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Foto: Goethe-Universität Frankfurt

Prof. Dr. Katja Langenbucher im Porträt

"Wir sind ein Wanderzirkus!"

Prof. Dr. Katja Langenbucher, Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und Aktien- und Kapitalmarktrecht an der Goethe Universität Frankfurt, über Frauen in der Wissenschaft, Economic Transplants und den Zauber von Auslandsaufenthalten.

Frau Langenbucher, Sie sind Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und Aktien- und Kapitalmarktrecht an der Goethe-Universität Frankfurt mit Forschungsschwerpunkt im Aktien- und Kapitalmarktrecht. Was fasziniert Sie an diesem Bereich und wann haben Sie angefangen, sich damit zu beschäftigen?

Das passierte über Umwege: Meine Doktorarbeit habe ich über ein rechtsphilosophisches Thema geschrieben, habilitiert habe ich dann im privaten Bankrecht. Das Aktien- und das Kapitalmarktrecht kam mit dem ersten Lehrstuhl. Beide Gebiete ergänzen sich sehr gut: auf der einen Seite das traditionelle Aktienrecht, auf der anderen Seite das eher anglo-amerikanisch inspirierte Kapitalmarktrecht, eine aus deutscher Sicht verhältnismäßig junge Entwicklung. Mich hat das zum Verfassen des ersten Lehrbuchs auf dem deutschen Markt ermutigt, welches beide Gebiete zusammen betrachtet.

An diesem Bereich fasziniert mich die globale Sichtweise, und, dass in der Regel eine Vielzahl von Akteuren mit unterschiedlichen Interessen beteiligt sind, die man zusammenbringen muss. Es gibt übrigens viele Verbindungen zur Rechtsphilosophie und zu noch anderen Disziplinen. Im Moment beschäftige ich mich beispielsweise mit Forschungsergebnissen der Psychologie und Folgerungen für das Aktien- und Kapitalmarktrecht. Da gibt es überraschende Überschneidungen!


Neben Ihrer Professur in Frankfurt unterrichten Sie regelmäßig im Ausland und sind Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Beiräte. Zudem waren Sie bis vor kurzem Mitglied des Aufsichtsrats der Postbank und sind neben verschiedenen beratenden Tätigkeiten für das EU-Parlament und verschiedene Bundesministerien aktuell Mitglied des Übernahmebeirats der BaFin. Wie viel Zeit bleibt einem bei so vielen Tätigkeiten noch, um zu schlafen?

Ich schlafe sehr viel (lacht). Bisher hat es immer sehr gut funktioniert, meine Tätigkeiten miteinander zu verbinden. Ich bin gut organisiert, anders geht es nicht. Aber ich habe keine Abstriche gemacht! Die Arbeit an der Uni ist sehr flexibel und lässt sich mit einer Familie gut vereinbaren. Man kann zum großen Teil arbeiten, wann man möchte. Als die Kinder noch kleiner waren, habe ich oft den Nachmittag mit ihnen verbracht und mich dann abends noch einmal an den Schreibtisch gesetzt, nachdem die Kinder im Bett waren.

Ihre Forschung hat Sie bereits an zahlreiche ausländische rechtswissenschaftliche Fakultäten geführt; darunter die Harvard Law School, die SciencesPo in Paris, die London School of Economics, die University of Cambridge und zuletzt die Fordham Law School in New York. Wie wichtig sind solche Auslandsaufenthalte für eine erfolgreiche Karriere in der Wissenschaft?

Auslandsaufenthalte sind sehr wichtig und haben sicher in den letzten Jahren noch an Bedeutung gewonnen. Heute ist das unabdingbar, jedenfalls in meinem Rechtsgebiet. Außerdem macht es Spaß, ins Ausland zu gehen! Das ist ja gerade das Privileg der Arbeit an der Uni: Es ist unser Beruf, Informationen von überall her aufzunehmen. Jedes Land bringt eine neue Perspektive, man beginnt, Dinge anders zu denken. Das befruchtet die Arbeit und ist extrem spannend.

Im letzten Jahr haben Sie ein Buch über „Economic Transplants“ veröffentlicht. Was genau verbirgt sich hinter dem Begriff?

Die Idee ist, zu untersuchen, wann, warum und wie wir aus der Nachbardisziplin, der Ökonomie, Elemente nehmen und sie in unsere Disziplin einbauen können. Das ist ähnlich wie bei einer echten Transplantation: Es gibt Vorteile und Risiken, manches klappt, manches nicht. Die Rechtswissenschaft ist noch in vielerlei Hinsicht sehr hermeneutisch. Aber der Ökonomie wird immer mehr Beachtung geschenkt. Gerade im Kapitalmarktrecht gibt es große Schnittmengen.

Sind Sie – gerade auch in Anbetracht Ihrer eigenen zahlreichen Auslandserfahrungen – der Ansicht, dass (kulturell) unterschiedliche Betrachtungsweisen Teil einer guten juristischen Ausbildung sein sollten?

Auf jeden Fall. Es gibt unzählige Angebote, ins Ausland zu gehen. An der Goethe-Universität habe ich einen Austausch für Studierende und Doktorandinnen und Doktoranden mit der SciencesPo Paris initiiert, der sehr gut angenommen wird. Und überall gibt es Erasmus-Programme. Die Studierenden müssen allerdings selbst die Initiative ergreifen. Ich habe leider das Gefühl, das Interesse an Auslandsaufenthalten geht zurück. Viele Studierende sind so fixiert darauf, das Studium schnell zu Ende zu bringen. Das halte ich für ganz falsch. Wenn sich die Finanzierung irgendwie darstellen lässt, sollte man die Zeit nutzen, sich interdisziplinär umzuschauen und ins Ausland gehen. In anderen Ländern ist es übrigens auch üblich, für solche Auslandsaufenthalte einen Kredit aufzunehmen, da sind wir in Deutschland oft zu zögerlich.

Sie sind Mutter dreier Kinder. Wie organisieren Sie sich in Ihrer Familie, wenn Sie wieder für Ihre Forschung für mehrere Wochen oder Monate ins Ausland gehen?

Wir sind ein Wanderzirkus! Ich habe immer alle mitgenommen, wenn ich länger im Ausland war. In Paris hatte ich alle drei Kinder dabei, dort waren die älteren auf einer deutschen Grundschule. In London waren alle auf einer englischen Schule, das hat auch super funktioniert. Jetzt in New York City sind meine beiden jüngeren Kinder dabei. Das ist mir wichtig, ich bin ein sehr familiärer Mensch.

Die Kinder haben die Auslandsaufenthalte übrigens immer begeistert miterlebt. Die Entscheidung, zusammen nach NYC zu gehen, haben wir gemeinsam getroffen. Unis sind sehr offen und unterstützen Familien, zum Beispiel durch die Bereitstellung einer Unterkunft. Man muss nur manchmal etwas findig sein. 

Wie würden Sie insgesamt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit Blick auf eine Tätigkeit als Professorin oder Professor beschreiben? Sehen Sie hier besondere Vor- und Nachteile gegenüber anderen Berufen?

Für mich hat das ganz toll funktioniert, aber ich hatte auch häufig Glück. So habe ich eine Professur in derselben Stadt inne, in der mein Mann als Anwalt arbeitet. Ich habe sehr großzügige Stipendien und Preise erhalten, die mir ermöglicht haben, Dissertation und Habilitation verhältnismäßig schnell fertigzustellen.

Professorin zu sein ist ein toller Beruf, der sich gut mit einer Familie verbinden lässt. Anwälte und Anwältinnen haben häufig das Problem, dass sie zeitlich recht gebunden sind, was teilweise strukturell bedingt ist und sich nicht völlig ändern lässt. Das sehe ich auch bei meinem Mann, der Anwalt in einer Großkanzlei ist.

Sie haben Ihr erstes Kind bekommen, nachdem Sie Ihre Habilitation eingereicht hatten. War dies eine bewusste Entscheidung?

Ja, das war eine bewusste Entscheidung. Ich hatte allerdings auch großes Glück, ein großzügiges Habilitationsstipendium zu haben, sodass ich schnell habilitieren konnte: Mit 31 Jahren war ich fertig, das war ein guter Zeitpunkt für das erste Kind. Für mich hat das so gut funktioniert, aber natürlich ist es eine Einzelfallfrage. Man kann auch mit Kindern habilitieren. Als ich das Lehrbuch schrieb, hatte ich zwei kleine Kinder, und das ließ sich auch organisieren.

Gerade das Aktien- und Kapitalmarktrecht ist ein nach wie vor eher männlich dominierter Fachbereich. Worin sehen Sie die Ursachen dafür?

Das ist schwer zu sagen. Aus studentischer Sicht weckt es wohl die Assoziationen „Mathe“ und „Geld“, man denkt an Männer in Anzügen, vielleicht schreckt das viele Frauen ab. Aus Wissenschaftlersicht ist es auch eine Machtfrage: In meinem Rechtsgebiet steckt natürlich viel Geld. Es gibt unzählige Möglichkeiten, als Gutachterin oder Schiedsrichterin tätig zu werden. Je näher man zum „Zentrum der Macht“ kommt, desto mehr dominieren die Männer und desto langsamer ist die Entwicklung hin zu mehr Parität.

Hatten Sie selbst mal Probleme als Frau in der Wissenschaft?

Nein – hier in den USA wird derzeit viel über die Nominierung von Kavanaugh zum Supreme Court gesprochen. Persönlich, und in Europa, ist mir niemals etwas in diese Richtung passiert. Meine amerikanischen Kolleginnen, mit denen ich mich darüber ausgetauscht habe, haben leider ganz andere Erfahrungen gemacht.

Natürlich gibt es Unterschiede im Gesprächsstil von Männern und Frauen. Gerade in meinem Gebiet sind Konferenzen männlich dominiert, häufig finden sich unter 100 Teilnehmenden nur vier Frauen. Dass dann, beispielsweise, viel über Fußball gesprochen wird, liegt in der Natur der Sache, das halte ich aber nicht für problematisch.

Sehen Sie in der Unterrepräsentanz von Frauen im Bereich des Aktien- und Kapitalmarktrechts ein typisch deutsches Phänomen oder decken sich Ihre in Deutschland gemachten Erfahrungen mit denen Ihrer Auslandsaufenthalte in England, Frankreich, Österreich und den USA?

Vielleicht ist es im Ausland ein bisschen besser, aber nicht signifikant. Die Zahl weiblicher Professorinnen ist anderswo höher, aber gerade mein Fachgebiet ist überall sehr männlich dominiert.

Haben Sie einen Rat, den Sie Juristinnen und Juristen mitgeben würden, die sich für eine universitäre Karriere im Aktien- und Kapitalmarktrecht interessieren?

Bauen Sie Auslandsaufenthalte ein und interessieren Sie sich für andere Disziplinen! Ein gewisses Verständnis für ökonomische Zusammenhänge ist natürlich unabdingbar. Versuchen Sie, schnell unabhängig zu werden, also schnell zu promovieren und zu habilitieren. Bewerben Sie sich, wenn sich die Möglichkeit bietet, auf Stipendien, seien Sie findig und organisiert. Und vor allem: Warten Sie nicht, dass Ihnen etwas hinterhergetragen wird. Man muss sein Leben selbst in die Hand nehmen, dann bieten sich viele Möglichkeiten!

Haben Sie einen speziellen Rat an junge Frauen?

In mündlichen Prüfungen fällt mir häufig auf, dass Frauen weniger selbstbewusst auftreten als Männer. Das kann man sich als Frau zumindest klarmachen und versuchen, etwas daran zu ändern. Im wissenschaftlichen Diskurs an der Uni geht es zunächst nicht darum, auf einen Konsens hinzuarbeiten:  Man tauscht Ideen aus und schlägt sich ein bisschen. Dieser Stil ist möglicherweise eher männlich. Als ich habilitierte, war ein Standardspruch meiner Kollegen bei unseren mittäglichen Mensa-Diskussionen: „Das ist selbstverständlich völlig unhaltbar.“ Das muss man aushalten können und erklären, warum die eigene Ansicht vielleicht doch nicht völlig unhaltbar ist.

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte und wieso?

Darüber habe ich länger nachgedacht. Als ich jünger, also in der Ausbildung, war, gab es nahezu keine weiblichen Professorinnen, aber Vorbilder müssen ja auch nicht unbedingt weiblich sein. Später im Leben habe ich einige Professorinnen kennen gelernt, die mich sehr beeindruckt haben. Horatia Muir-Watt von SciencesPo, Niamh Moloney von der London School of Economics oder Tania Tetlow von Tulane – sämtlich tolle Frauen und gute Freundinnnen.

Vielen Dank für das spannende Interview und die persönlichen Einblicke!

New York / Brüssel, 5. Oktober 2018. Das Interview führte Nora Wienfort.

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