Fatima Hussain, LL.M. im Porträt
„Legal Innovation ist die Zukunft – auch für Frauen!“
Fatima Hussain, Legal Counsel & Legal Innovation Advisor über ihre Tätigkeit als Legal Counsel in der Automobilindustrie, ihre Affinität zu Legal Tech, das insbesondere nicht „fancy" sein muss, sondern Zeit einsparen soll – beispielsweise durch die Softwareanwendung ChatBots, wie mehr Frauen für Legal Tech begeistert werden könnten und über Mut und den Umgang mit Kritik.
Liebe Fatima, nachdem Du bereits Erfahrungen in internationalen Großkanzleien gesammelt hast, bist du als Legal Counsel in die Automobilbranche gegangen. Wieso hast Du Dich für die Laufbahn als Legal Counsel entschieden?
Ausschlaggebend für diese Entscheidung war meine Erfahrung während des Rechtsreferendariats in der Wahlstation bei der AUDI AG. Dort war ich Teil eines großen Projektteams und stets im Austausch mit Spezialist*innen aus mehreren Fachbereichen – insbesondere Ingenieur*innen und Vertriebler*innen. Dadurch bin ich auch tiefer in die technische Materie eingestiegen, was mir persönlich große Freude bereitet. Darüber hinaus bin ich als Inhouse Counsel mehr in den Projekten involviert – von der Idee bis zur Umsetzung und Streitbeilegung. Bei meiner Tätigkeit in den Kanzleien war das Ziel hauptsächlich, punktuell eine Rechtsfrage zu prüfen. Mir fehlten dabei der große Überblick und die Nähe zu einem Produkt. Wesentlich für mich ist es, mich mit einem Produkt identifizieren zu können. Aufgrund dieser Erfahrung empfehle ich auch allen Jurist*innen das Rechtsreferendariat zu nutzen, um sich verschiedene Tätigkeitsfelder in verschiedenen Branchen anzuschauen.
Erinnerst Du Dich an ein Thema, das Dir aus technischer Sicht besonders in Erinnerung geblieben ist?
Ich durfte bisher schon viele spannende Projekte begleiten und lerne bei jedem neuen Thema dazu. Zum Beispiel wurde in einem meiner ersten Termine als Inhouse Counsel über eine Explosionsdarstellung gesprochen. Der Begriff sagte mir nichts und ich war gespannt was mich jetzt erwartet. Ein Ingenieur zeigte die granulare Darstellung der Einzelteile eines Autositzes. Wir konnten jedes einzelne Teil dieses Sitzes sehen – das war sehr besonders und ein toller Einblick in die komplexe Welt der Technik.
Im Vorgespräch hast Du erzählt, dass Du eine große Affinität zu Legal Tech hast. Dein Engagement dafür bei der Arbeit bringst Du sogar noch „on top" zu Deinen anderen Aufgaben ein. Was fasziniert Dich an Legal Tech besonders?
An Legal Tech ist das Faszinierende, dass die Digitalisierung uns in allen Bereichen erreicht hat – Smartphones, Kameras, Laptops, Bankkarten, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Wir haben im Alltag so viel digitalisiert, gleichzeitig ist der Rechtsbereich noch weit entfernt davon. Beispielsweise gibt es bei Behörden, Gerichten, Kanzleien sehr viele Bereiche, bei denen man mit nur kleinen Veränderungen große Effekte und positive Veränderungen erzielen kann. Und dabei Budget einspart. Viele denken, Legal Tech muss „fancy“ sein. Das stimmt nicht. Schon existierende Tech Tools können so eingesetzt werden, dass sie standardisierte Aufgaben bewältigen, Zeit einsparen und auf diese Weise sinnvoll eingesetzt werden.
Kannst Du grob erzählen weshalb Legal Tech auch in Rechtsabteilungen relevant ist?
Rechtsabteilungen sind, anders als externe Berater*innen, integraler Teil eines Projektteams und direkt an den Projekten beteiligt. Dabei ist eine enge Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen aus den Fachbereichen ausschlaggebend für ein erfolgreiches Projekt. Es ist also vor allem wichtig, dass die beteiligten Projektteammitglieder alle notwendigen Informationen und Hintergründe des Projektes kennen. Durch gezielte digitalisierte Prozesse kann ich als Inhouse Counsel das Projekt aus rechtlicher Sicht mitgestalten und intern managen. Das ist für die Planung und Zeit aller Beteiligten auf jeden Fall ein großer Vorteil. Ein konkretes Beispiel sind außerdem ChatBots an die rechtliche Standardfragen ausgelagert werden können.
Was ist ein ChatBot?
Ein ChatBot ist eine Softwareanwendung, mit der Chats per Text möglich sind ohne, dass die Einbindung eines Menschen notwendig ist. Sie können für jede rechtliche Standardfrage verwendet werden. Die Implementierung des ChatBots ist zwar eine große einmalige Investition. Sobald er implementiert ist bietet er gleichzeitig eine erhebliche Flexibilität hinsichtlich der Verwendung in verschiedenen Situationen und hilft so Kapazitäten und Budgets der Rechtsabteilungen zu schonen. Rechtsabteilungen können schnell auf Veränderungen reagieren und neue Schwerpunkte der Rechtsberatung, zum Beispiel das Arbeitsrecht und das Schadenersatzrecht zu Beginn der COVID19-Pandemie, angemessen adressieren.
In diesem Zusammenhang können ChatBots äußerst hilfreich sein, da sie Rechtsberatung rund um die Uhr zu bestimmten Standardfragen beantworten können, die keine Einzelfallberatung erfordern.
In welchen Bereichen siehst Du zukünftig die größten Innovationen?
Ich denke, dass sich die Rechtsbranche in den nächsten Jahren sehr stark verändern wird. Die größte Innovation sehe ich im Legal Projektmanagement, weil man feststellen wird, dass es sinnvoll ist, eine gemeinsame Plattform mit externen und internen Mandant*innen und Berater*innn zu schaffen. Das hilft um alle Beteiligten des Projekts gleichzeitig beispielsweise über Änderungen im Sachverhalt und im Zeitplan zu informieren. Eine E-Mail bietet nur eine sehr begrenzte Möglichkeit der Kollaboration und ist sehr fehleranfällig – angefangen vom zu kleinen oder zu großen Adressat*innenkreis, über den gegebenenfalls unvollständigen Inhalt und die Ungeeignetheit als Knowledge Management-Tool. Für Kanzleien ist das Thema Projektmanagement genauso wichtig, da es ihnen auch hilft, Budgets und Kapazitäten zu planen. Durch innovative Tools sind sie stets auf dem aktuellen Stand, können den Mandant*innen finanzielle Vorteile aufzeigen und dadurch einen Wettbewerbsvorteil erlangen.
Welche Tätigkeiten werden sich aus Deiner Sicht aufgrund von Legal Tech Innovationen zukünftig grundlegend ändern?
Neben dem gerade angesprochenen Legal Projektmanagement, wird sich aus meiner Sicht die Zusammenarbeit zwischen externen Berater*innen, Inhouse Counsel und Mandant*innen verändern. Alle Seiten werden näher zusammenrücken und insbesondere die externen Berater*innen werden stärker in die Projekte eingebunden, bekommen mehr Einblicke, das spart Zeit und Budget. Umständliche Kommunikation zwischen Partner*innen, Senior Associates und Junior Associates wird abgelöst, indem interne Mandant*innen externen Berater*innen ein Tool für die Kommunikation zur Verfügung stellen. Der Vorteil an diesen Tools ist auch, dass sie als Legal Spend Tools agieren können und die Rechtsabteilung genau sehen kann, wieviel Budget für die Rechtsberatung ausgegeben wird. Ein weiteres Tool ist auch das „Know How Management": Es verknüpft und bereitet „Know-How" auf und zeigt, welches „Know-How" bereits vorliegt und welche Rechtsfragen gegebenenfalls extern mitberaten werden müssen.
Die Automobilbranche gilt oft noch als Männerdomäne. Stellt Dich Deine Tätigkeit vor diesem Hintergrund vor Herausforderungen?
Mich hat es nicht vor Herausforderungen gestellt. Bei der Zusammenarbeit ist für mich vor allem entscheidend, dass ich mich immer auf die Professionalität der Teams, in denen ich arbeite, verlassen kann. Ich bin der Meinung, dass es bei einer gemeinsamen Tätigkeit nicht relevant ist, ob man eine Frau oder ein Mann ist – als Teil des Teams der Rechtsabteilung und des Unternehmens gehört man dazu. Wichtig ist dabei, insbesondere im eigenen Bereich der Expertise selbstbewusst zu sein und für eigene Werte einzustehen. Die Zusammenarbeit in großen Projekten ist ein Geben und Nehmen – ist das allen klar, gelingt die Zusammenarbeit.
Hast Du eine Idee, wie es gelingen könnte, mehr Frauen für Legal Tech zu begeistern?
Für mehr Frauen in Legal Tech brauchen wir Frauen in Legal Tech. Die Hemmschwelle, sich für diesen Bereich zu begeistern und sich aktiv zu engagieren ist niedriger, wenn es weibliche Vorbilder gibt und man als Frau repräsentiert ist. Man braucht immer Menschen, die aktiv und von der Sache begeistert sind, um andere zu begeistern. Mädchen und Frauen wird leider immer noch gesagt, Legal Tech und Technik an sich seien eher etwas für Männer, das zeigt sich schon an den Zahlen der eingeschriebenen Studentinnen in Studiengängen wie Maschinenbau. Richtig ist: Legal Tech ist etwas für alle – das muss deutlich gemacht werden. Frauen im Legal Tech Bereich sollten für andere sichtbar sein, beispielsweise durch Vorträge an Universitäten oder der Teilnahme an Konferenzen. Leider haben Frauen oft das Gefühl, Sichtbarkeit sei negativ. Dabei kann sie dazu beitragen, dass andere – egal ob Frauen oder Männer – sich für ein Thema aktiver engagieren.
Müsste Legal Tech aus Deiner Sicht bereits in der juristischen Ausbildung verankert sein?
Ja! Nicht notwendigerweise im Sinne von Programmieren, sondern als etwas Alltägliches, da es für die Studentinnen und Studenten der letzten Jahre normal ist, mit der Digitalisierung aufzuwachsen. In der juristischen Ausbildung fehlt leider aktuell oft das operative Wissen. Wie führe ich eine Akte, wie führe ich ein Verfahren, wie organisiere ich meine Arbeit und insbesondere wie kann ich die Digitalisierung dafür einsetzen? Dies sind Fragen, die meist erst in der Praxis erlernt werden müssen, gleichzeitig sind sie Voraussetzung für die juristische Tätigkeit der Zukunft.
Du engagierst Dich auch in Deiner Freizeit für viele Projekte, u.a. bist Du Advisorin beim Lawyers Magazine und wurdest beispielsweise für den European Women of Legal Tech Award nominiert. Wie wichtig ist es, „über den Tellerrand hinauszuschauen"?
Extrem wichtig. Für mich ist es essentiell, viel anzuschauen, mich zu engagieren und in bestimmte Themen einzulesen. Expertise muss man sich aufbauen, indem man aktiv ist, sich mit anderen darüber austauscht, Aufsätze schreibt oder Vorträge dazu hält und aus den Erfahrungen anderer lernt. Ich beschäftige mich mit diesem Thema leidenschaftlich gerne und bin glücklich, es mit meinem Beruf als Rechtsanwältin verknüpfen zu können.
Es kostet Mut mit bestimmten Themen in die Öffentlichkeit zu treten. Was rätst Du Frauen, die Sorge vor Kritik haben?
„Grow through what you go through." Dieser Spruch ist für mich wichtig und treffend. Negative Kritik kann natürlich verletzend sein, gleichzeitig wächst man daran – jede Erfahrung ist eine gute Erfahrung. Man darf nicht unterschätzen, dass man in diesen Situationen auch viel Support bekommt und viele tolle Menschen einen motivieren, weiterzumachen.
Man kann es nicht jedem Recht machen. Und nicht von allen gemocht werden – und das ist in Ordnung. Don’t be a people pleaser: das macht auf Dauer nicht glücklich.
Wie wichtig sind Vorbilder für Dich?
Vorbilder sind für mich immer wichtiger geworden, vor allem als ich in der Legal Tech Branche gemerkt habe, wie wenig Frauen es gibt. Beispielsweise ist die Wahl von Kamala Harris zur US Vize-Präsidentin ein Meilenstein. Sie wird Mädchen und Frauen helfen sich wiederzuerkennen und die Frage aufwerfen, wer wird DIE nächste (Vize)Präsidentin. Das ist maßgeblich. Wichtig ist neben Vorbildern auch jemand zu sein, der oder die seinen oder ihren eigenen Weg geht.
Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?
Mich inspiriert jede Frau, die den Mut hat, sich mit Themen zu positionieren, für die sie brennt, und die Frauen in männerdominierten Branchen repräsentiert. Vor allem, wenn sie es dadurch schafft, andere Frauen zu motivieren selbst aktiv und sichtbar zu werden und sich mit den Themen der Zukunft auseinanderzusetzen.
Vielen Dank für das spannende Interview!
München / Berlin, 19. Februar 2021. Das Interview führte Marina Arntzen, LL.M.
Mehr zu hören von Fatima Hussein gibt es im Podcast von Irgendwas mit Recht, hört rein!
Hier mit Kapitelübersicht und Transkript
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