Anne-Marie Keding im Porträt
"Man sollte immer ehrlich zu sich selbst sein."
Anne-Marie Keding, Mitglied des Landtags von Sachsen-Anhalt*, über ihre Verwaltungslaufbahn, den Wechsel ins Ministerium und nicht geschriebene Veröffentlichungen.
Frau Keding, bevor sie vor drei Jahren Justizministerin des Landes Sachsen-Anhalt geworden sind, haben Sie die wie Sie sagen "typische Verwaltungslaufbahn" durchlaufen. Zuletzt waren Sie Staatssekretärin im Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt. Was darf man sich denn unter der "typischen Verwaltungslaufbahn" vorstellen?
Herkömmlich werden Juristen für den öffentlichen Dienst eines Landes bei einer Mittelbehörde, z.B. beim Regierungspräsidium oder Landesverwaltungsamt eingestellt. Ab dann durchläuft man mehrere Stationen, dazu zählt oft eine Abordnung ins Ministerium oder in eine Behörde vor Ort. Idealerweise verbringt man auch noch Zeit in Brüssel und/oder Berlin, und wechselt zwischen Linien- und Stabsfunktionen.
Bei mir war das, auch den Umständen in den 90er Jahren in den östlichen Bundesländern geschuldet, ein wenig anders: ich habe in der Kommunalaufsicht angefangen, bin dann zunächst ins Innenministerium, dann ins Umweltministerium und wieder zurück versetzt worden. Ich war für zwei Jahre in der Stabstelle Gebietsreform tätig, bevor ich ins Landwirtschaftsministerium als Leiterin des Ministerbüros geholt wurde.
Wussten Sie schon immer, dass Sie in der Verwaltung tätig sein möchten?
Ja, ich wollte schon immer in die Verwaltung. Meine Eltern haben sich beide kommunalpolitisch stark engagiert und da konnte ich einen Einblick in die Abläufe bekommen. Das was ich mitbekommen habe, fand ich sehr interessant und dachte, daraus könnte auch ein Beruf werden. Ich empfinde die Tätigkeit in der Verwaltung als sehr lohnend. Dies liegt vor allem daran, dass es einem obliegt, das öffentliche Leben zu organisieren und man dadurch das Leben von allen Menschen berührt. Es ist für jeden Bürger wichtig, dass wir eine gute und funktionierende Verwaltung haben.
Wie groß war die Umstellung von dem Amt der Staatssekretärin zur Justizministerin für Sie?
Zunächst bedeutete der Wechsel von der Position der Staatssekretärin zur Justizministerin, dass ich als Chefin eines Ressorts politisch für diesen Bereich verantwortlich wurde und damit auch in der Öffentlichkeit stehe. Das war die eine große Umstellung.
Die andere Umstellung war die Arbeitsweise. Während die Aufgaben und Fragestellungen im Landwirtschafts- und Umweltbereich oft konkret und "greifbar" sind, ist die Hauptaufgabe eines Justizministeriums die Gestaltung von Rechtsgrundlagen und die Sicherung des äußeren Rahmens für die Arbeit der Gerichte und Staatsanwaltschaften, aber auch des Justizvollzuges.
Eine ganz neue Aufgabe war auch die Gerichtsorganisation und überhaupt die Handhabung der Justizverwaltung und die Kooperation mit dem Bund, wenn es um den Erlass neuer Gesetze geht. Im Endeffekt konnte ich mich auch nicht wirklich vorbereiten auf die neue Tätigkeit - ich musste einfach viel lesen, viel reden und kommunizieren und vor allem viel zuhören.
In Ihrem Amt haben Sie nicht nur die Zuständigkeit für die Justiz, sondern auch für Gleichstellungsfragen. Was genau meint die Gleichstellung hier und welche besonderen Aufgaben kommen dadurch auf Sie zu?
Im Ministerium sitzt die Leitstelle für Frauen- und Gleichstellungspolitik. Die Gleichstellungsarbeit ist geprägt durch die Frauenförderung in den Verwaltungen und eine enge Zusammenarbeit mit den Gleichstellungsbeauftragten der einzelnen Ressorts. Mir ist die Umsetzung der Istanbul-Konvention wichtig, also der Schutz von Frauen vor häuslicher und sexualisierter Gewalt und das Werben für eine Berufswahl, die den jungen Frauen eine eigenständige finanzielle Existenz durch ihr ganzes Leben hindurch ermöglicht. Gleichzeitig liegt auch die Zuständigkeit für LSBTTI-Fragen (Anm. der Redaktion: Die Abkürzung LSBTTI steht für die Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern, Transsexuellen und intergeschlechtlichen Menschen.) und für das Landesprogramm für ein geschlechtergerechtes Sachsen-Anhalt bei uns. Zu der Geschlechtergerechtigkeit zählt unter anderem, dass Männer, Frauen und das dritte Geschlecht Berücksichtigung finden und zwar in allen Bereichen der Gesellschaft. Dazu gehört es beispielsweise, dass die rechtlichen Grundlagen für besondere Arbeitszeitenmodelle geschaffen werden und dass sichergestellt wird, dass alle in unserem Gesundheitssystem angemessen berücksichtigt werden.
Wie kommt es, dass die Zuständigkeit für die Gleichstellungsfragen bei Ihnen liegt?
Im Zuge der Reform des Sexualstrafrechtes wurde die Leitstelle dem Justizministerium angegliedert. In vielen anderen Bundesländern liegt die Zuständigkeit weiterhin in den Familien- und Sozialministerien. Aber durch die vielen rechtlichen Berührungspunkte halte ich das Justizministerium für einen guten Anknüpfungspunkt.
Ursprünglich kommen Sie aus Niedersachen, für das Studium hat es Sie dann ganz in den Süden Deutschlands, nämlich nach Freiburg und München gezogen. Für das Referendariat ging es dann wieder in den Norden nach Stade. Wie kam es zu diesen Entscheidungen?
Ich wollte gerne andere Ecken von Deutschland sehen. Nach meinem Abitur 1985 war Süddeutschland für mich reizvoll und insbesondere München als Großstadt war sehr interessant für mich. Nach dem Studium hatte ich genug von der Großstadt. Da ich wusste, dass ich gerne in der Verwaltung tätig sein möchte, hat es auch Sinn gemacht, wieder in den Norden zu gehen.
Welche Vorteile hatten Sie dadurch, dass Sie einige Semester Geographie studiert haben und in einem landwirtschaftlichen Betrieb groß geworden sind, bei Ausübung Ihrer Tätigkeiten in den einzelnen Ressorts?
Das war sicher auch ein Grund, warum ich in der Landwirtschaftsverwaltung landete. Ich kannte und kenne die Bedingungen der landwirtschaftlichen Betriebe und weiß dadurch, welche agrarpolitischen Fragen sich stellen.
Wirtschaftsgeographie habe ich studiert, weil ich mich sehr für diesen Bereich interessiert habe. Bei der Beantwortung der Fragen, die sich in meinem Berufsleben später stellten, hatte ich sicherlich einen Vorteil, da ich bereits ein Verständnis von Raumordnungsfragen und Vernetzungssystemen mitbrachte. Beides war im Endeffekt sehr hilfreich und damit auch ein Vorteil, aber stellt keine Bedingung dar, wenn man in diesen Bereichen der Verwaltung tätig sein möchte.
Gibt es bestimmte Voraussetzungen, die man mitbringen sollte, wenn man sich für eine Verwaltungslaufbahn im öffentlichen Dienst interessiert?
Man sollte in der Lage sein, mit unterschiedlichen Fachdisziplinen zu interagieren. Dabei sollte man im Hinterkopf behalten, dass es etwas anderes ist, überwiegend mit Juristen zusammenzuarbeiten so wie es in einem Justizministerium üblich ist. Generell benötigt man für die öffentliche Verwaltung eine Offenheit anderen Professionen gegenüber. Das liegt einfach daran, dass unterschiedlichste Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammen kommen: so arbeiten Ingenieure, Naturwissenschaftler, Planer und viele andere zusammen. Da gilt es auch "Übersetzungsarbeit" zwischen den einzelnen Disziplinen und Methoden zu leisten. Und man arbeitet viel mit den Bürgern zusammen - auch das ist eine ganz andere Angelegenheit, genauso wie Gremienarbeit. Hier liegt die Besonderheit darin, dass man in der Position ist, Akteure und Entscheidungsträger überzeugen zu müssen. Da gehört es dazu, dass man zuhört und kooperationswillig ist.
Die Tätigkeit des Justizministerium ist da wiederum eine ganze andere: da arbeitet man viel weniger mit Vereinen und Verbänden zusammen und ist in einer abgesonderten Position, da die Gerichte zur dritten Gewalt gehören.
Aktuell sind fünf von sechzehn Landesjustizministerposten mit Frauen besetzt. Entspricht dieses Verhältnis auch der Verteilung der höheren Posten im öffentlichen Dienst in der Verwaltung?
Die Verteilung der Richterposten liegt in Sachsen-Anhalt etwa bei 50/50. Und bei den fünf Fachgerichtsbarkeiten haben wir zwei Gerichtspräsidentinnen. Insgesamt ist es meiner Meinung nach wichtig, dass der Vergleich, wie viele Männer und wie viele Frauen in welcher Position sind, immer im Verhältnis mit der Alterskohorte erfolgen sollte. Da die Umstellung jetzt erst so langsam stattfindet, ist es klar, dass es noch keine gleichmäßige Verteilung gibt, außer wenn man eben die Altersverteilung beziehungsweise den Zeitbezug bedenkt.
Auf die Verwaltung bezogen: Hier werden in Sachsen-Anhalt 49,7 Prozent der Leitungsfunktionen im öffentlichen Dienst des Landes durch Frauen wahrgenommen. Insgesamt sind auch mehr Frauen als Männer in Sachsen-Anhalt in der Verwaltung tätig. Allerdings stellt sich in diesem Zusammenhang immer die Frage, wie Teilzeitstellen zu berücksichtigen sind.
Was muss Ihrer Meinung nach getan werden, um die Gleichstellung von Mann und Frau zu erreichen? Ist vor allem die Politik gefragt?
Sie werden keinen Politiker und keine Politikerin finden, die sagen, dass ihnen die Gleichstellung egal oder kein wichtiges Thema sei oder dass es keinen Regelungsbedarf gäbe. Natürlich soll idealerweise erreicht werden, dass 50 Prozent der Führungspositionen weiblich besetzt sind.
Meiner Meinung nach erfüllt die Quote eine wichtige und leider immer noch notwendige Eisbrecherfunktion. Sobald eine Position einmal von einer Frau bekleidet wurde, hinterfragt niemand mehr, ob Frauen für die Position grundsätzlich geeignet sind oder nicht. Das gilt für Gremien genauso wie für die Ressortleitung.
Ein anderes Problem, das ich wahrnehme ist, dass die Familienarbeit, die soziale Arbeit und auch die Verantwortung dafür noch nicht gleichmäßig auf die Geschlechter verteilt sind. Junge Väter, und das freut mich sehr, engagieren sich aber zunehmend in der Erziehung und der Sorge auch für kleine Kinder.
Sie sind Mutter von zwei Kindern. Wie haben Sie sich innerhalb der Familie mit der Geburt und der Betreuung organisiert?
Mein Mann hat nach der Geburt ein halbes Jahr Elternzeit genommen und ich war nach dem Mutterschutz wieder in Vollzeit berufstätig. Wir haben dann eine Kinderfrau eingestellt, die Teil unseres Haushaltes war. Das hat uns viel Geld gekostet, aber da der Berufsalltag oft nicht planbar ist, hatten wir dadurch die Sicherheit, dass die Betreuung der Kinder gewährleistet ist.
Gab es für Sie berufliche oder private Momente, in denen Sie sich überfordert gefühlt haben? Wie sind Sie damit umgegangen?
Ich war noch Berufsanfängerin und sollte in einer Zeitschrift mitarbeiten und habe für mehrere Artikel die Fristen verpasst beziehungsweise war kurz davor, sie zu verpassen. Da habe ich dann damals die Notbremse gezogen, weil mir das einfach zu viel wurde. Ich habe ein wenig zu lange gebraucht, um zu erkennen, dass ich nicht alles unter einen Hut bekomme. Es ist wichtig, auch in solchen Fragen ehrlich zu sich selbst zu sein und achtsam mit sich umzugehen.
Sie waren 20 Jahre lang Schatzmeisterin vom Landesverband Sachsen-Anhalt des Deutschen Jugendherbergswerkes. Wie kam es zu diesem Engagement Ihrerseits?
Mein damaliger Abteilungsleiter war auch für Tourismusfragen zuständig und sollte den Vorsitz des damals notleidenden Verbandes übernehmen und suchte dafür Mitstreiter. Ich kannte und schätzte die Arbeit des DJH noch aus meiner Schul- und Studienzeit, so dass ich mich gern engagiert habe. Ich bin dann dort geblieben, weil mir die Arbeit sehr viel Spaß gemacht hat und ich die Zusammenführung von Jugendlichen und den internationalen Austausch als sehr bereichernd empfinde.
Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?
Theanolte Bähnisch, auch wenn sie bereits vor einiger Zeit verstorben ist. Das muss eine wirklich faszinierende und großartige Frau gewesen sein. Sie war bis zu ihrer Heirat im preußischen Verwaltungsdienst, dann als Rechtsanwältin tätig, und direkt nach dem Krieg lange Zeit Regierungspräsidentin von Hannover, die erste Regierungspräsidentin überhaupt und zum Abschluß Staatssekretärin in Niedersachsen.
Spannend finde ich auch, dass sie ihren Nachnamen mit der Heirat nicht aufgeben wollte und deswegen ihren Namen "Dorothea Nolte" zu "Theanolte" verdichtete und den fortan als Vornamen führte. Noch zu meiner Schulzeit im Hannoverschen wurde öfter von Theanolte Bähnisch als einer zupackenden und energischen Frau mit Führungskraft und Durchsetzungswillen gesprochen.
Vielen Dank für das Gespräch und die Zeit, die Sie sich genommen haben!
Madgeburg / Frankfurt, 25. September 2019. Das Interview führte Karen Kelat.
* Anm. d. Red.: Als das Interview geführt wurde, war Anne-Marie Keding noch Ministerin für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt.
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