und wie ich verhandle. Teammanaging ist mir wirklich sehr wichtig. Es ist zeitaufwändig, aber ist auch eine sehr schöne Aufgabe.

Deine Mandant:innen sind überwiegend NGOs, die Finanzierung läuft ausschließlich über Fundraising. Woher nimmst Du den Mut immer wieder gegen mächtige Staaten – in der Rolle von David gegen Goliath – anzutreten?

(lacht) [Das macht mir hier wirklich richtig Spaß gerade!]: Jura finde ich super, es macht mir riesigen Spaß. Ich weiß halt, wie Jura geht und wie man das Recht auslegt. Daher finde ich es super, den Staaten zu sagen, wie es eben nicht geht. Ich habe wirklich Lust, etwas zu verändern. Wie man bei den NGOs immer von „direct action“ spricht, sprechen wir bei uns von „direct legal action“. Ich liebe debattieren, das war schon immer so. Ich war früher in der Schule im Debattierclub. Mein Vater sagt immer, mit mir braucht man gar nicht anfangen zu diskutieren. Jetzt sollen es doch die Staaten versuchen.

Im Jahr 2023 wurde der BBNJ- Abkommen/Hochseeschutzabkommen (BBNJ) der UN nach über zwanzig Jahren Verhandlung verabschiedet, das den Schutz der Artenvielfalt und Biodiversität in der Hohen See, also außerhalb der nationalen Souveränität und Jurisdiktion, sicherstellen soll. Ist damit alles getan oder haben wir (immer noch) einen „outlaw ocean“?​

Damit ist gar nichts getan. Ich war gerade am Seegerichtshof in Hamburg, davor bei der 8. Seerechtskonferenz als Diskutantin in Seoul, in Südkorea, um jeweils über den BBNJ zu diskutieren. Ich glaube, dass der BBNJ einen Beitrag dazu leistet, dass die Meere nachhaltiger geschützt werden. Der Vertrag ist dahingehend sicherlich ein wichtiger Schritt. Das Problem ist aber, dass bei diesem Vertrag aufgrund des Konsensprinzips der Vereinten Nationen (UN), nachdem alle Staaten dem Vertrag zustimmen müssen, die Vorschriften stark verwässert worden sind. So werden zum Beispiel die „Marine Protected Areas“, nicht von den BBNJ-Vorschriften, sondern von regionalen Vorschriften vorgeschrieben und festgelegt. Die regionalen Vorschriften oder anderen Rahmenverträge haben grundsätzlich Vorrang, womit der BBNJ leicht ausgehebelt werden kann. Aber es gibt zusätzlich das 1982 verabschiedete UN-Seerechtsübereinkommen (United Nations Convention on the Law of the Sea (UNCLOS)), welches nicht umsonst auch die „Verfassung der Meere“ genannt wird. Das ist ganz anders geschrieben. Die Artikel sind kurzgehalten wie eine Verfassung. Dieser Vertrag ist wirklich eine Meisterleistung, auch wenn er ebenfalls im Konsensprinzip verfasst ist. Die Verfasser:innen von UNCLOS und insbesondere der damalige Präsident der dritten UN-Seerechtskonferenz hat ausgesprochen, was bis heute noch gilt: „Es ist eine Verfassung der Meere und ein lebendes Instrument.“ Das bedeutet, dass man diese Artikel auslegen muss. Sie sind so angelegt, dass sie sich mit der Gesellschaft entwickeln und den veränderten Bedingungen anpassen können. So kann man sie entsprechend gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklungen auslegen. So war zum Beispiel der Tiefseebergbau vor vierzig Jahren noch gar nicht Thema, aber schon im UNCLOS geregelt. Alle seine Bestimmungen sind heute durch Auslegung noch anwendbar.

Zudem bin ich grundsätzlich der Meinung, man soll nicht nur neue Verträge schreiben, sondern die alten erst einmal auslegen und umsetzen.

Inwieweit hängen der Meeresschutz und Menschenrechte zusammen?​ 

So eng. Umweltschutz und Menschenrechte hängen schon zusammen und Meeresschutz damit noch so viel enger. Es gibt sogar schon Entscheidungen, die die unmittelbaren Auswirkungen auf die Menschenrechte verdeutlichen. So gibt es, zum Beispiel, den Fall „Torres Strait Inseln gegen Australien“ vor dem UN-Kommittee für Menschenrechte, nach dem Australien aufgrund der hohen CO2-Emissionen für den Meeresanstieg und somit für das langsame Verschwinden der Inseln verantwortlich gemacht wird. Es ist bewiesen, dass sogenannte „Slow onsets“– zum Beispiel der Meeresanstieg – oder „Sudden onsets“– zum Beispiel das häufigere Vorkommen von Hurrikans aufgrund des Klimawandels – die Menschenrechte direkt beeinflussen. So gibt es auch schon in einigen Staaten das Menschenrecht auf gesunde Umwelt, welches jetzt auch bei den Vereinten Nationen anerkannt wird. Unterformen davon sind das Recht der Natur und Transgenerationale Rechte, also die Rechte späterer Generationen zu klagen. Es sind bereits viele Klagen anhängig, zum Beispiel am Internationalen Seegerichtshof und am Internationalen Gerichtshof.

Glaubst Du, dass es Frauen in der Internationalen Rechtswissenschaft, insbesondere in der immer noch männerdominierten Fischerei- und Schifffahrtsbranche, schwieriger haben als Männer?

Nein. Bisher habe ich fast nur Wertschätzung erfahren für das, was ich mache. Es gibt sogar gezielte Frauenförderung im Internationalen Seerecht. So gab es zum Beispiel ein reines Frauenpanel bei der 8. Seerechtskonferenz in Seoul, bei der ich vor kurzem als Diskutantin war.

 

Meine Kanzlei ist auch eine ausschließlich von Frauen geführte Kanzlei. Das war keine Absicht, es ist einfach so gekommen. Manchmal müssen wir schmunzeln, wenn wir als die „Wasserfrauen“ und „Meereskriegerinnen“ bezeichnet werden. Ich muss sagen, Diskriminierung existiert in meiner Welt nicht. Vielleicht bin ich dafür auch nicht empfänglich. Ich stehe immer meine eigene Frau.

So hatte ich zum Beispiel einmal einen Fall, bei dem ich ein Rechtsgutachten für eine Organisation schreiben sollte, welches vor dem Seegerichtshof präsentiert werden sollte. Diese Organisation hat mich mit einem Anwalt aus Südamerika zusammengeführt, um das Gutachten zu schreiben. Dieser meinte, dass eine Frau doch so ein Rechtsgutachten nicht alleine schreiben könne, wenn dieses am Seegerichtshof präsentiert werden solle. Die Internationalen Organisationen seien doch nur von Männern dominiert, da würde keiner auf eine Frau hören. Da habe ich fachlich gekontert und danach hat er mich nicht mehr so angegangen.

Wie gehst Du mit dem Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie in Deiner Kanzlei um?

 

Ich lege sehr viel Wert auf Work-Life-Balance in meinem Team. Keiner meiner Mitarbeiter:innen arbeitet vierzig Stunden, außer mir, aber meine Kanzlei ist schließlich mein Projekt. Mir ist es sehr wichtig, dass ich einen guten Draht zu meinen Mitarbeiter:innen habe, deswegen telefonieren wir auch regelmäßig. Wenn es einem oder einer einmal nicht so gut geht, dann sollte sie oder er die Freiheit haben, weniger zu arbeiten. Ich habe mehr davon, dass sich meine Mitarbeiter:innen erholen. Ein Leben verläuft nie gradlinig, es geht immer in Schlangenlinien. Das ist mir immer bewusst und das versuche ich meinen Mitarbeiter:innen auch zu vermitteln. Es soll ein Umfeld sein, in dem wir als Menschen wertgeschätzt und nicht als reine Arbeitsmaschinen angesehen werden.

 

Aufgrund Deiner Tätigkeit bist Du international viel unterwegs. Wie findest Du Ruhe oder Zeit für Dich in dem ganzen Trubel?

Ich setze mir Prioritäten im Leben. Das bedeutet für mich, mir immer einen Ausgleich zur Arbeit zu schaffen. So mache ich jeden Morgen Yoga, ich gehe raus und meditiere. Zudem gehe ich jeden Tag schnorcheln und surfen, wenn ich in Indonesien bin. Wenn ich das nicht mache, dann merke ich, dass es mir nicht so gut geht oder dass ich sehr gestresst bin. 

 

Es sind die kleinen Prioritäten und Ausgleiche im Alltag, die man sich setzen muss. So schaue ich mir immer den Sonnenuntergang in Indonesien an und esse mit meinem Freund zu Abend. Auf sich selbst und seine Bedürfnisse zu hören, ist das Wichtigste: Es ist absolut wichtig, dass es mir gut geht.

Welche Bedeutung hat Netzwerken in Deinem Fachbereich? Wie netzwerkt man richtig?

Netzwerken ist 100 % wichtig, nein 120 %, 1000 %! Es ist absolut wichtig. Es schadet als Selbständige nicht, gerne mit Menschen zu reden und sich mit anderen Überzeugungstäter:innen zu treffen. Heutzutage hat man gute Tools, unter anderem LinkedIn und andere soziale Netzwerke, um mit anderen in Kontakt zu treten. Dabei sollte man gleich mit der Kontaktanfrage eine Nachricht an denjenigen bzw. diejenige schicken und ein Treffen oder einen Call anregen. Am Anfang der Selbständigkeit sitzt man dadurch sehr viel in Calls oder geht auf Konferenzen. Da sollte man immer seine Visitenkarten dabeihaben und diese verteilen. Wichtig ist zu zeigen, dass man für sein Thema brennt und sich dafür einsetzen will.

Was würdest Du jungen Juristinnen raten, die sich für eine Karriere im internationalen Seerecht bzw. Meeresschutz interessieren?

Man muss sich überlegen, in welchem Bereich man sich spezialisieren möchte, entweder durch einen Master oder durch eine Doktorarbeit. Ich habe meine Doktorarbeit gemacht, um mich zu spezialisieren. Es ist vielleicht nicht der einfachste Weg für eine Spezialisierung, aber es hat funktioniert. Ich hatte auch große Unterstützung durch meinen Doktorvater Prof. Dr. Markus Schladebach. Er hat mich zu meinem Thema gebracht, hat sich wirklich ein halbes Jahr Zeit genommen, um mit mir zusammen das Thema zu finden und zu entwickeln.

Zudem muss man sich zu fragen, was einem wichtig ist. Möchte ich die Sicherheit einer Festanstellung und eines regelmäßigen Gehalts? Dann ist eine Organisation das Richtige. Wenn man eher so ein Typ ist wie ich, dann sollte man mir schreiben. Ich lege sehr viel Wert auf die Nachwuchsförderung, nehme mir immer Zeit für Praktikant:innen, Referendar:innen oder Neuankömmlinge.

Außerdem sollte man an sich glauben und ein wenig „outside the box“ denken, also ein wenig clever sein. Man muss sich überlegen, wo gibt es eine Nische, in die man reinpasst.

Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Das ist jetzt schwierig zu sagen, da ich die Erste in meinem Bereich bin. Professor Proelß [Seerechtsprofessor an der Universität Hamburg] hat zu mir gesagt: „Du bist eine Pionierin.“

Professorin Nele Matz-Lück kann ich als mein Vorbild nennen, ich habe sie viel zitiert in meiner Doktorarbeit. Sie ist wirklich grandios. Und natürlich auch alle Richterinnen am Seegerichtshof. Die mussten in ihrer Generation für ihren Weg mit Sicherheit noch mehr kämpfen als unsere Generation.

 

 
Vielen Dank für das spannende Interview!

 

München, 7. Dezember 2023. Das Interview führte Mara Alin Brinker. 

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