Prof. Dr. Johanna Hey im Porträt
"Frauen sollten die großzügigen Eltern- und Teilzeitregeln nicht fehlinterpretieren."
Prof. Dr. Johanna Hey, Direktorin des Instituts für Steuerrecht an der Universität zu Köln, über das große ungelöste steuerrechtliche Problem unserer Zeit, eine mögliche Teilzeitfalle und die Notwendigkeit deutlicher Kommunikation zwischen (schwangeren) Frauen und Arbeitgebern.
Frau Prof. Dr. Hey, Ihnen standen als promovierte und habilitierte Juristin mit 32 Jahren alle juristischen Berufsfelder zur Auswahl. Wieso haben Sie sich für die Laufbahn als Professorin entschieden?
Ich habe damals geschwankt, weil mich die Beratung ebenfalls gereizt hat. In der Endphase meiner Habilitation hatte ich ein Angebot einer großen Steuerrechtskanzlei, aber dann kamen direkt zwei Rufe, einer nach Wien und einer nach Düsseldorf, für den ich mich dann entschieden habe. Heute bin ich froh, dass ich damals an der Universität geblieben bin. Ich kann mir für mich keinen besseren Beruf vorstellen. Wissenschaft ist unglaublich abwechslungsreich. Ich kann mich immer wieder mit neuen Themen beschäftigen. Dazu kommt die maximale Selbstbestimmung und Selbstverantwortung. Im Nachhinein, obwohl das bei meiner Entscheidung an der Uni zu bleiben, kein Thema war, würde ich auch sagen, dass es eine Laufbahn ist, die sich besonders gut mit Familie vereinbaren lässt, weshalb es auch so schwer verständlich ist, warum es an den juristischen Fakultäten nicht mehr Frauen gibt.
Warum haben Sie sich für den Fachbereich Steuerrecht entschieden?
Es ist ein extrem spannendes Fach, hochpolitisch, sehr international und sehr interdisziplinär. Aber es waren auch Zufälle. Ich hatte das Glück, gleich in der Anfangsphase in Köln auf zwei der bedeutendsten Steuerrechtswissenschaftler Deutschlands zu treffen, die beide extrem für ihr Fach und die damit verbundenen Gerechtigkeitsfragen gebrannt haben. Das steckt an.
Im Jahr 2016 haben Sie den Hans-Kelsen-Preis für die Entwicklung von Modellen zu der Bekämpfung von Steuerplanung erhalten. Ist dieses Thema aktuell das politisch und wirtschaftlich Brisanteste im Steuerrecht?
Ja, das ist das große ungelöste Problem unserer Zeit. Aber interessanterweise sind nicht die Steuerpflichtigen primär verantwortlich, sondern die nicht kooperierenden Staaten. Selbst in der Europäischen Union konkurrieren die Mitgliedstaaten zum Teil mit äußerst unfairen Lockangeboten um den Steuerkuchen. Steuervergünstigungen und Lücken im System werden dann insbesondere von multinational tätigen gut beratenen Unternehmen ausgenutzt. Die Staaten wiederum reagieren mit - oftmals untauglichen - nationalen Gegenmaßnahmen; die Ursachen des Problems werden dagegen bisher nicht in Angriff genommen.
Seit 2015 sind Sie geschäftsführende Herausgeberin der Zeitschrift für die gesamten Steuerwissenschaften Steuer und Wirtschaft. Veröffentlichen Männer mehr als Frauen?
Interessante Frage, die ich mir noch nie gestellt habe. Wir haben unter den Autoren einen deutlichen Männerüberhang. Nur ca. 10-20% der Beiträge stammen von Frauen, aber das spiegelt nur den geringen Frauenanteil in den Steuerwissenschaften, speziell bei den Juristen, wider. Wenn ich als Herausgeberin entscheide, achte ich nie auf das Geschlecht des Autors.
Die FAZ hat Sie als die "Miss Steuern der deutschen Wissenschafts-, Politik- und Fernsehwelt" bezeichnet. Warum schaffen es nur so wenige Frauen an die Spitze, als Partnerinnen in Kanzleien, Professorinnen oder anderen Berufsfeldern?
Das große Problem weiblicher Karrieren liegt in der Gleichzeitigkeit der entscheidenden Karrierephase mit der potentiellen Kinderphase. Es sind die Jahre zwischen 30 und 40 oder meinetwegen auch 35 und 45. Ohne Kinder ist das alles kein Problem. Karrierebereite qualifizierte Frauen werden nach meiner Wahrnehmung auch besonders gefördert. Aber Rücksichten werden eben auch nicht oder nur sehr begrenzt genommen.
Sehen Sie rechtlichen Bedarf, um eine tatsächliche Gleichstellung von Männern und Frauen in Deutschland zu erzielen?
Ich habe mal in einer Bundestagsanhörung neben einem sehr renommierten Finanzwissenschaftler gesessen. Es ging um geschlechterneutrale Versicherungstarife. Sein trockener Kommentar. Das wäre o.k., wenn man auch ins Gesetz schreiben würde, und von heute an leben Männer genauso lange wie Frauen. Was ich damit sagen will, ist, dass es Unterschiede im Tatsächlichen gibt, die man mit Gesetzen nicht beheben kann. Nehmen Sie wissenschaftliche Karrieren. Natürlich berücksichtigen wir Familienzeiten bei der Beurteilung des wissenschaftlichen Lebensalters. Aber das ist endlich. In erster Linie müssen wir gute Wissenschaftler berufen und dazu gehört eben auch, dass man die erforderliche Zeit hat bzw. sich nimmt, mögen es, wie Elternzeiten auch noch so gute Gründe sein, die dagegensprechen.
Welchen Rat und welche Tipps können Sie jungen Juristinnen – insbesondere am Anfang Ihrer Karriere – mit auf den Weg geben, um diese möglichst erfolgreich zu gestalten?
Ich glaube nicht, dass es da geschlechtsspezifische Tipps gibt. Der Erfolg basiert auf Leistung. Wenn ich junge Juristen berate - egal ob Mann oder Frau - frage ich am Anfang immer, wo man in 10 Jahren sein möchte und woraus man persönliche Befriedigung bezieht. Karriere selbst ist ja gar nicht das Ziel. Die stellt sich ein, wenn man gut ist und die sich daraus ergebenden Chancen auch ergreift.
Sie haben mit Anfang 40 zwei Kinder bekommen. In einem Interview haben Sie gesagt, dass man sich als Frau beruflich genauso etablieren könne wie Männer, solange man keine Kinder habe – der große Spagat komme, sobald Familie da sei. Wie meistern Sie diesen Spagat heute?
Das ist nicht einfach, in meinem Fall ganz besonders, weil ich die Kinder nach dem frühen Tod meines Mannes alleine erziehe. Wahrlich nicht meine Wunschvorstellung, aber selbst das geht. Zum Teil ist es eine Frage der Organisation. Wichtig sind langjährige Bezugspersonen für die Kinder, jede erdenkliche Hilfe im Haushalt etc. Eigentlich banal. Schwierig sind für mich mehrtägige Auslandsreisen, wenn ich die Kinder nicht mitnehmen kann. Ich werde oft von ausländischen Kollegen eingeladen und wissenschaftlich reizt mich das manchmal besonders, aber ich sage auch viel ab. So sehr ich meinen Beruf liebe, haben meine Kinder im Augenblick klare Priorität. Aber ich nehme die Kinder auch oft mit, wenn ich für längere Forschungsaufenthalte im Ausland bin. Das ist zwar aufwendig - Wohnung, Schule, Kindermädchen, aber für die Kinder sind das besondere Erfahrungen und für mich sehr befruchtende Phasen des internationalen wissenschaftlichen Austausches.
Was ist der Schlüssel, um einerseits erfolgreich im Beruf zu sein, aber andererseits auch genug Zeit für das Familienleben zu haben?
Geringer Schlafbedarf. Spaß beiseite, aber es hilft natürlich, wenn man die Zeiten, während die Kinder schlafen, zum Arbeiten nutzen kann. Essentiell ist dabei die Möglichkeit, sich die Zeit selbst einteilen zu können. Wenn ich morgens von 4.00 bis 6.00 Uhr an einer Veröffentlichung arbeite, kann ich eben auch nachmittags zum Schulkonzert. Je mehr externe Termine man hat, desto weniger kann man den Terminen und Bedürfnissen der Kinder Rechnung tragen. Das spricht für Selbständigkeit, jedenfalls aber für sehr flexible Arbeitszeiten. Ich selbst arbeite zudem ganz viel zuhause. Das spart Wege und ich sehe die Kinder auch mal zwischendurch.
Vorausgesetzt dieses Thema ließe sich planen: gibt es in der juristischen Karriere einen richtigen Zeitpunkt mit der Familienplanung zu starten?
Ich weiß es nicht genau, es gibt für alles Beispiele. Intuitiv würde ich sagen, entweder ganz früh, am besten noch während des Studiums, oder eher spät. Bekommt man wie ich die Kinder später, ist man entspannter, weil der Karrieredruck nicht mehr da ist, man ist auch finanziell so ausgestattet, dass man leichter Hilfe organisieren kann. Andererseits kann man, wenn die Kinder zu einem Zeitpunkt kommen, in dem die Karriere auf dem Höhepunkt ist, nicht mehr alle sich bietenden Möglichkeiten voll ausschöpfen. Man bekommt ständig neue spannende Angebote und muss dann manchmal nein sagen, wo man ohne Kinder zugegriffen hätte. Aber es gibt weitaus schlimmere Schicksale. Kinder und ein erfüllender Beruf — das ist ein großes Glück, auch weil Kinder gelegentliche Unbill im Beruf, von der ich zum Glück sehr wenig habe, relativieren.
In einem Interview sagten Sie, dass ein Problem von Frauenkarrieren sei, dass Netzwerke zu viel Zeit kosten, ein gemeinsames Glas Wein nach einem Vortrag zum Luxus werde, wenn zu Hause Kinder auf einen warten. Wie Netzwerken Sie heute?
Das ist der Vorteil, wenn man die Kinder spät bekommt, nachdem man bereits etabliert ist. Ich muss nicht mehr so viel netzwerken, die Anfragen kommen auch so.
Haben Sie den Eindruck, dass viele Akademikerinnen ab dem Zeitpunkt an dem Sie Kinder haben, ihre Karriere nicht mehr aktiv vorantreiben?
Leider ja. Ich frage mich oft, woran das liegt und komme immer mehr zu dem Schluss, dass das nicht nur die äußeren Umstände sind, sondern bewusste Entscheidungen. Letztlich ist es ja ganz simpel. Karriere und Kinder sind nur vereinbar, wenn man sich bei den Kindern unterstützen lässt. Das kann natürlich der Vater sein, aber der hat ja - in der Regel - auch eine Karriere. In Deutschland gibt es eine extrem ausgeprägte Tendenz, dass bei der Partnerwahl der Mann zumindest gleich, wenn nicht einen Tick erfolgreicher ist. Die Großkanzleianwältin und der Grundschullehrer, das kommt nicht vor. Also braucht man eine Kinderfrau, öffentliche Einrichtungen sind in der Regel nicht flexibel genug. Und das alles wollen viele Frauen eben nicht, also setzen sie zumindest für einige Jahre aus und das verzögert Karrieren, oft verhindert es sie.
Was können Arbeitgeber tun, um Frauen zu unterstützen, Kind(er) und Kariere unter einen Hut zu bekommen?
Neben allen eher organisatorischen Nebenbedingungen, flexibleren Arbeitszeiten, vielleicht sogar Hilfestellungen bei der Organisation von Kinderbetreuung, geht es vor allem um Deutlichkeit in der Kommunikation. Das Thema klar ansprechen, am besten noch während der Schwangerschaft, und ermutigen, die Karriere nicht auf Eis zu legen. Dazu gehört auch, vor der Elternzeit- und Teilzeitfalle zu warnen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass die großzügigen Eltern- und Teilzeitregeln fehlinterpretiert werden. Sie haben die Funktion, den Arbeitsplatz abzusichern, aber sie sichern nicht den beruflichen Aufstieg ab.
Hatten oder haben Sie Vorbilder, die Ihre Karriere beeinflusst haben?
Ich habe einige ein paar Jahre ältere Kollegen, die ich extrem schätze und die mir Vorbild sind. Leider keine Frauen. Die einzige namhafte Steuerrechtsprofessorin, Brigitte Knobbe-Keuk, die sehr beeindruckend gewesen sein muss, ist früh verstorben, bevor ich meine wissenschaftliche Karriere angefangen habe. Aber ich habe als studentische Hilfskraft in Würzburg einige Zeit bei Ellen Schlüchter gearbeitet, damals die einzige Frau der Fakultät, wobei ich als Studentin noch gar nicht begriffen habe, wie außergewöhnlich das war. Und ganz sicher bin ich auch von meiner mittlerweile über 80-jährigen Mutter beeinflusst, die hatte eine große Hautarztpraxis. Sie wäre gerne an der Uni geblieben, um sich zu habilitieren, aber da war damals kein Denken dran. Jedenfalls habe ich als Kind nie unter der vollen Berufstätigkeit meiner Mutter gelitten, eine sehr prägende Erfahrung.
Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?
Ich treffe oft auf Juristinnen, die mich beeindrucken, und empfinde gerade junge Kolleginnen oft als sehr inspirierend wie zum Beispiel meine neue Kölner Strafrechtskollegin Frauke Rostalski oder die Steuerrechtlerin Christine Osterloh-Konrad, über weibliche Verstärkung in der Steuerrechtswissenschaft freue ich mich natürlich besonders.
Vielen Dank für das spannende Interview!
München und Köln, 3. Juli 2019. Prof. Dr. Johanna Hey hat die Fragen schriftlich beantwortet. Die Fragen stellte Marina Arntzen.
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