Prof. Dr. Christina Voigt im Porträt
„Zum Umweltrecht beizutragen und etwas Gutes zu tun, motiviert mich.“
Prof. Dr. Christina Voigt, Professorin in Oslo und Leiterin der Weltkommission für Umweltrecht der IUCN, berichtet von ihrer Motivation, im Umweltrecht zu forschen und von Erfahrungen aus internationalen Klimaverhandlungen, die sie für die norwegische Regierung geführt hat.
Frau Prof. Dr. Voigt, Sie sind Professorin an der University of Oslo und forschen im Internationalen Umweltrecht. Wie sieht Ihr universitärer Alltag aus?
Das ist das Tolle an einer Professur: Ich habe viele verschiedenen Aufgaben. Einmal ist es natürlich die Lehre, ich unterrichte vier Mal pro Woche und halte viele Vorträge. Dann habe ich viel mit der Forschung zu tun. Zu Hause schreibe ich an Artikeln und Buchkapiteln. Schließlich gibt es noch die organisatorischen Aufgaben, das gehört auch zu diesem Beruf. Im Grunde muss man als Professor:in drei Wesen haben: Für die Lehre und Vermittlung muss man extrovertiert sein, aber man muss auch introvertiert forschen und für den Verwaltungsapparat sehr strukturiert und organisiert arbeiten können.
Ihr Studium und Ihr Referendariat haben Sie in Bayern absolviert und im Anschluss als Rechtsanwältin im Familienrecht gearbeitet. Wieso haben Sie sich für Norwegen als Arbeits- und Wohnort zu entscheiden?
Ich habe in Passau mein erstes und in München mein zweites Staatsexamen gemacht. Danach habe ich relativ schnell angefangen, in einer Kanzlei in Regensburg zu arbeiten, bevor mir klar wurde, was mir wirklich Spaß macht. Irgendwann habe ich mich an einen Prospekt erinnert, in dem ein LL.M. im Umweltrecht in Neuseeland beworben wurde. Das klang dann, als ich so vor dem Münchener Landgericht stand, sehr reizvoll für mich. Natürlich war das ein Sprung ins kalte Wasser. Ich wusste, dass ich wieder Studentin sein, meine Sicherheit aufgeben würde und die Zukunft dadurch unsicher wird. Im Nachhinein war das eine sehr richtige Entscheidung.
In Neuseeland habe ich viele Menschen kennengelernt, die mich motiviert haben, im Bereich Umweltrecht weiter tätig zu sein. Das Land selbst ist super grün und hat mir auch sehr gut gefallen. Allerdings ist Neuseeland natürlich sehr weit weg. Dann habe ich nach etwas anderem gesucht, das näher an Deutschland liegt und kam so auf Norwegen. Norwegen ist auch ein sehr grünes Land, aber natürlich auch ein schwarzes Land, da der Wohlstand auf Öl aufbaut. Ich bin dann zur Promotion nach Norwegen gegangen.
Was hat mir für diesen Schritt Zuversicht gegeben? Es war kein einfacher Schritt, ich habe lange überlegt, aber dann habe ich es einfach gewagt, ohne zu wissen, wo es hingeht. Ich bin mit offenen Augen in meine neue Lebenssituation gestartet und hatte die Zuversicht, dass ich schon zurechtkommen würde. Als Ausländerin ist ja alles immer noch mal schwerer. Eine gewisse Offenheit und Strategie sind bei so einem Schritt in jedem Fall hilfreich.
Ursprünglich lag Ihr fachlicher Fokus nicht auf dem Umwelt- und Klimaschutzrecht. Was hat Sie bewogen, in diese Richtung zu forschen?
Als ich in den 90er Jahren in Passau studiert habe, hat niemand von Umweltrecht gesprochen. Unsere Umwelt und die Natur haben mich aber außerhalb des Rechts schon immer interessiert. Als ich dann nach Neuseeland kam, wurde mir klar, dass das Umweltrecht zwar noch eine rechtliche Nische war, aber ein Bereich, in dem damals schon geforscht wurde und in dem es in der Zukunft mehr zu tun geben würde. Das ist jetzt gute 20 Jahre her. In diesen 20 Jahren ist unglaublich viel passiert: Nationales und internationales Recht haben sich in diesem Bereich entwickelt, Klimaklagen sind eingereicht worden. Genau diese Entwicklung hat ein Professor in Neuseeland damals schon vorhergesagt. Er sagte uns, dass das Umweltrecht immer wichtiger werden würde. Auch das hat mich damals motiviert.
Eine akademische Laufbahn ist auch von Unsicherheiten und Unwägbarkeiten geprägt. Welche persönlichen Eigenschaften oder Einstellungen können helfen, diesen Weg zu gehen?
Das ist eine sehr gute Frage. Es gab da einen Moment an der Universität, da wurde mir gesagt, dass es sehr schwierig sein wird, eine universitäre Karriere zu verfolgen. Das hat mich aber tatsächlich sehr angespornt und motiviert. Ich dachte: „Ich kann das.“.
Als ich mich entschieden habe, dass ich Professorin werden wollte, habe ich mich kundig gemacht, was ich tun kann, um die Chancen zu erhöhen. Mir wurde schnell klar, dass die Anzahl und Qualität der Veröffentlichungen eine entscheidende Rolle spielen. Darauf habe ich meine Arbeit ausgelegt. Man muss sich also mit den Erwartungen auseinandersetzen. Vor allem für Frauen ist das in diesen Jahren natürlich besonders schwierig, wenn ein Kinderwunsch besteht oder man bereits Kinder hat, schließlich hat der Tag nur 24 Stunden.
Mir war aber auch bewusst, dass man mit einer Professur nicht rechnen kann, somit habe ich mich auch nach Alternativen hier in Norwegen umgesehen. Ich habe mit dem Umwelt-, dem Außenministerium und anderen Behörden Kontakt aufgenommen und so ein Netzwerk aufgebaut. Alternativen zu haben ist auf diesem Weg sehr wichtig.
Man sollte also seine Arbeit nach den Erwartungen ausrichten und sich gleichzeitig nicht auf diesen Weg versteifen, sondern auch nach spannenden Alternativen suchen.
Was würden Sie einer jungen Wissenschaftlerin raten, die nach der Doktorarbeit überlegt in die Wissenschaft zu gehen, die die unsicheren Jahre vor dem ersten Ruf aber zögern lassen?
Die Unsicherheit, die mit diesem Karriereweg einhergeht, wird immer da sein. Es wird immer so sein, dass man auf einen Lehrstuhl viele Jahre hinarbeiten muss. Aber wie soll man damit umgehen? Ein Ansatz ist, ein Netzwerk aufzubauen, damit man die notwendigen Kontakte für Referenzen usw. hat. Unter Männern wird immer noch viel mehr genetzwerkt als unter Frauen.
Generell muss man strategisch an die Sache herangehen, einen Plan machen und sich mit den Bedingungen vertraut machen. Dazu gehört, wie gesagt, strategisch zu veröffentlichen, aber auch einen alternativen Plan zu haben. Ein gewisses Risiko wird immer bleiben, das wird durch eine Familie und die generelle finanzielle Unsicherheit in dieser Phase natürlich auch nicht kleiner.
Als Professorin sind Sie an der Spitze der akademischen Laufbahn angekommen und sind Ihre eigene Chefin. Was motiviert Sie?
Das ist gar nicht so einfach. Manchmal muss ich aktiv danach suchen. Dadurch, dass mein Rechtsbereich so relevant und wichtig ist, ist es aber meistens nicht so schwer. Man weiß, wie es um die Umwelt steht und kennt die Relevanz des Rechts in diesem Bereich. Die Möglichkeit, hier meinen Teil beizutragen und damit etwas Gutes zu tun, motiviert mich. Aber auch meine Kinder tragen sehr dazu bei. Die finden es toll, was ich mache. Das Thema Klimawandel und Umweltschutz wird hier auch in der Schule viel diskutiert. So habe ich zum Beispiel an der Grundschule meiner Kinder einen Vortag zu meiner Arbeit gehalten. Für die junge Generation ist dieses Thema besonders wichtig und sie treibt mich an. Ich merke auch, dass in diesem Bereich dringend gute Leute gebraucht werden. Diese ausbilden zu können, motiviert mich besonders in meiner Lehre.
Neben Ihrem Beruf als Professorin beraten Sie unter anderem die norwegische Regierung in Klimaverhandlungen und leiten die Kommission für Umweltrecht der International Union for Conservation of Nature (IUCN). Welche Bedeutung haben diese Tätigkeiten für Sie?
Diese Tätigkeiten haben für mich eine große Bedeutung. Als ich meine Promotion geschrieben habe, war das sehr spannend, aber natürlich auch sehr theoretisch. Als ich PostDoc war, wollte ich auch mal direkt erleben, wie die Verhandlungen geführt werden und wie Völkerrecht gemacht und praktiziert wird. Ich war dann im Umweltministerium und habe an den Klimaverhandlungen unter der UNO teilgenommen. Das war für mich ein ganz einschneidender Moment. Denn die Praxis läuft natürlich ein bisschen anders als die Theorie, die mir schon bekannt war. Das war sehr interessant! Und in der Praxis spielen nochmal zusätzliche Punkte eine Rolle, die man in der Theorie gar nicht so bedenkt: Wie lange kann man wach bleiben? Wie finde ich meinen eigenen Vortragsstil? Wie relevant ist dabei eine ruhige Stimme?
Es war für mich sehr wichtig, diese Erfahrungen zu machen. Das hat meine Motivation in der Wissenschaft sehr gefördert. In der Lehre ist es auch gut, wenn man eine gewisse Authentizität mitbringt und sagen kann: „Ich war bei den Verhandlungen dabei.“ Und auch in meine Veröffentlichungen kann ich meine praktischen Erfahrungen einfließen lassen. Praxis und Theorie zu kombinieren ist für mich sehr bereichernd. Natürlich kann man nicht beides 100 % machen, aber das befruchtet sich gegenseitig.
Im Vorgespräch haben Sie erzählt, dass Sie ein Mensch sind, der sich gerne aus der eigenen Komfortzone heraustraut. Können Sie das näher erläutern?
Als ich promoviert habe, hatte ich irgendwann das Gefühl, dass alles zu bekannt wurde für mich. Ich wusste, es muss irgendetwas Neues dazu kommen. Diese Art von Flexibilität und das Zurechtkommen in neuen Situationen sind wichtige Qualitäten, die in einer globalisierten Welt mehr und mehr gefordert werden. Insgesamt ist das eine Eigenschaft, die die eigene Persönlichkeit voranbringt und den Horizont erweitert.
Was raten Sie Jurist:innen, die noch am Anfang stehen und keine klare Vorstellung von ihrem beruflichen Weg haben?
Nichts ist unmöglich. Karrierewege sind weit offen für jede:n, wenn man sie kennt und sie zu nutzen weiß. Man muss nur wissen, was man möchte und das ist natürlich nicht immer so einfach. Das Jurastudium dauert eine Weile. Das sollte man nutzen, Neues und Anderes auszuprobieren, Praktika zu machen und neue Konzepte kennenzulernen. Man muss nicht von Anfang an wissen, was man machen möchte. Es ist hilfreich, sich während des Studiums und des Referendariats einen Überblick über die Möglichkeiten zu verschaffen.
Ich wollte zum Beispiel früher Diplomatin werden und habe deshalb eine Referendariatsstation beim Auswärtigen Amt in Boston gemacht. Die tatsächliche Arbeit dort hat mich nicht so inspiriert, wie ich das dachte. Ich hätte diese Einschätzung aber nie so treffen können, wenn ich es nicht ausprobiert hätte.
Es ist deshalb wichtig, auszuloten und herauszufinden, was einem liegt und Spaß macht. Und wenn man das gefunden hat, dann kann man seine Chancen erhöhen, das auch richtig gut zu machen. Damit meine ich: Netzwerk aufbauen, Strategie überlegen und prüfen, was die Voraussetzungen für den Job sind, den ich möchte und schauen, wie man diese bestmöglich erfüllen kann. Der erste Schritt ist aber immer, sich klarzumachen, was man selbst möchte.
Gab es einen Moment in Ihrer Karriere, an den Sie sich besonders erinnern können, in dem Ihnen weniger zugetraut wurde und was haben Sie daraus gemacht?
Diskriminiert gefühlt habe mich eigentlich nie. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass ich nicht diskriminiert worden bin. Ich habe immer meinen eigenen Weg gehen wollen und habe nicht viel auf Erwartungen anderer gegeben. Meine eigenen Erwartungen und Ansprüche sind für mich maßgebend und diese wollte ich erfüllen.
Es gab aber auch Situationen, in denen die Erwartungen anderer an mich sehr hoch waren. Als ich zum ersten Mal mit Staatsvertreter:innen verhandelt habe, war das schon sehr spannend für mich. Da kriegt man schon Gänsehaut. Die Erfahrung, die ich in solchen Situationen gesammelt habe, ist, dass es immer klappt. Entweder, weil ich gut vorbereitet oder weil ich einfach zuversichtlich war, dass es klappen wird. Schön ist es natürlich, einen Mittelweg zwischen beidem zu wählen; ein gewisses Risiko kombiniert mit einer guten Basis an Erfahrung und Vorbereitung. Manchmal ist es auch gut, einfach Chancen wahrzunehmen und ein bisschen Risiko in Kauf zu nehmen.
In Bezug auf Geschlechtergleichstellung belegt Norwegen im Gegensatz zu Deutschland einen Platz sehr weit vorne im globalen Ranking. Wie erleben Sie das?
Ich bin seit 20 Jahren hier in Norwegen und habe in dieser Zeit eine deutliche Veränderung gesehen. Als ich an der Universität anfing zu arbeiten, waren dort eigentlich nur ältere Männer, die Professor:innenstellen innehatten. Es waren wirklich nur wenige Professorinnen darunter. Das hat sich sehr geändert. Es ist zwar keine Quote eingeführt worden, aber objektive Kriterien (Anzahl und Qualität der Veröffentlichungen) führen dazu, dass wesentlich mehr Frauen als Professorinnen arbeiten. An meiner Fakultät gibt es heute mehr als 50 % weibliche Professorinnen. Das führt dazu, dass die Rechtswissenschaft viel spannender geworden ist, weil nicht nur ein Typus an Forschenden da ist. Dadurch ist eine gewisse Diversität gegeben, die es bunter und interessanter macht.
In Norwegen klappt es auch ganz gut, Familienalltag und Karriere zu kombinieren. Wenn man beides hat, wird die Zeit einfach weniger und man braucht eine gute Balance. Hier gibt es viel Unterstützung von Anfang an und das gesellschaftliche Verständnis erlaubt es auch, um 16 Uhr nach Hause zu gehen und seine Kinder abzuholen. Das ist vollkommen akzeptiert und Gleichberechtigung und Familie werden sehr gefördert und geschützt. Das macht diesen Balanceakt vermutlich etwas einfacher als in Deutschland. Ich denke, in Deutschland bedarf es noch etwas politischer Entwicklung, damit Karriere und Familie für Männer und Frauen gleichermaßen möglich sind.
Sie sind Co-Vorsitzende des Haftungsausschusses unter dem Pariser Klimaabkommen. In dieser Funktion treffen Sie Führungsverantwortliche aus aller Welt. Wie erleben Sie dabei die Verteilung der Geschlechter?
Auf internationaler Ebene ist es nach wie vor so, dass es nicht so viele Frauen in Führungspositionen gibt. Ich bin eine von wenigen Frauen, die verhandelt. In Glasgow haben sich die Frauen, die in Führungspositionen auf der Konferenz waren, in einer Gruppe getroffen und sich darüber ausgetauscht. Interessant war, dass viele berichtet haben, dass sie gefragt wurden, ob sie in dieser Rolle an den Verhandlungen teilnehmen möchten: Es war so gut wie keine Frau dabei, die erzählt hat, dass sie initiativ als Verhandlerin auftreten wollte. Ich würde jungen Jurist:innen auf jeden Fall mit auf den Weg geben: „Mach das, was Du kannst. Du brauchst niemanden, der Dich da hinschiebt. Geh Deinen Weg mit Zuversicht.“.
Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?
Juristinnen, die es geschafft haben, an den Internationalen Gerichtshof zu kommen, inspirieren mich. Zu nennen sind dabei Rosalyn Higgins und Hilary Charlesworth. Es ist ein schwieriger, sehr langer Weg und eine wahnsinnig wichtige Position. Diese Position auszufüllen und sich zu wagen, die Rechtsentwicklung voranzubringen, beeindruckt mich.
Vielen Dank für das spannende Interview!
Oslo / Frankfurt / Berlin, 2. Februar 2022. Das Interview führten Jennifer Seyderhelm und Anna Isfort.
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