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Dr. Kirsten Hartmann im Porträt

„Der Energiesektor ist gesellschaftlich relevant.“

Dr. Kirsten Hartmann, Bereichsleiterin Recht in einem Energieunternehmen, über ihre Arbeit im Energiesektor, die Vorzüge einer Tätigkeit als Unternehmensjuristin und was für sie gute Führung ausmacht.

Kirsten, Du bist Bereichsleiterin Recht in einem Energieunternehmen. Wie sieht Dein beruflicher Alltag aus?

Es gibt nicht „den einen“ typischen Tagesablauf. Was meinen Job so spannend macht, sind die vielen unterschiedlichen Facetten.

Zu Beginn eines jeden Jahres lege ich gemeinsam mit meinem Vorstand und Team Bereichsziele fest, die wir wiederum aus unseren Unternehmenszielen ableiten. Im Verlauf des Jahres überprüfen wir dann regelmäßig, wo wir bei der Erreichung der Ziele stehen, damit wir die Ziele zum Jahresende auch erreichen. Zu unseren Bereichszielen gehörten zuletzt beispielsweise die Digitalisierung von Prozessen sowie Verbesserung unseres Kundenfeedbacks. Ich habe eingeführt, dass unsere Ziele, Meilensteine, Fristen und Verantwortlichkeiten gemeinsam definiert und im Planer für jeden zugänglich hinterlegt werden. So werden sie nachhaltig und verbindlich umgesetzt.

Transparenz ist für mich ein wichtiges Thema. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Eigenverantwortung eines jeden Einzelnen gestärkt wird, wenn jeder weiß, wo das Unternehmen bzw. Team gerade steht. Deshalb wurden auf meine Initiative hin viele Austauschformate eingeführt, in denen wir uns gegenseitig darüber informieren, vor welchen Herausforderungen wir derzeit stehen, welche Erfolge wir feiern und welche Fehler wir gemacht haben. Dazu gehört auch, dass ich Expert*innen aus anderen Fachbereichen einlade, um von den Schwerpunktthemen ihres Bereichs zu berichten bzw. den Konzernvorstand, um mit meinem Team die neue Unternehmensstrategie zu diskutieren. Mein Motto ist: „Raus aus dem Silo und rein ins Verständnis der Zusammenhänge. 

 

Erst kürzlich habe ich unter den Leiter*innen der jeweiligen Rechtsabteilungen der einzelnen Konzerngesellschaften initiiert, dass wir eine Vertragsmusterdatenbank sowie ein rechtliches Monitoring aufbauen, um so die Ressourcen unseres Konzerns effizienter zu nutzen und uns weiterzuentwickeln.

 

Ansonsten kommt es auch vor, dass ich die Hauptversammlung mit unseren Anteilseigner*innen vorbereite, eine Aufsichtsratssitzung protokolliere, Projekte juristisch begleite, mir neue, interaktive Schulungsformate ausdenke, in der Runde der Unternehmensleitung über Gesetzesänderungen und die Implikationen für unser Unternehmen berichte, Vorträge über die wesentlichen Herausforderungen des Unternehmens halte und wie wir als Bereich Recht solche juristisch begleiten können, ein Video drehe, um neue Richtlinien zu erklären, mich mit meinen Mentees treffe oder einen Workshop in dem von mir im Unternehmen initiierten Frauennetzwerk leite. Mir ist wichtig, meine Erfahrungen weiterzugeben, damit auch andere von diesen Erfahrungen profitieren können.

 

Außerdem setze ich mich auch abseits meines Bereichs und juristischer Themen für die Weiterentwicklung ein. Ich gehöre gemeinsam mit unserem Vorstand und weiteren Mitgliedern aus allen Bereichen und Hierarchiestufen zu einer Arbeitsgruppe zur Weiterentwicklung der Unternehmenskultur. Dort arbeiten wird gemeinsam an der Vision, Mission und den Werten unseres Unternehmens

 

Das alles ist nur ein kleiner Ausschnitt meiner jetzigen Tätigkeit und zeigt, wie vielseitig meine Tätigkeit als Bereichsleiterin Recht ist.

Was begeistert Dich an Deiner derzeitigen Tätigkeit im Energiesektor?

Der Energiesektor ist gesellschaftlich relevant. Wir haben uns in Deutschland ambitionierte Klimaziele gesetzt. Netzbetreiber müssen ihre Netze so ausbauen, dass sie den Strom aus Erneuerbaren Energien aufnehmen und verteilen können. Das ist eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, die es technisch umzusetzen gilt. Da dabei zu sein, begeistert mich. Ich freue mich zu einer solch zukunftswichtigen Herausforderung einen Beitrag leisten zu können.

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Deine juristische Karriere begann als Associate in einer Großkanzlei. Wie kam es zum Wechsel ins Unternehmen?

Nach vielen spannenden Mandaten, die ich in der Kanzlei betreuen durfte, hat es mich gereizt, Vorgänge von Anfang bis Ende juristisch zu begleiten. Ich wollte wissen, wie es weiter geht und Teil eines Teams sein, das aus vielen verschiedenen Disziplinen besteht.

Was sind die wesentlichen Unterschiede zwischen einer Tätigkeit als Rechtsanwältin in einer Großkanzlei im Vergleich zu einer Tätigkeit als Unternehmensjuristin?

Die Aufbereitung von rechtlichen Themen innerhalb des Unternehmens ist eine ganz andere, als sie in der Großkanzlei üblich ist. Was wir im Unternehmen eher selten machen, ist lange Vermerke zu rechtlichen Themen zu verfassen. Natürlich müssen auch wir recherchieren, damit der Rechtsrat am Ende zutreffend ist. Aus der Hüfte schießen wir nie. Allerdings ist es im Unternehmen eher unüblich dies in Form eines umfassenden rechtlichen Vermerks mit vielen Fundstellen auszuarbeiten. 

 

Außerdem unterscheidet sich die Art der rechtlichen Fragestellungen. In der Kanzlei ist es meist so, dass von Seiten der Unternehmen bereits präzise Rechtsfragen herangetragen werden, die es zu beantworten gilt. Das ist im Unternehmen anders. Unternehmensjurist*innen sind gefordert mitzudenken und von sich aus die rechtlichen Risiken zu erkennen und Lösungsansätze zu entwickeln. Dazu gehört insbesondere auch das rechtliche Monitoring, das heißt das Beobachten von Gesetzesänderungen und das Sicherstellen der Umsetzung dieser Regelungen im Unternehmen.

 

Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass Associates in Großkanzleien wichtige Mandate nicht selbst betreuen. Die Mandant*innen kaufen die Expertise des / r Partner*in ein und wollen dann auch maßgeblich von ihm / ihr betreut werden. Im Unternehmen hingegen achten wir sehr darauf, unsere Jurist*innen bereits nach einer kurzen Einarbeitungszeit selbstständig ihre Mandate und Aufgaben betreuen zu lassen.

Im Verlauf Deiner Karriere hast Du verschiedene Rechtsabteilungen von Unternehmen kennengelernt. Inwiefern haben sich die Tätigkeiten in den jeweiligen Unternehmen unterschieden?​

Vor allem haben sich die Rechtsgebiete und die Schwerpunkte der Tätigkeiten unterschieden. Ich habe in Unternehmen verschiedener Branchen gearbeitet (Banken, einem Fondsemissionshaus, einem Hersteller von on- und offshore Windkraftanlagen sowie einem Netzbetreiber und Energiedienstleister) und mich dementsprechend in unterschiedliche Rechtsgebiete eingearbeitet. Vom Vertragsrecht bzw. der Vertragsgestaltung, dem IT-Recht, Energie- und Kommunalwirtschaftsrecht, Bank- und Kapitalmarktrecht, Zivil-, Handels- und Gesellschaftsrecht, M&A, Bau- und Immobilienrecht, Wettbewerbsrecht und Recht der streitigen Auseinandersetzung war alles dabei. Außerdem haben sich auch die Schwerpunkte der jeweiligen Tätigkeiten unterschieden: So z.B. die Vertragsgestaltung bei den Windkraftanlagenherstellern im Vergleich zur strategischen Beratung in Projekten und der Strukturierungsberatung in M&A Deals bei meinem jetzigen Arbeitgeber. Als (Bereichs-)Leiterin Recht habe ich dann zusätzliche Aufgaben übernommen, so z.B. die Personal- und Budgetverantwortung sowie die Verantwortung für Richtlinien und Prozesse sowie deren Optimierung.

 

Wenn das Unternehmen und damit die Rechtsabteilung klein war, habe ich alle Rechtsbereiche selbst abgedeckt. Um die Abdeckung der unterschiedlichen Jurisdiktionen gewährleisten zu können, habe ich dort mit verschiedenen Kanzleien zusammengearbeitet. Auch bin ich Mitglied in dem jeweiligen Fachverband geworden und habe mir ein eigenes Netzwerk aus Jurist*innen in anderen Unternehmen aufgebaut, um mich auszutauschen zu können. Bei größeren Unternehmen und Rechtsabteilungen habe ich mich eher auf spezifische Rechtsgebiete konzentriert und auf die Expertise der angestellten Unternehmensjurist*innen gesetzt. Kanzleien habe ich nur im Ausnahmefall mandatiert.

 

Die Windkraftanlagenhersteller waren international ausgerichtet. Die Unternehmenssprache war Englisch und die Verträge habe ich überwiegend auf Englisch angefertigt und verhandelt. Bei meinem derzeitigen Arbeitgeber arbeite ich ganz überwiegend auf Deutsch.

Nunmehr bist Du Bereichsleiterin Recht in einem Energieunternehmen. Was sind Deine größten Herausforderungen in dieser Position?

Mein Bereich ist sehr divers: Von dem / der Haustechniker*in bis zum / r spezialisierten Jurist*in bin ich für insgesamt 75 Mitarbeitende verantwortlich. Die Herausforderung besteht immer wieder darin, einen gemeinsamen Nenner zu definieren, in dem sich alle Mitarbeiter*innen wiederfinden.

Eine weitere Herausforderung ist das dynamische Regulierungsumfeld, in dem ich derzeit arbeite. Auch im Energiesektor werden derzeit laufend neue Regelungen erlassen. Diese Gesetze gilt es jeweils fristgerecht im Unternehmen umzusetzen.

Neu war für mich zudem die Übernahme der Tätigkeit als Compliance Officer. Es ist mir ein großes Anliegen, ein funktionierendes Compliance Management System aufzubauen und unter anderem mit innovativen Schulungsformaten dafür Sorge zu tragen, dass alle Mitarbeiter*innen die rechtlichen Grenzen kennen. Es ist wichtig, eine offene Fehlerkultur einzuführen und immer wieder dafür zu werben, dass Mitarbeiter*innen Fehler offen ansprechen. Weil das Thema neu für mich war, habe ich einen mehrtätigen Lehrgang besucht und eine Prüfung abgelegt, um mich fundiert in die neuen Themen einzuarbeiten. Auch profitiere ich sehr von dem intensiven Austausch im Konzern.

Du bist Führungskraft. Was zeichnet für Dich eine Führungspersönlichkeit und einen guten Führungsstil aus?​

Ich finde es wichtig, kooperativ und wertebasiert zu führen, das heißt insbesondere den Menschen ins Zentrum zu stellen. Mir sind Teamgeist, Motivation, Eigenverantwortung und Förderung des Potenzials eines / r jeden Einzelnen wichtig. Gemeinsame Erfolge feiern wir und ich gebe den Ideen meiner Mitarbeiter*innen Raum. Mit meinem Führungsteam habe ich verschiedene Formate etabliert, die den Teamgeist stärken. Ich frage regelmäßig bei meinen Mitarbeiter*innen ab, was sie motiviert, und achte darauf, dass sie ihre Talente weiterentwickeln können. Ebenso finde ich es wichtig, sich Fehler ohne Scheu eingestehen zu können. Dabei liegt es insbesondere an mir, das meinem Team selbst vorzuleben. So verstehe ich eine nachhaltige Führung, um in der komplexen Welt erfolgreich zu sein.

Welchen Tipp hast Du für junge Jurist*innen, die Angst haben, auf ihrem Karriereweg „falsch abzubiegen“?​ 

Ich persönlich finde, es gibt keinen falschen Weg. Es ist letztlich eine Frage der eigenen Interpretation, was man als richtig und falsch empfindet. Wenn ich an meinen bisherigen Karriereweg zurückdenke, fügen sich viele Puzzleteile erst im Nachhinein zu einem einheitlichen Ganzen zusammen. Man sollte mutig sein, sich trauen neue Dinge auszuprobieren und in unbekannte Rechtsgebiete einzutauchen. Keine Entscheidung, die man trifft, muss definitiv sein.

Wie gehst Du mit Zweifeln und Rückschlägen um?

Ich kenne niemanden, egal wie erfolgreich er / sie ist, der / die nicht auch mal an sich und seinen / ihren Entscheidungen zweifelt. Sei es, dass ein Projekt nicht so läuft, wie man es sich vorgestellt hat oder sogar ganz scheitert. Das gehört zum Leben einfach dazu und ist ganz normal. Mir hilft Meditation, um mich zu fokussieren. Ich versuche bei Fehlern und Rückschlägen mir gegenüber nicht so streng zu sein, sondern daraus zu lernen. Zu einem Weiterentwicklungsprozess gehören Fehler und Rückschläge dazu.

Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Ich finde Dr. Nadine Lilienthal klasse! Sie ist sehr präsent auf LinkedIn und hat dort beispielsweise das Format „Friday-Legal-News“ geschaffen. Für dieses Format beobachtet sie den Rechtsmarkt und gibt außerdem Impulse, wie sich Jurist*innen wertebasiert ausrichten können.

 
Vielen Dank für das spannende Interview!

Hamburg, 14. August 2023. Das Interview führte Lina Runge

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