Kirstin Schwedt, LL.M. im Porträt
„Idealerweise müssten sich Frauen und Männer gegenseitig die Bälle zuspielen.”
Kirstin Schwedt, LL.M., selbständige Anwältin im Bereich Dispute Resolution, Schiedsrichterin und Wirtschaftsmediatorin, erzählt über ihre fünfzehnjährige Tätigkeit bei Linklaters, die gleichzeitige Partnerschaft und Kindererziehung, und welchen spannenden Aufgaben sie nunmehr nach der Gründung ihrer Kanzlei SCHWEDT dispute resolution in Zukunft nachgehen möchte.
Liebe Kirstin, Du hast zusätzlich zu Deinem Jurastudium an der Universität zu Köln an der Universität Paris I (Panthéon Sorbonne) studiert und verfügst auch über einen französischen juristischen Hochschulabschluss (Maîtrise). Würdest Du Jurastudent*innen einen solchen „Doppelabschluss“ empfehlen?
Ja, ich habe in Deutschland und Frankreich Jura studiert. Das Studium war so aufgebaut, dass man zwei Jahre in Köln und zwei Jahre in Paris an der Sorbonne studierte. Der Lehrplan war zwar eng getaktet und es gab einen straffen Zeitplan. Der Vorteil war aber, dass ich nach vier Jahren schon vor dem ersten Staatsexamen in Deutschland einen französischen Juraabschluss, die sogenannte Maîtrise, und einen LL.M. im deutsch-französischen Recht hatte. Obwohl ich nicht ernsthaft in Betracht gezogen habe, dauerhaft in Frankreich zu arbeiten, habe ich das Doppelstudium nie bereut. Gerade während des Studiums in Paris bin ich in meiner Persönlichkeit stark gewachsen, weil es dort natürlich auch einige Hürden zu überwinden galt. Zudem ist es ein Vorteil, das eigene Rechtssystem durch eine andere Brille gesehen zu haben. Der Abstand half mir, es besser zu verstehen. Zudem profitiere ich noch heute von den damals in Paris geknüpften Kontakten. Ich würde daher immer empfehlen, für eine gewisse Zeit ins Ausland zu gehen – sei es im Studium, im Rahmen eines LL.M. oder im Referendariat.
Du bist nach dem zweiten Staatsexamen bei der Großkanzlei Linklaters in Köln als Associate im Bereich Dispute Resolution eingestiegen. War es schon immer Dein Plan, Anwältin in einer Großkanzlei zu werden?
Ich hatte eigentlich nie den Plan, Anwältin in einer Großkanzlei zu werden. Im Referendariat hatte ich mir daher vor allem mittelständische Kanzleien angesehen. Es hat sich aber herausgestellt, dass ich dort und in der Justiz nicht glücklich sein würde. Denn es war schon immer mein Wunsch, in internationalen Teams zu arbeiten. Aus diesem Grund entschied ich mich für Linklaters – eine der renommiertesten Großkanzleien damals in Köln. Wenn, dann wollte ich gleich bei einer „top“ Kanzlei einsteigen, dachte ich mir. Falls es mir dort nicht gefällt, könnte ich immer noch in eine kleinere Einheit wechseln. Mein Mut hat sich ausgezahlt: Es war im Nachhinein genau die richtige Entscheidung.
Insgesamt warst Du mehr als 15 Jahre Anwältin bei Linklaters, davon sieben Jahre als Partnerin. Das ist eine lange Zeit für die Tätigkeit in einer Großkanzlei! Hattest Du während dieser Zeit nie Zweifel an Deinem Weg oder den Wunsch verspürt, zu wechseln?
Doch, ich habe mir regelmäßig die Frage gestellt, ob der Weg, den ich eingeschlagen habe, nach wie vor der richtige ist. Dazu habe ich mir potenzielle Alternativen vor Augen geführt und diese bewertet. Ich finde es normal und richtig, dass man seine Situation stetig hinterfragt. Ich persönlich bin dann jedes Mal zu dem Ergebnis gekommen, dass ich bleiben möchte. Ausschlaggebend war für mich, dass ich nach wie vor das Gefühl hatte, etwas dazu zu lernen. Insbesondere gab es immer neue Herausforderungen, die ich gerne annahm. Es war nie langweilig. Schließlich hat mich auch die Perspektive weiterzukommen – bis hin zum Partnerlevel –, motiviert. Eine solche Perspektive habe ich für mich stets gesehen. Diese Chance wollte ich nutzen.
Welche Eigenschaften sind nötig, um Partnerin in einer Großkanzlei zu werden?
Essenziell für die Beförderung in die Partnerschaft ist aus meiner Sicht, dass man Freude an der Arbeit hat. Ich selbst „brenne“ für meinen Beruf. Zudem sollte man Herausforderungen gerne annehmen und an sich selbst glauben. Bei mir persönlich hat darüber hinaus ein weiterer Faktor eine Rolle gespielt: Ich wollte mir und anderen beweisen, dass es möglich ist, mit Kind die „gläserne Decke“ zu durchbrechen und Partnerin in einer Großkanzlei zu werden. Es nicht zu versuchen, hätte bedeutet, Rollenklischees weiter zu zementieren und damit auch anderen Frauen einen Bärendienst zu erweisen.
Dass es dann tatsächlich geklappt hat, lag zum großen Teil an der Unterstützung und Rückendeckung, die mir mein Mann gab. Auch seitens der Kanzlei erfuhr ich Unterstützung. Insbesondere durch das damals von der Kanzlei neu ins Leben gerufene Women's Leadership Program wurde ich besonders gefördert. Das Women's Leadership Program ist ein Programm, das speziell auf die Karriereentwicklung von Frauen ausgerichtet ist. Ich habe sehr viel davon profitiert – sei es in Form des Austauschs mit Mentor*innen, Coachings in der Gruppe oder des sich daraus ergebenden Netzwerks.
Zwei Jahre vor dem Sprung in die Partnerschaft hast Du Dein erstes Kind bekommen, ein weiteres sollte wenige Zeit später folgen. Hast Du teilweise in Teilzeit gearbeitet oder dies in Erwägung gezogen?
Nach meiner Elternzeit bin ich in Vollzeit wieder zurückgekehrt. In Teilzeit zu arbeiten, wäre für mich nicht in Frage gekommen. Eine besondere Form der Rücksichtnahme von Kanzlei- oder Mandantenseite habe ich nicht eingefordert. Ich wollte auch keine besondere Rücksichtnahme. Vielmehr haben mein Mann und ich uns mit den Kindern so organisiert, dass ich meinen Job so weit wie möglich ausüben konnte. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass das Arbeiten in Teilzeit in einer Partnerfunktion nur schwer mit dem Geschäftsmodell einer Großkanzlei in Vereinbarung zu bringen ist. Teilzeit löst aus meiner Sicht auch nicht das eigentliche Problem. Das liegt darin, dass nach wie vor der Hauptteil der Erziehungsverantwortung bei uns Frauen liegt. Aus meiner Sicht ist es das, was sich ändern müsste. Mein Mann beispielsweise hat sich stark in die Kindererziehung eingebracht und sich nicht aus der Verantwortung gezogen. Er hat sich wegen der Kinder selbständig gemacht und war dadurch recht flexibel. Das müssten sich noch mehr Männer zum Vorbild nehmen und in gleicher Weise Verantwortung übernehmen.
Der Schwerpunkt Deiner juristischen Tätigkeit liegt im Bereich Dispute Resolution. Du bist sowohl im Rahmen der Prozessführung vor staatlichen Gerichten aktiv als auch in Verfahren der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Zudem verfügst Du über Erfahrungen im Bereich der alternativen Streitbeilegung und bist Wirtschaftsmediatorin. Warum bist Du im Bereich Dispute Resolution eingestiegen?
Ich wollte eine „richtige Anwältin“ sein, das heißt eine Anwältin mit einer Robe, die in Verhandlungen vor Gericht auftritt. Im Laufe der Jahre war ich dann auch viel mit Streitigkeiten befasst, die nicht vor staatlichen Gerichten, sondern vor internationalen Schiedsgerichten ausgetragen wurden. Vorkenntnisse im Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit hatte ich nicht. Umso mehr erwies es sich daher als ein Glücksfall, dass ich gleich nach meinem Einstieg bei Linklaters ein großes internationales Schiedsverfahren mitbetreuen durfte, in dem alle Stolpersteine vorkamen, die in der Praxis problematisch werden können. Dadurch konnte ich mir das nötige Wissen und Handwerkszeug für internationale Schiedsverfahren aneignen.
Welche Vor- oder Nachteile hat es, als Frau im Bereich Dispute Resolution tätig zu sein?
In der Tat ist es wohl so, dass im Bereich Dispute Resolution tendenziell mehr Frauen tätig sind als beispielsweise im Transaktionsbereich. Ein Grund dafür könnte sein, dass man im Bereich Dispute Resolution einen Großteil der Arbeit bereits schriftlich im Vorfeld ausarbeiten und vorbereiten kann, beispielsweise in Form von Schriftsätzen. Erst in einem zweiten Schritt kommt es dann zum großen „Showdown“ in der mündlichen Verhandlung. Dieser Ablauf spricht Frauen möglicherweise mehr an, da sie typischerweise das Bedürfnis haben, sich gründlich vorzubereiten, bevor sie ein Ergebnis präsentieren. Ein Nachteil für Frauen in dem Bereich dürfte sein, dass sie aufgrund ihrer Statur und Stimme womöglich etwas weniger stark im Auftreten wahrgenommen werden als Männer. Andererseits kann es auch ein Vorteil sein, unterschätzt zu werden. Dann kann man umso mehr überraschen und sich diesen Effekt zunutze machen.
Hat sich die Situation von Anwältinnen in Großkanzleien in den letzten Jahren verbessert?
Es hat sich schon viel verbessert. Es gibt heute viel mehr Partnerinnen in Großkanzleien als zu der Zeit, als ich Partnerin wurde. Es müssten jedoch noch mehr Männer Erziehungsverantwortung übernehmen und dies offen kommunizieren. Aber auch Frauen untereinander müssten noch kooperativer werden und sich gegenseitig mehr unterstützen. Wie schon Carolin Kebekus gesagt hat: Frauen denken noch immer häufig, „es könne nur eine geben.“ Das muss sich ändern. Idealerweise müssten sich Frauen und Männer gegenseitig die Bälle zuspielen und sich als ein Team betrachten.
Seit September letzten Jahres bist Du selbstständige Anwältin in der von Dir gegründeten Kanzlei SCHWEDT dispute resolution. Wie kam es zu diesem Schritt?
Ein Grund war sicherlich die Pandemie, die mich in gewisser Weise aus meinen damaligen Routinen herausgerissen und mich verstärkt zum Nachdenken über meine berufliche Zukunft gebracht hat. Als Alternative kam für mich nur eine sogenannte „Boutique“ – also eine kleine, spezialisierte Kanzlei – infrage. Da ich schon immer den Wunsch hatte, auch mal eine Boutique kennen zu lernen, setzte ich diesen Plan dann 2022 in die Tat um. Die Arbeit in meiner eigenen Kanzlei bringt wieder völlig neue, spannende Herausforderungen mit sich; angefangen von der Organisation und Verwaltung bis hin zur Frage der strategischen Ausrichtung, der Mandatsakquise und HR-Fragen. Ich lerne aktuell wieder jeden Tag so viel Neues dazu. Das motiviert mich sehr und bereitet mir große Freude.
Mit welchen Themen möchtest Du Dich in Zukunft schwerpunktmäßig beruflich befassen?
Aktuell stehe ich vor der strategischen Frage, ob ich zukünftig verstärkt Parteien vertrete oder schwerpunktmäßig in neutraler Rolle in Schiedsrichtermandaten sowie als Wirtschaftsmediatorin tätig sein möchte. Davon abhängig ist die Frage, ob und wenn ja, wie viele Mitarbeiter*innen ich einstellen werde. Inhaltlich werde ich meinen Fokus weiterhin auf gesellschaftsrechtliche, Joint Venture-, Post M&A-Streitigkeiten legen und mich mit Organhaftungsfällen befassen. Der große Vorteil der Selbständigkeit liegt in der Flexibilität. Ich genieße es, mir meine Zeit selbst einteilen zu können und ganz allein zu entscheiden, wie und womit ich diese Zeit beruflich verbringen möchte.
Gibt es etwas, das Du rückblickend anders machen würdest?
Generell schaue ich lieber nach vorne als zurück. Wenn ich aber etwas nennen müsste, dann wäre es der Willem C. Vis Moot Court, den ich sehr gerne gemacht hätte. Der Vis Moot hätte mir frühzeitig die Möglichkeit gegeben, mit dem Schiedsverfahrensrecht und einem unvergleichlichen internationalen Netzwerk in Berührung zu kommen, wovon andere ihr ganzes Berufsleben lang zehren. Doch da das Doppelstudium einem engen Zeitplan folgte, blieb für den Vis Moot Court leider keine Zeit.
Welchen Rat würdest Du Jurist*innen geben, die überlegen, ob sie in einer Großkanzlei einsteigen sollen?
Ich kann Jurist*innen nur ermutigen, zum Berufseinstieg in eine Großkanzlei zu gehen. Man sollte es einfach ausprobieren und schauen, ob einem die Tätigkeit Spaß macht und das Umfeld passt. Man hat in jedem Fall eine sehr steile Lernkurve, die man sonst wahrscheinlich nicht in dem Maße hätte.
Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?
Da gibt es sehr viele. Wenn ich mich für eine Juristin entscheiden müsste, würde ich Dr. Ramona Schardt nennen. Sie ist seit Anfang des Jahres neue Generalsekretärin der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS), war lange bei Siemens inhouse tätig und setzt sich stark für diversity-Themen ein, insbesondere in Bezug auf Frauen in der Schiedsgerichtsbarkeit.
Vielen Dank für das spannende Interview!
Frankfurt am Main, 2. Mai 2023. Das Interview führte Sandra Renschke.
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