Dr. Katrin Silja Kurz im Porträt
„Jeder Neuanfang ist eine Herausforderung und eine Bereicherung.“
Dr. Katrin Silja Kurz, Verwaltungsrichterin in Stuttgart, über ihre außergewöhnliche Laufbahn von der selbstständigen Opernsängerin über die Anwaltschaft zur Justiz und die gesellschaftliche Relevanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Frau Dr. Kurz, Sie sind Verwaltungsrichterin in Stuttgart. Davor waren Sie als Rechtsanwältin tätig. Ihr Werdegang begann aber völlig anders: Sie sind ausgebildete Opernsängerin und standen als solche auf der Bühne. Wie kam es zu diesem Karriereumschwung?
Nach dem Abitur hatte ich bereits kurz mit dem Gedanken gespielt, Jura zu studieren, mich aber doch für meine Liebe zur Musik entschieden und ein fünfjähriges Gesangsstudium absolviert. Nach Abschluss des Studiums habe ich parallel zur Berufstätigkeit angefangen nebenbei Wirtschaftsrecht an der Fernuniversität in Hagen zu studieren. Dabei ging es mir nicht darum, den juristischen Beruf kennenzulernen. Im Vordergrund stand, wie ich als selbstständige Sängerin meine eigenen Verträge aushandeln und meine eigene Buchhaltung führen kann. Um dabei wirtschaftliche und juristische Zusammenhänge verstehen zu können, entschied ich mich für das Begleitstudium, das mir dann auch inhaltlich gut gefiel.
Nach Abschluss meines Gesangsstudiums war ich fünf Jahre in der Opernbranche als Solistin unterwegs. Dabei habe ich mit einer Agentur zusammengearbeitet, viele Kontakte aber auch selbst geknüpft. Leider habe ich mit Ende zwanzig einen Stimmbandschaden erlitten, der nicht kurzfristig zu heilen war. Das bedeutete das Aus meiner Karriere als Opernsängerin. Das war zuerst nicht einfach und ich musste mir überlegen, was ich in Zukunft machen möchte. Ich habe mich dann dazu entschieden, aus dem berufsbegleitenden Wirtschaftsrechtsstudium auf ein „richtiges“ Jurastudium umzuschwenken. Zwar war mein Karrierewechsel nicht freiwillig, die Entscheidung für die Rechtswissenschaft hingegen schon.
Es ist mutig, eine zweite, neue Laufbahn einzuschlagen, die davor erstmal ein langes und schwieriges Studium mit sich bringt. Wie war es für Sie, nochmal neu anzufangen?
Als die Entscheidung für das juristische Studium gefallen war, habe ich mir auch vorgenommen, das „durchzuziehen“ und nicht abzubrechen. Für mich war es kein Reinschnuppern in die juristische Welt, ob sie etwas für mich sein könnte. Es war nicht immer leicht. Als ich an der Humboldt Universität angefangen habe, war ich mit 29 Jahren im Schnitt zehn Jahre älter als meine Kommilitonen und Kommilitoninnen. Das hat es erschwert, dort ein Studentenleben zu führen oder enge Beziehungen und Freundschaften zu knüpfen. Ich war in einer anderen Lebensphase.
Es war andererseits aber auch herausfordernd zu sehen, dass meine „alten“ Freunde alle bereits mehrere Jahre im Berufsleben standen und Themen wie Familiengründung, Hausbau etc. plötzlich relevant wurden, während ich (wieder) für Uniklausuren lernen und mich mit einer Nebentätigkeit finanzieren musste.
Die Studienfinanzierung ist nämlich im Zweitstudium nicht gesichert. Es gibt in der Regel kein BAföG mehr und viele Stipendien haben Altersgrenzen. Ich habe dann eine Stelle im Berliner Abgeordnetenhaus gefunden, was aber auch dazu führte, dass ich weniger Zeit für das Studium hatte und mich gut organisieren musste.
Gab es Momente, in denen Sie an Ihrer Entscheidung gezweifelt haben und wie sind Sie damit umgegangen?
Ich hatte auf jeden Fall, wie wahrscheinlich die meisten Studierenden, zwischendurch Selbstzweifel und war überwältigt von der Masse an Lernstoff. Das war mir bei der Wahl meines Studienfachs aber bewusst und ich hatte auch keinen Plan C.
Wahrscheinlich wäre es mit meiner Vorbildung naheliegend gewesen in Richtung Musikmanagement zu gehen. Das wollte ich aber nicht. Ich wollte etwas völlig Neues machen.
Ein Vorteil beim Zweitstudium zu einem späteren Zeitpunkt im Leben ist vor allem die gesammelte Lebenserfahrung. Wenn mir im Jurastudium Hürden begegneten, wusste ich, dass ich bereits ein Diplom in der Tasche hatte, was mir die Zuversicht gab, dass ich es auch diesmal schaffen würde.
Nach Abschluss Ihres Studiums haben Sie noch promoviert und Ihre Ausbildung damit sogar noch verlängert. Wie kam es dazu?
Das stimmt, ich habe noch circa zwei Jahre nach dem Referendariat promoviert. Ich wollte gerne einem Thema nachgehen, das mich interessiert. Im Gegensatz zur Entscheidung für mein Jurastudium war die Entscheidung für die Promotion aber mit weniger Druck verbunden. Selbst wenn mich zwischendurch die Lust verlassen oder ich mich umentscheiden würde, wusste ich, dass ich mit zwei abgeschlossenen Staatsexamina einen Beruf finden würde. Ich stand nicht mehr ohne alles da wie nach dem Ende meiner Gesangskarriere. Das und die Tatsache, dass ich mich einem selbstgewählten Thema widmen und etwas Eigenständiges machen konnte, habe ich als großen Luxus empfunden. Das war mein Geschenk an mich, obwohl natürlich auch die Promotion nicht immer einfach war.
Ich habe mich für eine kartellrechtliche Thematik entschieden, der ich im Rahmen meiner Wahlstation im Referendariat bei der Europäischen Kommission begegnet bin. Dabei ging es um die Frage, ob Unternehmen nicht nur hinsichtlich ihrer Preise, sondern auch ihrer Innovationen im Wettbewerb stehen. Während der Promotion habe ich angefangen bei Baker McKenzie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Berlin im Kartellrecht zu arbeiten. Das war Grundlage für meinen späteren Einstieg in den Anwaltsberuf.
Haben Sie während Ihrer Gesangsausbildung Fähigkeiten oder Eigenschaften erlernt, von denen Sie im Jurastudium und / oder im späteren juristischen Berufsleben profitieren konnten?
Nicht wirklich. Jura und Operngesang sind sehr konträr, es gibt keine Überschneidungen. Es gibt auch kaum Soft Skills, die man übertragen könnte. Ich war im Zweitstudium gelassener und konnte mich besser organisieren. Das wäre aber vielleicht auch der Fall gewesen, hätte ich zwei ähnlichere Berufswege eingeschlagen.
Vermissen Sie Ihren ehemaligen Beruf als Opernsängerin?
Ich vermisse auf jeden Fall die Musik, das war und ist meine Leidenschaft. Aber der kann ich auch anders nachgehen, zum Beispiel durch Opernbesuche.
Während der Corona-Pandemie habe ich die Vorteile meiner jetzigen, juristischen Tätigkeit gespürt: Während bei vielen meiner Freunde und Bekannten aus der Musikbranche die Lebensgrundlage und das Einkommen wegbrachen, weil Konzerte und Auftritte ausfielen, ohne dass es Entschädigungen gab, konnte ich weiter arbeiten und hatte keine finanziellen Sorgen. Das war eine Ausnahmesituation, aber die hätte mich mit Sicherheit sehr hart getroffen, wäre ich noch Opernsängerin und nicht Anwältin gewesen.
Mein heutiger Beruf als Richterin und auch mein vorheriger Beruf als Anwältin gefallen mir und erfüllen mich. Ich würde mich auf jeden Fall wieder für Jura entscheiden!
Wie reagieren Kollegen und Kolleginnen im juristischen Umfeld auf Ihre frühere Tätigkeit als Opernsängerin?
Ich habe bisher Glück gehabt und nur positive Erfahrungen gemacht, wenn ich von meiner Karriere erzählt habe. Ich wurde deswegen nie anders behandelt oder bin auf Unverständnis oder sogar Ablehnung gestoßen. Die Leute finden diesen Weg meistens spannend und stellen Nachfragen, weil der Beruf der Opernsängerin eher ungewöhnlich ist und noch seltener kommt es vor, dass eine ehemalige Opernsängerin im Gerichtssaal ein Urteil verkündet.
Auch der Berufseinstieg mit 36 Jahren verlief reibungslos. Als ich in die Berufswelt eingestiegen bin, gab es aber einen Bewerber-und Bewerberinnenmangel – den es auch heute noch gibt – vielleicht hat auch das eine Rolle gespielt.
Sie waren zunächst zweieinhalb Jahre bei Baker McKenzie als Anwältin im Kartellrecht tätig, bevor Sie als Richterin ans Verwaltungsgericht Stuttgart wechselten. Welche Eindrücke haben Sie durch Ihre Arbeit als Anwältin gewonnen?
Als Anwältin ist man Interessenvertreterin. Die Tätigkeit als Entscheiderin und Konfliktlöserin entspricht aber viel mehr meinem Naturell. Am Anwaltsberuf hat mir vor allem das strategische Denken gefallen.
Während meiner Arbeit als Anwältin habe ich gelernt, Schwerpunkte eines Rechtsstreits herauszuarbeiten und von den juristischen Nebenschauplätzen abzugrenzen. Das hilft mir bei meinem jetzigen Beruf noch immer sehr. Auch, wenn ich als Anwältin materiell in einem anderen Rechtsgebiet unterwegs war und mittlerweile Kernverwaltungs-recht mache, kann ich das Recht doch besser verstehen als nach dem Referendariat. Ich kann auch anwaltliche und strategische Überlegungen besser einordnen.
Wie kam es zum erneuten Wechsel?
Ich bin aus privaten Gründen von Berlin nach Baden-Württemberg gezogen. Zwar hätte ich bei Baker McKenzie remote aus Stuttgart arbeiten können. Aber Vollzeit remote, das wollte ich nicht. Ich habe dann überlegt mich bei anderen Kanzleien oder als Syndikusrechtsanwältin zu bewerben. Ich hatte allerdings schon nach dem zweiten Examen mit der Justiz geliebäugelt, mich dann aber doch erst für die Promotion entschieden. Also habe ich dem Richteramt dann eine Chance gegeben und das Bewerbungsgespräch im Justizministerium war so angenehm und überzeugend, dass ich mich auch dafür entschieden habe.
Der Sprung von der Anwaltschaft in die Justiz ist kein ungewöhnlicher, auch für das Berufsumfeld nicht. Ich habe mich sofort aufgehoben gefühlt. Jetzt genieße ich die Vorteile, die der Beruf mit sich bringt.
Ihre juristische Karriere begann aber schon früher als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Dr. Robert Seegmüller, Richter am Bundesverwaltungsgericht. Hat diese Erfahrung Ihr Interesse an der Justiz geweckt?
Nach dem ersten Examen habe ich bei Dr. Seegmüller angefangen und dort bis zum Abschluss meiner Promotion weitergearbeitet. Er ist Richter, Vorsitzender des Bundes deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen (BDVR) und gibt juristische Repetitorien. Ich durfte damals verschiedene Bereiche betreuen, von der Vorbereitung des Repetitoriums bis hin zur rechtspolitischen Tätigkeit für den BDVR als Interessenvertretung. Dabei habe ich auch die (verwaltungs-)richterliche Arbeit und viele Verwaltungsrichterinnen und -richter kennengelernt. Das waren sehr prägende Einblicke, weil mir bewusst wurde, wie groß der gesellschaftliche Einfluss der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist. Während dieser Zeit gab es beispielsweise eine große Asylwelle und es kamen viele asylrechtliche Fragen und Fälle auf die Verwaltungsgerichte zu. Die Verantwortung und Wichtigkeit, die mit verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen einhergeht, sind insgesamt nicht zu unterschätzen. Gerade diese Verantwortung und die Tatsache, dass man tagesaktuelle und gesellschaftlich relevante Entscheidungen treffen und juristisch einordnen muss, haben mein Interesse an der Justiz geweckt. Das ist eine Möglichkeit, wirklich Einfluss zu nehmen.
Wie hat sich Ihre Sichtweise auf Gerechtigkeit und Rechtsprechung im Laufe Ihrer beruflichen Laufbahn entwickelt, insbesondere unter Berücksichtigung Ihres vielfältigen Hintergrunds?
Ich glaube, dass es nie schadet, eine Zeit lang ohne juristische Brille durch das Leben gegangen zu sein. Als Opernsängerin waren Jura, Justiz und die gesamte Rechtsbranche für mich eine Blackbox. Als Jurist bzw. Juristin ist es leicht zu vergessen, dass es den meisten Menschen so geht. Daher kann die Bevölkerung Gerichtsentschei-dungen oder Gesetze oft nicht nachvollziehen und lehnt sie ab.
Als ich selbst in die Rechtswelt eingetaucht bin, habe ich immer mal wieder von Juristen bzw. Juristinnen ein „das weiß man doch“ gehört – und oft ist das nicht der Fall, vieles weiß „man“ gerade „nicht doch“, sondern nur, weil man Jurist bzw. Juristin ist.
Für mich ist es daher wohl manchmal leichter, die Beteiligten in einem Prozess zu verstehen.
Vor meiner juristischen Karriere, als ich als Selbständige versucht habe, Verträge auszuhandeln oder das Rechtssystem zu verstehen, fiel mir der Zugang dazu schwer. Meine Sichtweise hat sich aber geändert. Mittlerweile sehe ich unser Rechtssystem als etwas sehr Positives an. Natürlich gibt es auch Schwachstellen und Probleme, im Großen bin ich aber der Meinung, dass unsere Justiz, Rechtsprechung und auch die Anwaltschaft gut funktionieren.
Welchen Ratschlag können Sie Menschen geben, die ebenfalls mit dem Gedanken spielen, aus der Kunst in die Rechtswissenschaft zu wechseln oder vielleicht auch umgekehrt?
Das ist schwierig, weil es eine sehr individuelle und persönliche Entscheidung ist. Die Bereiche sind so unterschiedlich, dass man da nicht mal so nebenbei hineinrutscht. Man sollte sich gut überlegen, was ein Jurastudium bedeutet und den Werdegang nicht unterschätzen. Das kann sehr anstrengend sein. Allerdings bringt die Rechtswelt auch eine Fülle an Berufsmöglichkeiten. Man erlernt nicht einen Beruf, sondern viele. Jeder bzw. jede, der bzw. die wechseln möchte, sollte das tun, gleich, aus welchem Anlass. Es ist wichtig, sich vor Augen zu halten, dass man immer nochmal neu anfangen kann. Berufliche Wechsel sind eine Herausforderung und Bereicherung zugleich.
Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?
Da gibt es mehrere. Besonders am Herzen liegt mir aber Rautgundis Schneidereit. Sie ist Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht Berlin und ich habe sie während meiner Tätigkeit für Dr. Robert Seegmüller kennengelernt. Sie ist wahnsinnig engagiert und auch im BDVR tätig. Sie ist mir von Anfang an auf Augenhöhe begegnet, ihr Umgang ist kollegial und respektvoll. Sogar als ich selbst, Jahre, nachdem ich ihr begegnet bin, in die Justiz gewechselt habe, war sie offen und hilfsbereit und hat mir angeboten, mich jederzeit an sie zu wenden. Sowas halte ich nicht für selbstverständlich.
Vielen Dank für das spannende Interview!
Berlin, 29. April 2024. Das Interview führte Tamara Wendrich, LL.M.
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