Birgit Gantz-Rathmann im Porträt
"Ich bin kein Anhänger der Bezeichnung Frauenquote."
Birgit Gantz-Rathmann, ehedem Vorstandsmitglied der DB Cargo, Ombudsfrau der Deutschen Bahn, Staatssekretärin im Sozialministerium Niedersachsen und Richterin am Arbeitsgericht, über ihre Tätigkeit als Ombudsfrau, Herausforderungen und die Fähigkeit auch aus Benachteiligungen etwas Gutes herauszuholen.
Frau Gantz-Rathmann, Sie waren unter anderem Richterin am Arbeitsgericht, Staatssekretärin im Sozialministerium Niedersachsen und Vorstandsmitglied der DB Cargo als Vorstand für Personal und Recht. War für Sie schon immer klar, dass Sie nicht den klassischen Anwaltsberuf ergreifen wollen?
Nein, überhaupt nicht. Allerdings bin ich schon auf Umwegen zum Jurastudium gekommen. Eigentlich wollte ich Journalistin werden. Da meine Eltern dagegen waren, dass ich eine rein journalistische Ausbildung ablege, einigten wir uns darauf, dass ich erst mal Jura studiere und dann Journalistin werde. Nach dem Studium wollte ich jedoch keine zweite Ausbildung mehr absolvieren und entschied mich daher doch dazu als Juristin zu arbeiten. Zu diesem Zeitpunkt wollte ich Anwältin werden. Um aber erst mal mehr Erfahrung im Arbeitsrecht zu sammeln, entschied ich mich zunächst Richterin am Arbeitsgericht zu werden, um mich hinterher als Anwältin zulassen zu lassen. Letztlich kam dann doch alles ganz anders. Obwohl ich nie hatte Richterin werden wollen, hat mir die Arbeit am Arbeitsgericht doch längere Zeit Spaß gemacht. Vor allem aber wechselte ich nach Hamburg, als meine damalige Ehe in die Brüche ging. Mich gleichzeitig selbstständig machen wollte ich aber nicht. Deswegen blieb ich erst mal am Gericht.
Laut einer Interviewaussage entschieden Sie sich von der Richterbank in die Politik zu wechseln, da Sie damit unzufrieden waren, dass die Parteien im Gericht das verkündete Urteil für ungerecht hielten. Ihr Ziel sei es daher gewesen, Gesetze zu machen, die von den Leuten verstanden werden. Konnten Sie dieses Ziel erreichen?
Leider nein. Als ich in die Politik gewechselt bin, war ich wohl ein bisschen naiv. Ich hatte mir die Arbeit sachorientiert vorgestellt und erwartet, man habe Zeit für eine intensive Recherche und für eine durchdachte Entwicklung von Positionen. Stattdessen musste ich verblüfft feststellen, wie sehr man schon damals – noch in den 80ern – auf das Tagesgeschehen reagieren musste.
Sie haben 2008 den Master der Mediation und Konfliktmanagement an der Universität Viadrina (Frankfurt, Oder) absolviert. Wie war es für Sie, mitten im beruflichen Leben nochmal als Studentin an die Universität zurückzukehren?
Das war zunächst ein merkwürdiges Gefühl. Ein Mediationsstudium ist auch nicht wie ein normales Studium. Man sitzt im Kreis und dutzt sich von Anfang an. Das war für mich damals sehr irritierend. Zudem erschien mir das Tempo am Anfang sehr langsam, alles wurde noch einmal hinterfragt, auch wenn für mich die Sache klar war. Nachdem ich mich aber darauf eingelassen habe, habe ich das Studium als eine große Bereicherung empfunden. Das lag nicht zuletzt daran, dass in dem Studiengang nicht nur Juristen, sonder auch viele andere Berufe vertreten waren, z. B. ein Theaterintendant , Pfarrer, Architektin. Diesen Austausch habe ich sehr genossen. Daneben habe ich es als sehr befreiend empfunden, Prüfungssituationen ohne Konkurrenzdruck wahrnehmen zu können. In Führungspositionen konkurriert man ebendoch. Deshalb war das dreisemestrige berufsbegleitende Studium ein Ausgleich zum Beruf.
Allerdings muss ich kritisch anmerken, dass ich damals unterschätzt habe, wie viel Arbeit mit dem Studium verbunden war. Ich war gewohnt, schnell und effizient zu arbeiten und, wenn es darauf ankommt, keinen unnötigen Perfektionismus an den Tag zu legen. Aber das Studium erforderte dennoch einen hohen Zeiteinsatz von mir.
Hat Ihnen der Studiengang bei Ihrer früheren Tätigkeit als Ombudsfrau bei der DB AG weitergeholfen?
Sehr. Davor war ich es zu sehr gewöhnt, lösungsorientiert zu arbeiten. Zu oft dachte ich sehr schnell, die passende Lösung für eine bestimmte Situation zu erkennen. Dabei dachte ich häufig in bereits vorbestimmten Kanälen. Das Studium hat mir beigebracht, noch mehr zuzuhören und noch stärker auf die Bedürfnisse und Wünsche der Beteiligten einzugehen. Das kann man als Mediatorin auch deutlich besser als als Richterin, da einem als Richterin immer ein gewisser rechtlicher Rahmen gesetzt ist, man immer schnell fragt, ist das jetzt erheblich. Erheblich aber nicht für die Parteien, sondern für die in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen. Das kann ein großer Unterschied sein.
Wie darf man sich einen typischen Arbeitstag einer Ombudsfrau oder eines Ombudsmanns bei der Deutschen Bahn vorstellen?
In vieler Hinsicht sehr ähnlich wie den eines Anwalts oder einer Anwältin. Man führt sehr viele Telefonate und andere Gespräche, man reist viel vor Ort, organisiert Mediationen und nimmt an Konferenzen und anderem teil. Ich persönlich habe zudem sehr darauf geachtet, dass ich auch weiterhin Teil des normalen Dienstbetriebs der Deutschen Bahn war. Dadurch hatte ich noch Kontakte zu meinen früheren Kollegen im Personalbereich und konnte auch an Treffen für Führungskräfte teilnehmen.
Auch wenn es bei der beeindruckenden Liste Ihrer Tätigkeiten nicht so aussieht: Gab es jemals einen Moment, bei dem Sie sich überfordert gefühlt haben?
Gefordert schon, überfordert nie. Ich habe aber auch schon als Richterin schnell gelernt, mir Rollenklarheit zu verschaffen. Das war sehr wichtig. Die richterliche Tätigkeit bringt viel Freiheit mit Blick auf die Arbeitszeit und den Arbeitsort mit sich. Das kann auch überfordern. Als junge Richterin hat mir meine Arbeit so viel Spaß gemacht, dass ich bisweilen vergessen habe, dass man nicht nur arbeiten sollte. Insofern musste ich erst lernen, dass es einen vernünftigen Ausgleich zwischen den Ansprüchen des Arbeitgebers und meinen eigenen Ansprüchen braucht. Also habe ich gelernt, abzuschalten ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Diese Fähigkeit hat mir auch bei meinen späteren Tätigkeiten sehr geholfen.
Hatten Sie während Ihrer beruflichen Stationen jemals das Gefühl anders behandelt zu werden als die männlichen Kollegen, eventuell sogar benachteiligt zu werden?
Meistens wurde ich das und davon manchmal, so war mein Eindruck, auch mit dem Ziel mich zu benachteiligen. Es ist aber immer auch die Frage, wie sehr man sich diesen Schuh anziehen lässt. Wenn so etwas vorkam, habe ich versucht etwas Positives daraus zu machen, indem ich die Sichtbarkeit für mich genutzt habe.
Können Sie ein konkretes Beispiel dafür nennen?
Während meines Studiums bot mit der Professor, immerhin ein früherer Landesminister, ein Referatsthema mit den Worten an: “Das ist ein leichteres Literaturthema, vielleicht etwas für die Dame?“ Auch in den mündlichen Prüfungen wurden wir Frauen anders behandelt, manchmal schlechter als die männlichen Kollegen, manchmal besser. Mein Glück in dieser Situation war, dass mir die Note nicht so wichtig war da ich zu diesem Zeitpunkt ja noch Anwältin werden wollte. Daneben habe ich aber auch sehr davon profitiert, gute Gene von meiner Mutter mitbekommen zu haben. Wie sie bin ich sehr schlagfertig und lasse mich nicht gerne unterkriegen. Das habe ich schamlos ausgenutzt und das beste Ergebnis in meiner Prüfgruppe bekommen, obwohl einer der Mitprüflinge objektiv mehr wußte.
Glauben Sie, es braucht eine Frauenquote, damit mehr Frauen in Führungspositionen gelangen?
Ich bin kein Anhänger der Bezeichnung Frauenquote, da mit dem Begriff gerne assoziiert wird, dass unqualifizierte Frauen in Führungspositionen gebracht werden sollen. Tatsächlich ist es doch eher so, dass bisher regelmäßig schlechter qualifizierte Männer in Führungspositionen gelangen und eine Quote daran etwas ändern sollte. Nachdem ich lange Zeit entschieden gegen die Quote war, habe ich meine Meinung inzwischen geändert. Es ändert sich sonst zu langsam.
Wie bewerten Sie die Situation in Deutschland allgemein, wenn es um die Gleichberechtigung von Mann und Frau geht?
Eigentlich stehen wir in Deutschland unterm Schnitt nicht schlecht da. Ich finde zwar, es geht zu langsam und vieles könnte schneller gehen, aber wenn ich bedenke wie wenige Frauen Jura studierten als ich mein Studium 1968 begann – ich wurde noch namentlich in der Vorlesung begrüßt, weil wir so wenige Frauen waren – und das mit den heutigen Zahlen vergleiche, oder wenn ich mir anschaue wie viele Frauen inzwischen in der Politik sind, muss ich sagen, dass wir auf einem ganz guten Weg sind.
Wie haben Sie bei der Deutschen Bahn die Förderung von Eltern mit Kindern erlebt?
Die Deutsche Bahn tut wirklich sehr viel. In vieler Hinsicht lassen sich Familie und Beruf bei der Deutschen Bahn ganz gut vereinbaren. Aber es ist nicht unbedingt einfach. Egal ob es um Karriere geht oder um jemanden, der Schichtarbeit im Zug macht und daher um 4 Uhr das Hause verlassen muss, wenn noch kein Kindergarten geöffnet hat – man braucht Unterstützung. Für eine richtige ‚Topkarriere‘ braucht es dabei auch mehr als den eigenen Partner. Aber das ist überall so. Ich finde, das was man machen kann, macht die Deutsche Bahn schon sehr gut.
Was würden Sie jungen Juristinnen raten, die gerade nicht die klassische Anwaltskarriere verfolgen wollen?
Neugierig zu sein, sich umzuschauen, zu fragen ob man mal ein Praktikum machen oder vorbeizuschauen kann und deutlich zu sagen, wenn man Interesse hat, etwas anderes zu machen. Viele interessante Positionen haben sich bei mir dadurch ergeben, dass ich anderen gegenüber kommuniziert habe, dass ich noch Arbeitskapazitäten habe (etwa um Vorträge zu halten) bzw. auf der Suche nach etwas Neuem war. Nie darf man einfach erwarten, dass schon jemand vorbeikommen wird um einem das perfekte Angebot zu machen. Und wenn dann ein reizvolles Angebot kommt, sollte man sich auch trauen!
Sehen Sie sich selbst dadurch, dass Sie viel in Führungspositionen gearbeitet haben und damit viel Erfahrung sammeln konnten, als eine Mentorin für andere?
Ich habe als Mentorin an vielen bahninternen und externen Mentoringprogrammen teilgenommen. Derzeit bin ich in keinem mehr aktiv, was auch daran liegt, dass die meisten Programme, die ich kenne, so aufgebaut sind, dass Teil des Programms ist, dass man seiner oder seinem Mentee den Arbeitsalltag zeigt. Als Rentnerin passt das natürlich gerade nicht ganz. Aber ich möchte mich gerne wieder an solchen Programmen beteiligen. Die Rat-Vermittlung von breaking.through halte ich etwa für eine unterstützenswerte Idee.
Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte und wieso?
Das sind gleich einige, etwa meine Nachfolgerin in Hannover, Brigitte Zypries, die danach noch richtig durchgestartet ist.
Dann Elke Büdenbender. Sie hat keine klassische ‚Karriere‘ gemacht, aber sie hat konsequent ihren Beruf als Verwaltungsrichterin ausgeübt, obwohl das nicht immer gern gesehen wurde. Deswegen ist sie auch jetzt, in der Zeit ihrer Beurlaubung, weil sie mit ihrem Mann, dem Bundespräsidenten viele Termine wahrnimmt, ein selbstbewusstes Vorbild, wirkt keineswegs als Anhängsel ihre Mannes.
Auch eine meiner Ausbilderinnen an der Viadrina Universität, Prof. Dr. Ulla Gläßer, hat mich sehr beeindruckt. Sie ist menschlich und juristisch ganz wunderbar und kann, ganz anders als viele Juristen gut zuhören. Auch hat sie ein enormes Wissen, das sie außergewöhnlich gut weiterzugeben vermag. Ihre Seminare, die ich für die Deutsche Bahn organisiert habe, sind exorbitant gut bewertet worden.
Daneben möchte ich noch gerne Jutta Köhn, die Vorstandsvorsitzende des Hamburger Wirtschaftsforums, nennen, die sehr erfolgreich ihren eigenen Weg gegangen ist. Sie war früher für das Bundesministerium für Forschung und Technologie tätig, studierte dann in Harvard und hat sich schlussendlich nach einigen Zwischenstationen als Interessensvertreterin für Energieunternehmen selbstständig gemacht.
Vielen Dank für das spannende Interview und die persönlichen Einblicke!
Berlin / Frankfurt am Main, 4. September 2018. Das Interview führte Nadja Harraschain.
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