Foto: © Vincent Villwock
Juliana Wimmer im Porträt
„Der Zeitpunkt für einen Neuanfang ist gekommen und dazu möchte ich gerne meinen Beitrag leisten.“
Juliana Wimmer, Bundestagskandidatin 2021 für Bündnis 90/Die Grünen über die Herausforderungen, denen eine Frau in der Politik gegenübersteht, ihre Motivation und worauf eine Frau bei der Wahl des Arbeitsplatzes achten sollte.
Liebe Juliana, Du bist Volljuristin und kandidierst jetzt für den Bundestag. Hattest Du schon immer geplant keinen klassischen juristischen Beruf auszuüben?
Eigentlich hat sich das erst im Laufe des Referendariats ergeben. Während des Studiums hatte ich zwar schon Zweifel, ob die traditionellen Berufsfelder etwas für mich sind. Als es dann in die Praxis ging, habe ich gemerkt, dass ich gerade die Verknüpfung aus Jura und Politik besonders spannend finde. Mal sehen, wo mich diese Kombination noch hinbringt.
Was motiviert Dich dazu, Bundestagskandidatin zu werden?
Wir brauchen dringend einen Aufbruch. Als ich vor 11 Jahren nach dem Abitur zum ersten Mal bei einem Treffen der Grünen Jugend vorbeigeschaut habe, hätte ich mir nie erträumt, heute für den Bundestag zu kandidieren. Aber seitdem konnte ich mitverfolgen, wie die Herausforderungen unserer Zeit immer drängender wurden. Neben Studium, Referendariat und Berufseinstieg habe ich mich nebenher bei den Grünen eingebracht und wollte die Themen auch beruflich verfolgen. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin einer Abgeordneten konnte ich dann die Arbeit im Bundestag kennenlernen. Ich finde, jetzt ist der Zeitpunkt für einen Neuanfang gekommen und dazu möchte ich gerne meinen Beitrag leisten und mitgestalten.
Nach dem zweiten Staatsexamen hast Du einen Master in Public Policy gemacht. Würdest Du dazu raten, einen Abschluss in diesem Fachbereich zu erlangen, um als Juristin in die Politik zu gehen?
Es gibt wohl kein Patentrezept, wie man eine politische Karriere aufbaut. Es hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab, wie Positionen besetzt werden und die eigene Ausbildung ist dabei nur einer von vielen Aspekten. Ich denke andersherum wird ein Schuh draus. Ich würde dazu raten, den Weg in der Ausbildung einzuschlagen, den man selbst am interessantesten findet. Denn wenn man für etwas brennt, dann ist man auch motiviert und gut darin – die beste Voraussetzung, um zu überzeugen.
Welche Fähigkeiten, die Du in Deiner juristischen Ausbildung erworben hast, helfen Dir besonders in Deinem politischen Alltag?
Man hat es ja schon so oft gehört, aber es stimmt wirklich: Die Fähigkeit, strukturiert zu denken und sich auch in neue Themengebiete schnell einzuarbeiten. Das ist wirklich Gold wert, gerade bei neuen Herausforderungen, wie z.B. der Corona-Pandemie. Man lässt sich nicht so leicht von öffentlicher Meinung beeindrucken, die ja doch schnell mal wechseln kann, sondern gleicht eher nochmal mit eigenen Werten und Überzeugungen ab.
Du hast schon in verschiedenen Umfeldern gearbeitet. Hast Du in Bezug auf Deine Rolle und die Deiner weiblichen Kolleginnen einen Unterschied zwischen dem klassisch juristischen und dem politischen Arbeitsumfeld wahrgenommen?
Um ein drastisches Beispiel zu geben: Auf jeden Fall gibt es Unterschiede zwischen einem Meeting in einer klassischen Großkanzlei und einer Parteiveranstaltung bei Bündnis 90/Die Grünen. In meinem politischen Umfeld gibt es ein hohes Bewusstsein für gesellschaftliche Ungleichheiten und den Willen, sie zu überwinden. Aber gerade in den letzten Jahren steigt nach meinem Eindruck auch das Interesse an solchen Themen in eher konservativen juristischen Berufsfeldern und das Bewusstsein, dass alle Beteiligten von gelebter Gleichberechtigung profitieren können.
Du hast mal gesagt, dass man als Frau bei der Wahl des Arbeitsplatzes auch über das Thema Gleichberechtigung am Arbeitsplatz nachdenken soll. Welchen Rat würdest Du insofern geben?
Schon im Bewerbungsverfahren kann man viele Dinge beobachten, wenn man die Augen offenhält, z.B. wie die Beschäftigungsstruktur ist, wie viele Frauen es in der Führungsetage gibt, wie das eigene Team konkret zusammengesetzt wäre. Außerdem würde ich mittlerweile schon mal danach fragen, wie viele Beschäftigte in welchem Umfang Elternzeit in Anspruch nehmen (übrigens sind da nicht nur die Frauen gemeint). Für mich persönlich weiß ich mittlerweile, dass das eine Priorität bei meiner zukünftigen Berufswahl sein wird.
Als Bundestagskandidatin stehst Du in der Öffentlichkeit. Hast Du das Gefühl, dass Du als Frau von der Öffentlichkeit anders beurteilt wirst als Deine männlichen Kollegen?
Nach meinem Eindruck werde ich häufig unterschätzt, gerade was meine fachliche Kompetenz angeht. Wenn ich dann bei Veranstaltungen persönlich die Gelegenheit habe, das Vorurteil zu entkräften, macht mir die Debatte besonders viel Spaß. Aber es kann auch sehr anstrengend sein, sich immer noch ein Stückchen mehr beweisen zu müssen als die Kollegen.
Ein Motto Deiner Bewerbungsrede war „Frieden, Freiheit, Feminismus“. Wie kann man als Frau in der Politik den Weg für Frauen in Führungspositionen erleichtern?
Dafür müssen wir zweigleisig fahren: Wir brauchen Förderung, Vernetzung und Empowerment, damit Frauen – und übrigens auch andere marginalisierte Gruppen – sich Führungspositionen zutrauen und darauf vorbereitet sind. Aber die Vergangenheit zeigt, dass es ohne verbindliche Maßnahmen nicht gehen wird. Darum bin ich dafür, die verbindliche Quote in mehr Bereichen als vorübergehendes Instrument zu nutzen, um die Gleichberechtigung voranzubringen.
Du hast in der zweiten Generation Migrationshintergrund, Deine Mutter kommt aus Brasilien und Du bist zweisprachig aufgewachsen. Hatte das Auswirkungen in Deinem beruflichen Werdegang?
In erster Linie begreife ich meinen Background als ein großes Privileg. Es ist schon etwas Besonderes, wenn man zwischen zwei Kulturen aufwachsen kann und immer noch eine zweite Perspektive mitbringt. Allerdings war die Kombination als junge Frau mit Migrationsgeschichte beruflich nicht immer angenehm.
Von nervigen Fragen zu Samba, Fußball und meiner persönlichen Familiengeschichte bis hin zu unangemessenen Kommentaren zu meinen Haaren waren alle Klischees dabei. Dieses Umfeld trägt natürlich nicht gerade dazu bei als aufstrebendes Talent wahrgenommen zu werden, sondern man rutscht eher mal in eine exotische Entertainment-Rolle. Selbst wenn es den anderen dabei nicht bewusst ist.
Welchen Rat würdest Du einer Person in dieser Position geben?
Mir ist noch sehr gut in Erinnerung, dass es in unangenehmen Situationen für mich oft schwierig war, Grenzen aufzuzeigen. Das gilt besonders, wenn man sich noch in der Ausbildung befindet und vom Umfeld benotet und bewertet wird. Trotzdem ist es natürlich gut, wenn es gelingt, Grenzen zu setzen. Mir hat es da geholfen, Verbündete zu suchen und darüber zu sprechen.
Wichtiger noch wäre mein Rat an alle Personen, die sich genau in der anderen Rolle befinden, mal die eigenen Verhaltensweisen zu hinterfragen. Gerade auch dann, wenn sie ja gar nicht böse gemeint sind. Außerdem lohnt es sich auch immer, ein Gespräch anzubieten und die Sicherheit zu vermitteln, dass das Aufzeigen persönlicher Grenzen nicht negativ bewertet wird.
Ende September stehst Du für den Bundestag zur Wahl. Ungefähr zu dieser Zeit wirst Du zum ersten Mal Mutter (an dieser Stelle herzlichen Glückwunsch von uns!). Wie schaust Du dieser (hoffentlich) doppelten neuen Herausforderung entgegen?
Das wäre toll, wenn dieses Jahr für mich gleich zwei riesige Neuerungen mit sich bringt. Natürlich habe ich Respekt davor, beidem gerecht zu werden. Aber im grünen Umfeld gibt es mittlerweile wirklich viele Vorbilder, von denen ich mir da Rat und Unterstützung holen kann. Das hat mich übrigens auch überzeugt, mir beides gleichzeitig zuzutrauen. Auf den perfekten Zeitpunkt kann man wahrscheinlich in beiden Fällen ewig warten.
Dein Mann ist auch Jurist und berufstätig. Wird einer von Euch oder Ihr beide Elternzeit nehmen (können)?
Das hängt vom Einzug in den Bundestag ab. Wenn das gelingt, dann bin ich auf viel Unterstützung angewiesen und mein Mann gibt mir da volle Rückendeckung. Auch wenn es mit dem Mandat noch nicht klappen sollte, sind wir ein Team und werden uns die Aufgaben und die Elternzeit fair aufteilen.
Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?
Viele meiner Vorbilder sind schon dabei, ehrlich gesagt. Es macht wirklich Spaß durch eure Interviews zu stöbern und sich damit neue Motivation zu holen. Vielen Dank für eure Arbeit!
Vielen Dank für das Gespräch und die Zeit, die Du Dir dafür genommen hast!
Berlin, 27. August 2021 Juliana Wimmer hat die Fragen schriftlich beantwortet. Die Fragen stellte Anna Isfort.
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