Dr. Inka Hanefeld, LL.M., im Porträt
"Selbstständigkeit ist ein Zugewinn von Unabhängigkeit."
Dr. Inka Hanefeld, Gründungspartnerin von Hanefeld Rechtsanwälte, über Anforderungen und Vorzüge der Selbstständigkeit sowie die in verschiedenen Lebensphasen unterschiedlichen Herausforderungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Frau Hanefeld, seit Jahren gelten Sie als eine der besten Schiedsrichterinnen Deutschlands; erst vor kurzem wurden Sie von The Legal 500 als eine von 13 „Führenden Namen“ in der deutschen Schiedsverfahrensrechtsszene für das Jahr 2018 benannt. Was zeichnet in Ihren Augen eine hervorragende Schiedsrichterin bzw. einen hervorragenden Schiedsrichter aus?
Als "hervorragend" erachte ich Kolleginnen und Kollegen, die über den juristischen Sachverstand hinaus in sich eine ganze Reihe von fachlichen und persönlichen Eigenschaften vereinen: die Fähigkeit zuzuhören und die richtigen Fragen zu stellen; Interesse und Bereitschaft, die spezifischen Charakteristika des Falles (fachlich, rechtlich, wirtschaftlich) zu verstehen; ein gutes Judiz; Fleiß; Organisation; Wille zur Befriedung; Verantwortungsbewusstsein; Dialogfähigkeit; Autorität; Empathie gepaart mit der nötigen Distanz; interkulturelle Kompetenz; Mut zur Entscheidung. Diese Liste ließe sich endlos fortschreiben. Mit jedem Fall erweitert sich die "Toolbox".
Auch Ihre erst 2011 gegründete Sozietät wurde bereits mehrfach ausgezeichnet, etwa Ende 2017 von Global Arbitration Review als eine der 100 führenden Kanzleien für Schiedsverfahrensrecht weltweit. Haben Sie, als Sie sich selbstständig machten, mit einem derart durchschlagenden Erfolg gerechnet?
Nein. Erfolg lässt sich meines Erachtens nur eingeschränkt planen. Er kommt auf einen zu, wenn man das Glück hat - wie ich - gemeinsam mit tollen Kollegen und Kolleginnen kontinuierlich an einer guten Idee zu arbeiten.
Den Schritt zur Selbstständigkeit haben Sie 2005, mit 35 Jahren, erstmals gewagt; damals noch als Partnerin in einer erst kurz zuvor als Spin-off von Freshfields Bruckhaus Deringer gegründeten Kanzlei. Diesen Zeitpunkt nannten Sie einmal „im richtigen Alter und zur richtigen Zeit“. Was genau meinten Sie damit?
Mit 35 Jahren hatte ich bei Freshfields eine hervorragende Ausbildung genossen und ausreichend Erfahrung gesammelt, um den Sprung "ins kalte Wasser" zu wagen. Ich wusste, "schwimmen kann ich", aber gleichzeitig hatte ich keinen Erfolgsdruck und musste auch keine Familie ernähren. Entsprechend empfand ich den Schritt in die Selbstständigkeit weniger als ein Wagnis, sondern vor allem als eine Chance und einen Zugewinn von Unabhängigkeit.
Welche Eigenschaften braucht es in Ihren Augen, um sich als Anwältin oder Anwalt erfolgreich selbstständig zu machen? Sehen Sie hierbei für Frauen besondere Herausforderungen?
Neben fachlichen und persönlichen Qualitäten braucht es für eine erfolgreiche Selbstständigkeit als Anwältin/Anwalt vor allem Unternehmergeist. Den kann man zu einem gewissen Maß erlernen, aber bis zu einem gewissen Grad hat man(n)/frau diesen einfach, oder eben auch nicht. Hier müssen sich Männer wie Frauen gleichermaßen selbstkritisch hinterfragen: Glaube ich an mich und meine Idee? Finde ich die richtigen Personen zur erfolgsversprechenden Umsetzung dieser Idee? Bin ich bereit, auch schwierigen oder sich verändernden Marktbedingungen innovativ zu begegnen und immer wieder die nötigen Korrekturen vorzunehmen und beweglich zu bleiben.
Noch heute hört man oft Verwunderung darüber, dass Freshfields Sie 2005 ziehen ließ. Welche Gründe haben Sie damals dazu bewegt Ihren Arbeitgeber zu verlassen und sich selbstständig zu machen?
Ich denke, alles hat seine Zeit. Ich möchte die ersten 7 Jahres meines Berufslebens bei Freshfields nicht missen. Sie haben mich gefordert und geprägt. Aber irgendwann wurde mein Freiheitsdrang zu groß. Ich wollte selbst meine Ziele definieren, langfristig in meine Ideen investieren und einen neuen beruflichen und privaten Weg mit neuen Freiräumen einschlagen.
Haben sich die Vorteile, die Sie damals in der Selbstständigkeit suchten, verwirklicht? Können Ihre Mitarbeiter heute ebenfalls davon profitieren?
Ja, sowohl meine Kollegen und Kolleginnen als auch ich schätzen auch heute noch die Gestaltungsfreiheit und Unabhängigkeit, die ich mir von der Selbstständigkeit erhofft habe. Neben der hochqualitativen Fallarbeit steht bei uns "Business Development" und "Career Development" weit oben auf der Agenda. Jede/r einzelne ist gefordert, ab dem ersten Tag in der Kanzlei Ideen zum großen Ganzen sowie zur Entwicklung ihrer/seiner individuellen "unique selling points" beizutragen. Ferner schaffen wir es alle - jeder auf seine Art - berufliche und private Belange in einen sehr guten Einklang zu bringen. So arbeitet z.B. einer meiner Partner häufig remote von seinem Wohnort in Berlin. Auch mehrwöchige ungestörte Urlaube, Elternzeiten, etc. werden langfristig koordiniert und ermöglicht. Auch insoweit, dank unserer Teamarbeit und verlässlicher Organisation, nutzen wir weitmöglich die Freiheiten, die die Selbstständigkeit bietet.
Sie sind Mutter eines neunjährigen Sohnes. Wie ist die Kinderbetreuung in Ihrer Familie organisiert?
Als mein Sohn 2008 geboren wurde, befand ich mich in den ersten Jahren der Aufbauphase meiner Selbstständigkeit und musste gleichzeitig der Auslastung und Verantwortung für meine Mitarbeiter gerecht werden. Eine wirkliche Pause kam für mich also nicht in Betracht. Da mein Mann seinerseits beruflich sehr eingespannt und viel auf Reisen ist, habe ich mich von Anfang an bis heute für das Kinderbetreuungsmodell einer Vollzeit-Kinderfrau entschieden. Dies ist ein vergleichsweise teures Modell, aber bietet gleichzeitig absolute Verlässlichkeit, Struktur, Kontinuität und für mich maximale Flexibilität, sämtliche Belange von Familie und Beruf in Einklang zu bringen.
Als Ihr Sohn geboren wurde, waren Sie bereits seit 12 Jahren Anwältin und hatten sich bereits erfolgreich selbstständig gemacht. Würden Sie Anwältinnen, die in einer Großkanzlei arbeiten oder sich selbstständig machen wollen, zuraten ebenfalls erst mal mehrere Jahre Berufserfahrung zu sammeln?
Ich denke, zum "richtigen" Zeitpunkt der Familiengründung kann man keine generellen Aussagen treffen. Ich hätte schon gern früher Kinder gehabt und hätte diesen Wunsch auch nie dem Sammeln von Berufserfahrung untergeordnet. Berufserfahrung kann man sein ganzes Leben lang sammeln. Die "Kinderjahre" sind indes begrenzt.
Was empfinden Sie als größte Herausforderung bei der Balance von Familie und Ihrer Tätigkeit und wie gehen Sie damit um?
Die Herausforderungen bei der Balance von Familie und Berufstätigkeit haben sich über die Jahre gewandelt. Im Nachhinein hätte ich mir im Baby- und Kleinkindalter meines Sohnes viel mehr "home office" gönnen sollen. Anstatt dessen habe ich mich sehr eng an traditionelle Büroarbeitszeiten gehalten, um ein vermeintlich gutes Vorbild für meine Mitarbeiter zu sein. Im Kindergartenalter empfand ich den sozialen Druck als besondere Herausforderung ("wie, Du arbeitest Vollzeit"?). Auch damit musste ich lernen, umzugehen. Mit der Schule verlagern sich erneut die Themen. Hier habe ich gelernt, von Jahr zu Jahr zu schauen, was gerade die Bedürfnisse und Herausforderungen sind und wie ich alles am besten in Einklang bringe. Wichtig erscheint mir generell, sich an allen möglichen Stellen maximale Unterstützung zu organisieren. Der Tag hat nur 24 Stunden. Wenn ich am Schreibtisch sitze, kann ich nicht gleichzeitig die Wäsche anstellen, Einkaufen gehen, oder meinen Sohn zum Fußball bringen. Man muss sich entscheiden, wie man die Prioritäten setzt, diese klar kommunizieren, Erreichbarkeiten festlegen und gewissenhaft entscheiden, ob/was man delegiert.
Sie empfehlen anderen Frauen, nicht zu schnell aufzugeben. Woher nehmen Sie Ihren Mut und das Durchhaltevermögen, die Sie heute so weit gebracht haben?
Ich empfinde mich nicht als "mutig". Es ist vielmehr die Bereitschaft, mich etwaigen Ängsten zu stellen und dennoch voranzuschreiten, die mich weiter bringt. Das versuche ich auch meinen Mitarbeitern zu vermitteln. Wir haben alle unsere individuellen Stärken und Schwächen. Die Stärken sollte man zum Leuchten bringen. Die Schwächen sollte man hinterfragen und daran arbeiten. Und so lange alles in allem das Licht den Schatten überstrahlt, hält man auch durch und es geht freudvoll mal schneller mal langsamer voran.
Sind Sie der absoluten Überzeugung, dass es – je nach Blickwinkel – für jedes Problem, für jede Herausforderung eine Lösung gibt oder darf man auch mal aufgeben?
Ein Perspektivenwechsel ist sicherlich immer hilfreich, um für Probleme und Herausforderungen maximal gute Lösungen zu finden. Und der Wille kann manchmal auch Berge versetzen. Aber genauso menschlich ist es aus meiner Sicht, sich gelegentlich zu verirren. Dann muss man auch mal kleinere oder größere, wohlüberlegte Kurskorrekturen vornehmen. Dies erachte ich jedoch nicht als "aufgeben", sondern eher als ein Wiederfinden des richtigen Weges.
Sie haben eine unglaubliche Vorbildwirkung für andere Frauen, die im internationalen Schiedsverfahren tätig sind, entfaltet. Werden Sie mit dieser Rolle häufig konfrontiert oder nehmen Sie davon gar nicht so viel wahr?
Die Bedeutung von Vorbildern für Frauen ist mir in den letzten Jahren immer mehr bewusst geworden. Dass ich selber einmal als ein solches Vorbild gesehen werden könnte, habe ich nicht antizipiert. Es gibt so großartige Frauen in der internationalen Schiedsszene, die unter ganz anderen, viel schwierigeren Bedingungen ihren Weg gemacht haben. In jedem Fall hoffe ich, dass - sofern und soweit ich Vorbildwirkung habe - ich diese gut ausfüllen werde.
Äußert sich dies auch in den Bewerbungen, die Sie erhalten? Schaut man die Zusammensetzung Ihres Teams an, stellt man fest, dass neben Ihnen nur eine Anwältin in Ihrem Team tätig ist. Zum Vergleich: Es arbeiten sechs Männer mit Ihnen zusammen?
Die Bewerbersituation ist bei uns recht ausgewogen. Der derzeit recht niedrige Frauenanteil bei uns in der Kanzlei ist dem Umstand geschuldet, dass uns eine Anwältin wegen Heirat in die Schweiz verlassen hat und eine weitere Anwältin, Mutter von 2 kleinen Kindern, sich entschieden hat, dann doch lieber eine Richterstelle anzunehmen. Das entscheidende Einstellungskriterium bei uns bleibt, dass es fachlich, menschlich und unternehmerisch stimmt - ob Mann oder Frau.
Vor der Gründung der ersten Kanzlei mit der Sie sich selbstständig machten, gab es in Deutschland noch keine auf die Lösung von Streitfällen mit Schwerpunkt Schiedsverfahren spezialisierte Kanzlei. Das Fehlen eines Vorbilds für dieses Modell auf dem deutschen Markt hat Sie also nicht abgeschreckt. Haben Sie generell selten in Ihrem Leben nach Vorbildern gesucht?
Etwas Neues, Eigenes mit dem richtigen Team zu schaffen, bringt mir Spaß, und seinerzeit waren im deutschen Markt Dispute Resolution Boutiquen in der Tat noch absolutes Neuland. Suche ich generell selten nach Vorbildern? Absolute Vorbilder gibt es für mich nicht. Jede/r ist einzigartig. Aber Eigenschaften und Sichtweisen einer Person, die ich als vorbildhaft erachte, nehme ich sehr bewusst wahr und nutze diese auch gern zur weiteren Orientierung.
Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte und wieso?
In meiner täglichen Arbeit begegne ich vielen Frauen, die eine solche Vorbildwirkung haben. Ferner begegne ich vielen jüngeren Frauen, die ganz andere, neue eindrucksvolle Wege beschreiten. Deshalb tue ich mich schwer, einen konkreten Namen zu nennen.
Herzlichen Dank für das spannende Interview!
Hamburg, 24. Mai 2018. Dr. Hanefeld, LL.M., hat die Fragen schriftlich beantwortet. Die Fragen stelle Nadja Harraschain.
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