Dr. Dana Schmalz, LL.M. im Porträt
„Als es um Grenzschließungen ging, empfand ich das Schweigen der Rechtswissenschaft als störend.“
Dr. Dana Schmalz, LL.M, Referentin am Max-Planck-Institut, über die Zukunft der rechtswissenschaftlichen Medien und ihre Motivation für eine Karriere in der Wissenschaft.
Liebe Dana, Du bist Referentin am MPI für Völkerrecht in Heidelberg. Was war Deine Motivation für eine Karriere in der Wissenschaft?
Während des Studiums haben mich schon immer theoretische Fragestellungen, insbesondere die Verbindung von juristischen Fragestellungen mit Praxisthemen wie Migration, Bürgerschaft, oder das Verhältnis von Demokratie und internationalem Recht, besonders interessiert. Eine weitere Motivation war sicherlich, dass ich neben Jura parallel Philosophie studiert habe. Gegen Ende des Studiums las ich ein Buch von Seyla Benhabib, an dem mich die Mischung aus Philosophie, Rechtswissenschaft und gegenwärtigen politischen Fragen begeisterte. So entstand der Wunsch, auf diesem Gebiet zu promovieren. Die Doktorarbeit war dann gewissermaßen mein Einstieg in die Wissenschaft, den ich bis heute nicht bereut habe.
Deine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Flüchtlings- und Migrationsrecht, Menschenrechte, Völkerrecht und Rechtsphilosophie. Wie bist Du zu diesen Forschungsschwerpunkten gekommen?
Ursprünglich kam ich an das Max-Planck-Institut und dort zu Armin von Bogdandy, um im Bereich Demokratie und Völkerrecht zu arbeiten. Im Laufe der Zeit habe ich mich dann immer mehr mit den gegenwärtigen und praktischen Fragen zu den Themen Flucht, Demokratie und Migrationsrecht beschäftigt. Das lag ein Stück weit auch an den Umständen. Insbesondere hatte ich den Eindruck, dass es jedenfalls vor 2015 noch nicht allzu viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen gab, die sich mit Migrationsrecht befassten. Insofern war mein Interesse, in der interdisziplinären Debatte einen Beitrag aus rechtswissenschaftlicher Perspektive zu leisten. Zugleich schienen mir theoretische Fragen der demokratischen Teilhabe mit Blick auf Migration besonders greifbar. Besonders spannend fand ich, wie Theorien zum Migrationsrecht konkret auf die gegenwärtigen Flüchtlingsfragen angewandt werden können.
Du bist unter anderem Chefredakteurin und Mitgründerin des Völkerrechtsblogs. Daneben bist Du Editorin des Verfassungsblogs. Welche Bedeutung haben aus Deiner Sicht Onlinemedien, für die Rechtswissenschaft heute und in Zukunft?
Ich bin ein großer Fan von Blogs. Blogs haben in verschiedener Weise die Rechtswissenschaft verändert. Zum einen, weil Blogs "weniger hierarchisch" sind. Damit meine ich, dass sie offener sind und speziell auch Nachwuchswissenschaftler*innen eine Plattform bieten. Hinzu kommt, dass in Blogs schneller Themen aufgegriffen und veröffentlicht werden können. Das heißt nicht, dass sie deshalb unwissenschaftlich wären. Natürlich kann ein Blog die traditionellen Formate, wie Monografien und Zeitschriftenbeiträge, nicht ersetzen. Aber er kann diese ergänzen. Oft ist es sogar so, dass bestimmte Themen zunächst in einem Blogbeitrag aufgegriffen werden und später im Rahmen eines klassischen Mediums thematisch vertieft werden. Schließlich bieten Blogs eine Gelegenheit, sich mit anderen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen global zu vernetzen, gerade weil sie online überall verfügbar sind. Das ist besonders im Völkerrecht ein großer Mehrwert. Ich bin daher überzeugt, dass Blogs ein großes Potential haben, die Wissenschaft inklusiver zu machen. Darüber hinaus gibt es weitere neue Formate wie Podcasts. Die Vielzahl unterschiedlicher Formate ist ein echter Gewinn. Dadurch dringt die Diskussion über juristische Themen auch noch stärker in die allgemeine Öffentlichkeit. Ich freue mich daher über die aktuelle Entwicklung zu einer größeren medialen Vielfalt in der Rechtswissenschaft.
Im Januar 2020 hast Du einen Beitrag im Verfassungsblog veröffentlicht, in dem Du die Korrekturdauer von rechtswissenschaftlichen Doktorarbeiten als "Missstand" bezeichnest, der auch Auswirkungen auf die Diversität in der Wissenschaft hat. Worin siehst Du hier einen Missstand und inwiefern wirkt sich ein solcher auf die Diversität aus?
Unabhängig von der Diversitätsfrage sind diese Fälle von sehr langer Wartezeit bis Doktorarbeiten begutachtet werden ein großes Problem. Durch das lange Warten werden Lebenspläne in gewisser Weise "on hold" gestellt. Das betrifft Bewerbungen und schlicht die Frage der Weiterfinanzierung. Leider wird das Thema in der Wissenschaft aufgrund der bestehenden Abhängigkeiten aktuell noch viel zu wenig adressiert. Das war auch der Grund, weshalb ich mich in meinem Beitrag an die Dekane der Fakultäten gewandt habe.
Auf die Diversität in der Wissenschaft wirken sich lange Korrekturdauern indirekt aus. Von familiärem Hintergrund geprägtes Selbstverständnis sowie finanzielle Rücklagen spielen eine Rolle, inwieweit solche ungerechten Hürden überwunden werden können. Zudem haben viele Frauen in dieser Lebensphase einen besonderen Zeitdruck, bei dem eine 2-jährige oder sogar längere Wartezeit schwer tragbar ist. Die Auswirkungen betreffen also geschlechterspezifische Diversität, aber auch die Diversität mit Blick auf finanzielle Ressourcen und sozialen Hintergrund. Allgemein finde ich, dass wir dieses Thema in der wissenschaftlichen Gemeinschaft viel konsequenter angehen müssten.
In vielen Branchen und Communities gab es zuletzt und gibt es eine „Me-too-Bewegung“. Trifft das auch auf die Rechtswissenschaft zu?
Das Problem, auf das eine solche Bewegung reagiert, existiert auf jeden Fall auch in der Rechtswissenschaft. Der Ausdruck "me-too" richtete sich anfangs ja besonders auf das Ausmaß der Verbreitung; es muss aber auch darum gehen, jeden einzelnen Fall von sexuellem Missbrauch als solchen ernst zu nehmen und Abhilfe zu schaffen. Insofern geht es in einem ersten Schritt darum, das Problem zu erkennen. In einem zweiten Schritt müssen Strukturen geschaffen werden bzw. effektiv nutzbar sein, damit das Problem adressiert und behoben werden kann. Die Wissenschaft ist eine recht überschaubare Community mit vielen informellen Abhängigkeiten – das macht es Betroffenen oft schwer, Vorfälle zu adressieren, ohne Nachteile zu fürchten.
Was würdest Du einer jungen Wissenschaftlerin raten, die nach der Doktorarbeit überlegt in die Wissenschaft zu gehen, die die unsicheren Jahre vor dem ersten Ruf aber zögern lassen?
Ich weiß nicht, ob ich die Richtige bin, um Ratschläge zu geben. Für mich selbst kann ich nur sagen, dass ich alles andere als stringente Karriereplanung betrieben habe und in diesen Jahren vor allem von Themen, Inhalten und dem Wunsch nochmal Zeit in New York zu verbringen, getrieben wurde. Wenn ich einen allgemeinen Rat geben soll, rate ich dazu, sich von einem Fokus auf Themen leiten zu lassen. So sind diese Jahre kein leidvolles Investment, für die man auf ein Return wartet. Stattdessen kann man wundervolle Möglichkeiten nutzen, die man als promovierte Person in der Wissenschaft hat, um eigenen Interessen nachzugehen und Inhalte zu vertiefen, Kontakte zu knüpfen und zu lernen. Für mich ist diese ganze Zeit ein Lernen, inhaltlich, aber auch zum Beispiel in der Lehre. Lehre wird einem vorher nicht beigebracht. Bzgl. der Möglichkeit einen Lehrstuhl zu bekommen, kann ich zu diesem Zeitpunkt nur sagen, dass ich mich immer freue, wenn Personen berufen werden, deren wissenschaftliches Profil mich auch überzeugt. Vielleicht musst Du mich das Ganze nochmals in 10 Jahren fragen.
Du warst zu Forschungszwecken viel in New York. Wie empfindest Du den Unterschied zwischen Deutschland und dem anglo-amerikanischen Raum in der Rechtswissenschaft?
In der Ausbildung gibt es natürlich unterschiedliche Strukturen durch das Modell mit Undergraduate Degree und Law School. Das führt dazu, dass die, die an die Law School kommen bereits einen unterschiedlichen fachlichen Hintergrund mitbringen und oft sehr fokussiert sind. In der Wissenschaft wird eine viel stärkere Spezialisierung zugelassen. In Deutschland wird eher erwartet, dass Doktorarbeit und Habilitation in verschiedenen Bereichen verfasst sind und man breit aufgestellt ist. Die Spezialisierung ist ein Unterschied, aber auch die Department-Struktur. Viele Aufgaben, die in Deutschland an Lehrstühle angegliedert sind, sind dort ausgelagert. Außerdem habe ich in den USA eine sehr starke Diskussionskultur erlebt, in der Professor*innen sich viel Zeit nehmen, Paper zu lesen und sich in viele Diskussionsformate einzubringen. Diese Formate waren der Kern dessen, was mich intellektuell dort begeistert hat. Das mag sicher auch an den Institutionen liegen, an denen ich Zeit verbringen durfte: Ich war an der Columbia Law School, an Cardozo Law School und der New School, habe aber auch von der NYU viel mitbekommen. Ich will nicht sagen, dass es derartige Diskussionsformate in Deutschland nicht gibt, aber es scheint mir weniger verbreitet.
Zur Wissenschaft gehören neben Veröffentlichungen auch Lehre oder Konferenzen. Hast Du das Gefühl, dass es hier in Bezug auf Präsenzveranstaltungen noch Strukturen gibt, die Frauen und Menschen mit anderen Diskriminierungsmerkmalen benachteiligen?
Ich bin ein großer Fan von Konferenzen, die nicht am Wochenende stattfinden. Dafür gibt es verschiedene Gründe wie religiöse Feiertage, familiäre Verpflichtungen oder auch ein gesundes Verhältnis von Arbeit zu Freizeit. Konferenzen sind Teil der beruflichen Arbeit und sollten an den dafür vorgesehenen Tagen stattfinden. Ansonsten können die Erfahrungen der letzten zwei Jahre sicher nützliche sein. Durch hybride Formate gibt es die Möglichkeit, Personen bei Konferenzen zuzuschalten, die aus verschiedenen Gründen weniger flexibel sind, anzureisen. Allgemein braucht es die Bereitschaft, die unterschiedlichen Bedürfnisse und Einschränkungen zu sehen und nach Lösungen zu suchen.
In der Rechtswissenschaft gibt es wenig Frauen. Entsteht dadurch ein besonderer Zusammenhalt zwischen Frauen in der Rechtswissenschaft?
So allgemein würde ich das nicht sagen. Was ich erzählen kann, ist, dass sich in Berlin (und inzwischen online erweitert) ungeplant und eher informell ein Forum gebildet hat, in dem wir nur mit Frauen wissenschaftliche Themen besprechen und eigene Projekte vorstellen. Hätte man mich vorher gefragt, ob so etwas nötig ist, hätte ich wohl „nein“ geantwortet. Jetzt wo ich es erlebe, merke ich, dass dadurch ein Raum entsteht, der sehr wertvoll ist. In einer Wissenschaft, in der man oft in der Minderheit ist, können Räume, in denen das mal umgekehrt ist, stärkend wirken.
Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?
Mir fallen vor allem zwei ein. Eine Juristin, die ich sehr für ihre Arbeit und ihre Persönlichkeit bewundere, ist Eleanor Sharpston, die ehemalige Generalanwältin am EuGH. Die andere Person ist Alexandra Kemmerer, die ich sehr dafür bewundere, wie sie juristisches Wissen, historisches Wissen und einen gesellschaftlichen Blick zusammenbringt. Ich schätze sie sehr als Gesprächspartnerin und sie ist in jedem Fall eine Inspiration.
Vielen Dank für das spannende Interview!
Berlin, 22. Dezember 2021. Das Interview führte Anna Isfort.
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