Elisabeth Fritz im Porträt
"Authentisch sein, in dem was man sagt und tut."
Elisabeth Fritz, Präsidentin des Amtsgerichts Wiesbaden, Familienrichterin und Mediatorin, über weibliche und männliche Führungsstile, Gesundheitsmanagement und Modelle zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Frau Fritz, Sie waren Richterin am Landgericht Frankfurt, Direktorin vom Amtsgericht Königstein und Präsidentin vom Amtsgericht Offenbach. Seit 2014 sind Sie Präsidentin des Amtsgerichts Wiesbaden. Mit welchen Aufgaben bzw. Bereichen sind Sie als Präsidentin hauptsächlich befasst?
Die Management Aufgabe, die man am Gericht hat, ist vergleichbar mit der eines Chefs im Unternehmen. Ich organisiere viel, das geht von Personalangelegenheiten über Veranstaltungen bis hin zu Pressekontakten. Dieser Verwaltungsbereich hat mit der richterlichen Tätigkeit nichts zu tun, im Prinzip kann man dafür auch Betriebswirt sein. Ganz wichtig und interessant für mich ist es dabei, dass ich mit Leuten arbeite, die inhaltlich völlig unabhängig arbeiten. Neben der ganzen Managementaufgabe ist es mir ein Anliegen dazu beizutragen, dass man im Gericht den Menschen sowohl als Rechtssuchenden aber auch als Kollegen im Blick hat.
Die Grundvorstellung ist, dass man als Gerichtspräsidentin nur mit Richtern zu tun hat. Das ist aber nicht so, denn das AG Wiesbaden hat insgesamt 330 Bedienstete, wovon nur ca. 50 Richter sind, der Rest sind Rechtspfleger, Wachtmeister, Sekretariate etc.
Wie unterscheidet sich das Richteramt vom Präsidentenamt?
Als Richterin arbeitet man alleine und muss sich außerhalb einer Kammer nicht mit seinen Kollegen abstimmen. Als Gerichtspräsidentin bin ich für viele Bereiche verantwortlich, mache das aber nicht alleine, sondern stimme mich mit den zuständigen Personen, wie zum Beispiel dem Pressesprecher, Datenschutz-, Frauen- oder Suchtbeauftragten, ab. Diese Teamarbeit war etwas, was ich auch erst lernen musste. Dabei muss ich alles koordinieren, informieren, aber auch über alles Wichtige informiert sein.
Für welche Themen setzen Sie sich als Gerichtspräsidentin ein?
Ich versuche in dem kleinen Rahmen, den ich habe, zu gestalten. Zum Beispiel kann ich nicht sagen, es gibt ein zusätzliches Monatsgehalt oder 200 Euro mehr im Monat. Ich kann aber für eine gute Arbeitsatmosphäre sorgen und durch ein gutes Gesundheitsmanagement Burnout vermeiden. Bei uns gibt es zum Beispiel einen Lauftreff und Pilates am Gericht. Am Gericht findet regelmäßig ein Gesundheitstag für die Bediensteten statt. Es ist alles eine Frage der Haltung den Mitarbeitern gegenüber.
Es ist mir wichtig, dass diese Haltung von gegenseitigem Respekt und Wertschätzung geprägt ist.
Außerdem haben wir eingeführt, dass jeder bei uns ein Willkommenskärtchen und Blumen zum Einstieg bekommt. Dafür hat sich gerade ein junger Richter bedankt. Das gäbe es sonst nirgendwo. Das stimmt, es gibt viele Gerichte, da wissen die Leute gar nicht, wo sie anfangen, haben keinen Laptop. Das wirkt sich auch auf die Arbeitsleistung aus. Ich möchte, dass die Leute, die hier arbeiten, gerne hier sind.
Im Gericht arbeiten viele Richter und Richterinnen mit Kindern. Für mich ist es eine ganz wichtige Sache, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in die Praxis umzusetzen. Wir haben jetzt zum Beispiel als Gericht das Gütesiegel "familienfreundlicher Arbeitgeber" erworben. Die Idee dafür habe ich angestoßen. Ich habe die erste Infoveranstaltung dazu besucht und es gibt jetzt am Gericht dafür ein extra Team, das sich diesem Thema widmet.
Was schätzen Sie an Ihrem Beruf als Gerichtspräsidentin?
Ich befasse mich viel mit Personalmanagement. Ich merke, dass es mich freut, wenn ich Menschen etwas mit auf den Weg geben kann. Dass ich diesen Job nicht mit 30 oder 40 Jahren gemacht habe, hat auch etwas mit Lebenserfahrung zu tun. Das spielt da schon sehr mit rein. Beziehungsaufbau habe ich auch erst im Laufe meines Lebens gelernt. Und auch Kritik zu üben musste ich erst lernen.
Außerdem kann ich in meine Arbeit sowohl meine Perspektive als Arbeitnehmer als auch die des Arbeitgebers einbringen und nachvollziehen. Diese Vielseitigkeit empfinde ich als sehr schön.
Frau Fritz, Sie arbeiten auch noch als Mediatorin. Was hat Sie dazu bewogen, eine Mediationsausbildung zu absolvieren?
Ursprünglich wollte ich Psychologie studieren, deshalb hat mich das Thema interessiert. Ich hatte das Bedürfnis, dauerhaft Rechtsfrieden zu schaffen und wollte die entsprechenden Tools dafür kennenlernen. Ich habe das als Weiterentwicklung meiner Kompetenz als Richterin angesehen. Am Anfang kämpft man ja doch mit den Formalien, aber als ich dachte, so jetzt kann ich Richterin, wollte ich mich weiterentwickeln. Bei der Mediation geht es darum, einen anderen Blickwinkel einzunehmen und zu fragen, was haben die Menschen für Themen und was bewegt die Leute wirklich. Dabei habe ich gelernt, dass die Antwort oft Wertschätzung ist.
Sie arbeiten sowohl als Mediatorin als auch als Familienrichterin. Wie ergänzen bzw. unterscheiden sich diese beiden Tätigkeiten?
Ich habe nie so eine strikte Trennung zwischen Privatperson, Richterin und Mediatorin gemacht. Für mich ist das alles eine Einheit, die sich gegenseitig befruchtet.
Mediation verändert die eigene Haltung gegenüber den Menschen. Es geht nicht um dieses "ich weiß alles, ich habe die Lösung", sondern auch darum zu erkennen, dass auch andere Menschen die Kraft haben, einen eigenen Weg zu finden. Man entwickelt eine wertschätzende Haltung gegenüber anderen Menschen. Und vor allem lernt man, auch zuzuhören. Und das ist wichtig, egal ob man als Richter oder als Führungsposition tätig ist.
Mediation und gerichtlicher Prozess sind unterschiedlich. Im Prozess gibt es allerdings die Möglichkeit, einen Vergleich zu schließen. Was halten Sie davon?
Laut BVerfG ist die einvernehmliche Lösung eines Rechtsstreits einem streitigen Urteil vorzuziehen. Und das ist auch meine tiefste Überzeugung. Damit meine ich nicht, die Anwälte unter Druck zu setzen. Es bedarf einer gewissen Kompetenz, um Vergleiche zu schließen. Ein guter Vergleich zeigt die juristischen Möglichkeiten auf und zeigt auch, dass man imstande wäre, die Sache zu entscheiden. Neben den juristischen Interessen müssen aber auch die nicht juristischen Interessen berücksichtigt werden. Gerade im Familienrecht beim Thema Unterhalt wird klar, dass nicht alle Interessen juristisch zu greifen sind. Wenn es zum Beispiel darum geht, wer wieviel arbeiten kann, stellt sich auch die Frage, wieviel der entsprechende Partner denn arbeiten soll, damit er auch noch Zeit hat, für die Kinder da zu sein. Einen guten Vergleich zu schließen ist eine Königsdisziplin.
Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?
Ich habe festgestellt, dass sich Führungsstile von früher zu denen von heute unterscheiden. Früher ist man eher dem autoritären Führungsstil angehangen. Es ging darum, das durchzusetzen, was man möchte und das notfalls auch gegen entsprechende Gremien. Ich bevorzuge den kooperativen Führungsstil. Man probiert dabei alle mit ins Boot zu holen und zu überzeugen, dass es einen gemeinsamen Weg gibt. Man kann auch mit Freundlichkeit seine Ziele durchsetzen und glasklar sagen, was man möchte. Und man sollte authentisch sein, indem was man sagt und tut. Freundlichkeit, Zugewandtheit, Diplomatie - das ist mir wichtig.
Im Bereich Mediation sind Sie auch Lehrbeauftragte an der FH Frankfurt und der Hochschule Fulda. Welche Tipps haben Sie für Juristinnen, die neben Ihrem Beruf als Anwältin oder Richterin auch in der Lehre tätig sein möchten?
Das ist in der Tat eine schöne Kombination. Ich habe am Anfang am AG eine Arbeitsgemeinschaft geleitet und so schon innerhalb des Berufs erste Gehversuche gemacht. Indem man genau erklären muss, wie es geht, hat diese Tätigkeit auch meine Arbeit sehr befruchtet. Wenn man spezialisiert ist, kommt das mit der Lehrtätigkeit ganz von selbst. Bei mir hat das mit der Lehrtätigkeit über die Mediation angefangen. Das ist eine wunderbare Möglichkeit, die man als Richter hat, natürlich muss man auch Akten machen, aber daneben kann man auch an der Uni lehren. Unis finden es ganz toll, wenn Leute Vorlesungen halten, die praktische Erfahrungen haben. Auch bei Fachhochschulen machen das oft Richter. Ich hatte einen Lehrauftrag im Bereich Mediation im Studiengang Sozialrecht an der Fachhochschule Fulda und hier in Frankfurt ging es um das Aushandeln von Verträgen. Und ich bin auch hier in Frankfurt in der Fortbildung von Mediatoren tätig. Das macht Spaß!
Sie sind die erste Präsidentin des Amtsgerichts Wiesbaden. Hat es für Sie eine besondere Bedeutung, die erste Frau in dieser Position zu sein?
Als ich meine Stelle am AG Königstein angefangen habe, wurde mir gesagt, dass ich mich durchsetzen muss. Das ist auch so ein Punkt, dass Männer, die zwei Köpfe größer sind und 50 kg mehr wiegen, denken, ich wäre ein Leichtgewicht. Das war eben noch eine ganz andere Generation, die eine andere Vorstellung von Frauen hatte. Jetzt werden es ja immer mehr Frauen, die Jura studieren.
Damit Frauen Mut haben, dafür müssen wir was tun. Wenn nur Männer in Gremien sind, stelle ich oft eine aggressive Grundstimmung fest, die von konkurrenzorientiertem Denken beherrscht ist. Ich habe den Eindruck, dass sich durch jüngere weibliche Gremien etwas geändert hat. Ob das daran liegt, dass das Frauen sind oder daran, dass sie jünger sind, kann ich nicht sagen.
In der Justiz gibt es unzählige Abordnungen oder Ämter, die man als Richterin wahrnehmen kann. Was haben Sie diesbezüglich für Erfahrungen gemacht?
Ich war zum Beispiel jahrelang Frauenbeauftragte und habe bei Vorstellungsgesprächen und Beförderungsentscheidungen im Ministerium teilgenommen. Dafür war ich zur Hälfte von meinem Job als Richterin freigestellt. Da waren bei Vorstellungsgesprächen top ausgebildete Frauen, die Auslandserfahrung und Promotion vorweisen konnten. Wenn ich dann gefragt habe, warum sie Richterin werden wollen, kam als Antwort oft, dass sie eine halbe Stelle und Flexibilität wollen, ihr Mann arbeite ja in einer Großkanzlei. Dabei gibt es 1000 Gründe, um Richterin zu werden. Der Richterberuf bietet unzählige Möglichkeiten für Menschen, die breiter aufgestellt und vielseitig interessiert sind. Das hat mich schon immer fasziniert.
Frau Fritz, Sie haben zwei Kinder. Wie gut ließen sich bei Ihnen Kinder mit Karriere vereinbaren?
Auch das hat sich gegenseitig befruchtet. Zwischen mir und meinem Mann war klar, dass das unser gemeinsames Projekt ist und wir das gemeinsam machen. Wir haben nicht bezweifelt, dass das klappt. Ich war gesettelt im Beruf, ich wusste, ich schaffe das. Ich habe einen Mann, der gerne Vater war. Und wir hatten viel Unterstützung, ich habe mein halbes Gehalt für Kinderfrau und Haushaltshilfe ausgegeben.
Elternzeit genommen habe ich nicht. Der Job als Richterin war ideal für mich. Ich habe dann die Akten bearbeitet, als die Kinder geschlafen haben. Samstags hat dann einer die Kinder und Einkauf gemacht und der andere ist ins Gericht gegangen. Wenn das nicht geht, dann macht man das eben anders. Aber bei uns ging es eben. Es ist alles eine Frage der Einstellung.
Einen Führungsjob hätte ich allerdings nicht gemacht mit kleinen Kindern, weil man keinen Tag planen kann. Aber ich muss zugeben, dass ich nie konzentrierter gearbeitet habe als in der Zeit als die Kinder klein waren. Es ging ja nicht anders. Ich bin gerne ins Gericht gegangen und neige dazu, vollkommen aufzugehen, in dem, was ich mache. Umgekehrt wäre das auch so gewesen, dass ich mich nur auf die Kinder fokussiert hätte. Es war gut für Kinder und Mutter, dass da Abwechslung da war. Ich war auch ängstlich, Gott sei Dank waren da auch andere dran an meinen Kindern, sonst hätten die nie laufen gelernt (lacht). Ich habe mich dann immer sehr gefreut auf die Kinder und habe die Zeit mit Ihnen genossen.
Natürlich war es auch anstrengend. Aber wenn man ein interessantes Leben hat und sich für viele Dinge interessiert, dann ist das Leben immer anstrengend, aber man bekommt ja auch viel mit. Den Begriff Work-Life-Balance finde ich problematisch. Work ist ja auch Life. Und das macht mir auch Spaß! Das größte Ziel, das man haben muss, ist, dass es Spaß machen muss. Man muss sich auf Beruf und auf Kinder freuen können. Doppelbelastung finde ich in diesem Zusammenhang ein ganz doofes Wort. Das ist doch ein Privileg und Glück, wenn man beides leben darf und nicht sagen muss, dass man sich für das eine oder andere entscheiden muss. Kinder finden das auch toll, wenn die Mutter berufstätig ist.
Hatten Sie ein Vorbild, dass Sie privat oder beruflich geprägt hat?
Für mich war meine Tante ein Vorbild. Ich bin immer gerne zu ihr gegangen. Sie war Lehrerin, hat ihr eigenes Geld verdient und war gleichberechtigt. Sie war mit ihrem Mann auf Augenhöhe. Das habe ich schon toll gefunden. Meiner Mutter war es total wichtig, dass ich studiere und einen Job habe. Sie hat mich sehr gefördert auf meinem Weg.
Als ich angefangen habe zu arbeiten, gab es keine juristischen weiblichen Vorbilder für mich. Das muss ich ehrlich sagen. Mir wurde gesagt, dass man sich zwischen Beruf und Familie entscheiden muss und das war in diesem Sinne kein Vorbild für mich.
Frau Fritz, gibt es etwas, das Sie jungen Juristinnen auf den Karriereweg mitgeben möchten?
Frauen können sich trauen, ihren eigenen Weg zu finden. Und wenn man den geht und den will, dann klappt das auch.
Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte und wieso?
Claudia Briem ist Abteilungsleiterin bei Fraport im Personalbereich. Ich habe sie kennengelernt, als sie die Mediationsausbildung gemacht hat. Sie ist vielseitig und richtig tough.
Vielen Dank für das spannende Interview und die persönlichen Einblicke!
Frankfurt, 11. Juli 2018. Das Interview führte Jennifer Seyderhelm.
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