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Bettina Kramer-Braun im Porträt

„Abwechslungsreich, hektisch – und großartig.”

Bettina Kramer-Braun, General Counsel bei der Deutschen Börse AG, über ihre vielfältige Karriere, die Rolle als Unternehmensjuristin und Frauen in Führungspositionen.

Frau Kramer-Braun, Sie können auf eine vielfältige Karriere zurückblicken. Von Linklaters-Counsel – über einen Abstecher in die Justiz – zu dem Konzern BP-Castrol, wo Sie zunächst die Leitung der europäischen Rechtsabteilung und im Laufe der Jahre verschiedene Management-Rollen übernommen haben. Mittlerweile sind Sie General Counsel bei der Deutschen Börse AG. Was gefällt Ihnen an der Tätigkeit im Unternehmen am besten?

Die Deutsche Börse ist ein überraschend vielfältiges Unternehmen mit einer internationalen Belegschaft und vielen interessanten Themen. Das ist ein guter Mix, der mich überhaupt erst angezogen hat. Sehr spannend ist auch die Rolle, die die Deutsche Börse als Marktinfrastrukturanbieter in diesen bewegten Zeiten spielt, vor allem bei den Zukunftsthemen Digitalisierung und ESG. Das macht meinen Job abwechslungsreich, hektisch – und großartig.

 

Was hat Sie dazu bewogen, nicht den Equity-Partnertrack bei einer Großkanzlei weiterzuverfolgen, sondern in ein Unternehmen zu wechseln?

Ich habe meine beruflichen Entscheidungen immer danach getroffen, ob ich dabei für mich persönlich etwas lerne oder nicht. Dazu gehört auch, sich immer neuen Herausforderungen zu stellen und auszuprobieren, was einem liegt und worin man aufgehen kann. Eine meiner Stationen führte mich beispielsweise im Jahr 2007 als Richterin ans Landgericht Wiesbaden. Nach einem halben Jahr wusste ich: Das ist nichts für mich. Da muss man ehrlich zu sich selbst sein. Für mich fühlte sich der Weg ins Unternehmen richtig an.

Ist es für eine Karriere im Unternehmen vorteilhaft, bereits Erfahrung in einer Großkanzlei gesammelt zu haben?

Auf jeden Fall – die Intensität der ersten Jahre in einer Großkanzlei ist unglaublich herausfordernd, aber auch sehr lehrreich. Und ich habe viele Freundschaften geknüpft, die bis heute andauern. Großkanzleien sind darauf ausgelegt Berufseinsteiger*innen umfassend auszubilden. Das fängt mit der richtigen Länge und dem Ton einer E-Mail an und endet bei Weitem nicht mit dem perfekten Stil eines Rechtsgutachtens. Ich wollte diese Jahre auf keinen Fall in meinem Lebenslauf missen.

Würden Sie dem Klischee zustimmen, dass Jurist*innen im Unternehmen häufig eher ein hemmender Faktor sind oder zumindest so wahrgenommen werden?

Uns fliegen die Herzen sicherlich erst einmal nicht zu – das ist oft den Umständen geschuldet, unter denen die Rechtsabteilung konsultiert oder zu Projekten hinzugezogen wird. Aber schlussendlich liegt es an uns, ob wir dieses Klischee bedienen wollen. Mein Team und ich kämpfen sehr dafür, dass wir früh in Projekte eingebunden werden und Teil der Lösung sind. Wir verstehen uns nicht nur als reine Rechtsexpert*innen, sondern auch als Berater*innen, die mit wirtschaftlichem Sachverstand und kommerziellem Verständnis einen Beitrag leisten, einen rechtlich gangbaren Weg aufzuzeigen.

Als Vice President bei dem Mineralölkonzern BP-Castrol haben Sie auf operativer Ebene strategische Kooperationen mit der Automobilbranche vorangebracht, insbesondere in Bezug auf Nachhaltigkeit und die Energiewende. Inwiefern können Jurist*innen im Unternehmen selbst Themen voranbringen und mitgestalten?

In den letzten Jahren hat sich in vielen Konzernen das Bild der Rechtsabteilung angefangen zu wandeln. Jurist*innen werden – anders als noch vor zehn Jahren – nicht mehr als „Verhinderer“ oder „cost centre“ angesehen. Vielmehr wird unsere Fähigkeit, Fragestellungen aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, geschätzt. Ich habe die Erfahrung gemacht – und erlebe es gerade wieder bei der Deutschen Börse – dass konstruktive Zusammenarbeit ganz wunderbare Möglichkeiten schafft, sich Gehör und Visibilität zu verschaffen und gemeinsam etwas zu bewegen.

Bei Ihren Positionen im Unternehmen konnten Sie schnell Verantwortung übernehmen. Welche Art von Führungsstilen haben Sie im Laufe Ihrer Karriere selbst erlebt und worauf legen Sie bei Ihrem eigenen Führungsstil wert?

Ein Gutes hat eine Karriere mit unterschiedlichen Stationen: Man erlebt viele Führungsstile, die man definitiv selbst nicht anwenden möchte. Gleichzeitig habe ich auch großartige Manager*innen kennen gelernt. Sie alle haben sich durch einen Führungsstil ausgezeichnet, der auf gegenseitigem Respekt und Vertrauen basiert. Das bedeutet Meinungen austauschen zu können und voneinander zu lernen, ohne auf der einen Seite Angst vor Machtverlust und auf der anderen Seite falsche Scheu vor Autorität zu haben. In meinem Team ist mir genau das wichtig: Respekt, Mut, Teamgefühl und eine echte Zusammenarbeit. Mit Jasagern ist noch niemand weitergekommen.

Worauf lässt sich die geringere Anzahl von Frauen in Führungspositionen aus Ihrer Perspektive zurückführen? Wo und auf welcher Seite sehen Sie in diesem Zusammenhang noch Handlungsbedarf?

Aus meiner Sicht gibt es viele Faktoren. Ein Faktor ist sicherlich, dass Frauen und Männer im Businessumfeld unterschiedlich agieren, insbesondere in der Art und Weise wie sie führen und Entscheidungen treffen – übrigens grundsätzlich gleichermaßen erfolgreich. Bewusst oder unbewusst neigen wir gleichzeitig dazu, uns mit Leuten zu umgeben, die uns ähnlich sind. Daher wird es in einem Unternehmen mit überwiegend Männern in den Senior Management-Positionen länger brauchen die Frauenquote nach oben zu bringen. Es gibt aber auch andere Faktoren: Was zum Beispiel ist mit Kindern? Ich selbst habe zwei Kinder und nach jedem Kind habe ich mich wieder gefragt, ob ich mir den Stress im Büro noch antun soll. Wie man aus meiner Karriere sieht, habe ich diese Frage jedes Mal bejaht, aber das kommt mit einem Preis. Und natürlich musste ich zusätzlich gegen das Stigma kämpfen „Sie hat Kinder und will daher nicht mehr so viel arbeiten“ – eigentlich ist es doch immer noch meine Entscheidung, was ich will, oder? Wenn man sich als Unternehmen Vielfalt und Inklusion berechtigterweise als Erfolgsfaktoren auf die Flagge schreibt, ist es wichtig, sich über die bewussten oder unbewussten Vorurteile klar zu sein und diese aktiv zu durchbrechen.

Seit 2019 waren Sie Teil des Executive Teams bei BP und saßen im Aufsichtsrat der BP Europe SE. Gab es auf Ihrem Weg dorthin auch Stolpersteine und wie sind Sie damit umgegangen?

 

Rückschläge gibt es immer. Und das können gute Situationen sein, um über den eigenen Karriereweg nachzudenken, an sich zu arbeiten, oder Neues auszuprobieren. Ich habe mich immer wieder darauf besonnen, was ich kann und wo meine Stärken liegen. Außerdem arbeiten wir viel zu lang, um nicht auch Spaß an dem zu haben, was wir machen. Wenn ich mich dennoch mal ärgere, gehe ich joggen und danach geht es weiter. Wichtig ist doch, dass man aus Rückschlägen lernt und sich nicht unterkriegen lässt.

Wie stehen Sie zu der Debatte rund um (Frauen-) Quoten in Aufsichtsräten?

Das Gute an dieser Debatte ist, dass das Thema öffentlich diskutiert wird. Ich war lange Zeit gegen die Quote, da ich das Argument „Quotenfrau“ nicht mehr hören konnte. Fakt ist: Es gibt sehr viele gut ausgebildete und hochqualifizierte Frauen, die völlig zu Recht ihre Positionen erhalten und besser geeignet sind als die männliche Konkurrenz. Allerdings gibt es noch viel zu viele bewusste oder unbewusste Vorurteile im Hinblick auf Karrierefrauen, so dass ich die Quote mittlerweile – zumindest vorübergehend – für sinnvoll halte. Wo wir doch eigentlich hinkommen müssen, ist, dass der Gender-Faktor bei der beruflichen Qualifikation irgendwann einfach gar keine Rolle mehr spielt – Justitia ist auch blind.

Sie haben im Laufe Ihrer Karriere zwei Kinder bekommen und weiter in Vollzeit gearbeitet. Was war Ihr Weg, um Familie und Beruf zu vereinen? 

Zunächst einmal sind die Rahmenbedingungen im Vereinigten Königreich, wo meine Kinder geboren und zunächst aufgewachsen sind, besser. Die Kinderbetreuung ist dort im Vergleich zu Deutschland sehr einfach und dadurch wurden mir berufliche Möglichkeiten eröffnet, die ich sonst nicht gehabt hätte. Ich konnte Jobs annehmen, die viele Auslandsreisen oder hohe Flexibilität an den Rändern des Tages erforderten. Ich habe aber auch immer gesagt, dass ich meine Kinder nicht nur bekommen habe, weil „das eben dazu gehört“. Für mich ist das Zeitfenster am Tag mit ihnen unglaublich wichtig. Dass ich in der Stunde, in der ich die Kinder ins Bett bringe, nicht erreichbar bin, habe ich immer klar kommuniziert – und das wurde respektiert.

Warum müssen sich noch heute mehr Frauen als Männer die Frage stellen lassen, wie sie ihre Karriere mit oder sogar trotz Kindern geschafft haben? Was kann man dagegen tun?  

Man sollte seine Kinder einfach nie als Rechtfertigungsgrund oder gar Makel vor sich hertragen – und doch erlebe auch ich Frauen in Bewerbungsgesprächen, die fast entschuldigend von ihren Kindern sprechen. Frauen müssen da viel konsequenter sein und den Mut haben zu sagen, wenn es gerade mal nicht geht. Kein Mann rechtfertigt sich dafür, zwischen 19 und 20 Uhr nicht erreichbar zu sein. Das ist ein Selbstverständnis der eigenen Rolle, das uns bisweilen noch fehlt.

Was würden Sie jungen Juristinnen aus Ihrer heutigen Sicht für einen Rat geben, wenn es um die Karriereplanung geht

Unser Beruf nimmt schnell sehr viel Platz in unserem Leben ein. Umso wichtiger ist es, sich deshalb für einen Job zu entscheiden, der einem Spaß macht. Dazu gehört Neues auszuprobieren und weiterzuziehen, wenn es einem nicht gefällt. Hierbei helfen Netzwerke innerhalb oder außerhalb eines Unternehmens – da können wir Frauen oft noch besser werden. Insgesamt zeigt meine Erfahrung, eine Karriere ist nicht zu 100% planbar. Neben einer soliden Ausbildung und Leistungsbereitschaft gehört vor allem etwas Glück, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein, dazu.

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Meine langjährige ehemalige Kollegin Frau Dr. Susanne Grohé, Partnerin und Gründerin der Kanzlei Annerton. Sie hat ihre Karriere mit viel Mut und ohne Angst vor Neuem immer wieder vorangetrieben.

Vielen Dank für das spannende Interview!

Frankfurt am Main, Dezember 2022. Frau Kramer-Braun hat die Fragen schriftlich beantwortet. Die Fragen stellte Elisabeth Schemmer.

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