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Carmen Wegge im Porträt

Gegen Ungerechtigkeiten kann man auf vielfältige Weise kämpfen – man muss nicht unbedingt Parteimitglied werden.

Carmen Wegge, Mitglied des Deutschen Bundestages, über ihre Erfahrungen als Abgeordnete im Deutschen Bundestag, die Aufteilung der Arbeit zwischen Berlin und dem Heimatwahlkreis und die Vereinbarkeit von Mandat und der Familie.

Carmen, Du hast Jura in München studiert und dort auch Dein Referendariat gemacht. Wie bist Du zum Jurastudium gekommen?

Das war das Ausschlussprinzip. Ursprünglich hatte ich den Traum, Journalistin zu werden. Bei der SZ Jugendseite, für die ich schrieb, riet man mir, etwas zu studieren, was mir inhaltlich zusagte und dann ins Volontariat zu gehen. Also fragte ich mich: „Was interessiert mich?“ Das war ganz schnell beantwortet: „Politik!“ Allerdings wollte ich nicht Politikwissenschaften studieren, sondern das, was die Grundlage von Politik ist – das Recht. Also fing ich an, Jura zu studieren.

Du wolltest ursprünglich Journalistin werden und hast Dich bei der SZ Jugendseite engagiert und Dich als Chefredakteurin beim Projekt „Nie Wieder-Magazin“ des Fördervereins für internationale Jugendbegegnung und Gedenkstättenarbeit in Dachau e.V. beteiligt. Wieso hast Du diesen Weg nicht beruflich eingeschlagen?

Schreiben hat mir immer Spaß gemacht. Auch während meines Studiums habe ich geschrieben. Da aber schon nicht mehr für die SZ. Stattdessen bin ich als Poetry Slammerin über die deutschsprachigen Bühnen getourt. Die Affinität zur vierten Gewalt ging daher ein wenig verloren und war nach dem 1. Examen eigentlich keine echte Option mehr.

Nach dem Referendariat hast Du im Bayerischen Sozialministerium angefangen. Was hat Dich an dieser Tätigkeit begeistert?

Ich habe im Bayerischen Sozialministerium bzw. Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) angefangen, weil ich Arbeitsrichterin werden wollte. Ich muss zugeben, dass ich am Anfang genervt war, weil ich lieber direkt zum Gericht wollte. Die Arbeit mit tollen Kolleg*innen im Bereich des Sonderkündigungsschutzes und der Teilhabegerechtigkeit kam mir aber immer sinnvoll vor und ich hatte viel Gestaltungsspielraum. Deshalb möchte ich die Zeit auf keinen Fall missen.

Während des Studiums hast Du sehr viel Poetry Slam gemacht und Deine Poesie in Sprache umgewandelt. Kannst Du die Erfahrungen aus dieser Zeit heute noch nutzen?

Die Erfahrungen von damals helfen mir heute im Deutschen Bundestag definitiv. Ich habe großen Spaß daran, im Plenum zu reden. Ich weiß, wie man Sprache nutzen kann, um Inhalte zu transportieren. Und das im besten Fall sogar so, dass einem die Menschen bis zum Schluss einer Rede auch zuhören. Ich habe kein Problem damit, wenn mal jemand dazwischen ruft und darauf auch spontan zu reagieren. Natürlich ist das Plenum im Bundestag nicht mit einer Bühne zu vergleichen. Aber manche Regeln sind die gleichen.

Seit der Bundestagswahl 2021 sitzt Du als Abgeordnete im Deutschen Bundestag, kannst Du uns erzählen, wie es dazu gekommen ist, Dich in der Politik zu engagieren?

Ich hatte immer schon den Drang, gegen Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft zu kämpfen. Das kann man auf vielfältige Weise tun – dafür muss man nicht unbedingt Mitglied einer Partei werden. Einer meiner früheren Wege war es zum Beispiel, politische Texte zu schreiben. Ich hatte immer die Hoffnung, dass Texte auch etwas in den Menschen verändern können. Irgendwann hat mir das aber nicht mehr gereicht. Daher bin ich dann 2013 in die SPD eingetreten.

Du vertrittst den Wahlkreis Starnberg - Landsberg - Germering in Berlin – wie teilt sich Deine Arbeit zwischen Berlin und dem Heimatwahlkreis auf und wie unterscheidet sich Deine Tätigkeit an beiden Orten?

Wir haben 22 Sitzungswochen im Jahr. In diesen Wochen bin ich in der Regel von Montag bis Freitag in Berlin. Im Bundestag bin ich im Rechts- und im Innenausschuss, im Richter*innenwahlausschuss und im Art. 13 Abs. 6 Grundgesetz Gremium (Anmerkung der Redaktion: Dieses dreizehnköpfige Gremium des Deutschen Bundestags dient der parlamentarischen Kontrolle der Eingriffe in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach Artikel 13 des Grundgesetzes (GG)). Meine Tage in Berlin gehen von acht Uhr bis weit nach Mitternacht und sind geprägt von Anhörungen, Ausschusssitzungen, internen Sitzungen, Gesetzesverhandlungen und Fachgesprächen.

 

Im Wahlkreis trete ich zwar nicht kürzer, aber ich nehme mir bewusst Zeit für meine Tochter und meine Familie. Daher gibt es im Wahlkreis mit mir nur Termine während der Kita-Zeiten und dann erst wieder ab 20 Uhr. Ich bin Ansprechperson für Bürgermeister*innen, Bürger*innen und Organisationen bei mir im Wahlkreis. Die Arbeit ist anders, aber macht ebenfalls sehr viel Spaß.

Du bist Mitglied im Rechtsausschuss und Innenausschuss des Deutschen Bundestags. Wie gestaltet sich die Arbeit in den Ausschüssen? Was begeistert Dich an den Inhalten in diesen Ausschüssen?

Die beiden Ausschüsse könnten unterschiedlicher nicht sein. Im Rechtsausschuss diskutieren wir meist sachlich und fachlich fundiert. Im Innenausschuss geht es hingegen meistens hoch her. Manchmal frage ich mich da schon warum – die Öffentlichkeit ist ja ausgeschlossen. Inhaltlich sage ich immer: „Ich bin für die Gerechtigkeit und die Innere Sicherheit in diesem Land zuständig.“ Im Rechtsausschuss hat man die Möglichkeit, die Gesellschaft zu gestalten und zum Beispiel für mehr Gleichstellung in der Gesellschaft zu kämpfen. Im Innenausschuss begeistert mich vor allem der Kampf gegen Rechts und für digitale Bürger*innenrechte. Eins ist klar: Mir wird es nie langweilig.

Insbesondere junge Menschen nehmen Politiker*innen oft als wenig nahbar wahr – Du hast Dich dazu entschieden, Wähler*innen über Instagram über Deine Arbeit als Bundestagsabgeordnete zu informieren und mitzunehmen. Kannst Du erzählen, wie es dazu gekommen ist?

Ich habe eine hohe Affinität zu Sprache. Mich hat immer gestört, dass das Unverständnis mancher Menschen für Politiker*innen auch daher rührt, dass wir zu wenig erklären, was wir eigentlich machen. Daher versuche ich auf jede Art und Weise, die Menschen mitzunehmen. Sei es durch einen Podcast mit der SZ Starnberg, in dem ich kleine Anekdoten aus dem Bundestag erzähle oder eben über Instagram. Wenn man den Alltag einer Bundestagsabgeordneten so besser versteht, dann habe ich schon viel gewonnen. So denke ich zumindest.

Du bist kurz nach Deiner Entscheidung, für den Deutschen Bundestag zu kandidieren, schwanger geworden. Hatten Du und Dein Mann einen klaren Plan, wie Ihr als Familie mit dem damals möglichen Mandat umgehen wolltet?

Als ich aufgestellt wurde, hatte die SPD noch 14 % in den Umfragen. Zu dem Zeitpunkt schien es nicht allzu wahrscheinlich, dass ich in den Bundestag komme. Erst über den Sommer hinweg zeichnete es sich dann langsam ab, dass ich eine reelle Chance hatte in den Bundestag einzuziehen. Da war meine Tochter dann aber auch schon ungefähr ein halbes Jahr alt. Einen klaren Plan hatten wir eigentlich nicht, wir wussten nur, dass ich meine Tochter nicht mit nach Berlin nehmen werde und mein Mann in den Sitzungswochen die Hauptverantwortung tragen muss.

Dein Mann ist ebenfalls voll berufstätig. Kannst Du uns einen Einblick geben, wie Ihr euren Familienalltag gestaltet – insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass Du regelmäßig in Berlin bist?

 

Wir gestalten unser Leben wahrscheinlich wie viele berufstätigte Eltern. Unsere Tochter ist in der Kita und wir arbeiten. Bei uns gibt es lediglich die Besonderheit, dass wir uns wochenweise abwechseln. Eine Woche bringt und holt er unsere Tochter komplett ab, die andere übernehme ich. Bei einem Bundestagsmandat hat man natürlich auch immer am Wochenende Termine. Hier achten wir aber darauf, dass wir mindestens einen Tag als Familie haben.

Der Deutsche Bundestag ist ein Präsenzparlament. Hast Du Ideen und Vorstellungen, wie man das Mandat mit der Familie noch besser verbinden könnte?

Familie und Mandat sind wirklich nur sehr schwer zu vereinbaren. Man könnte damit anfangen, dass es auf allen Toiletten im Bundestag eine Wickelmöglichkeit gibt. Gut wäre es auch, wenn namentliche Abstimmungen nicht spät in der Nacht stattfinden dürften, man eine Nanny auch aus seinem Personalbudget finanzieren könnte und es vielleicht auch ein Recht auf Elternzeit geben würde. Die Liste und der Weg sind also ziemlich lang.

Im aktuellen Bundestag sind ca. 30 % der Abgeordneten unter 40 Jahre alt – hast Du Tipps und Anregungen für Personen, die sich politisch engagieren wollen bzw. wie man richtig loslegt?

Wenn man die Welt verändern will, dann sollte man in eine Partei eintreten. Grundsätzlich braucht man für dieses Ziel auch kein Mandat. Eine Partei bietet sehr viele Möglichkeiten, sich einzubringen. Das Wichtigste ist wohl am Anfang die Wahl der Partei. Hier würde ich raten, nicht nach tagesaktueller Politik zu entscheiden, sondern einen Blick in die Grundsatzprogramme zu wagen. Ich habe geschaut, welche angestrebte Gesellschaft die ist, in der ich leben möchte. Ansonsten sollte man einfach mal entspannt einsteigen und sich nicht zu schnell auf zu viel einlassen. Parteiarbeit hat immer auch ein bisschen was von Selbstaufgabe.

Welches berufliche Ziel verfolgst Du, wenn Dein Mandat enden sollte und warum?

Ich hoffe doch sehr, dass ich nach dem Ende meines Mandates eine Stelle am Arbeitsgericht bekommen werde. Der Gang in die Justiz reizt mich nach wie vor. Einmal in meinem Leben richterlich unabhängig sein ist das Ziel.

Hast Du einen Tipp für junge Frauen bzgl. der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, den Du gerne bekommen hättest?

Nein. Am Ende muss man es immer mit seinem Partner oder seiner Partnerin aushandeln. Ich denke, das wissen aber alle.

Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Eine Frau und Juristin, die mir in meiner Arbeit immer wieder begegnet, ist Elisa Hoven. Ich wage zu behaupten, dass sie als juristische Aktivistin für die Gleichberechtigung von Frauen kämpft und durch ihre Arbeit immer wieder einen fundierten und wichtigen Beitrag leistet.

Vielen Dank für das spannende Interview!

Berlin, 12. März 2023. Carmen Wegge hat die Fragen schriftlich beantwortet. Die Fragen stellte Dr. Christina Albath.

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