Elke Wurster im Porträt
"Tun Sie das, wofür Sie brennen. Wenn Sie es nicht wissen, finden Sie es heraus!"
Elke Wurster, Partnerin bei Maiwald, über die Spezialisierung im Beruf, die unterschiedlichen Herausforderungen als Partnerin, Syndikusanwältin und von Frauen im Management sowie über den Kleidungsstil der Anwältin.
Frau Wurster, Sie sind in Fragen der Compliance und des Kartellrechts tätig. Welche Besonderheiten zeichnen diese Bereiche für Sie jeweils aus?
Als Compliance-Officer können Sie in Ihrer Arbeit nicht in der Theorie verbleiben: Alle rechtliche Themen, mit denen Sie in Berührung kommen, sind praxisrelevant und Ihre Lösungen müssen sich in den Unternehmensalltag integrieren lassen.
Meine anwaltliche Tätigkeit habe ich als Generalistin mit Schwerpunkt im Wirtschaftsrecht begonnen, dies kommt mir bei der Compliance-Beratung zu Gute. Kennengelernt habe ich den Bereich Compliance während meiner Inhouse-Tätigkeit. Mittlerweile bin ich zertifizierter Compliance-Officer der Universität Augsburg.
Auch auf dem Gebiet des Kartellrechts ist die Verbindung zwischen Theorie und praxisnaher Beratung besonders wichtig. Um für die Praxis relevante Hilfestellungen zu geben, können Sie keine Beratung aus dem Elfenbeinturm betreiben: Sie müssen schnelle Antworten liefern, z.B., wenn Sie Mandant*innen aus einer Verbandssitzung heraus anrufen und Sie um einen Rat bitten, weil kartellrechtlich relevante Themen besprochen werden und Sie sich unsicher sind, wie Sie reagieren sollen. Auch müssen Sie Ihre Mandant*innen schulen, und zwar mit praxisnahen Beispielen. Um sich in die Lage der Schulungsteilnehmer*innen hineinzuversetzen und ihnen den größtmöglichen Nutzen zu bieten, benötigen Sie Praxiserfahrung und Verständnis für ihren Alltag.
Die Tätigkeit im Bereich Compliance und Kartellrecht erfordert auch ein enormes Vertrauen der Mandant*innen. Für die Zusammenarbeit ist es unerlässlich, dass Sie erfahren, welche Problemstellung tatsächlich vorliegt und was wirklich passiert ist. Da es sich dabei teilweise um strafrechtlich relevante Situationen handelt, ist das Gegenüber meist nicht besonders auskunftsbereit, sondern muss zuerst Vertrauen aufbauen. Ob ein solches Vertrauensverhältnis gelingt, hängt entscheidend vom Interviewer, also von Ihnen, ab.
In welcher Phase Ihres Studiums oder Berufs haben Sie sich spezialisiert?
Während meines Studiums wusste ich noch nicht, wo es einmal für mich hingegen soll, das hat sich über die Jahre entwickelt. Ich habe in meiner Laufbahn in unterschiedlichen Bereichen tiefgehendes Know-how gewonnen, z.B. habe ich mich eine Zeit lang im Steuerrecht spezialisiert und auch die Klausuren für den Fachanwalt abgelegt. Dann zog es mich zum Insolvenzrecht und dem Bereich Litigation. Mittlerweile befasse ich mich vorwiegend mit Fragen der Compliance und des Kartellrechts. Wer weiß, wo ich mich in 10 Jahren wiederfinde! Im Zuge der Digitalisierung auch des Anwaltsberufes ist es ohnehin schwierig vorherzusehen, wie sich die Anforderungen an die anwaltliche Tätigkeit in den nächsten Jahren entwickeln wird. Etwas greifbarer formuliert wird es z.B. interessant, ob Mandant*innen dann noch bereit sein werden, für die bloße Vertragserstellung, also das spezifische „Know-how“, das sie auch im Internet abrufen können, eine Vergütung zu bezahlen.
Natürlich habe ich mich manchmal auch gefragt, ob es besser gewesen wäre, sich von Beginn an auf ein Rechtsgebiet zu spezialisieren. Andererseits empfinde ich meinen Erfahrungsschatz als große Bereicherung. Eine exzellente Beratung erfordert einen gewissen Weitblick und ein themenübergreifendes Verständnis. Vieles davon lässt sich durch besagte Erfahrung aneignen. Und sie erleichtert einem, Stolpersteine aus angrenzenden Rechtsgebieten zu erkennen, um rechtzeitig externe Expertise heranzuziehen.
Halten Sie es für notwendig sich (möglichst früh) zu spezialisieren?
Eine frühe Spezialisierung halte ich hinsichtlich des beruflichen Erfolges nicht unbedingt für entscheidend. Ich denke, dass dies stark auf die Person ankommt. Für mich persönlich war es gut, dass ich mehrere Stationen der Spezialisierung durchlaufen habe, da ich mich nicht auf einen thematisch begrenzten Bereich beschränken wollte. Andererseits finde ich es beeindruckend, wenn jemand von Anfang an weiß, was er oder sie will und wo seine/ihre besonderen Fähigkeiten liegen. Ich denke, dass sich eine frühe Spezialisierung hier von allein ergibt und daher auch sinnvoll ist. Aus dem Rückblick betrachtet, wäre Compliance sicher ein Bereich für mich gewesen, in dem ich mir eine frühe Spezialisierung hätte vorstellen können. Allerdings gab es diesen – so definiert wie heute – damals noch nicht. Auch Kartellrecht wäre sicherlich in Frage gekommen. Während des Studiums erschien mir dies jedoch keine Alternative, da es nur am Rande und sehr abstrakt gelehrt wurde, mir war damals nicht klar, wie spannend das Rechtsgebiet eigentlich ist. Ich habe mich eher im internationalen Recht bewegt. Man kann also sagen, dass mich am Ende des Tages meine Berufserfahrung zu meiner Spezialisierung geführt hat. Zu Beginn meiner Inhouse-Tätigkeit wurde ich gefragt, ob ich Lust auf Compliance hätte. Ich wollte den Job, also habe ich „Ja“ gesagt. So landete ich direkt im Unternehmen und gleichzeitig in einem für mich damals fremden Rechtsgebiet.
Halten Sie es für notwendig einen Titel als Frau zu tragen?
Ja, es ist auf jeden Fall hilfreich. Es gibt immer noch Kanzleien, für welche ein Titel entscheidend ist, wenn es um den beruflichen Erfolg geht. Dies gilt m.E. aber für beide Geschlechter.
Als gemischte Patent- und Rechtsanwaltsgesellschaft betreut Maiwald eine hohe Anzahl an patentrechtlichen und damit naturwissenschaftlich herausfordernden Mandaten. Gibt es in Ihren Tätigkeitsbereichen hiermit Überscheidungen?
Ja, das könnte man sagen. Compliance (und auch Kartellrecht) verbindet als Schnittstelle viele Rechtsbereiche. So finden sich auch viele Branchengemeinsamkeiten in den von Ihnen angesprochenen Tätigkeitsfeldern. Maiwald ist im Pharma-Bereich stark vertreten, welcher eine hohe Compliance-Relevanz hat. Natürlich sind es auch andere rechtliche Fragen, mit denen ich mich beschäftige: Z.B. welches Unternehmen innerhalb einer Unternehmensgruppe ein Patent anmelden darf, wenn der*die Erfinder*in Mitarbeiter*in einer Tochtergesellschaft ist. Auch der Schutz von Geschäftsgeheimnissen wirft viele Fragestellungen im Bereich Compliance auf. Das Kartellrecht steht oftmals im Zusammenhang mit Patentstreitigkeiten oder auch -lizenzen. Denken Sie z.B. an die Fallgestaltung, dass zwei Parteien eines Patentrechtsstreits einen Vergleich schließen, wonach das streitgegenständliche (und eigentlich nichtige) Patent nicht angegriffen wird und die Parteien sich die mit diesem Patent erzielten Lizenzeinnahmen teilen.
Sie waren von 2012-2015 Direktorin des Bereichs Legal & Compliance bei Balfour Beatty Rail. Wie unterscheidet sich die Arbeit als Unternehmensjuristin von Ihrer Tätigkeit als Partnerin in einer Kanzlei?
Im Unternehmen müssen sehr viel mehr Entscheidungen sehr viel schneller getroffen werden. In meiner Arbeit als Partnerin in der Kanzlei kann ich mir ggf. die Zeit nehmen, die für eine belastbare, rechtliche Recherche notwendig ist. Diese Zeit hätte ich „Inhouse“ nicht. Eine solche Genauigkeit der juristischen Arbeit wäre hier auch eher fremd, weil hier mehr der 80-20-Ansatz gilt. Rechtliche Entscheidungen werden Inhouse eher „unter Vorbehalt“ und „nach erster vorläufiger Prüfung“ getroffen. Im Zweifelsfall werden rechtliche Fragen zur Klärung nach außen, also an Externe gegeben. Auf Grund der hohen Dichte an Anfragen oder Mandaten (interne Kolleg*innen werden Inhouse als „Mandant*innen" bezeichnet) herrscht ein hoher Durchsatz. Es gibt keine Assistenz, die Anrufe oder Besuche abblockt, sondern es können alle Kolleg*innen den Kalender einsehen und Termine einstellen. Als Anwältin kann ich mich auch mal 15 Minuten rausziehen.
Inhouse spielt darüber hinaus auch interne Politik eine wesentliche Rolle. Während ich als Anwältin sehr sachorientiert arbeiten kann, wird Inhouse ein beträchtlicher Teil meiner Zeit durch Personalpolitik und Zuständigkeitsfragen gebunden. So kann es auch vorkommen, dass viel Zeit in ein Projekt investiert wird, welches dann völlig unerwartet nicht mehr weiterverfolgt wird. Das kann unbefriedigend sein.
Welche Vor- und Nachteile sehen Sie in der Tätigkeit als Partnerin gegenüber der Tätigkeit als Unternehmensjuristin? Was hat Sie zu Ihrer jeweiligen Berufswahl bewogen?
Das Referendariat und vorherige Praktika habe ich genutzt, um möglichst viele, unterschiedliche Tätigkeitsfelder von Jurist*innen kennenzulernen. Im Referendariat habe ich eine Station im Auswärtigen Dienst absolviert, fühlte mich dort jedoch nicht besonders wohl. Richterin erschien mir zu "einsam", ich wollte regelmäßiger mit Menschen zu tun haben und sie nicht nur einmal zu einer mündlichen Verhandlung vor mir sitzen haben. Auch eine Tätigkeit im Unternehmen sagte mir eigentlich zunächst nicht sonderlich zu, deshalb zuerst der Weg in die Anwaltschaft. Wieso dann Jahre später doch das Unternehmen? Ich wollte mitten drin sein und nicht im Elfenbeinturm verweilen. Dennoch habe ich dann recht schnell die Vorteile des freien Berufes der Rechtsanwältin vermisst.
Die größten Vorzüge einer Tätigkeit als externe Beraterin sind gewiss die enormen Freiheiten, die der Beruf mit sich bringt. Dies ist zwar insbesondere als Partnerin so, gilt jedoch auch für angestellte Anwält*innen. Wenn ich z.B. der Meinung bin, dass ich eine Vorlesung halten oder eine spezielle Business-Development-Maßnahme, respektive ein Schulungsformat entwickeln will, kann ich das machen, auch wenn ich natürlich den Umsatz im Auge behalten muss. Ich darf solche Interviews wie dieses hier geben oder einen Aufsatz veröffentlichen, ohne dass ich vorher die Zustimmung der Unternehmensleitung einholen muss.
Der größte Vorteil ist vielleicht, dass ich als externe Beraterin einen Einblick in viele verschiedene Unternehmen erhalte – das Spektrum dessen, was ich an Know-how sammeln kann und der unterschiedlichen Fallgestaltungen, also sehr viel weiter ist. Inhouse ist man dagegen auf die Compliance-Fälle aus einem Unternehmen angewiesen, die Fallsammlung ist dementsprechend (hoffentlich) kleiner.
Eine besondere Herausforderung der Anwaltstätigkeit liegt darin, dass Sie sehr stark zeitlich gefordert sind. Es gibt immer wieder Anfragen, die sehr schnell bearbeitet werden müssen und keinen großen Aufschub dulden – weder durch ein Wochenende noch eine Urlaubsreise.
Als Anwältin haben Sie auch eine kontinuierliche Verantwortlichkeit für den Umsatz. So gesehen hat es natürlich sein Gutes, wenn viel zu tun ist, auch wenn Sie nicht wissen, wie Sie alles unterbringen sollen. Wenn der Arbeitsdruck etwas nachlässt und Sie endlich wieder einmal Zeit haben, die Anfragen zu bearbeiten, die zuletzt hintenanstehen mussten, können sich jedoch Sorgen um Auslastung den Weg bahnen (auch wenn ich persönlich das noch nie erlebt habe). Das eigentlich verfügbare „Mehr“ an Zeit führt dann nicht zur Entspannung. Dazu muss ich sagen, dass es in der Anwaltschaft jedoch keine gleichbleibende Auslastung gibt, oftmals sind es Wellenbewegungen. Für einige ist eine Inhouse-Tätigkeit auch wegen des geringeren Haftungsrisikos reizvoller, ich kenne Kolleg*innen, die das permanente Schwert der Haftung als sehr belastend empfinden.
In Retrospektive war es für mich wichtig, beide Erfahrungen zu machen. Es würde mir heute schwerfallen, die Freiheiten aus der Kanzlei wieder aufzugeben. Nach mehreren Jahren Berufserfahrung ist es sicherlich häufig besonders herausfordernd, zwischen Kanzlei und Unternehmen zu wechseln und vice versa.
Wie schätzen Sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Unternehmen ein?
Eventuell ließe sich sagen, dass sich eine Tätigkeit im Unternehmen tendenziell leichter mit der Familie – sei es mit Kindern oder mit einer Partnerschaft – vereinbaren lässt, als eine Tätigkeit in der Anwaltschaft. Die Arbeitszeiten sind grundsätzlich besser geregelt, aber auch Inhouse nimmt der Zeitdruck immer mehr zu. Ich würde sagen, dass es immer auf die konkrete Tätigkeit ankommt. Im Unternehmen haben Sie die Chance, auf größeres Verständnis zu stoßen, wenn Sie bspw. um 17 Uhr gehen müssen und dann erst abends weiterarbeiten. Eine Vereinbarkeit halte ich jedoch sowohl als Anwäl*tin als auch als Syndikusanwält*in für möglich.
Eine Frage außerhalb des Kontextes: Wie stehen Sie zum Kleidungsstil der Anwältin (oder des Anwaltes)?
Sie sollten meines Erachtens so gekleidet sein, dass Sie jederzeit Mandant*innen begrüßen und ihnen respektgebührend gegenübertreten können, deshalb vermeide ich im Büro einen zu lässigen Stil. Aber es gibt auch noch ein paar andere Aspekte, die ich berücksichtige. Wenn ich z.B. einen kleineren Gesprächspartner habe, dann achte ich auf die Absatzhöhe (manchmal gilt es, hohe Schuhe zu vermeiden, manchmal sind sie aber auch besonders hilfreich).
Besuche ich Mandant*innen extern, mache ich mir Gedanken, was zu ihrem Stil passt. Von männlichen Kollegen habe ich schon des Öfteren gehört, dass Mandant*innen es schätzen würden, wenn die Krawatte der Unternehmensfarbe entspräche (lacht).
Jeans würde ich persönlich aber z.B. nie wählen. Das liegt jedoch eher darin begründet, dass es nicht mit meinem Selbstverständnis vereinbar ist. Mein Auftreten muss immer auch zu mir passen.
Sie haben einen französischen Abschluss und ihre Stationen im Referendariat in Paris und Brüssel absolviert und einige Jahre in Paris als Rechtsanwältin gearbeitet. Für wie wichtig erachten Sie Auslandserfahrungen und die Kenntnis fremder Rechtssysteme für den späteren, beruflichen Werdegang?
Für sehr wichtig! Meine Auslandserfahrungen haben mir die Augen geöffnet, dass unsere Art Jura zu studieren nicht die Einzige ist. Die Möglichkeit über den eigenen Tellerrand zu schauen ist meines Erachtens sehr wichtig. Es erleichtert das Verständnis für internationale Mandant*innen und Mandate. Es braucht ein gewisses Gespür, um Unterschiede im rechtlichen Verständnis sowie der Kultur wahrzunehmen, und dies wird durch Auslandserfahrung geschult.
Auch kann man, wenn man im Ausland lebt, andere Bereiche im „deutschen“ Alltagsleben oder der Ausbildung wieder sehr schätzen lernen. Dies betrifft nicht zuletzt unsere juristische Methodik und ihre Techniken: Egal, um welches Thema oder Rechtsgebiet es geht, wir können subsumieren und mit Problemen arbeiten. Diese Technik, die wir von Anfang an im Studium lernen, wird in anderen Ländern sehr viel später gelehrt. Nach meiner Erfahrung wird in Frankreich oder Großbritannien dagegen in Klausuren viel mehr Urteilswissen abgefragt.
Wie würden Sie die Priorität hinsichtlich eines LL.M. einordnen?
Ich bin der Meinung, dass man keinen LL.M. benötigt, um Auslandserfahrung und/oder Sprachkenntnisse nachzuweisen. Aber auch hier gilt, dass viele Arbeitgeber inzwischen einen LL.M. o.ä. verlangen oder zumindest sehr gerne sehen.
Welchen Ratschlag würden sie Juristinnen für den Berufseinstieg geben?
Tun Sie das, was Ihnen Spaß macht und wofür Sie brennen. Wenn Sie es nicht wissen, finden Sie es heraus! Der anwaltliche Beruf ist äußerst fordernd und zeit- sowie energie-intensiv. Wenn Sie nicht für den Job brennen, sind Sie innerhalb kurzer Zeit ausgebrannt.
Sie sind Mitglied in der Vereinigung für Frauen im Management. Dass Frauen im Management Positionen bekleiden, sollte doch eigentlich selbstverständlich sein. Was sind Ihrer Erfahrung nach die Hauptursachen für so viel weniger Frauen im Management?
Es ist schwierig hierauf eine generalisierende Antwort zu geben, was der Sache auch nicht gerecht würde. Oft spielen sehr individuelle Gründe eine Rolle. Aber wenn Sie mich zu den Hauptursachen fragen, ist es u.U. die Art zu arbeiten. Frauen sind in der Vielzahl von Fällen sehr gut vorbereitet und gehen entsprechend perfekt gerüstet in das morgendliche Meeting, während die Männer, plakativ gesprochen, quasi beim Afterwork am Vorabend schon miteinander die Lösung erarbeitet haben. Man kann vielleicht sagen, dass es Männern grundsätzlich leichter fällt, sich zu vernetzen. Sie nehmen sich die Zeit hierfür und priorisieren es entsprechend. Frauen sind häufiger zwischen Mandantenterminen, Kita- und Supermarkt-Öffnungszeiten zerrissen, da bleibt weniger Zeit zum Vernetzen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass eine Vielzahl von Frauen sehr pflichtbewusst ist und dem (leider) verbreiteten Bild des fleißigen Bienchens entspricht. Viele Männer halten es da eher mit dem Grundsatz 80 ./. 20 und verwenden die dadurch gewonnene Zeit für Self-Marketing und interne Politik.
Eine weitere Ursache mögen die Umgangsformen sein. Je höher Sie im Unternehmen kommen, desto rauer kann der Ton werden. Sogar Männer sagen zuweilen, dass Sie darauf keine Lust haben. Es ist eben immer eine ganz persönliche Frage, ob Sie diese Art der Auseinandersetzung, des Tons und des Konfliktes wollen. Ich habe keinen Zweifel, dass Frauen Erfolg haben und Verantwortung übernehmen wollen sowie können. Auch sind Frauen oftmals sehr konfliktfähig. Gleichzeitig sind sie meist nur bis zu einem bestimmten Punkt bereit, sich diesen Regeln zu unterwerfen. Leider stellt sich für Frauen sehr oft die (berechtigte) Frage, ob frau sich wirklich auf eine unsachliche Ebene und persönliche Anfeindungen einlassen möchte. In Gremien, in denen ich als externe Beraterin tätig war, habe ich das mehrfach miterlebt.
Der Klassiker ist auch, dass sich Frauen weniger zutrauen als Männer. In einer Vielzahl von Fällen haben sie das Gefühl, dass sie nicht genug können. Aus Unsicherheit bewerben sie sich daher nicht für die nächste Karrierestufe oder wirken wegen fehlender Selbstsicherheit unsouverän.
Aber noch einmal: Das alles sind Stereotpyen, es muss immer jede einzelne Situation und Person individuell betrachtet werden.
Welche Maßnahmen müssen Ihrer Meinung nach ergriffen werden, um der Unterrepräsentanz von Frauen im Management zu begegnen?
Ich bin eigentlich keine Befürworterin von staatlichen, dirigistischen Maßnahmen, einschließlich der Frauenquote. Ich würde mir wünschen, dass sich Frauen allein aufgrund der Erkenntnis, dass gemischte Teams bessere Erfolge erzielen, und den entsprechenden positiven Erfahrungen, durchsetzen. Ein Argument für eine staatlich festgesetzte Frauenquote könnte sein, dass sie die Unternehmen zu solchen positiven Erfahrungen zwingen kann. Häufig argumentieren Unternehmen damit, dass es keine geeigneten Kandidatinnen gibt. In Einzelfällen mag das stimmen, aber die Verteilung qualifizierter und nicht qualifizierter Kandidat*innen ist bei beiden Geschlechtern gleich. Und wie oft werden männliche Bewerber für eine Position berücksichtigt, die nicht 100% geeignet sind?
Es ist aber auch sehr schwer zu definieren, was am besten zu tun ist. Grundsätzlich gilt: Frauen müssen die Türen mehr geöffnet werden.
Ich bin z.B. Sprecherin im Arbeitskreis evangelischer Unternehmer für die Regionalgruppe München, als erste Frau bundesweit in dieser Position. Im Leitungskreis habe ich damals mitgeteilt, dass ich im Jahr 2020 nur weibliche Referentinnen einladen möchte. Am Ende waren alle begeistert und ich habe viel mehr Vorschläge für Referentinnen von den männlichen Kollegen erhalten, als ich für das ganze Jahr benötige. Mein Ziel ist es, dass es am Ende nicht mehr auf das Geschlecht, sondern allein auf die Qualifikation ankommt.
Aber geben Sie Frauen auch immer die Freiheit selbst zu entscheiden und fernab moralischer Wertvorstellungen oder moralischen Druckes frei zu denken und zu überlegen, wie sie ihr Leben gestalten möchten und welche Bedeutung sie beruflichem Erfolg in ihrem Leben einräumen möchten. Jede Frau muss entscheiden können, wie es für sie am besten passt. Das muss dann akzeptiert werden.
Sehen Sie im Bereich des Managements und dem juristischen Bereich Unterschiede hinsichtlich der Frage, welchen Hürden Frauen begegnen, wenn sie es „an die Spitze“ schaffen wollen?
Das Problem ist m.E. die noch stärkere Anforderung zeitlicher Flexibilität an Rechtsanwältinnen, da man sich häufig den zeitlichen Anforderungen der Mandant*innen schwer entziehen kann.
Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?
Die erste Frau, die in Tübingen Jura studiert hat, finde ich sehr beeindruckend: Welch starken Willen und Mut sie gehabt haben muss! Für ein Interview ist es zu spät, da sie das Studium im Wintersemester 1912/1913 aufgenommen hat.
Vielen Dank für das bereichernde Gespräch und die Zeit, die Sie sich dafür genommen haben!
München, 8. November 2019. Das Interview führte Lisa Gahleitner.
Spannende Porträts, die Dich ebenfalls interessieren könnten:
Britta Behrendt, Referatsleiterin im Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat, über ihre Karriere im öffentlichen Dienst, neue Wege zugehen und offene, selbstbewusste Kommunikation. Weiterlesen
Ina Brock, Managing Partnerin Clients & Industry bei der Kanzlei Hogan Lovells, über ihre Faszination an Massenprozessen im Gesundheitsbereich und wie es war, erste Teilzeit-Partnerin zu werden. Weiterlesen