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Antje Boldt

Prof. Dr. Antje Boldt im Porträt

 

"Man muss sich nicht für Kinder oder eine Karriere entscheiden."

Prof. Dr. Antje Boldt, Partnerin bei Arnecke Sibeth Dabelstein im Vergaberecht, Bau- und Architektenrecht, über ihre Technikaffinität, die besonderen Aufgaben einer Standortleitung und die Vorteile dessen, als Frau seit 20 Jahren einer Minderheit auf ihrem Fachgebiet anzugehören.

Frau Boldt, Sie sind Partnerin bei der mittelständischen Kanzlei Arnecke Sibeth Dabelstein mit Schwerpunkt im Vergaberecht, Bau- und Architektenrecht. Wieso hat es Sie gerade in die Bereiche Vergaberecht, Bau- und Architektenrecht verschlagen?

Letztlich war das purer Zufall. Ich habe nach meinem Referendariat nach einer Wirtschaftskanzlei gesucht, ohne damals einen eigenen klaren Interessensschwerpunkt zu haben. Unter den verschiedenen Zusagen habe ich mich für die Kanzlei entschieden, die mir am sympathischsten war. Und diese war zufällig auf Baurecht spezialisiert. Da ich sehr technikaffin bin – mich interessiert wirklich wie eine Abdichtung oder ein Dachaufbau funktioniert – war diese Entscheidung genau richtig. Ein schöner Zufall also.


Sie begleiten viele Großprojekte im Versorgungsbereich der öffentlichen Hand beratend. Wie können wir uns den praktischen Unterschied bei der Beratung eines Krankenhausbaus und einem Verkehrsinfrastrukturprojekt vorstellen?

Es gibt schon eine gewisse Ähnlichkeit, da es in beiden Fällen immer um baurechtliche oder vergaberechtliche Themen geht. Auch erfordern beide Bereich aufgrund ihrer jeweiligen technischen Komponente ein gewisses Maß an Spezialwissen, das man nicht als Jurist im Studium lernt, sondern erst mit der Erfahrung erwirbt.

Dieses technische Spezialwissen unterscheidet sich allerdings jeweils sehr. Beim Krankenhausbau geht es um sehr viel "Haustechnik", also z.B. um die Verrohrung für Wasser- und Klimatechnik des Gebäudes, oder Leitungen für medizinische Gase und darum, eine Lösung zu finden, die die Abläufe im Krankenhaus optimiert. Etwa ist von großer Bedeutung, wie die Wege, die das Personal und die Ärzte zurücklegen müssen, optimal ausgestaltet sind. Das sind z.T. schon sehr spezielle Fragestellungen.

Auch der Verkehrswegebau weist zahlreiche Besonderheiten auf. Zum Beispiel sind Tunnelbauwerke oder Baugrundfragen, wie etwa für den Autobahnbau oder den Eisenbahnbau sehr speziell. Auch hierfür bedarf es also besonderes Fachwissen.

Bevor Arnecke Sibeth Dabelstein durch mehrere Fusionen entstand, waren Sie Leiterin des Standorts Frankfurt der damaligen Sozietät Sibeth Partnerschaft Rechtsanwälte und Steuerberater. Wie unterscheiden sich die Aufgaben der Standortleitung zu denen einer ‚gewöhnlichen‘ Partnerin bzw. eines solchen Partners?

 

Die Unterschiede sind erheblich. Als Standortleitung obliegen einem wesentlich mehr administrative Aufgaben. Gerade in einer kleineren Einheit ist man verantwortlich dafür, dass der kaputte Drucker schnell wieder funktioniert, die EDV rund läuft und Probleme mit dem Telekommunikationsanbieter oder mit dem Vermieter gelöst werden. Im Prinzip fällt darunter alles, was mit der Organisation eines Büros zu tun hat. In einer großen Organisation gibt es dafür spezielle Mitarbeiter, wie z.B. eine EDV-Abteilung, die man rufen kann, wenn etwas nicht geht.

Die Mitarbeiterverantwortung ändert sich demgegenüber nicht.

Können Sie Unterschiede in den Kanzleikulturen der miteinander verschmolzenen Sozietäten erkennen? Worin zeigen sich diese ggf.?

Es wäre ja komisch, wenn dem nicht so wäre. Der Umgang untereinander ist jetzt naturgemäß ein bisschen anders. Etwa haben wir in der Münchener Sozietät sehr viel konsensual nach ausführlichen Diskussionen entschieden. Das ist in einer Organisation der jetzigen Größenordnung – wir umfassen derzeit knapp 50 Partner – schlicht nicht möglich.

Wie man schon an der Häufigkeit Ihrer Ernennung als Schiedsrichterin erahnen kann, werden viele der Streitigkeiten im Baurecht vor Schiedsgerichten ausgetragen. Wie schätzen Sie in etwa das Verhältnis von streitigen Verfahren vor staatlichen Gerichten und vor Schiedsgerichten in Ihrer Praxis ein?

Das Verhältnis ist schwer zu schätzen; fünf Prozent Schiedsverfahren wären wohl schon hoch. Jedenfalls werden immer noch zu wenige Verfahren vor Schiedsgerichten geführt. Mir scheint, dass gerade im Baugewerbe viele Parteien Vorbehalte haben, sich dem Urteil eines Schiedsgerichts zu überlassen. Dennoch hat sich die Tendenz gerade in den letzten fünf Jahren sehr verstärkt, wohl auch, da die Gerichtsverfahren immer länger dauern und für die Parteien immer weniger prognostizierbar sind. Ich persönlich glaube, dass viele Parteien tatsächlich vor einem Schiedsgericht besser aufgehoben sind.

Dafür ist die Vergleichsquote in meinem Bereich sehr hoch; bei mir persönlich liegt sie sicher bei ca. 50%. Gerade, wenn auch der Anwalt oder die Anwältin der Gegenseite vom Fach ist, sind vernünftige Vergleiche sehr gut machbar. Das setzt allerdings voraus, dass man seine Chancen vor Gericht und seine Grenzen gut kennt, und dass man das Vertrauen seiner Partei hat und sie auch führen kann.

Als Baurechtlerin, als Partnerin und als Vorstandsmitglied des Deutschen Baugerichtstags sind Sie regelmäßig als Frau in der Minderheit. Fällt Ihnen dies auch heute noch regelmäßig auf? Falls ja, in welchen Situationen zum Beispiel?

Das ist einfach seit 20 Jahren so, weswegen es mir gar nicht mehr auffällt. Eher fällt mir auf, dass zunehmend mehr Frauen in den Bereich strömen. Vor 20-25 Jahren waren wir bei einer Tagung gerade mal eine Handvoll Frauen. Heute sind es vielleicht ein Drittel der Teilnehmer.

Gab es auch Situationen, in denen Sie die den geringen Frauenanteil zu Ihrem Vorteil nutzen konnten?

Die gibt es auch heute noch. Am meisten wahrscheinlich in Besprechungen oder in Verhandlungen, in denen viele Bautechniker sitzen – also Leute, die wirklich auf der Baustelle arbeiten. Das ist oft z.B. in Baubesprechungen der Fall. Solche Verhandlungen sind immer noch sehr männlich dominiert. Oft bin ich die einzige Frau. Regelmäßig wird mir gesagt, dass die Besprechungsatmosphäre sehr viel besser sei, wenn eine Frau dabei ist. Die Gespräche seien konstruktiver und die Ergebnisse besser.

Sie haben neben Ihrer Karriere zwei Kinder großgezogen. Wie haben Sie sich als Familie organisiert, als Ihre Kinder noch kleiner waren?

Wir hatten von Anfang an eine Tagesmutter, die sich tagsüber um die Kinder gekümmert hat. Mein Mann ist zudem auch selbstständiger Anwalt, sodass wir uns die Kinderbetreuung exakt hälftig geteilt haben. War einer von uns terminlich verhindert, hat der andere übernommen. Wir hatten zwar keine Großeltern in der Nähe, aber mit unserer Tagesmutter und aufeinander abgestimmten Kalendern ging das sehr gut. Unsere Tagesmutter haben wir beibehalten, bis unsere Jüngste ca. 14 Jahre alt war. Unsere Kinder und sie haben auch heute noch Kontakt und ein sehr gutes Verhältnis zueinander. Das war ein (nicht selbstverständlicher) Glücksgriff.

Wie findet man eine gute Tagesmutter?

Wir wohnen in einem kleinen Dorf, in das wir, als unsere Kinder kamen, neu hingezogen waren. Wir sind vor Ort in die Dorfkneipen gegangen und haben rumgefragt, ob jemand jemanden kennt, der zu uns passen könnte. Kurz darauf rief einer der Dorfwirte bei uns an und sagte, er habe einen Tipp für uns.

Haben Sie den Eindruck, dass Sie als Vorbild für andere Juristinnen in Ihrer Sozietät fungieren?

Zwei meiner Kolleginnen haben dies mal zum Ausdruck gebracht. Bei den anderen kann ich nur mutmaßen, denn sie sprechen nicht explizit mit mir darüber. Ich hatte aber mal bei einer Weihnachtsfeier eine sehr schöne Situation. Bei dieser kam eine junge Kollegin zu mir und sagte: „Sie sind der Grund, weshalb ich hier bin.“ Sie hatte gesehen, dass es bei uns viele Frauen gibt und dass ich Partnerin bin. Daneben hatte sie herausgefunden, dass ich Kinder habe. Das schien ihr ein vielversprechendes Umfeld für eine Karriere mit Kindern zu sein. Und sie hat Recht. Ich versuche auch jüngeren Kolleginnen immer wieder zu vermitteln, dass man sich nicht für Kinder oder eine Karriere entscheiden muss. Man kann beides haben, es erfordert nur eine gute Organisation. Aber natürlich muss das jeder für sich selbst entscheiden und auch wollen.

Welchen Rat würden Sie jungen Juristinnen und Juristen mitgeben, die sich für eine Karriere im Baurecht interessieren?

Ich würde unbedingt dazu raten, im Referendariat schon eine Station in der Kanzlei mit Tätigkeiten im Baurecht zu machen, um zu schauen, ob das für einen das Richtige ist. Dafür würde ich mir eine Kanzlei suchen, die mich wirklich zu Terminen mitnimmt und Referendare gut einbindet. Wenn das nicht klappt, würde ich einfach passende Juristinnen oder Juristen ansprechen und – ggf. telefonisch – darum bitten, ob man mal zusammen Mittagessen gehen kann, um Erfahrungen aus erster Hand zu bekommen. Ansonsten kann es sich anbieten Baurechtstagungen zu besuchen, die von der Universität Marburg angebotene Zusatzqualifikation mit Schwerpunkt Baurecht anzuschauen, etc. Ich glaube aber, dass das für jeden, der technikaffin ist, Baustellen mag und gerne mit Lego gespielt hat, etwas sein könnte.

Trauen Sie sich, mit solchen Anfragen an erfahrenere Kolleginnen oder Kollegen heranzutreten! Solche Fragen beantworte ich sehr gerne.

Gibt es einen Rat, den Sie zu Anfang Ihrer Karriere gut gebrauchen hätten können?

Gerne gebe ich an dieser Stelle einen Rat weiter, den ich selbst bekommen und umgesetzt habe: Wenn man irgendwo anfängt, sollte man sich am Anfang die Zeit nehmen, um sich damit auseinanderzusetzen, wo die eigenen Ziele in drei, fünf und zehn Jahren liegen. Dazu gehört sich zu fragen, was man für sich selbst erreichen will und was man will, dass andere (z.B. Kollegen) über einen einmal sagen sollen. Mir persönlich hat das, glaube ich, sehr geholfen. Dazu bin ich für ein Wochenende alleine in ein Hotel gefahren und habe mich nur damit beschäftigt. Das habe ich aufgeschrieben und dann Stück für Stück umgesetzt.

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Elisabeth Selbert. Sie war als Politikerin in der Nachkriegszeit eine der maßgeblichen Frauen, die die Gleichberechtigung von Mann und Frau in Artikel 3 des Grundgesetzes durchgesetzt hat. Wenn man sich die Widerstände hiergegen 1949 ansieht ist das eine bewundernswerte Leistung.

Vielen Dank für das Interview und die Zeit, die Sie sich dafür genommen haben!

Frankfurt, 13. August 2018. Das Interview führte Nadja Harraschain.

Kontakthinweis:

Prof. Dr. Boldt hat freundlicherweise angeboten, sich nach Möglichkeit Zeit für individuelle Fragen zu einer Karriere im Vergaberecht, Bau- und Architektenrecht zu nehmen. Sie ist erreichbar unter a.boldt@asd-law.com.

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