top of page
Katja Keul FOTOHINWEIS Stefan Kaminski_edited.jpg

Katja Keul im Porträt

„Ein Vorbild, an dem wir uns orientieren können.“

Katja Keul, Staatsministerin im Auswärtigen Amt und Mitglied des Deutschen Bundestages, über feministische Außenpolitik und Frauen im Bundestag.

Frau Keul, Sie sind Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht und haben sich in diesem Beruf selbstständig gemacht. Was hat Sie von dort in die Politik geführt?

Das war so nie geplant. Ich war immer schon politisch sehr interessiert, aber ich war auch mit Leib und Seele Anwältin und hatte nie geplant das aufzugeben. Nach der Geburt meines dritten Kindes habe ich entschieden, mich wieder politisch einzubringen, und habe mich bei Bündnis 90 / die Grünen wieder aktiver engagiert. Ich wurde Kreisvorsitzende und Direktkandidatin für die Bundestagswahl 2009. Ich entschied mich dann aber auch auf dem Parteitag für die Listenaufstellung anzutreten, weil ich dort unbedingt eine politische Rede halten wollte. Aufgrund dieser Rede wurde ich dann auf einem guten Listenplatz aufgestellt und bin so in den Bundestag gekommen. Das war in dem Moment einfach die richtige Stelle für mich, aber ich hatte das so nie strategisch geplant. Meine Botschaft an alle jüngeren Leser:innen wäre also auch, dass man das Leben nicht immer planen kann und man Chancen ergreifen sollte, wenn sie sich einem bieten.

Sie gehörten schon mehrfach dem Verteidigungsausschuss an und sind nun im Auswärtigen Amt tätig. Was hat Sie dazu motiviert, sich in der Außenpolitik zu engagieren?

Als ich Bundestagsabgeordnete wurde, war für mich klar, dass ich mich in der Außen- und Sicherheitspolitik einbringen will. Ich wurde in den 1980ern geprägt. Zu der Zeit waren nukleare Sicherheit und Friedenpolitik ein allgegenwärtiges Thema. Hierher kam auch meine ursprüngliche Motivation für das Jurastudium. Internationales Recht und Völkerrecht haben mich immer schon interessiert als Schnittstelle zwischen Frieden und Recht. So habe ich mich zunächst für den Verteidigungsausschuss und dann auch für den Rechtsausschuss entschieden. Ich hätte mir auch überlegen können, Familienrecht zu machen, dies war der Schwerpunkt meiner anwaltlichen Tätigkeit. Als rechtspolitische Sprecherin habe ich mich auch in diesem Bereich eingesetzt, aber mein genereller politischer Fokus lag woanders.

Sie sind Volljuristin. Welche Fähigkeiten, die Sie in Ihrer juristischen Ausbildung erlernt haben, helfen Ihnen bei Ihrer politischen Arbeit?

Tatsächlich alle Fähigkeiten. Als parlamentarisches Gesetzgebungsgremium brauchen wir juristische Fähigkeiten. Als Gesetzgeberin sollte man das Handwerk gelernt haben, mit Gesetzen umzugehen. Mir hilft meine juristische Ausbildung also wirklich jeden Tag. Ich kenne auch viele Koleg:innen aus dem Bundestag, die sagen, dass es für ihre Tätigkeit sehr gut wäre, Jura studiert zu haben.

Welche Qualitäten muss ein junger Mensch für einen beruflichen Werdegang in der (Außen-)Politik mitbringen?​

Meiner Erfahrung nach ist es für diese Tätigkeit wenig sinnvoll, weit in die Zukunft Karriereplanung zu betreiben. Vielmehr muss man rausfinden, was man gerne macht. Was man gerne macht, macht man dann auch gut und erfolgreich. Man muss die Aufgaben, die anstehen, mit Überzeugung und Empathie angehen. Um das Leben einer Politikerin zu leben, ist es sehr wichtig, für ein Thema zu brennen und daraus die nötige Motivation zu ziehen. Mehr kann man dazu kaum sagen.

Was bedeutet für Sie der Begriff „feministische Außenpolitik“?

Feministische Außenpolitik heißt Genderfragen als Querschnittsaufgabe überall mitzudenken. Fragen der Gleichstellung spielen in allen Dimensionen der Außenpolitik eine Rolle. Das Thema muss praktisch von zwei Seiten angegangen werden. Zum einen müssen politische und diplomatische Positionen von Frauen besetzt werden. Politikerinnen und Diplomatinnen werden unbedingt gebraucht, um Genderfragen in der Außenpolitik ausreichend zu berücksichtigen. Zum anderen geht es aber vor allem darum, Konflikte zu vermeiden und bei Konflikten Lösungen zu suchen, die die Frauen vor Ort mitbedenken. Es ist wichtig zu berücksichtigen, dass außenpolitische Entscheidungen das Leben der Menschen auf beiden Seiten aufgrund ihres Geschlechts unterschiedlich beeinflussen können und hier dann auch die Perspektive der Frauen zu berücksichtigen.

Frau Baerbock ist die erste deutsche Außenministerin. Aber auch andere Ebenen des Auswärtigen Amts, die durch Politiker:innen besetzt werden, waren lange hauptsächlich durch Männer besetzt. Hat sich dies dauerhaft geändert?​

In jedem Fall. Ein Punkt ist, dass wir eine erste Außenministerin haben, ein Vorbild, an dem wir uns orientieren können, und das kann uns niemand mehr nehmen. Das wird auch einen Einfluss auf zukünftige Generationen haben. Aber Annalena Baerbock wird sich auch in ihren Personalentscheidungen an dem Gebot der Gleichstellung zwischen den Geschlechtern orientieren, auch das wird sich auf die Besetzung der Positionen auswirken. Aber ich denke, der größte Unterschied ist sicher folgender: Wenn wir heute ans Auswärtige Amt denken, denken wir an eine erfolgreiche Frau. Das wird uns noch lange positiv beeinflussen.

Seit Sie 2009 in den Bundestag eingezogen sind, variierte der Frauenanteil zwischen 30 % und 36 %. Frauen sind im Deutschen Bundestag immer noch eine Minderheit. Woran liegt dies Ihrer Meinung nach?​ 

Wir haben mehrfach versucht, hier eine Änderung herbeizuführen. Bei den Grünen gibt es Quoten auf allen Ebenen, für unsere Partei ist also garantiert, dass 50 % der Sitze im Bundestag durch Frauen besetzt sind. Das ist bei anderen Parteien leider nicht so. Ein großer Rückschlag diesbezüglich kam durch den Einzug der AfD in den Bundestag, da hatten wir einen Rechtsruck, der sich negativ auf den Frauenanteil im Parlament ausgewirkt hat. Rechts sind Frauen in der Minderheit, links nicht...

Haben Sie dadurch einen besonderen Zusammenhalt von Frauen im Bundestag erlebt?

Ja, das habe ich durchaus erlebt. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir die Lage der Frauenunion. Hier ging es um die Quote in Aufsichtsräten. Da gab es einen Konsens unter allen Frauen. Das war dann für die Frauen der Union sehr bitter, dass sie durch die Fraktionsführung gezwungen wurden, gegen ihre Überzeugung zu stimmen. Da haben Frauen im Bundestag wirklich Seite an Seite gestanden, das war sehr bewegend. Da war aber leider der Druck auf die Frauen in der Union sehr hoch.

 
Die Sitzverteilung im Bundestag repräsentiert den Anteil der Frauen in der Bevölkerung nicht. Dies gilt auch für viele Minderheiten. Wie wirkt sich ein solches Ungleichgewicht in einem Parlament auf die Politik aus?

Wir haben grundsätzlich ein Repräsentationsprinzip, jede:r vertritt nicht sich oder die Bevölkerungsgruppe der sie / er angehört, sondern das gesamte Volk. Daran würde ich auch festhalten wollen, sonst wird das Parlament als Gesetzgebungsorgan dysfunktional. Wir sind nicht nur unserem eigenen Wahlkreis verpflichtet. Wenn wir nicht an diesem Prinzip festhalten, haben wir keine Gesetze, die für alle funktionieren.

Die Gleichstellung der Geschlechter ist allerdings in Art. 3 Grundgesetz besonders aufgehängt. Viele Personen, die gegen eine Quote argumentieren, nutzen das Repräsentationsprinzip als Argument. Dies trägt aber meiner Meinung nach nicht. Selbstverständlich müssen alle Bundestagsabgeordnete das gesamte Volk repräsentieren und auch die Anliegen von Minderheiten und Bevölkerungsgruppen bedenken, denen sie nicht angehören. Dies ändert aber nichts daran, dass Art. 3 Absatz 2 Grundgesetz dem Gesetzgeber einen Auftrag zur Gleichstellung gibt, welchem wir durch eine Quote nachkommen sollten. Frauen sind keine Minderheit, sie sind die Hälfte der Bevölkerung und somit auch die Hälfte aller Minderheiten.

Sie sind verheiratet und Mutter von drei Kindern. Für Ihre berufliche Tätigkeit pendeln Sie zwischen Ihrem Wahlkreis und Berlin. War das für Sie immer ohne weiteres möglich?

Die Arbeit als Bundestagsabgeordnete ist sicher keine familienfreundliche Situation. Ich habe das nur machen können, weil mein Mann schon vor meinem Einzug in den Bundestag 2009 entschieden hat, auf eine berufliche Tätigkeit zu verzichten. Er ist somit mit unseren drei Kindern zuhause gewesen. Das Pendeln zwischen Berlin und dem Wahlkreis ist für eine Familie sehr schwer. Viele entscheiden sich deswegen, den Mittelpunkt der Familie nach Berlin zu verlagern.

Bundestagsabgeordnete haben keinen Anspruch auf Elternzeit. Wirkt sich das auf den Anteil der Frauen und jungen Menschen im Bundestag aus?

Zunehmend weniger, weil auch immer mehr junge Väter Elternzeit nehmen und auch eher bereit sind, längerfristig beruflich zu reduzieren, wenn die Mutter Bundestagsabgeordnete ist. Trotzdem bleibt es auch bei einer partnerschaftlichen Aufteilung eine Herausforderung. Wir haben das Thema viel diskutiert und in den letzten Jahren ist auch viel passiert, so gibt es jetzt Wickelzimmer, Stillzimmer und andere Einrichtungen, um die Situation für junge Eltern im Bundestag zu erleichtern. Das Problem mit einer Elternzeit ist, dass das Prinzip des freien Mandats und die Vergütung der Abgeordneten so nicht funktionieren. Die Aufgaben können nicht einfach übertragen werden und ein Nachrücken ist mit dem Grundgesetz nur schwer vereinbar. Für die praktische Umsetzung ist vor allem Solidarität wichtig. Man muss nicht acht Wochen nach der Geburt wieder rund um die Uhr bereitstehen, es ist wichtig, dass Kolleg:innen versuchen, jungen Eltern dann den Druck zu nehmen.

Auf welchen Moment Ihrer Karriere blicken Sie am liebsten zurück?

Es gab sicher viele aufregende Erlebnisse – vor allem in der ersten Legislatur. Besonders in Erinnerung bleiben wird mir immer der 1. November 2008, als ich auf dem Listenparteitag meine erste politische Rede gehalten habe. Durch den Erfolg dieser Rede habe ich gemerkt, dass ich reden kann, was mich für meine politische Karriere sehr motiviert hat. Zuvor hatte ich 2007 erstmals beim Redewettstreit des deutschen Anwaltstags eine öffentliche Rede gehalten. Als Zivilrechtlerin musste ich in meinem vorherigen beruflichen Alltag nicht vor der Öffentlichkeit Reden halten, somit war das für mich eine neue und inspirierende Erfahrung.

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Zunächst Elisabeth Selbert, die leider nicht mehr lebt. Sie war stark an der Aufnahme von Art. 3 Absatz 2 Grundgesetz in die Verfassung beteiligt. Dann meine Kollegin und Ausbilderin in meiner Referendariatsstation, Ingrid Meerjanssen, die leider auch nicht mehr lebt, mich aber sehr inspiriert hat. Schließlich Prof. Dr. Juliane Kokott. Sie ist Generalanwältin am EuGH und hat mit sechs Kindern eine beeindruckende wissenschaftliche Karriere gemacht.

Vielen Dank für das spannende Interview!

Nienburg / Berlin, 26. Februar 2022. Das Interview führte Anna Isfort.

Spannende Porträts, die Dich ebenfalls interessieren könnten:

Meike von Levetzow, Partnerin bei Noerr im Bereich Litigation / Arbitration, über Entwicklungsmöglichkeiten in der Karriere, die Bedeutung von Resilienz und wie man Delegieren lernt. Weiterlesen

Dr. Stefanie Killinger, LL.M., über vielseitige Karrieremöglichkeiten in der Justiz und den Wert des Ehrenamts. Weiterlesen

bottom of page