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Dr. Hanna Sammüller-Gradl im Porträt

„Im Verwaltungsrecht ist wirklich das Leben!“

Dr. Hanna Sammüller-Gradl, Kreisverwaltungsreferentin bei der Stadt München, über Karriere in der Verwaltung, ihren Doppelabschluss im deutschen und französischen Recht und wie sie Familie und Karriere als Alleinerziehende miteinander vereinbart.

Was begeistert Sie am Verwaltungsrecht?

Verwaltungsrecht war schon immer mein liebstes Rechtsgebiet, weil es um das wichtige Verhältnis zwischen Bürger*innen und Staat geht. Das hat sich über die letzten Jahre und Jahrzehnte sehr verändert. Früher war die Vorstellung: Der Staat, schreibt von oben mit Verwaltungsakten vor, was Bürger*innen dürfen und was sie nicht dürfen. Hiergegen schützen die Grundrechte. Das hat sich über die Jahre sehr verändert. Bürger*innen haben inzwischen Ansprüche gegen den Staat und die Grundrechte fordern den Staat zum Handeln auf. Die Rollen haben sich gewandelt. Die Veränderung in unserer Gesellschaft wird so im Verwaltungsrecht sehr sichtbar.

Und was begeistert Sie an Ihrer Tätigkeit als Kreisverwaltungsreferentin?

Der direkte Kontakt mit Bürger*innen. Im Kreisverwaltungsreferat ist wirklich das Leben! Hier geht es um Angelegenheiten wie die Erstellung neuer Ausweisdokumente, Aufenthaltserlaubnisse, Bußgelder, die kommunale Verkehrsüberwachung, die Anmeldung von Gewerbe oder die Feuerwehr. Ich habe hier die Möglichkeit, das Leben der Menschen in diesen Bereichen direkt zu verbessern. Das motiviert mich und begeistert mich!

Zum anderen finde ich die unterschiedlichen Menschen mit verschiedenen Bedürfnissen, die hier arbeiten, großartig; dass sie auf ihre individuelle Art an Dinge herangehen, weil sie mannigfache Hintergründe haben.

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Was gehört denn zu den konkreten Aufgaben als Kreisverwaltungsreferentin?

Kein Tag ist wie der andere. Täglich vorgeschaltet ist bei mir die Terminkoordination mit dem Vorzimmer, um zu schauen, was ansteht. Bin ich viel außer Haus? Muss ich mich auf einen Termin nochmal speziell vorbereiten? Dann beginnt mein Tag mit der Analyse der Presse und dem Beantworten von Presse-Anfragen. Ich setze mich mit meinem Stellvertreter, meinem Büroleiter und meiner Pressesprecherin zusammen und wir gehen durch, was die Themen sind, die die Menschen bewegen und ob wir etwas tun können: Worauf müssen wir reagieren oder was müssen wir klarstellen?

Im Kreisverwaltungsreferat gibt es mehrere Abteilungen. Zur Abteilung Sicherheit und Ordnung gehören die Bereiche Veranstaltungen, Versammlungen, Rechtsabteilung, die Bußgeldstelle und die kommunale Verkehrsüberwachung sowie die kommunale Außenstelle. Zur Abteilung II gehören die Bürger*innen-Angelegenheiten wie Bürger*innenbüro, Standesamt, KFZ-Meldestelle, Ausländermeldebehörde. Zur Abteilung III gehören die Gewerbeangelegenheiten, Fundbüro und Veterinäramt. Und auch die Branddirektion ist eine Abteilung. Mit jeder Hauptabteilung habe ich einen regelmäßigen Jour fixe, in dem wir uns austauschen und über die dringenden Themen und die Umsetzung von Projekten sprechen. Das sind sehr bedeutsame Austauschrunden.

Dann habe ich viele Termine im Kreisverwaltungsausschuss der Stadt München. Da muss ich beispielsweise Beschlüsse vorbereiten. Themen sind z.B. die künftige Ausgestaltung von Bürger*innenbüros, wie viele Stellen die Ausländerbehörde bekommt oder wie die kommunale Verkehrsüberwachung digitalisiert werden kann. In diesem Zusammenhang ist auch die Zusammenarbeit mit anderen Referaten wie der Kämmerei oder dem Personal- und Organisationsreferat wichtig. Ausgearbeitete Beschlussvorschläge bringe ich dann in den Kreisverwaltungsausschuss ein.

Einmal im Monat gibt es noch die Vollversammlung des Münchner Stadtrats, bei der die „großen“ politischen Themen beschlossen werden. Da bin ich natürlich auch anwesend und stehe für Fragen zur Verfügung.

Jetzt gerade ist Wiesn-Zeit; da sind wir auch eingebunden. Heute morgen durfte ich beispielsweise die Wurstprüfungskommission leiten. Da überprüft eine von der Lebensmittelüberwachung eingesetzte Kommission aus Vertreter*innen von Verbraucher*innen, Metzger*innen und von Verbänden die Qualität der Würste auf dem Oktoberfest.

Kann man in der Verwaltung Karriere machen und wenn ja, wie?

Ja kann man, definitiv. Ich habe als juristische Sachbearbeiterin im Kommunalreferat bei der Stadt München angefangen. Da ging es um Grundstücksangelegenheiten und städtebauliche Verfahren. Ich habe ich mich Stück für Stück hochgearbeitet. Erst bin ich stellvertretende Leitung der Enteignungsbehörde geworden. Danach war ich in Freising Stadtjuristin und habe zum ersten Mal ein Referat geleitet. Auf die Frage, wie man Karriere macht, würde ich sagen; innovativ sein, dem Klischee des*der Beamt*in bewusst entgegentreten und zeigen, dass man in der Verwaltung arbeitet, um Menschen zu helfen. Es hilft auch, mutig zu sein; also eine Idee umzusetzen, auch wenn man sich nicht hundertprozentig sicher ist, ob sie funktioniert. Das kann man auch klar so benennen und offenlegen. Wenn dann beispielsweise die Veränderung eines Verfahrens nicht funktioniert, kann man ja auch wieder zum alten Verfahren zurück oder nochmal nachjustieren. Und drittens muss man den Sprung in die Führung auch einfach irgendwann wagen. Man darf nicht auf den Zeitpunkt warten, an dem man sich für Führung bereit fühlt, oder an dem einem das von außen zugetraut wird. Der Morgen, an dem aufwacht und denkt, heute bin ich bereit, wird meiner Erfahrung nach nicht kommen.

Wie wichtig ist eine Parteizugehörigkeit, um in der Verwaltung Karriere zu machen?​

Ich bin Mitglied bei den Grünen. Aber man braucht nicht zwingend ein Parteibuch, um in der Verwaltung Karriere zu machen. Meine Stelle als Behördenleitung ist schon politisch angedockt, aber alle Stellen darunter waren das nicht. In Freising war beispielsweise der Oberbürgermeister nicht bei den Grünen und ich wurde Leiterin des Rechtsamts, obwohl ich bei den Grünen war. Im Beamtenrecht gilt die Bestenauslese, da darf das Parteibuch überhaupt keine Rolle spielen. Auch für meine aktuelle Stelle als Referentin wäre das nicht zwingend nötig gewesen. Es gibt auch berufsmäßige Stadträtinnen, die bewusst kein Parteibuch haben.

Sie sind die erste Frau im Amt der Kreisverwaltungsreferentin. Welche Auswirkungen hat das?

Die Aufmerksamkeit ist eine ganz andere. Einerseits sagen viele „Toll, die erste Frau!“ Aber es gibt natürlich auch die Sichtweise „Eine Frau dazu noch mit zwei Kindern und dann auch noch von den Grünen!“. Die muss eigentlich alles mindestens doppelt so gut machen wie ihr männlicher Vorgänger, um angesehen zu sein. In der Belegschaft des Kreisverwaltungsreferats ist das hingegen kein Thema. Bei meiner vorherigen Stelle in Freising war es das durchaus. Da wurde ich als junge Frau und Vorgesetzte durchaus kritisch beäugt. Aber auch mit alteingesessenen Kollegen, die vielleicht etwas traditioneller unterwegs waren als ich, habe ich schließlich zusammengefunden und wir konnten gut miteinander arbeiten. In Freising hatte ich bewiesen, dass ich beispielsweise die Leitung einer Feuerwehr übernehmen kann. Es kam mir hier in München dann zugute, dass ich diese Erfahrung vorweisen konnte.

Was würden Sie jungen Juristinnen raten?​

Jungen Frauen möchte ich sagen, dass Sie nach dem Jurastudium wirklich alles machen können! Das ist das Großartige! Nach dem langen Studium und Berufsanfang darf man sich bloß nichts anderes erzählen lassen. Man sollte das machen, worauf man Lust hat.

Außerdem würde ich raten, die Karriereplanung nicht von der Familienplanung abhängig machen. Bei Positionen oder Angeboten zu zögern, weil man eventuell bald eine Familie gründen möchte, halte ich für den falschen Schritt. Da macht man den zwanzigsten vor dem ersten Schritt. Die Entscheidung zwischen Beruf und Familie kann nur die ultima ratio sein. Diese Frage gleich an den Anfang einer Karriere zu stellen, halte ich für nicht zielführend.

Wie haben Sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zurzeit organisiert?​ 

Ich habe zwei Kinder im Alter von sechs und zehn Jahren. Mein Sohn ist auf einer Ganztagsschule bis 15:30 Uhr mit anschließender Hortbetreuung bis 18:00 Uhr.

Meine ältere Tochter ist auf einem Gymnasium bis 16:00 Uhr. Regelmäßig werden die Kinder von den Großeltern abgeholt und betreut. Zweimal die Woche habe ich aber einen Blocker im Kalender, da gehe ich dann so früh, dass ich sie nachmittags bzw. abends selbst betreuen kann.

Schon bevor ich Kinder hatte, habe ich entschieden, dass ich Kinder und Karriere möchte. Daher habe ich mich bereits in der Schwangerschaft um Betreuungsplätze gekümmert und wusste auch, dass die Kinder vor dem ersten Lebensjahr fremdbetreut sein werden. Natürlich musste ich mich auch mit den gesellschaftlichen Erwartungen auseinandersetzen, die an mich herangetragen wurden, aber ich habe für mich entschieden: Für mich passt das.

Das erste Kind haben Sie gegen Ende des Referendariats bekommen und haben dann Ihre erste Stelle bei der Stadt München angetreten. Wie haben Sie den Berufseinstig mit Kind gestaltet?

In der Bewerbung habe ich natürlich geschrieben, dass ich ein Kind habe. Meine Tochter war damals ca. 1 ½ Jahre alt. Da habe ich in der Tat erstaunte Fragen bekommen wie „Sie wissen, dass das eine Vollzeitstelle ist?“, „Sie wissen schon, was Vollzeit ist?“ und „Aber Sie haben doch eine kleine Tochter!“ Ich habe erklärt, dass die Betreuung durch einen Kita-Platz gewährleistet ist und dass es auch einen Vater gibt, der sich kümmert. Auch bei einer späteren Stelle wurde ich danach gefragt, wie ich das denn machen möchte mit Kind. Da habe ich mich dann getraut, zu fragen, ob diese Frage denn auch dem männlichen Mitbewerber gestellt wurde.

Häufig hört man, dass die Wahl des „richtigen“ Partners für Frauen ein wichtiger Faktor für die Vereinbarkeit von Karriere und Familie ist; in dem Sinne dass er das Vorhaben unterstützt. Sie sind inzwischen alleinerziehend.

 

Ja, anfangs dachte ich auch, dass ich das nicht schaffe. Ich dachte, das sei alles nur möglich, weil ich einen Partner habe, der selbst eine aktive Rolle bei der Kinderbetreuung hat. Dass es jetzt doch funktioniert, stellt diesen Vorsatz natürlich in Frage. Weil es muss, geht es eben doch. Ich denke, wenn man ein klares Bild hat, was man möchte und welchen Stellenwert was im Leben hat, dann geht viel mehr als man anfangs denkt. Und ich kann jetzt sagen: Es geht.

 

Wie haben Sie dieses klare Bild, was Sie möchten, für sich entwickelt?

Das ist ein Prozess. Ich fand es wichtig, die Sachen auszuprobieren. Und dann ist es am besten, ganz ehrlich in sich reinzuhören, ob sich das gut anfühlt. Hätte ich mich während des Schreibens meiner Dissertation zum Beispiel gefragt, ob mich das glücklich macht, wäre die ehrliche Antwort wahrscheinlich „Nein“ gewesen. Danach wusste ich dann auch, dass das jahrelange Beschäftigen mit einer juristischen Fragestellung wohl eher nichts für mich ist. 

 

Ein guter Indikator herauszufinden, was einem liegt, kann zum Beispiel auch das Zeitgefühl sein. Wenn man alle Viertelstunde auf die Uhr schaut und die Zeit sehr langsam vergeht, ist es vielleicht nicht das richtige. Hier im Kreisverwaltungsreferat wundere ich mich häufig, dass schon wieder die Sonne unter geht (lacht).

Wie haben in München und Paris studiert und dann einen Doppelabschluss erlangt. Wem würden Sie dazu raten?

Ich habe vier Semester in München studiert und bin dann nach Paris gewechselt. Dort habe ich zwei Semester die Licence en droit gemacht und ein Semester die Maîtrise en droit. Mit Abschluss des zweiten Staatsexamens wird dann der Rest der Maîtrise anerkannt.

Ich würde dazu raten, wenn man z.B. das Gefühl hat, man möchte in einer internationalen Organisation arbeiten. Dort ist Französisch häufig noch eine prägende Sprache und es hilft, die entsprechenden Termini zu lernen. Auch wenn man im französischen Sprachraum arbeiten möchte, ist der Doppelabschluss natürlich ebenso hilfreich.

Würde ich es nochmal machen? Mit der Erfahrung von heute eher nicht. Ich wollte im Ausland studieren und neue Menschen kennenlernen. Dafür hätte ich aber auch ein Erasmus-Auslandssemester machen können. Der Doppelabschluss war eine große Herausforderung, denn das französische Jurastudium ist ganz anders als das deutsche. Es ging weniger darum, Fälle zu lösen, sondern darum Rechtsprechung auswendig zu lernen, Zusammenhänge zwischen Rechtsprechungen herstellen zu können und Aufsätze zu verfassen. Als Deutsche mit den französischen Student*innen im dritten Jahr mitzuhalten, war nicht einfach. Von der Stadt und der Kultur habe ich letztendlich nicht viel gesehen. Ich könnte aber heute noch einen Reiseführer über die besten Arbeitsplätze in den Pariser Bibliotheken schreiben (lacht).

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Dr. Yasmin Holm, Head of Tax, Legal & Compliance bei Schletter Group. Sie ist immer reflektiert und hinterfragend, ob die Tätigkeit zu ihren Werten und ihren Bedürfnissen passt.

 

 
Vielen Dank für das spannende Interview!

 

München / Frankfurt am Main, 19. September 2023. Das Interview führte Laura Nordhues. 

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