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Ferechta Paiwand

Ferechta Paiwand im Porträt

„Traut Euch! Wenn Ihr einen Funken Leidenschaft habt, probiert es aus.“

Ferechta Paiwand, Partnerin von Frontwing und ehemalige Stipendiatin des Mercator Kollegs über Mut und Zweifel bei der eigenen Kanzleigründung, ihre Erfahrungen beim Mercator Kolleg und ihre Liebe für Space Law.

Liebe Fee, Du hast seit Beendigung Deiner Ausbildung bereits eine beeindruckende Liste unterschiedlichster Erfahrungen gesammelt. Dein jüngstes Projekt ist die Gründung der Kanzlei Frontwing Litigation PartG mbB in Hamburg zusammen mit vier Deiner ehemaligen Großkanzleikolleg:innen. Was hat Dich dazu bewegt, eine eigene Kanzlei zu gründen?

Mir ist bereits früh aufgefallen, dass man im Rahmen eines Angestelltenverhältnisses kaum Mitgestaltungsrechte hat oder Verbesserungsvorschläge einbringen kann, insbesondere als junger Mensch, der in der Hierarchie einer Großkanzlei ganz unten steht. Themen wie New Work, Gendern, Work-Life-Balance oder die simple Kleinigkeit wie eine Nicht-Alkoholische Alternative zu Wasser bei Kanzlei-Events werden oft nicht mitgedacht oder lassen sich in solch großen etablierten Kanzleien viel langsamer verändern.

Für mich haben diese tradierten Systeme nicht funktioniert, ich wollte maßgeblich mitentscheiden und habe mir deswegen auch bewusst Menschen gesucht, die in die gleiche Richtung blicken und ähnliche Schwerpunkte setzen wollen. Ich wollte eigene Gestaltungsspielräume schaffen und selbst die Zügel in der Hand haben.

Wofür steht der Name Frontwing?

Frontwing ist ein Kunstbegriff, zusammengesetzt aus „Front“ und „Wing“. Wir wollen damit die Assoziation wecken, dass wir uns entsprechend eines Flügels dynamisch, schnell und angepasst an den Fall für unsere Mandantschaft einsetzen und flexibel sind. Das Wort „Front“ soll zeigen, dass wir aufmerksam sind und immer an vorderster Front für unserer Mandant:innen kämpfen.

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Hattest Du Sorgen oder Vorbehalte vor dem Schritt in die Selbständigkeit und falls ja, wie bist Du damit umgegangen?

Sorgen hatte ich definitiv. Vermutlich die gleichen Sorgen, die jede*r hat, der bzw. die in die Selbstständigkeit geht. Vor allem das hohe finanzielle Risiko und die fehlende Absicherung sorgten für Unsicherheit. Auch quälte mich die Frage, was passiert, wenn das Projekt scheitert? Wird mir dann die Arbeitserfahrung angerechnet, wenn ich einen neuen Job suche oder erleide ich einen Karriereknick, weil mir das Scheitern angelastet wird? Ich war mir anfangs auch nicht sicher, wie wir im Team zusammenarbeiten werden, obwohl wir privat befreundet sind.

Aber ich habe viel Unterstützung von meinen Freund:innen und von meiner Familie erhalten. Bei einem langen Gespräch mit meinem Vater, der selbst immer im Angestelltenverhältnis tätig war, hat er mir folgenden Ratschlag gegeben: „Der Versuch ist eine echte Chance. Wenn Du es jetzt nicht versuchst, dann kann es definitiv nicht funktionieren und Du hast die Chance vertan. Aber wenn Du es versuchst, kann es fantastisch werden.“

Im Endeffekt habe ich dann eine Pro-Contra-Liste erstellt und abgewogen. Dann habe ich mich einfach getraut. Das war das Wichtigste.

Vier der fünf Gründungspartner:innen Eurer Kanzlei haben einen Migrationshintergrund. Inwiefern hat dies Auswirkungen auf Eure Arbeit?​

Ich denke, dass die Herangehensweise an die Mandatsarbeit etwas anders ist. Natürlich haben wir alle Jura studiert und verwenden die erlernten Herangehensweisen, Werkzeuge und Auslegungstechniken. Trotz allem schrecken wir nicht davor zurück, eine andere Perspektive einzunehmen, also den Fall aus einem anderen oder ungewöhnlichen Blickwinkel zu betrachten und so verschiedenste Lösungen zu finden.

Du hast neben dem Fachbereich Litigation eine besondere Leidenschaft für das Weltraumrecht und warst in diesem Zusammenhang Stipendiatin des Mercator Kollegs für internationale Aufgaben der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Woher kommt Dein Interesse für Weltraumrecht?

Das ist eine lustige und recht zufällige Geschichte. Im Rahmen meines Schwerpunkts an der Uni musste ich eine Seminararbeit zum Thema völkerrechtlichen Zugang zum Weltraum schreiben. Ich habe mich also gezwungenermaßen mit dem Thema beschäftigt. Bei der Auseinandersetzung habe ich dann gemerkt, wie spannend das Thema ist, sowohl juristisch als auch technisch. Man muss verstehen, wie ein Satellit funktioniert und wie er in den Weltraum verbracht wird, bevor man es rechtlich einordnen kann. Das bringt technische und rechtliche Aspekte zusammen, was mich sehr faszinierte.

Welche Erfahrungen durftest Du im Rahmen des Stipendiums sammeln und wie prägen sie Deine Sicht auf das Weltraumrecht heute?​

Das Mercator Kolleg-Stipendium erstreckt sich über ein Jahr und besteht aus vier „Stages“. Ich war in Indonesien, Wien, Bonn und Dubai. Insgesamt habe ich viel Neues gelernt, aber nachhaltig beeindruckt war ich regelmäßig von den verschiedenen Perspektiven, die ich in dieser Zeit einnehmen durfte. Die asiatische Region z.B. ist mit ganz anderen Schwierigkeiten und Hindernissen konfrontiert als Europa. Die Arbeit in einem österreichischen Thinktank hat meine Perspektive auf die Europäische Weltraumpolitik sehr verändert, weil ich nunmehr feststellte, dass Europa beim Thema Weltraumrecht – anders als ich anfangs angenommen habe – noch sehr unbedeutend auf dem globalen Feld ist und vielen Entwicklungen hinterherhinkt. In Bonn, in meiner nächsten Station in der German Space Agency, ist mir das dann auch noch einmal vor Augen geführt worden. Die Schwerpunktsetzung ist schwierig, insbesondere die politische. Es gibt insgesamt zu wenig Jurist:innen, die sich mit dem Thema befassen und diese sind dann oftmals nicht mutig genug. In Dubai, meiner letzten Station, habe ich am Gericht für Dispute Resolution im Weltraumrecht noch einmal eine ganz andere Herangehensweise an den Space-Sektor kennengelernt.

Es sind also völlig unterschiedliche Ansätze, aber hängen geblieben ist: Wir sitzen alle im gleichen Boot. Wir haben nur diese paar Orbits, die um uns kreisen, die müssen wir teilen. Daher ist Konsensfindung zwischen allen Staaten so wichtig.

Wie passen Weltraumrecht und der Alltag einer mittelständischen Kanzlei zusammen?​ 

Momentan machen wir in unserer Kanzlei klassische zivilrechtliche Streitigkeiten und noch wenig Space Law. Aber ich betone: noch nicht! Langfristig ist der Plan, dass wir noch mehr Mandate im Commercial Space Law in unser Angebot aufnehmen. Für den Ausbau unseres Netzwerks und die Akquise gehe ich daher auf Veranstaltungen, Konferenzen und Tagungen im Bereich Space Law und bin im regen Kontakt mit all jenen Menschen, die ich während meines Stipendiums getroffen habe. Akquise ist als Partnerin einer Kanzlei nun maßgeblicher Teil meiner Arbeit.

Studiert hast Du Jura in Bonn, Hamburg und Aix-en-Provence, Dein Referendariat hast Du in Hamburg absolviert. Wusstest du bereits während Deiner Ausbildung, dass Du mal in einem so spezialisierten Fachbereich landen würdest?

 

Nein, nicht wirklich. Das Jurastudium habe ich angefangen, weil ich einerseits international und andererseits gerne im Völkerrecht, wie z.B. der UN, arbeiten wollte. Aber es war mit neunzehn nie mein Traum, Rechtsanwältin zu werden. Es ist oft sehr witzig, wie Zufälle den eigenen Lebensweg prägen. Eigentlich wollte ich, wie gesagt, immer zur UN. Während des Mercator-Programms habe ich aber dann schnell gemerkt, dass das aus verschiedenen Gründen nichts für mich ist. Was konnte ich also – abgesehen von den Dingen, die man an der Uni lernt – im Völkerrecht machen? Eine eigene Kanzlei gründen!

 

Du hast in Deinem jüngsten Interview bei Deutschlandfunk Kultur erwähnt, dass Du lange nicht wusstest, was genau Du nach der Ausbildung konkret machen möchtest. Was rätst Du jungen Juristinnen, die noch auf der Suche nach ihrer Leidenschaft bzw. ihrem Unique Selling Point (USP) sind?

Mein Rat lautet: Traut Euch! Lasst Euch nicht zurückhalten, nicht von Euch selbst und auch nicht von der Gesellschaft. Lasst Euch nicht abschrecken, insbesondere nicht von technologischen Themen oder Nischenbereichen. „Ich kenne mich in dem Thema nicht aus“ ist keine Ausrede. Keine:r kennt sich am Anfang aus, insbesondere in den neuen Rechtsgebieten. Wenn Ihr einen Funken Leidenschaft für ein bestimmtes Rechtsgebiet habt, probiert es aus! Und fragt Leute in diesen Bereichen um Hilfe, trefft Euch auf einen Kaffee mit ihnen und tauscht Erfahrungen aus. Ihr werdet erstaunt sein, wie gerne diese Menschen ihre Expertise mit Euch teilen.

Du kommst aus einer Familie mit Fluchtgeschichte und bist heute Partnerin in einer Kanzlei. Inwieweit hat sich Dein familiärer Hintergrund auf Deinen beruflichen Werdegang ausgewirkt?

Es war nicht so, dass meine Eltern von Anfang an gesagt hätten: „Du machst jetzt Deine eigene Kanzlei auf.“ Zum Hintergrund: Meine Eltern waren beide Angestellte. Sie waren Geflüchtete. Ihre Abschlüsse wurden damals nicht anerkannt, als sie nach Deutschland kamen. Sie waren sehr viel Diskriminierung ausgesetzt. Und sie wussten, was es bedeutet im Niedriglohnsektor zu arbeiten. Deswegen war von Anfang an klar, dass ich studieren sollte und zwar einen klassischen Studiengang, z.B. Jura oder Medizin. Ich habe z.B. überlegt Katastrophenschutz zu studieren, aber da hatten meine Eltern Sorge, dass es diesen Studiengang womöglich nach kurzer Zeit nicht mehr geben würde. Sie haben immer gesagt, ich müsse doppelt so hart arbeiten wie „die Deutschen“, um das zu erreichen, was sie erreichen und dafür anerkannt zu werden.

Hattest Du je den Eindruck, als Frau „mit Migrationshintergrund“ im Berufsfeld Jura anders behandelt zu werden?

Ja, schon. Das fing schon im Studium an. In der Fallgestaltung wird den Menschen mit Migrationshintergrund immer eine spezielle Rolle zugeteilt. Im Referendariat geht es dann ähnlich weiter. Als ich bei der Staatsanwaltschaft war, hat mir mein Ausbilder beispielsweise von einem Spiel erzählt, das er regelmäßig mit einer Richter-Kollegin spielt. Sie nennt ihm das Delikt und er sagt ihr die passende Nationalität des Angeklagten oder der Angeklagten dazu. Das zeigt ziemlich deutlich, dass bestimmte Aspekte unterbewusst immer mit der Nationalität verbunden werden. Im Referendariat war ich dann im Auswärtigen Amt in Sambia. Meine Betreuerin war sehr inspirierend, ich habe unfassbar viel von ihr gelernt, gleichzeitig hat sie mich mit dem Ausruf begrüßt: „So jemanden wie Dich hatten wir hier noch nie!“. Sie hat mich dann auch einmal zum Essen eingeladen und mich vorher gefragt, ob ich etwas nicht esse. Ich habe dann gesagt, ich sei Vegetarierin, woraufhin sie gefragt hat: „Also auch kein Schweinefleisch?“ Zunehmend fällt einem der Umgang mit solchen Situationen leichter, aber auch das muss man erst lernen.

Auch wenn es bei Deinem Lebensweg nicht so aussieht: Gab oder gibt es für Dich Momente des Zweifels oder Scheiterns?

Ja, natürlich. Insbesondere das Jurastudium ist nicht gerade der Selbstbewusstseinsbooster. Man zweifelt eigentlich ständig an sich. Wenn schon „Vollbefriedigend“ die beste Note ist, die man bekommen kann, dann denkt man automatisch, dass man etwas nicht verstanden hat. Das prägt einen in hohem Maße, und traumatisiert auch. In der Großkanzlei geht das dann weiter. Wenn etwas schlecht gelaufen ist, wird es Dir gleich unmissverständlich deutlich gemacht. War es dagegen gut, hört man gar nichts. Das Schweigen ist das „Vollbefriedigend“ in der Großkanzlei. Unter diesen Leistungsmaßstäben leiden fast alle.

Von Großkanzlei, über ein Stipendium, das Dich durch die ganze Welt gebracht hat, bis hin zur eigenen Kanzleigründung. Was hilft Dir bei all den neuen Herausforderungen eine Balance im Alltag zu finden und einen klaren Kopf zu behalten?

Im Sommer gehe ich gerne Segeln. Im Alltag ist es aber oft schwierig, mir den Raum für meine Me-Time zu schaffen. Meine Freund:innen sind fast alle Jurist:innen, dies hilft beim Austausch enorm. Um den Blick zu weiten und andere Lebensrealitäten kennenzulernen, gehe ich gerne zu Vorträgen aus anderen Fachbereichen mit fachfremden Themengebieten. Jura wird von anderen Bereichen maßgeblich geprägt, deswegen empfinde ich es als sehr spannend, über andere Lebensrealitäten zu erfahren. Aus dem Grund reise ich auch sehr gerne.

Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Es gibt so viele bemerkenswerte Juristinnen. Ich könnte deshalb wirklich viele nennen und ihr habt auch schon so viele tolle Frauen interviewt. Ich möchte an dieser Stelle aber eine Gruppe von Juristinnen besonders herausheben: die, die eine Fluchtgeschichte oder einen Migrationshintergrund haben und deren Werdegang man im Kontext ihrer eigenen Lebensgeschichte sehen muss. Die, die den juristischen Beruf ergriffen haben, um zu kämpfen.

 

 
Vielen Dank für das spannende Interview!

 

Hamburg, 27. Oktober 2023. Das Interview führten Alicia Pointner und Mara Alin Brinker. 

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