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Karola Wille

Foto: © MDR/Kirsten Nijhof   

Prof. Dr. Karola Wille im Porträt

"Tatsächliche Gleichberechtigung erfordert auch Veränderungen in den Köpfen der Menschen."

Prof. Dr. Karola Wille, MDR-Intendantin, über ihre Leidenschaft zum Medienrecht, Boxhandschuhe im Büro und die Notwendigkeit von Frustrationstoleranz.

Prof. Dr. Wille, Sie sind Intendantin des Mitteldeutschen Rundfunks. Wie dürfen wir uns einen typischen Arbeitsalltag von Ihnen als Intendantin des MDRs vorstellen?

Den typischen Arbeitsalltag gibt es aufgrund der Fülle der Aufgaben nicht; er ist sehr durchstrukturiert. Ich habe beispielsweise Termine mit der Geschäftsführung, in denen insbesondere Strategiethemen und Kommunikationsthemen besprochen werden. Daneben gibt es zahlreiche Aufgaben innerhalb der ARD, zudem den regelmäßigen Austausch mit Gremien, oder Abstimmungsgespräche mit Verbänden der Produktionswirtschaft.  Dazu kommen zahlreiche Repräsentationsverpflichtungen bei gesellschaftlichen Gruppen, Verbänden, Organisationen und der Politik. Eine Intendantin ist eigentlich ununterbrochen im Gespräch mit Menschen, die für die Programmangebote oder die organisatorischen Grundlagen unseres Medienhauses wichtig sind.

Uns ist in der Korrespondenz mit Ihnen und Ihrem Team zur Vorbereitung dieses Interviews aufgefallen, dass Sie einen wirklich sehr vollen Terminkalender haben. Wie gehen Sie damit um?

(lacht) Ja, ich traue mich schon gar nicht mehr, selber Termine zu machen. Ein Bedürfnis nach Selbstbestimmtheit gibt es aber tatsächlich.

Bevor Sie Intendantin des Mitteldeutschen Rundfunks wurden, waren Sie u.a. wissenschaftliche Assistentin an der Universität Leipzig und Justiziarin beim Rat der Stadt Leipzig. Wie wichtig waren diese unterschiedlichen Erfahrungen für Ihre Karriere?

Diese verschiedenen Erfahrungen waren sehr wichtig für mich und haben bis heute Bedeutung. In der Wissenschaft habe ich gelernt,  in hohem Maße systematisch zu denken und zu handeln, komplexe Zusammenhänge zu erfassen und daraus neue Fragen abzuleiten. Als Justiziarin war es wichtig, werteorientierte Aspekte zu berücksichtigen und die Arbeit in der öffentlichen Verwaltung war  darüber hinaus sehr geprägt durch die Erwartungshaltung der Bürgerinnen und Bürger.

In einem Interview haben Sie sich selber als Juristin mit Leidenschaft zur Wissenschaft bezeichnet. Diese Leidenschaft ist vermutlich ein Grund, weshalb Sie Honorarprofessorin für Medienrecht geworden sind. Was begeistert Sie besonders an diesem Fachbereich?

An der Arbeit als Honorarprofessorin begeistert mich am meisten die Arbeit mit jungen Leuten. Sie sind neugierig, authentisch und geben ehrliches Feedback. Thema meiner Dissertation war eine Mischung aus Völkerrecht und Strafrecht. Im Medienrecht geht es primär um freie und unabhängige Medien und ihre Rolle für eine funktionierende Demokratie. Die Bedeutung der Medien für eine freiheitliche Gesellschaft liegt mir besonders am Herzen so dass ich die Entwicklungen im Medienrecht immer noch aufmerksam verfolge.

Sie haben beispielsweise mit der Produktionswirtschaft erfolgreiche Gespräche über „ARD-Eckpunkte 2.0" geführt und stehen auch mit anderen Gruppierungen häufig in Verhandlungen. Welche Eigenschaften erfordert Ihre Tätigkeit allgemein und besonders für Frauen beim Rundfunk?

Zunächst ist es wichtig, eine hohe Fachkompetenz und ein gutes Verhandlungsteam zu haben. Die Interessen des Gegenübers sollte man zu verstehen suchen, dabei aber auch die eigenen Ziele verfolgen und am Ende einen Interessenausgleich finden. Das ist oft ein langer Prozess, wie etwa bei den „ARD-Eckpunkten 2.0", mitunter brauche ich auch eine gewisse Frustrationstoleranz. Meine Erfahrung ist, dass Frauen meistens gründlich vorbereitet sind, zuhören können und vor allem sehr sachorientiert unterwegs sind.

Haben Frauen aus Ihrer Sicht einen anderen Führungsstil als Männer? Wenn ja, wodurch ist er geprägt?

Es begegnen einem tatsächlich Unterschiede. Frauen sind sehr teamorientiert, empathisch, sachlich, mitarbeiterorientiert und haben meistens eine hohe Bereitschaft zuzuhören ­– sie stellen die eigene Person in der Regel nicht so in den Vordergrund. Ein Grund dafür könnte sein, dass sie bereits in der Kindheit anders sozialisiert werden als Männer. Ich habe 1996 als Rüstzeug für meinen Job Boxhandschuhe geschenkt bekommen (lacht), die stehen immer noch in meinem Büro. Und als ich Intendantin wurde, bekam ich ein Foto mit einem dicken Bärenfell.

Besonders einflussreiche Posten werden auch im Medien- und Rundfunkbereich häufig mit Männern besetzt. Woran liegt das?

 

In dem Bereich tut sich auf jeden Fall etwas. In der höchsten Führungsebene der ARD gibt es mittlerweile drei Intendantinnen und sechs Intendanten. Beim MDR sind im journalistischen Bereich 50 Prozent der Führungskräfte Frauen. Auch in den Gewerken der Filmproduktion also hinter der Kamera, ändert es sich Schritt für Schritt. Wichtig ist, dass sich in der modernen Arbeitswelt die Kultur ändert. Es gab eine Menge an Unwuchten, jetzt sind wir auf einem guten Weg.

Im Rahmen einer Transparenzoffensive bei der ARD hat der Senderverbund auf seiner Webseite Gehälter von Intendanten und Redakteuren veröffentlicht. Dort heißt es: "Selbstverständlich sind die tarifvertraglichen Regelungen in der ARD geschlechtsunabhängig gestaltet, sodass eine Lohndiskriminierung ausgeschlossen ist". Trägt die Offenlegung von Gehältern dazu bei, den sogenannten „Gender Pay Gap" zu schließen?

Klare Tarifstrukturen und strukturelle Klarheit tragen dazu bei, den sogenannten „Gender Pay Gap" zu schließen. Im öffentlichen Rundfunk gibt es Tarifverträge ohne Benachteiligung.

Wir brauchen dann Führungskräfte, die darauf achten, dass Frauen nicht bei der Disposition etwa von Zusatzdiensten an Sonn- und Feiertagen, Nachtschichten sowie bei der Beantragung und Genehmigung von Zulagen benachteiligt werden. Hier kann Transparenz entscheidend helfen.

Wie könnten Arbeitgeber und/oder der Gesetzgeber am besten dazu beitragen, eine tatsächliche geschlechtsunabhängige Gleichstellung von Männern und Frauen zu erreichen? 

Das Grundgesetz ist im Mai 70 Jahre alt geworden – eine normative Gleichstellung gibt es also seit vielen Jahrzehnten. Für die tatsächliche Gleichstellung spielen verschiedene Faktoren eine Rolle: Strukturen, die es ermöglichen, Gleichstellung zu leben, entsprechende Rahmenbedingungen, wie beispielsweise ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, moderne Arbeitswelten und Arbeitszeitmodelle. Das alles reicht aber nicht aus - die Veränderung muss auch in den Köpfen der Menschen passieren; alte Rollenbilder müssen sich auflösen..

Welchen Rat können Sie jungen Juristinnen geben, die sich für eine Karriere im Medien- und Rundfunkbereich interessieren?  

Offen sein für alles. Neugierig, leidenschaftlich, selbstbewusst sein und sich etwas zutrauen. Natürlich gehören auch die nötigen Rahmenbedingungen wie eine entsprechende Ausbildung dazu.

Wie haben Sie nach der Geburt Ihrer Tochter einerseits erfolgreich Ihre Karriere vorangetrieben und andererseits das Familienleben gemeistert?

Struktur im Alltag war und ist sehr wichtig für mich. Außerdem hatte ich Unterstützung durch meine Familie. So war es mir möglich und auch selbstverständlich, beruflich voranzukommen und Zeit für die Familie zu haben.

Wie wichtig sind und waren Netzwerke für Ihre Karriere?

Am Anfang habe ich ihnen keine allzu große Bedeutung beigemessen. Heute weiß ich es besser: Netzwerke können entscheidend helfen,  voran zu kommen.

Knüpfen Sie Netzwerke eher mit Männern oder Frauen oder gibt es da keine besonderen Unterschiede?

Ich knüpfe Netzwerke mit Gleichgesinnten, nicht nur mit Frauen. Beispielsweise gehe ich regelmäßig zu Veranstaltungen, auch zu Veranstaltungen von Frauennetzwerken. Oder ich lade selbst ein wie etwa zum Berlinale Brunch, bei dem viele Frauen aus der Produktions- und der Medienbranche vertreten sind und neue Kontakte finden oder alte auffrischen.

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Gabriele von Watzdorf, ehemalige Juristische Direktorin und stellvertretende Intendantin des Bayerischen Rundfunks. Sie hat mich auf meinem Berufsweg sehr unterstützt. 

Vielen Dank für das spannende Interview!

Leipzig und München, 15. Juli 2019. Das Interview führte Marina Arntzen. Bei der redaktionellen Arbeit unterstützte Jantje Niggemann.

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