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Katharina Pistor

Prof. Dr. Katharina Pistor, LL.M., M.P.A., im Porträt

"Eine junge Juristin muss lernen, ihre Frau zu stehen."

Prof. Dr. Katharina Pistor, LL.M., M.P.A., Professorin der Columbia Law School, New York, über die Merkmale einer guten Lehre, wieso es für Frauen hilfreich sein kann, sich in männlich geprägten Umfeldern auszutauschen und wieso interdisziplinäres Forschen für die Rechtswissenschaft unerlässlich ist.

Frau Pistor, Sie sind Professorin an der renommierten Columbia Law School in New York. Was gefällt Ihnen am besten an Ihrer Tätigkeit?

Der rege Austausch mit Kolleginnen und Kollegen an der Fakultät über die eigenen spezialisierten Fachgrenzen hinaus, was eine ständige Inspiration für neue Fragestellungen ist. Und natürlich unsere Studierenden, die einfach sehr gut sind und uns Lehrende mit ihren Fragen auf Trab halten.

Gibt es auch etwas an Ihrer Tätigkeit, dass Ihnen nicht so gut gefällt?

Ich bin fest davon überzeugt, dass ich den besten Job der Welt habe. Ich kann frei darüber entscheiden, worüber ich forsche, weitestgehend darüber, was ich lehre und wann ich wohin reise, um Vorträge zu geben oder an Konferenzen teilzunehmen, sofern die Lehre nicht darunter leidet. Das Hauptproblem ist, dass ich mir selbst oft zu viel zumute – aber dies ist eine Berufskrankheit und letztliche selbstgeschaffenes Ungemach.

An der Columbia Law School genießen Sie unter Studentinnen und Studenten den Ruf, sich sehr stark für eine gute Lehre einzusetzen. Was bedeutet eine gute Lehre für Sie?

Für mich bedeutet gute Lehre, die Studierenden zu erreichen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und ihnen in der Auseinandersetzung mit Rechtsproblemen den Stoff beizubringen. An den amerikanischen law schools wird grds. nach der „sokratischen“ Methode unterrichtet. Die Professorin ruft Studierende einzeln auf und verwickelt sie in ein Rechtsgespräch. Dieses Prinzip kann man abwandeln und auch in Seminaren verwirklichen, in denen nicht unbedingt ein Rechtsfall, sondern Fachliteratur besprochen wird. Durch das Gespräch lerne ich verstehen, wo ich die Studierenden „abholen“ muss, d.h. welche Grundlagen ich noch erarbeiten muss, damit die Problemstellung überhaupt erst verstanden und dann angegangen werden kann.

Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der Regulierung von Finanzmärkten. Dabei beschränken Sie sich nicht nur auf die Rechtswissenschaft sondern forschen an der Schnittstelle zur Wirtschaftswissenschaft, was Ihnen 2012 etwa den Max-Planck-Forschungspreis (einer der höchst dotierten Wissenschaftspreise in Deutschland) eingebracht hat. Kommt das Interdisziplinäre in der deutschen Juristenausbildung zu kurz?

Bei Recht geht es nicht nur um Theorie, sondern auch um Anwendung, d.h. um das Wechselspiel zwischen Rechtsregeln und sozialem Umfeld. Ich kann mir die Rechtswissenschaft nicht ohne den Blick aufs Ganze vorstellen und um dies ernsthaft zu betreiben muss man sich auch mit ausgewählten sozialwissenschaftlichen Nachbardisziplinen auseinandersetzen. Das gilt aus meiner Sicht fürs Familienrecht wie auch fürs Finanzrecht. Ich habe zum Glück während meines Studiums einige Professoren (Professorinnen gab es „damals“, d.h. bis 1988 an der Freiburger Uni noch nicht) gehabt, die den Brückenschlag in die Nachbarwissenschaften gewagt haben. Ich denke da an Professor Eser im Strafrecht, der über Medizin und Recht geforscht hat, oder Professor Kröschel, bei dem ich ein Seminar über das Recht im Nationalsozialismus belegt habe. Ich denke, dass dies heute in weit größerem Umfang auch in Deutschland geschieht. In den USA gehört die ökonomische bzw. sozialwissenschaftliche Analyse des Rechts allerdings schon seit Jahrzehnten zum Alltag in Forschung und Lehre.

Für Ihre Dissertation haben Sie Russisch gelernt. Wie kam es dazu?

Ich habe nicht für die Dissertation Russisch gelernt, sondern dafür, den Transformationsprozess in Russland verstehen zu lernen. Anlass hierfür war mein Master-Studium (LLM) in England. Ich wollte unbedingt nach Abschluss meines Jurastudiums in Freiburg meinen rechtsvergleichenden Horizont erweitern und habe mich um einen Studienplatz an der School of Oriental  and African Studies in London bemüht, um dort chinesisches Recht zu studieren. In den 80er Jahren waren viele chinesische Juristen nach Deutschland (auch nach Freiburg) gekommen, um die Verbindungen zur deutschen Rechtstradition aufzunehmen. Ich fragte mich da immer, wie das auf dem Hintergrund eines so anderen politischen und ökonomischen Systems wie des kommunistischen Chinas aber auch der alten Geschichte und Kultur dieses Landes funktionieren sollte. In London hat man mir dann geraten, neben dem chinesischen Recht auch sowjetisches Recht zu belegen. Das war 1988/89. Im Juni 1989 fand der brutale Niederschlag der Studentenbewegung auf dem Tiananmenplatz in Beijing statt und im Herbst fiel die Mauer. „The rest is history“, wie man so schön sagt. Ich habe mich dann letztlich dafür entschieden, mich auf Russland zu spezialisieren und russisch zu lernen und habe dann lange bevor ich mit der Dissertation angefangen habe, jedes Jahr mehrere Wochen bzw. Monate in Russland verbracht, um die Privatisierung der ehemaligen Staatsunternehmen zu studieren. Ich bin durchs Land gereist, habe die Manager der Unternehmen interviewt, an Aktionärsversammlungen teilgenommen sowie Erhebungen der neuen Finanzintermediäre organisiert.

Finden Sie, ein solches Engagement kann man von einer guten Doktorandin bzw. einem guten Doktoranden erwarten?

In mancher Hinsicht ist mein Fall doch ein Sonderfall. Wie oft passiert es einer frisch gebackenen Juristin, dass sich um sie herum die Welt verändert und sie die Möglichkeit hat, mit ein bisschen extra Aufwand, diese Veränderungen in vivo zu studieren? Für viele Doktoranden ist die Dissertation ja eher eine Pflichtübung, um einen Titel zu haben, ohne den man sich nicht für bestimmte Stellen bewerben kann. Diejenigen, die sich für ein Thema begeistern können und dann in diesem Thema auch promovieren dürften, sind nach meiner Erfahrung in der Regel bereit, ein paar Extramühen, wie das Erlernen einer Sprache, statistischer Analyse oder dergleichen mehr auf sich zu nehmen. Das wichtigste ist, dass man sich für die Fragestellung begeistern kann. Ich sollte vielleicht hinzufügen, dass ich mir meinen Doktorvater selbst gesucht habe, denn ich wollte über die Massenprivatisierung in Russland und der Tschechischen Republik schreiben. Ich habe mehrere Professoren in Deutschland angeschrieben – und glücklicher Weise von einem, von Professor Hopt an der Universität München, die Antwort erhalten, ich solle mal vorbeikommen. Er hat sich meiner dann auch angenommen.

Sie haben neben Ihrer Promotion Ihr Zweites Staatsexamen abgelegt sowie ein LL.M.- und ein M.P.A.-Programm (M.P.A. steht für „Master of Public Administration“) absolviert. Gab es nie einen Punkt, an denen Sie von einer so langen Ausbildung genug hatten? Falls doch, wie haben Sie sich motiviert, weiter zu machen?

 

Die lange Ausbildung hatte ich so nie geplant. Die zusätzlichen Abschlüsse habe ich gemacht, da ich immer wieder auf Dinge stieß, die ich in meiner Jura-ausbildung nicht gelernt hatte, aber meinte wissen bzw. können zu müssen, um den für mich wichtigen Fragestellungen nachgehen zu können. Nach dem fast rein deutsch-rechtlichen Studium wollte ich mehr über chinesisches Recht und chinesische Rechtsgeschichte erfahren; daher der LLM. Das Referendariat gehört zur Pflichtübung in Deutschland, da gab es nicht viel zu entscheiden. Allerdings hatte ich das Glück, meine Verwaltungsstation in Dresden zu absolvieren und somit die rechtlichen und institutionellen Umwälzungen in Ostdeutschland aus nächster Nähe kennenzulernen. Und während der Wahlstation war ich einige Monate in Russland, kurz nachdem Präsident Jelzin die großen Reformen eingeleitet hatte. Für den MPA an der Kennedy School in Harvard habe ich mich aus zwei Gründen entschieden: Mir war seit meines LLM Studiums zunehmend klar geworden, dass ich einige sozialwissenschaftliche Grundkenntnisse brauchte, um mich ernsthaft mit dem Transformationsprozess und seinen sozialen und politischen Dimensionen zu beschäftigen. Darüber bot sich meinem Partner damals die Möglichkeit, einen Facharzt in Boston zu machen. Nachdem ich dann mehrere Jahre mich intensiv in Harvard mit dem Transformationsprozess auseinandergesetzt hatte, wollte ich die Ergebnisse systematisch aufarbeiten. Daher die Dissertation.  Die brauchte ich ja auch, für den Rückweg nach Deutschland bzw. den Weg in die Wissenschaft.

Nachdem Sie in Deutschland Ihr zweites Staatsexamen sowie Ihre Promotion abgeschlossen haben, sind Sie in die USA emigriert. Wieso haben Sie sich dagegen entschieden, sich in Deutschland zu habilitieren?

Das war etwas komplizierter. Ich war von 1992 bis 1998 in den USA und habe dort die Dissertation geschrieben, während ich am Harvard Institute for International Development als wissenschaftliche Assistenten gearbeitet habe. 1998 sind wir dann nach Deutschland zurückgekehrt und Professor Hopt, der mittlerweile Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht geworden war, bot mir dort die Stelle der Russlandreferentin an, auf der ich mich auch habilitieren sollte. Mein Mann und ich stellten aber recht schnell fest, dass uns Deutschland, bzw. der deutsche Wissenschaftsapparat, etwas zu eng geworden war. Ich hatte in den USA frei meine Forschungsprojekte konzipieren können, Forschungsgruppen angeführt und hatte mir schon einen kleinen Namen unter den anderen Transformationsforschern gemacht. Dass ich mich nunmehr den Regeln der deutschen Rechtswissenschaft mit ihrer Vorliebe für Dogmatik unterwerfen sollte, wollte ich nicht ganz einsehen. Im ersten Jahr nach meiner Rückkehr war ich dann wieder in Harvard für eine kurze Vorlesungsreihe. Dort wurde mir nahegelegt, mich um eine Assistenzprofessur an der Kennedy School zu bewerben. Das habe ich dann getan – und als ich die bekommen habe, hielt mich eigentlich nichts mehr.

Können Sie Gründe dafür ausmachen, wieso es so wenige Professorinnen an deutschen rechtswissenschaftlichen Fakultäten gibt? 

Das Frauenproblem an deutschen Universitäten ist ein altes (auch altebekanntes), strukturelles Problem in Deutschland. Ich habe 1988 in Freiburg Examen gemacht. Das ist schon länger her, aber auch nicht so lange. Ich habe während meiner gesamten Studienzeit keine einzige Professorin zu Gesicht bekommen. Woran soll sich frau denn orientieren, wenn es um die eigene Zukunft geht? Immerhin gab es Assistentinnen, von denen einige eine Frauengruppe gründeten, der ich auch beitrat. Wir trafen uns einmal im Monat und haben über die Problematik, sich als Frau in der Juristerei sowie der Rechtswissenschaft durchzusetzen, immer wieder diskutiert. Ein Gruppenmitglied, Ingeborg Schwenzer, wurde 1987 die erste Frau, die an der juristischen Fakultät Freiburg die venia legendi erhalten hat. Das haben wir natürlich gefeiert. Unsere kleine Gruppe hat dann noch drei weitere Professorinnen hervorgebracht: Nina Dethloff, die in Bonn lehrt, Susanne Walther, die an der Universität zu Köln lehrte, und mich. Die fünfte im Bunde, Margret Spaniol, wurde Richterin am BGH für Strafsachen. Ich glaube, dass es für uns alle essentiell war, die Frage, wie wir uns in dieser Männerwelt durchschlagen sollten, gemeinsam diskutiert zu haben, uns gegenseitig anzufeuern und Erfolge gemeinsam zu feiern. Ich sollte aber auch hinzufügen, dass nur eine von uns Kinder bekommen hat. Es ist in Deutschland bis heute nicht leicht, den langen Weg bis zur Professur, der ja in das geburtsfähige Alter fällt, durchzustehen, da es an Kinderbetreuungsmöglichkeiten fehlt. Hinzu kommt, dass Karrierefrauen oft Karrierepartner haben. Es stellt sich dann unweigerlich irgendwann die Frage, wer zurückstecken soll, bzw. ob man sich eine Fern-Ehe vorstellen kann.

Was müsste sich an deutschen Fakultäten ändern, damit mehr Frauen zu Professorinnen ernannt werden?

Das muss bereits im Studium anfangen, nicht erst bei der Ernennung zur Professorin. Studentinnen müssen aktiv dafür gewonnen werden, ihren wissenschaftlichen Neigungen nachzugehen. Sie brauchen Unterstützung für die Kinderbetreuung, einschließlich im Säuglingsalter und eine flexiblere Handhabung der (informellen) Altersgrenze für Habilitation und erste Professur. Und natürlich brauchen sie Kolleginnen, andere Frauen, mit denen sie sich austauschen und mit denen sie gemeinsam die Kultur an den Fakultäten ändern können, so dass sich Frauen dort auch wohlfühlen können. Das ist in den USA ja auch nicht ganz anders. In den ersten zehn Jahren meiner Tätigkeit an der Columbia Law School war ich die einzige Frau, die Wirtschaftsrecht unterrichtet hat. Es gibt dort mehr Frauen im Familien-, Arbeits- oder Verfassungsrecht, aber eben auch nach wie vor fast reine Männerdomänen.
Was braucht es Ihrer Ansicht nach um Professorin (oder Professor) zu werden?
Spaß an Forschung und Lehre und einen unabhängigen Kopf. Letzteres ist essenziell, denn nur dann kann man auch mit Freude neue Forschungsprojekte bzw. neue Kurse entwickeln und sich mit immer neuen Fragen auseinandersetzten. Und natürlich bedarf es eines Umfelds, dass den Spaß an Lehre und Forschung fördert, Neues unterstützt und nicht überwiegend Herkömmliches bewahren will.
Welchen Rat würden Sie jungen Juristinnen mit auf den Weg geben?
Sich den Spaß an der Forschung nicht nehmen lassen; zielstrebig nach vorne gehen und sich nicht immer mit den männlichen Kollegen messen. Frauen können (müssen aber nicht) neue Perspektiven in die Forschung bringen, was der Forschung im Allgemeinen guttut. Ähnliches gilt auch für die Lehre. Der Anteil der weiblichen Studierenden in Jura ist inzwischen ja auch in Deutschland recht hoch, dennoch geben Männer oft nach wie vor den Ton an. Da muss frau drüberstehen. Der wichtigste Tipp, den ich für die Lehre von einem älteren Kollegen erhalten habe, ist, sich selbst zu sein, nicht andere zu imitieren. Kurz, eine junge Juristin muss lernen, ihre Frau zu stehen.
Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?
Mich hat Ingeborg Schwenzer damals als ich noch studierte, inspiriert. Sie war wie gesagt die erste Juristin die an der Uni Freiburg die Venia Legendi erhalten hat; sie hatte auch in den USA studiert, war nach einigem Zögern aber zurückgekommen und hat dann kurz nach der Habilitation einen Ruf nach Basel angenommen, wo sie bis zu ihrer Emiritierung gelehrt hat. Sie ist einfach eine großartige Juristin – vom Familienrecht bis in das internationale Handelsrecht hinein und war nicht nur für mich ein Rollenmodell.
Herzlichen Dank für die Zeit, die Sie sich genommen haben und das spannende Interview! 

New York, 30. Dezember 2019. Prof. Dr. Pistor, LL.M., M.P.A. hat die Fragen schriftlich beantwortet. Die Fragen stellte Nadja Harraschain.

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