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Ingrid Schmidt

Ingrid Schmidt im Porträt

„Herausforderungen nehme ich an!“

Ingrid Schmidt, Präsidentin des BAG im Interview über ihren Alltag als Präsidentin eines Bundesgerichts, ihre Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesverfassungsgericht und das Wahlverfahren von Arbeitsrichter*Innen.

Frau Schmidt, Sie sind seit 2005 Präsidentin des Bundesarbeitsgerichtes. Mit Ihrer Ernennung war die Stelle zum ersten Mal in der Geschichte des BAG von einer Frau besetzt. Begonnen haben Sie Ihre Karriere in der Justiz am Sozialgericht als Richterin auf Probe. War das von Beginn an so geplant?

Für so eine Planung war ich weder cool noch selbstbewusst genug. Eine solche Karriere ist nicht am Reißbrett planbar. Wer so etwas glaubt, wird Enttäuschungen erleben. Es geht darum, zur rechten Zeit am rechten Ort die passende Person zu sein.

Auch wenn Sie sich zu Beginn des Studiums keine Gedanken über die richterliche Tätigkeit gemacht haben, Sie sind Richterin geworden und bis heute dabei geblieben. Was gefällt Ihnen an der Tätigkeit als Richterin so besonders gut?

Von Beginn an: Das selbständige und unabhängige Arbeiten, die damit verbundene Verantwortung für das Funktionieren des Rechtsstaats, ohne den eine Demokratie nicht denkbar ist.

Wie sieht Ihr Alltag als Präsidentin eines Bundesgerichtes aus?

Unspektakulär: Sitzungsvorbereitung, Verwaltungsarbeit, Personalführung, Reden schreiben, Repräsentationstermine wahrnehmen und seit einiger Zeit die praktische Umsetzung des elektronischen Rechtsverkehrs und die der Digitalisierung der Justizakten.

Sie erzählten, dass Sie früher schon quasi im Homeoffice arbeiten konnten. Wie meinen Sie das und ist Ihnen deswegen die Umstellung durch die Covid-19 Pandemie leichter gefallen?

Den meisten Richterinnen und Richter ist Homeoffice nicht fremd. Mit dem Präsidentenamt sind aber Präsenzpflichten im Gericht verbunden, was häusliches Arbeiten nur beschränkt zulässt. Wie allen anderen auch ist mir die Umstellung nicht leichtgefallen, weil der persönliche Kontakt, das persönliche Gespräch mit den Gerichtsangehörigen eben sehr eingeschränkt war. Video- und Telefonkonferenzen können dieses Manko nur bedingt kompensieren.

1994 wechselten Sie zum Bundesarbeitsgericht und waren dort als Richterin tätig. Sie waren damals erst die vierte und zu dem Zeitpunkt einzige Richterin am Gericht und bekamen erst drei Jahre später Gesellschaft von einer anderen weiblichen Kollegin. Wie haben Sie die Zeit, in dem sicherlich männlich geprägten Umfeld, wahrgenommen?

 

Eine solche Situation kannte ich zuvor nicht. Die Richter wie das nichtrichterliche Personal nahmen mich freundlich und kollegial auf. Auch sie fanden es befremdlich, dass Ende des 20. Jahrhunderts der Frauenanteil im Richterkollegium des BAG derart unausgewogen war. Doch glücklicherweise hat sich das seitdem grundlegend geändert.

Was macht Ihrer Ansicht nach einen guten Richter oder eine gute Richterin aus?

Ein Gespür dafür zu haben, was es bedeutet "Im Namen des Volkes" über das Schicksal von Menschen zu entscheiden. Zu wissen, dass Unabhängigkeit nicht nur Unbefangenheit verlangt, sondern ein Ringen mit sich selbst, vor öffentlichem Druck nicht zu weichen, auch unbequeme Wege zu gehen und das eigene Handeln selbstkritisch zu hinterfragen.

Die Wahl der Arbeitsrichter erfolgt durch den Richterwahlausschuss, auf den die bereits benannten oder ausscheidenden Richter*innen keinen Einfluss haben. Muss Ihrer Meinung nach dieses Auswahlsystem geändert werden, damit mehr Frauen ans Bundesarbeitsgericht kommen?

Eine Änderung des derzeitigen Wahlverfahrens wird gelegentlich diskutiert. Ich kenne kein alternatives Auswahlverfahren, das ohne Schwächen wäre. Immerhin ist das richterliche Personal des Bundesarbeitsgerichts derzeit nahezu geschlechterparitätisch besetzt, auch bei den Vorsitzenden der Zehn Senate. Das Problem liegt also nicht am Verfahren, sondern an der Einstellung der Auswahlberechtigten, aber auch am Reservoir der in Betracht kommenden Wählbaren. Mit dem nunmehr hohen Richterinnenanteil in der Arbeitsgerichtsbarkeit stehen mittlerweile auch genügend Frauen zur Verfügung, die in der Lage sind, richterliche Spitzenpositionen am Bundesarbeitsgericht einzunehmen.

In Ihrer Laufbahn waren Sie unter anderem von 1990 bis 1993 ans Bundesverfassungsgericht abgeordnet als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Was darf man sich unter dieser Tätigkeit vorstellen?

Arbeit, Arbeit und nichts als Arbeit: Gutachten und Entscheidungsvorschläge für Kammerentscheidungen zu entwerfen, Senatsentscheidungen vorzubereiten, Sparringspartner des/der Verfassungsrichters/in zu sein, dem/der man zugeteilt ist. Das alles auf hohem fachlichen Niveau und bei Senatssachen auf unbestelltem Terrain. Fordernd und spannend zugleich.

Welchen Tipp haben Sie für junge Jurist*innen, die eine richterliche Laufbahn anstreben oder sich erhoffen, ans Bundesverfassungsgericht abgeordnet zu werden?

Wenn eine entsprechende Anfrage kommt: Ins kalte Wasser zu springen!

Sie erzählten, dass Sie sich sowohl bei der Ernennung ans BAG wie auch bei der Abordnung zum BVerfG nicht sicher waren, ob Sie der Aufgabe gewachsen sind. Wie gehen Sie mit Herausforderungen um?

Ich nehme sie an. Alternativen gibt's immer.

Sie sind Mutter von zwei Kindern. Würden Sie sagen, dass unter anderem durch die oben schon angesprochene Möglichkeit zum Homeoffice, die richterliche Tätigkeit sich besser als andere Berufe hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Berufstätigkeit eignet?

Die richterliche Tätigkeit bietet mehr als andere juristische Berufe die Möglichkeit, Beruf und Familie zu vereinbaren, vorausgesetzt man verfügt über Organisationstalent und den unbedingten Glauben, dieser Herausforderung gewachsen zu sein.

Die Betreuungssituation nach der Geburt eines Kindes führt oftmals dazu, dass Frauen eher in Teilzeitjobs arbeiten oder ihren Beruf (zeitweise) aufgeben. Gibt es Ihrer Ansicht nach Anreize, die man gezielt für Männer setzen kann und sind hier vor allem die Arbeitgeber gefragt?

Gefragt sind in erster Linie die Eltern. Sie müssen für sich die Betreuungsfrage klären. Dabei müssen Frauen lernen, nicht vorschnell in die  „Teilzeitfalle" zu tappen. Die staatlichen Lohnersatzleistungen in Form von Elterngeld u.a. machen es Männern nicht mehr ganz so einfach, sich unter Hinweis auf drohende Gehaltseinbußen der Verantwortung für die Betreuung ihrer Kinder zu entziehen. Zudem hat auch bei Arbeitgebern ein Umdenken eingesetzt - Kinderbetreuung ist nicht zwangsläufig ein Karrierehindernis.

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Die 1896 geb. Elisabeth Selbert - eine der vier Mütter des Grundgesetzes.

Ihr persönlicher Werdegang ist beeindruckend: Handelsschulabschluss, Heirat, 2 Kinder, Abitur nachgeholt, Jurastudium nach sechs Semestern abgeschlossen, einsemestrige Dissertation "Ehezerrüttung als Scheidungsgrund", ab 1934 Anwältin mit Schwerpunkt Familienrecht. Elisatbeth Selbert hat Vereinbarkeit von Beruf und Familie bereits anfangs des 20. Jahrhunderts vorgelebt.

Ihr juristisches Wirken war weitsichtig: Gegen alle politischen Widerstände und mittels einer in der Nachkriegszeit beispiellosen öffentlichen Kampagne hat sie Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG durchgesetzt - Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Ein für die damalige Zeit revolutionärer Satz, der frauenbenachteiligenden Regelungen, vor allem denen des Familienrechts, die Grundlage entzog.

 

Vielen Dank für das spannende Interview!

 

Erfurt, 26. August 2020. Ingrid Schmidt hat die Fragen schriftlich beantwortet. Die Fragen stellte Karen Kelat.

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