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Dr. Jo Beatrix Aschenbrenner im Porträt

„Aufgrund der persönlichen Krise war ich bereit, radikale Entscheidungen zu treffen.“

Dr. Jo Beatrix Aschenbrenner, LL.M., Rechtsanwältin und Coach für Karriere und mentale Gesundheit, über ihren beruflichen Weg und die Suche nach der Selbstverwirklichung, die sie schließlich zu ihrer heutigen Tätigkeit als Unternehmerin und Coach führte.

Liebe Jo, wenn ich mir Deinen Lebenslauf ansehe, hast Du die juristische Ausbildung sehr zielstrebig und schnell durchgezogen: Du hast Jura in Freiburg und München studiert, gefolgt von einem LL.M. in Florenz, der Promotion und dem zweiten Staatsexamen in München – und das alles innerhalb kürzester Zeit. Wie ist Dir das gelungen – branntest Du für Jura?

Ehrlich gesagt, nein. Nach dem Abitur hatte ich auf die Frage, worin ich wirklich gut bin oder wofür ich brenne, keine einfache Antwort. In der Schule war ich zwar in vielen Fächern sehr gut, aber ein eindeutiges Talent hatte ich nicht. Rückblickend bin ich bei der Entscheidung, Jura zu studieren, nicht meinem Herzen gefolgt, sondern der Vernunft. Eigentlich wollte ich Kinderkrankenschwester werden… Im Vordergrund stand damals für mich der Gedanke, dass ich mit Jura „nichts falsch machen“ und implizite Erwartungen meines Umfelds in einem wohlhabenden Hamburger Vorort erfüllen würde.

Das Studium habe ich daher vor allem mit viel Disziplin und Pflichtbewusstsein durchgezogen. Eine echte Leidenschaft für das Fach Jura habe ich auch im Laufe der Zeit leider nicht entwickelt – abgesehen vom Völker- und Europarecht. Hier kam meine Begeisterung für Internationales, andere Kulturen und Fremdsprachen durch. Zum Menschenrechtsschutz habe ich daher bei Prof. Dr. Bruno Simma promoviert und in Florenz am wunderschönen Europäischen Hochschulinstitut bei Prof. Philip Alston meine Masterarbeit geschrieben.

Den Berufseinstieg hast Du bei Freshfields Bruckhaus Deringer im Münchener Büro im Bereich Intellectual Property (IP) und IT gewählt. Wie kam es dazu?

Auch das war eine Kopfentscheidung. Ich wollte es einfach probiert haben, in einer Großkanzlei zu arbeiten. Der Standort in München wurde damals bei Freshfields gerade neu aufgebaut. Wir waren zu Beginn nur circa sechs Anwält:innen, was mir sehr gut gefiel. Dass ich im Bereich IP und IT gelandet bin, war purer Zufall. Ich hatte keine einzige Vorlesung dazu gehört, geschweige denn ein Praktikum in dem Bereich gemacht. Doch im Bewerbungsverfahren haben sie mir immer wieder versichert, dass ich mich schnell einarbeiten würde, was dann auch der Fall war.

 

Interessant war, dass ich – vermutlich als erste Anwältin bei Freshfields – mit einer Viertagewoche angefangen habe. Hintergrund dessen war einerseits die Befürchtung, dass mich eine Fünftagewoche zeitlich auffressen würde, da ich die an mich gestellten Erwartungen stets hundertprozentig erfüllen wollte und mich nicht so gut abgrenzen konnte. Andererseits hatte ich am Freitag immer Hockey-Training für fünfjährige Jungs gegeben, was ich weiterführen wollte – diesmal aus voller Freude und nicht aus dem Verstand. Freshfields akzeptierte meine Forderung nach einer Viertagewoche zwar. In der Praxis waren aber damals die internen Prozesse für Teilzeit noch nicht aufgesetzt (wie auch, wenn ich die Erste war). Die Herren, die mich einstellten, schauten mich mit großen Augen an und wussten nicht so recht, was sie mit meinem Wunsch anfangen sollten. Ich bin sehr dankbar, dass sie „Ja“ gesagt haben, auch wenn im Täglichen nicht alles glatt lief. Beispielsweise wurde ich auch freitags häufig zu Mandantenterminen eingeladen, die ich dann jedoch immer absagte, um das Hockeytraining verlässlich durchzuführen. Das war für meine Karriere bei Freshfields natürlich nicht gerade förderlich...

 

Tatsächlich war ich als Anwältin auch nicht mit Herz und Seele bei der Arbeit. Ich erinnere mich noch sehr plastisch, wie mein Chef gequält ausrief: „Frau Aschenbrenner! Sie sind eine exzellente Juristin. Doch sind Sie auch Anwältin?“ Ich tat mich in der Tat schwer, die Argumente der Gegenseite auszublenden und mich zu 100% unserer Argumentationslinie zu verschreiben. Denn in meiner Natur liegt eine Mediatorin, die vermittelt und intuitiv sieht, an welchen Stellen die eine und an welchen die andere Seite einen Punkt hat. Nach circa einem Jahr als Associate bin ich daher ins Knowledge-Management gewechselt – ein Bereich, der damals gerade erst neu aufgekommen war und in dem es auch noch keine Erfahrungswerte und insofern viel Gestaltungsspielraum gab. Doch ehrlicherweise habe ich auch in diesem Bereich gemerkt, dass ich zwar inhaltlich gut war, aber nicht mit Freude dabei sein konnte. In der Kultur bei Freshfields, die sehr professionell und freundlich war, fühlte ich mich außerdem wie Falschgeld. War ich zu fröhlich? Zu flippig? Zu sehr am Menschen statt an der Sache interessiert? Jedenfalls hatte ich auch insofern meine Heimat noch nicht gefunden, sodass ich schließlich im Guten gekündigt habe und sechs Monate in meinem geliebten Florenz verbracht habe.

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Danach hast Du eine Stelle als Inhouse-Juristin an der Bucerius Law School angenommen. Warum hast Du Dich dafür entschieden?

Die – zu dieser Zeit recht frisch gegründete – Bucerius Law School suchte jemanden für den Aufbau des Masterstudiengangs und für die Konzeption von Weiterbildungsprogrammen für Jurist:innen in der Praxis, also insbesondere für Anwält:innen in Kanzleien und für Unternehmensjurist:innen. Das fand ich sehr spannend, und so kam es, dass ich – nach der Auszeit in meiner Wahlheimat Florenz – in das feucht-kalte, wunderschöne Hamburg gezogen bin, wo ich auch gebürtig herkomme.

Was waren Deine Aufgaben an der Bucerius Law School?​

Zunächst war ich als „Leiterin Postgraduiertenprogramme“ an der Hochschule angestellt. Doch sehr schnell haben Marcus Baumanns, der damalige Geschäftsführer der Hochschule, und ich eine 100%ige Tochter-GmbH der Hochschule gegründet, die gewinnorientiert arbeitete und deren erste Geschäftsführerin ich wurde. Die Bucerius Education GmbH ist bis heute sehr erfolgreich im Rechtsmarkt tätig unter der Leitung von Dr. Patrick Schroer.

 

Dort war ich viele Jahre lang für die Lehre und für Weiterbildungsprogramme verantwortlich. Es zeigte sich schnell, dass meine Leidenschaft im Unterrichten, Konzipieren, Festlegen von Meilensteinen für das Lernen und der Weiterentwicklung von Menschen liegt.

 

Neben der Konzeption der Lehre unterrichtete ich auch selbst. Thematisch ging es immer um die vermeintlich „weichen“ Themen, wie Leadership, Konfliktmanagement, Mediation, Selbstführung. Diese haben mich am meisten interessiert. Das Wissen dazu habe ich mir einerseits durch Bücher und Weiterbildungen angeeignet. Andererseits konnte ich auch auf Wissen auf Basis meiner eigenen Erfahrungen zurückgreifen. Meine Kindheit war herausfordernd. In meiner Familie gab es viele Themen, mit denen ich zu kämpfen hatte. Meine erste Therapie beispielsweise habe ich bereits mit zehn Jahren gemacht. Heute weiß ich, dass ich es mit der transgenerationalen Weitergabe von Traumatisierungen meiner Großeltern und Eltern aus dem zweiten Weltkrieg zu tun hatte. Doch damals war mir das nicht bewusst und ich konnte vieles noch nicht einsortieren. 

 

Im Jahr 2015 bin ich schließlich von der Tochtergesellschaft, der Bucerius Education GmbH, zurück an die Hochschule gewechselt und dort bis Ende 2021 geblieben. In dieser Zeit wurde auch der Betriebsrat an der Hochschule neu gegründet. Als Rechts- und Personalleiterin der Hochschule war es dann meine Aufgabe, mir gemeinsam mit dem Geschäftsführer der Hochschule insbesondere alle Personalprozesse genau anzusehen, neu zu strukturieren und aufzusetzen. Parallel dazu habe ich – quasi nebenberuflich – weiterhin Kleingruppen zu Leadership, Konfliktmanagement und Achtsamkeit unterrichtet, weil mir das am allermeisten Spaß gemacht hat.

Während Deiner Zeit an der Bucerius Law School hast Du auch Deine drei Kinder bekommen. War die Hochschule ein familienfreundlicher Arbeitgeber?

Ja, sehr. Ich verdanke der Bucerius Law School so viel. Natürlich haben wir alle auch sehr viel gearbeitet. Gleichzeitig war es aber auch sehr familiär. Wenn ich nicht an der Bucerius Law School gewesen wäre, wäre es mir nicht möglich gewesen mit der mir zur Verfügung stehenden Kraft, drei Kinder zu haben und gleichzeitig zu arbeiten.

Insgesamt warst Du neunzehn Jahre lang an der Bucerius Law School. Eine beachtliche Zeit! Wie kam es dazu, dass Du die Hochschule nach dieser Zeit verlassen hast?​

Das hatte nichts mit der Hochschule zu tun. Ausschlaggebend war vielmehr meine damalige Rolle als Personalleiterin und Unternehmensjuristin, die mir nicht lag. Die Rolle verlangte Aufgaben von mir, die jenseits meiner „Superpower“ lagen. Dies über die Jahre hinweg zu ertragen und meine Aufgaben trotzdem aus Pflichtbewusstsein und mit viel Selbstdisziplin zu erfüllen, hat mich letztlich krank gemacht. Ich habe schließlich einen Burn-Out und eine Erschöpfungsdepression gehabt. Ungefähr neun Monate lang bin ich aus dem Job rausgegangen, habe mir Zeit genommen, psychisch zu heilen und den Burn-Out zu überwinden und war deswegen auch in klinischer Behandlung auf Basis der Achtsamkeitspraxis (was ich wärmstens empfehlen kann!).

Die unfreiwillige Auszeit hatte aber auch etwas Gutes: Mir wurde auf einmal so klar wie nie zuvor, dass meine Talente woanders liegen. Aufgrund der Krise war ich bereit, radikale Entscheidungen zu treffen. Es fiel mir daher auch nicht schwer, die Hochschule zu verlassen. Ich bin einfach meinem Herzen gefolgt. Die Zeit dafür war endlich reif.

 

Ein anderer Grund war auch, dass ich in der nächsten Phase meines Berufslebens keinen Chef mehr über mir haben wollte. Ich wollte selbst über Unternehmensstrukturen und -prozesse entscheiden können, zumal ich zu den Themen New Work und Organisationsentwicklung auch ein Buch geschrieben hatte (FOR PURPOSE, Vahlen 2019). Das wollte ich leben und umsetzen und dafür selbst die Verantwortung spüren und übernehmen.

Das war dann wahrscheinlich auch der Auslöser für die Gründung Eures Familienbusiness „Mojo Coaching“ zusammen mit Deinem Mann und Eurem Sohn Ole. Was ist die genaue Entstehungsgeschichte?​ 

Die Gründung unseres Familienbusiness verdanke ich insbesondere meinem Sohn Ole. Seit er dreizehn Jahre alt war, träumte er davon, Unternehmer und Coach werden. Anders als ich wusste er immer, was er wollte. Er war es daher auch, der unserer Familie das Mindset von Unternehmertum und „großem Denken“, nähergebracht hat. Als dann Anfang 2021 Corona wütete und die Schulen geschlossen hatten, habe ich spontan eines Morgens am Frühstückstisch zu Ole gesagt: „Lass uns beide nächsten Samstag nach Dubai fliegen!“ Das haben wir dann auch direkt in die Tat umgesetzt und eine Woche dort verbracht.

 

Diese Reise war für mich der Startpunkt für unsere Unternehmung. Dort gelang es mir, mich noch weiter für unternehmerisches Denken und für große Ziele zu öffnen. Wieder zurück in Deutschland haben wir dann angefangen, Stück für Stück unser Karriere-Coaching und -Training aufzubauen.

Was ist Deine tieferliegende Motivation für das Coaching?

 

Uns geht es darum, Menschen nach einem Burn-Out oder einer Stresssituation in einen Job zu bringen, der sie erfüllt. Wir sind überzeugt, dass dadurch die Welt zu einem besseren Ort wird. Denn wenn der Beruf unseren Talenten entspricht, sind wir glücklicher, empathischer und erfolgreicher. Nur dann strahlen wir eine solche positive Energie aus, die unsere Welt heute ganz besonders braucht. Ja, es stimmt. Ich möchte beitragen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

 

Darüber hinaus ist es meine Mission, dass es allen Kindern dieser Welt gut geht. Wir sind alle von unseren biographischen Wurzeln geprägt, haben Muster von unseren Eltern und Großeltern übernommen. Wenn wir uns dessen aber nicht bewusst sind, geben wir diese Muster unbewusst und ungewollt an unsere Kinder weiter – so sehr wir sie auch lieben. Für mich steht daher fest: Nur wenn wir als Eltern reflektiert und mental gesund sind, können wir unseren Kindern einen Schutzraum für deren gesunde und fröhliche Entwicklung geben. Ziel unseres Coaching-Angebots ist es daher, unseren Kund:innen zu helfen, sich von schwierigen familiären Prägungen zu lösen und ihr Familiensystem von ungesunden Mustern zu heilen. Tief in mir schlummert wohl eine Heilerin und ich glaube inzwischen, dass ich diesen Teil von meinem Großvater väterlicherseits übernommen habe, der in Hamburg ein sehr angesehener und vor allem ein sehr menschlicher Chefarzt war und zum Ende seiner Karriere das Altonaer Krankenhaus geleitet hat. Doch lange habe ich mich nicht getraut, das auszusprechen. Erst recht nicht gegenüber Jurist:innen.

 

Welchen Ansatz verfolgst Du im Coaching?

Wenn Du unsere Kund:innen fragen würdest, dann würden sie sagen, dass das Besondere an unserer Art zu coachen die Verbindung von Strategie und Psychologie ist. Wir erarbeiten immer einen konkreten Weg, eine stimmige kommunikative Strategie, wir trainieren Gehaltsverhandlungen und Bewerbungsgespräche. Und wir gehen immer auf die zugrundeliegenden psychologischen Dynamiken von Veränderung und persönlichem Wachstum der jeweiligen Person ein.

 

Für diesen Weg der persönlichen Transformation gibt es grundsätzlich zwei Ansätze. Zum einen gibt es den Weg der therapeutischen Heilung – also Psychoanalyse, Psychotherapie etc. Dieser Weg ist sehr wichtig, hat aber das Risiko, dass Du zu lange in Deinem Leid und im Mangel verharrst. Denn in einer (schulmedizinischen) Psychotherapie dreht sich im Wesentlichen immer alles um die Frage, wie man das Leid verringert, seine Verletzungen in den Griff bekommt etc. (Pathogenese).

 

Wir verfolgen daher einen anderen Weg der persönlichen Transformation und der Heilung – den Weg der positiven Psychologie, der Epigenetik und der neurowissenschaftlichen Energiearbeit (Salutogenese). Dieser MOJO-Ansatz fokussiert sich auf das Positive – die Energie und die eigenen Ressourcen. Dabei steht für uns im Vordergrund, stetig darauf zu achten, das zu tun, was einem gerade gut tut und positive Emotionen auslöst, wie vor allem Freude, Lebendigkeit, Liebe. Dieser Weg ermöglicht Dir Deine (Selbst-)Heilung zu steuern. Das ist auch (neuro-)wissenschaftlich erwiesen. Denn die positiven Gedanken erzeugen positive Emotionen im Körper und diese verursachen positive körperliche Erfahrungen. So verändern Deine Gedanken die biochemische Zusammensetzung Deines Körpers, also genauer gesagt Deiner Zellen. Du kannst mit Epigenetik und Energiearbeit Deine Genexpression steuern. Damit ist es möglich, genetische Dispositionen, zum Beispiel für Depressionen, so zu steuern, dass sie nicht ausbrechen, milder verlaufen und heilen (Forschungsfeld der Epigenetik).

 

Dieser Weg ist „simple but not easy“, wie ich immer sage. „Simple“, weil die Herangehensweise an sich nicht kompliziert ist, aber „not so easy“, weil man das positive Denken erst wieder lernen muss (als Babies haben wir es noch, doch dann wird es uns viel zu oft durch unser Umfeld aberzogen – erst recht als Jurist:innen…). Dieser ganzheitliche Weg hat für mich auch etwas Spirituelles. Ich glaube fest daran, dass es eine größere Energie gibt, mit der ich mich verbinden kann und so Großes erreichen kann. Manche Kundinnen berichten, dass sie diese Energie, diese Schöpferkraft unter der Geburt empfunden haben und diesen Moment nie vergessen werden. Manche Equity Partner:innen wiederum, mit denen ich über mentale Gesundheit spreche, halten mich für viel zu esoterisch. Nicht allen gefallen zu wollen, gehört für den Weg der Selbstverwirklichung eben auch dazu…

Vor dem Hintergrund Deiner eigenen Erfahrungen arbeitest Du viel mit Menschen zusammen, die einen Burn-Out erlitten haben. Worin siehst Du in einem Arbeitsumfeld, wie es in Anwaltskanzleien herrscht, die Ursachen dafür und wie kann man das Problem angehen?

Aus meiner Sicht sind das Problem und die Lösung auf vier Ebenen eines Kreises zu finden und ich versuche, diesen Blick auf die vier Ebenen im Rechtsmarkt zu verankern:

 

Im äußersten Kreis sind unsere Gesellschaft und unser kapitalistisches Wirtschaftssystem, das permanentes Wachstum fordert und Erfolg rein materiell und statusbezogen definiert. Sodann folgt der Kreis der Organisation / Kanzlei mit ihrem Geschäftsmodell, ihren Hierarchien, ihren (Personal-)Prozessen und ihren Praktiken. Im nächsten Kreis (einwärts) verorte ich die Führungskultur und das Miteinander. Im innersten Kreis sind wir selbst, das Ich.

 

Veränderung erfolgt nach meinem Ansatz zum einen, indem wir alle vier Ebenen in den Blick nehmen, und zum anderen, indem wir die Veränderung von innen nach außen anstoßen. Bei den Themen Burn-Out, Erschöpfung, psychische Erkrankungen etc. ist der Schlüssel für Veränderung auf der Ebene des Selbst. Das bedeutet, wir müssen unsere eigenen Dynamiken des Funktionierens hinterfragen. Hier geht es um innere Antreiber, innere Anteile und letztendlich darum, sich mit mehr Selbstliebe zu begegnen, um aus dem Teufelskreis der Selbstkasteiung auszusteigen. Dieser Weg ist besonders herausfordernd, wenn Du in einer Führungskultur arbeitest, deren Werte Leistung, Disziplin, Macht, Status und immerwährende Verfügbarkeit sind. In vielen Kanzleien sind psychische Erkrankungen bzw. das Gespräch darüber tabuisiert und stigmatisiert. Betroffene können sich sehr einsam fühlen. 

 

Wenn dann noch von Seiten des Geschäftsmodells sehr viel Druck auf die Individuen, zum Beispiel in Bezug auf eine bestimmte Anzahl abrechenbarer Stunden, dazukommt, ist das eine gefährliche Mischung mit Blick auf Deine Gesundheit. Diese brandgefährliche Mischung wird angeheizt durch unser kapitalistisches Wirtschaftssystem, das leider Wachstum voraussetzt und noch keine erprobten Antworten hat, wie wir Wachstum verringern können, ohne eine wirtschaftliche Krise hervorzurufen. Forscher:innen der Donut-Ökonomie, das Buch „Das Ende des Kapitalismus“ von Ulrike Herrmann und viele andere tolle Menschen suchen hier nach Lösungen. 

 

Um das Thema psychische Gesundheit im Rechtsmarkt voranzubringen, engagiere ich mich in zwei Arbeitsgruppen, die sich mit mentaler Gesundheit in Kanzleien befassen: dem Human Centered Leadership Circle des Liquid Legal Instituts und der Arbeitsgruppe zu mentaler Gesundheit im Bundesverband der Wirtschaftskanzleien in Deutschland. Auf der Ebene von Führung und Selbstreflektion setzt vor allem der Human Centered Leadership Circle an. Der Bundesverband spricht speziell das Management in Wirtschaftskanzleien an. Das ist wichtig, denn es muss sich auch auf der dritten Ebene (Organisation) etwas ändern. Wir brauchen die Management-Ebene, um bei den Organisationsprozessen, also den Einstellungs-, Karriere-, Feedback- und Rückkehrprozessen, den Hierarchien und dem Geschäftsmodell etwas zu verändern. Das Management hat auch einen zentralen Einfluss auf die Führungskultur in der Kanzlei (Ebene Führung). Reflektierte und geheilte Menschen wiederum (innerste Ebene) führen anders, setzen andere interne Prozesse auf und positionieren sich anders zum Kapitalismus und zum Umsatzdruck.

 

Kurzum: alles bedingt sich gegenseitig und gemeinsam können wir viel bewirken. Wenn ich einen Wunsch an den Rechtsmarkt frei hätte, dann wäre es: Kanzleien und Jurist:innen sollten weniger defizit-orientiert denken und stattdessen einen stärken Fokus auf die Themen positive Energie und positive Leadership legen.

Wem empfiehlst Du, ein Coaching zu machen?

Ich empfehle jedem Menschen ein Coaching oder eine Therapie. Wir alle haben unsere Themen und Muster, die wir von unseren Eltern und Großeltern übernommen haben – das ist ganz natürlich. Keiner von uns Jurist:innen ist per se unfehlbar, erleuchtet oder perfekt (das wäre auch viel zu langweilig). Das Problem ist aus meiner Sicht, dass wir alle ungelösten Themen und Muster an unsere Kinder weitergeben und diese sie an ihre Kinder weiter übertragen. Diesen Kreislauf möchte ich stoppen zugunsten neuer, liebevollerer und ganzheitlicher Muster. Ja, das ist meine Mission, solange ich lebe.

Für viele stellt es eine große Hürde dar, ein Coaching- oder Therapie-Angebot wahrzunehmen. Was ist für Deine Kund:innen der Impuls, sich von Dir coachen zu lassen?

Interessanterweise ist die Antwort meiner Kund:innen darauf fast immer die Gleiche: „Ich habe realisiert, dass das Problem nicht von allein weggeht.“ Ich weiß daher, dass es diese Erkenntnis braucht, es mit einem sehr unangenehmen Problem zu tun zu haben, das man nicht alleine lösen kann. Vorher ist die Veränderungsbereitschaft noch zu klein und ich kann die Person nicht unterstützen, Altes loszulassen und Neues einzuüben.

Wie läuft ein Coaching bei Dir konkret ab?

Ich arbeite gerne mit einem (gedanklichen) Modell, das aus drei Kreisen besteht, die sich in der Mitte überschneiden: Im ersten Kreis geht es um die Person mit ihren Werten und persönlichen Stärken. Der zweite Kreis sind die Aufgaben einschließlich der Rolle und der dritte Kreis ist das Umfeld. Ziel ist es, meine Kund:innen dahin zu bringen, dass sie sich in der Mitte befinden, da wo sich die drei Kreise überlappen. Nur in dieser Mitte bist Du in Deinem „sweet spot“, fühlst Du Dich wohl, bist Du in Deiner Kraft, kannst Du Erfolg und Erfüllung verbinden. 

 

In meinem Coaching machen wir uns daher – kurz gesagt – auf die Reise. Wir wollen herauszufinden, welche Person Du bist, welche Talente Du hast, wofür Du brennst. Sehr häufig wünschen sich unsere Kund:innen im Coaching zunächst, wieder zu sich selbst zu finden. Danach versuchen wir herauszufinden, welche Aufgaben und welches Umfeld zu Dir passen. Ab dann lebst Du Deinen „sweet spot“. Ich kann Dir sagen, es fühlt sich wundervoll an!

Ihr führt das Coaching als Familienunternehmen. Wie gelingt es Euch gerade in einem solchen Setting, das Berufliche und das Private zu trennen?

Wir versuchen die Meetings und das Familienleben so gut wie möglich zu trennen. Das gelingt im Großen und Ganzen ganz gut. Zum Beispiel setzen wir die meisten Meetings zu einer Zeit an, in der unsere anderen zwei Kinder in der Schule sind. Auch beim gemeinsamen Essen haben wir die Regel, dass Business „tabu“ ist. Am Wochenende und im Urlaub arbeite ich meistens nicht. Das Schöne ist auch, dass ich die meisten Coachings virtuell mache, das heißt ich auch nicht andauernd auf Reisen bin, sondern zu Hause. 

Viele scheuen die Entscheidung, dem Herzen zu folgen und einen neuen Weg einzuschlagen, so wie Du es getan hast. Welchen Tipp kannst Du hier geben?

Stelle Dir folgende Frage: Wenn Du Dein Leben rückwärts, also vom Ende her, denkst, was würdest Du wählen: Entweder – überspitzt gesagt – ein Jahr lang Spagetti mit Ketchup vom Discounter essen, dafür aber den Grundstein legen, etwas zu machen, wofür Dein Herz wirklich brennt, oder ein Leben lang in einer Situation zu verharren, die Dich nicht richtig glücklich macht?

 

Alle Menschen, denen ich diese Frage gestellt habe, haben bisher geantwortet, sich für Spaghetti mit Ketchup zu entscheiden. Das scheint uns recht klar, wenn wir das Ganze aus der Rückschau betrachten. Wenn wir uns diese Frage aber im Hier und Jetzt stellen, haben wir häufig Angst. Diese Angst hemmt uns. Wenn Du aber wüsstest, dass Du in ein paar Jahren stirbst, würdest Du den Schritt sofort gehen. 

 

Von daher sage ich gerne: „Du brauchst energetisch 100% Ja zu Spaghetti mit Ketchup, damit es gut wird.“

 

Ich denke mir selbst immer, lieber grandios scheitern, dafür aber eine spannende Geschichte erzählen zu können. Zur Not kannst Du immer wieder woanders neu anfangen, im Discounter oder im Krankenhaus jobben. Es gibt genug zu tun! All das ist besser als ein Leben lang einer Berufstätigkeit nachzugehen, die Dich nicht wirklich erfüllt oder sogar krank macht. Hier gibt es die Übung „Oma / Opa erzählt seinen Enkeln“. Frage Dich, welche Lebensgeschichte Du Deinen Enkeln erzählen willst: die von Angst oder die von Mut?

 

Und schließlich kann ich Dir versichern: Irgendwann im Leben kommt der Moment, wo Du den Schritt der Veränderung gehst, und zwar aus Freude, aus Liebe, aus Zuversicht. Weil das eben das volle Leben ist.

 

Welchen Rat gibst Du Juristinnen, die eine Führungsposition anstreben, gleichzeitig aber auf eine Familie und ein Familienleben nicht verzichten wollen?

Ganz einfach: Sucht Euch den oder die richtige(n) (Lebens-)Partner:in, mit dem ihr Care Arbeit, Lohnarbeit und Selbstverwirklichung aufteilen und besprechen könnt. 

 

Ich sage es ganz deutlich: Ich bin der Meinung, dass es mit zwei anspruchsvollen Vollzeitjobs kaum funktioniert, den eigenen Kindern einen Raum für Sein statt Tun und für bedingungslose Liebe statt hohen Ansprüchen ans Funktionieren zu schenken (ich weiß, dass ich hierfür oft Widerspruch ernte und ich sage es dennoch sehr bewusst). Sucht Euch daher eine Partnerschaft, in der es möglich ist, die Care-Arbeit aufzuteilen. Einer von beiden muss aus meiner Sicht – phasenweise – beruflich zurücktreten und später wieder voll loslegen, um zu Hause den Raum der Geborgenheit zu hegen und zu pflegen. 

 

Denn für mich persönlich muss Kindeswohl in den ersten Jahren an erster Stelle stehen. Kinder brauchen einen Ruhepol, eine Person, die die emotionale Kapazität hat, mit dem Kind eine Bindung aufzubauen, was schon in der Schwangerschaft anfängt. Der enorme Druck, unter den wir uns heutzutage in unserem kapitalistischen System setzen lassen, ist abträglich für die Bindung zum Kind. Ohne diese Bindung haben unsere Kinder einen viel schwierigeren Start ins Leben und sind anfälliger für psychische und körperliche Krankheiten. Ich erlebe das wieder und wieder in meinen Coachings mit Anwält:innen und Berater:innen, die genau das in ihrer eigenen Kindheit vermisst haben (und es dennoch vor dem Coaching mit den eigenen Kinder genau so weitermachen).

Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Ich schlage Dr. Sabine Schröter, Rechtsanwältin im Bereich Arbeitsrecht und Managing Partnerin bei Friedrich Graf von Westphalen in Frankfurt, vor. Ich schätze sie sehr. Sie ist eine inspirierende, hoch professionelle und sehr menschliche Person.

 

 
Vielen Dank für das spannende Interview!

 

München, 6. Februar 2024. Das Interview führte Sandra Renschke.

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