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Dr. Lena Lindemann im Porträt

„Selbstreflexion und Blicke links und rechts ermöglichen den eigenen Weg zu gestalten.“

Dr. Lena Lindemann, Bereichsleiterin HR bei der ERGO Group AG, über ihren Wechsel von der Kanzlei zu einer Versicherung, gute Headhunter und erfolgreiche Bewerbungsprozesse.

Lena, ein internationales Flair hat Dich schon früh begeistert: Du warst als jugendliche Leistungssportlerin viel im Ausland, hast während der juristischen Ausbildung einige Zeit im Ausland verbracht und wolltest zunächst Diplomatin werden. Heute bist Du Bereichsleiterin HR bei der ERGO. Wie international ist Deine heutige Tätigkeit?

Meine heutige Tätigkeit im Bereich HR bei der ERGO ist internationaler als man vielleicht zunächst vermutet. Die ERGO ist ein großer internationaler Konzern. Weltweit ist die ERGO in 30 Ländern vertreten. Wir merken in vielen Bereichen eine starke Internationalisierung, die auch beim Personalmanagement keinen Halt macht. Daher beschäftige ich mich zunehmend auch mit Themen, die einen internationalen Bezug haben. Vom Aufbau globaler Unternehmensstrukturen, über die Entwicklung einer globalen Arbeitgebermarke bis hin zur Einstellung internationaler Kolleg*innen. Zudem sind auch einige der Geschäftsführer- und Vorstandsposten international besetzt, so dass auch hier bei der Beratung ein internationales Flair zu spüren ist. Hinzu kommt, dass wir im ständigen Kontakt zu unseren HR-Kolleg*innen in den internationalen Gesellschaften sind und uns zu best practices und aktuellen HR-Themen austauschen. Daneben gibt es diverse Plattformen, auf denen sich die Führungskräfte der internationalen ERGO Gesellschaften und auch der unserer Muttergesellschaft MunichRe begegnen. Das ist unglaublich inspirierend und befeuert meine nach wie vor große Begeisterung für andere Menschen und Länder.

Mit Deiner Dissertation im internationalen Strafrecht wolltest Du eigentlich an einer Schnittstelle von Politik und Recht arbeiten. Für den Berufseinstieg wähltest Du dann aber das arbeitsrechtliche Team einer sogenannten Magic Circle Großkanzlei. Was hat Dich ins Arbeitsrecht gezogen?

In der Tat habe ich im Studium und im Referendariat die Schnittstelle zwischen Politik und Recht gesucht. Ich habe Jura eigentlich nur studiert, um dann in den Diplomatischen Dienst zu gehen. Damals war ein Großteil der Diplomat*innen Jurist*innen und daran habe ich mich bei der Wahl des Studienfachs orientiert. Am Ende meines Referendariats, während der Vorbereitung auf das zweite Staatsexamen, hat mich dann aber auf einmal die Leidenschaft für die Juristerei gepackt. Das hatte ich so nicht erwartet, aber der Wunsch, zunächst einmal klassisch juristisch zu arbeiten, war auf einmal da. Gleichzeitig wollte ich aber nach wie vor unbedingt international und nah am Menschen arbeiten. Und so bin ich im Arbeitsrechtsteam in einer internationalen Großkanzlei gelandet. Das Arbeitsrecht ist für mich lebensnah, weil es sehr vielschichtig ist und verschiedene persönliche und gesellschaftliche Interessen eine Rolle spielen. Die Interessen von Gewerkschaften, Betriebsrät*innen, Arbeitnehmer*in und Arbeitgeber*in zusammenzubringen, das habe ich mir sehr spannend vorgestellt. Und diese Wahl habe ich nicht eine Sekunde bereut. Aus meiner Sicht gibt es kaum ein spannenderes Rechtsgebiet als das Arbeitsrecht.

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Du bliebst für fünf Jahre in der Großkanzlei und hast dann zur ERGO gewechselt. Wie unterscheidet sich die Tätigkeit für eine Großkanzlei von der für eine Versicherung?

Bei der ERGO habe ich zunächst die Abteilung Arbeitsrecht- und Mitbestimmung geleitet. Der wesentliche Unterschied zu meiner Tätigkeit als Anwältin lag darin, dass man hier Sachverhalte von Anfang bis zum Ende mitbekommt und auch ihre Einbettung in den unternehmerischen Kontext intensiver miterlebt. Als Anwältin in einer Kanzlei wird man in der Regel zum Sachverhalt hinzugezogen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Anwält*innen in Kanzleien begutachten und bewerten in der Regel Sachverhalte, die schon feststehen. Zwar spielen hier auch immer unternehmenspolitische und wirtschaftliche Aspekte eine Rolle, jedoch ist es oft nur ein kleiner Ausschnitt des Gesamtbildes, den Anwält*innen als externe Berater*innen zu sehen bekommen. Als Jurist*in im Unternehmen bin ich dagegen von Anfang an dabei. Ich bekomme die Gestaltung des Sachverhalts selbst mit und bin dann in der Regel für die juristische Umsetzung verantwortlich. Die Bandbreite des Sachverhalts, den ich mitbekomme, ist daher anders. 

Wie in vielen anderen Unternehmen ist Arbeitsrecht auch bei der ERGO ein Teil des HR-Bereichs. Da habe ich von Anfang gelernt, über den rein juristischen Tellerrand hinwegzublicken. Wie sind arbeitsrechtliche Lösungen administrativ oder personalpolitisch umsetzbar? Welche übergreifenden unternehmerischen Interessen sind zu berücksichtigen? Die Zusammenarbeit mit anderen Personalbereichen zwingt einen, juristische Fragestellungen aus sehr unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Und nebenbei lernt man natürlich ganz viele andere, nicht juristische Themen, sowohl aus den anderen Personal- als auch aus den unterschiedlichen Geschäftsbereichen kennen. Diese haben mich so sehr begeistert, dass ich dann relativ schnell zum HR Management gewechselt bin. Dort verantworte ich aktuell den Bereich HR Business Management. Dieser Bereich umfasst das Employer Branding, das Recruiting, die Personalbetreuung- und administration sowie das Gesundheitsmanagement.

In Deinem Job arbeitest Du viel mit Headhuntern zusammen. Was macht einen guten Headhunter aus und wie findet man einen solchen?

Die Antwort liegt vielleicht in der Frage: Aus Arbeitgebersicht macht einen guten Headhunter gerade aus, dass er oder sie die richtigen Menschen für die richtigen Unternehmen findet. Das klingt selbstverständlich, ist es aber nicht. Es reicht meines Erachtens für gute Headhunter nicht aus, den jeweiligen Markt zu kennen und darin präsent und gut vernetzt zu sein. Viel entscheidender ist es, das Unternehmen zu kennen. Nur wenn ich die Unternehmenskultur, das Führungsverständnis, die Werte und auch Ziele des Unternehmens kenne, kann ich beurteilen, ob ein*e Kandidat*in zu dem Unternehmen passt. Und mit passen meine ich nicht den klassischen „cultural fit". Viel wichtiger ist zu erkennen, ob der oder die Kandidat*in sich so wie er oder sie ist und mit den Stärken auch einbringen und die mögliche Leistung und Wirkung entfalten kann.

Aus Sicht der Kandidat*innen, zeichnet einen guten Headhunter meines Erachtens aus, dass er oder sie sich mit den möglichen Wechselkandidat*innen ausgiebig beschäftigt, also die Lebensläufe und Charaktere kennt und darauf bezogen eine gute Auswahl an möglichen Stellen findet, die genau zu dem jeweiligen Profil der Wechselkandidat*innen passt. Im Anschluss an einen Wechsel zeichnet einen guten Headhunter eine gute Kontaktpflege aus. Nur wenn der Headhunter den weiteren Werdegang seiner betreuten Wechsel verfolgt, kann er oder sie beurteilen, ob der Wechsel richtig vermittelt war oder nicht.

Deinem Wechsel von der Kanzlei ins Unternehmen ist eine eigene Neuorientierung vorausgegangen. Du sagtest im Vorgespräch, dass Du regelmäßig reflektierst, wie Deine Jobsituation aussieht und was sich gegebenenfalls ändern kann. Warum ist ein solches Vorgehen ratsam?​

Ratsam ist es, weil es einem aus meiner Sicht die Möglichkeit gibt, aktiv den eigenen Weg zu gestalten. Oft hört man von großen Vorbildern, dass sich der eigene Weg einfach so ergeben habe, die Chancen so vorbeigekommen sind und man sie nur habe ergreifen müssen. Daran glaube ich nur bedingt. Natürlich lässt sich nicht alles planen und es gilt Gelegenheiten zu ergreifen. Und oft gehört auch Glück dazu, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Dennoch bin ich überzeugt davon, dass mir eine regelmäßige Reflexion und Auseinandersetzung mit meinen Vorstellungen als Kompass dient. Ich wünsche, irgendwann auf meinen Weg zurückzublicken und nachvollziehen zu können, was mich zu den einzelnen Schritten bewegt hat. Das stelle ich mir erfüllend vor. Ich glaube viele von uns laufen Gefahr, dass wir nur nach vorne schauend durch unser Leben laufen, 180% geben, aber zu selten innehalten oder auch mal nach links und rechts schauen. Dagegen einzuwirken ist mir persönlich sehr wichtig – also regelmäßig innezuhalten und zu hinterfragen, ob das, was ich tue mich noch erfüllt und mich wachsen lässt.

Ist Deine Selbstreflektion systematisch aufgebaut und wie gehst Du hier konkret vor?

Systematisch aufgebaut ist sie im Coaching. Dann arbeite ich ganz gezielt an bestimmten Themen. Aber daneben versuche ich auch, mir ganz bewusst Zeiträume dafür zu reservieren. Das ist dann meine eigene „Denkzeit", in der ich Ideen und Gedanken nachgehen und aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten kann. Am allerliebsten gehe ich dafür in die Natur. Diese Denkzeiten zu reservieren und gegen andere Termine zu verteidigen ist häufig schwierig. Es gelingt mir natürlich auch nicht immer, aber ich versuche hier diszipliniert zu sein.

Gerne mache ich dann den sogenannten Apfelbaumtest. Ich stelle mir vor, dass ich mit 90 Jahren unter einem Apfelbaum sitze und zufrieden auf meinen Weg zurückblicke, weil ich das erreicht habe, was ich erreichen wollte, das bewegt habe, was ich bewegen wollte. Ich stelle mir dann immer wieder die Frage, ob das was ich momentan mache, etwas ist, worauf ich unter dem Apfelbaum sitzend zurückblicken möchte. Diese Visualisierung hilft mir.

Wie wichtig sind aus HR-Sicht Role Models und Mentoring-Programme?​

Für mich ist beides wichtig. Ich bin ein Mensch, der sich immer schon an Vorbildern orientiert hat. Schon als Leistungssportlerin habe ich stundenlang die Spielzüge meiner Vorbilder studiert und ausprobiert, ob und wie sie in mein Spiel passen und wie ich davon lernen kann. Und auch heute lasse ich mich durch andere Menschen und große Persönlichkeiten inspirieren – im und außerhalb des Jobs. Zudem möchte ich gerne auch Vorbild sein und andere Menschen motivieren, Dinge zu tun, die sie ohne mein Vorbild vielleicht nicht tun würden. „You can't be what you can't see." Mentoring kann dafür einen Rahmen geben. Hier geht es ja gerade um einen strukturierteren Austausch mit erfahrenen Kolleg*innen. Für ein erfolgreiches Mentoring-Programm sind aus meiner Sicht klare Absprachen über die Ziele und inhaltliche Gestaltung des Programms wichtig.

In Deiner Funktion begleitest und verantwortest Du auch Bewerbungsprozesse. Gibt es wiederkehrende Fehler, die vor allem Bewerberinnen häufig machen?​ 

Es klingt zwar etwas klischeehaft, ist aber eine Erfahrung, die ich in mehreren Bewerbungsprozessen gemacht habe: Bewerberinnen stellen weniger dar, was sie können. Sie sprechen weniger über ihre Erfolge, haben wohl ein stärkeres Störgefühl beim Thema des erfolgreichen Werdegangs und meiden daher eine Selbstdarstellung, die auf ihre Erfolge zielt. Diese Zurückhaltung kann nachteilig sein. Eventuell fallen solche Kandidatinnen weniger auf als andere, die weniger zurückhaltend bezüglich der Darstellung des eigenen Werdegangs sind, und werden daher weniger in Betracht gezogen für die jeweilige Position.

Wie läuft ein erfolgreicher Bewerbungsprozess ab?

Kern eines erfolgreichen Bewerbungsprozesses ist natürlich eine sehr gute Vorbereitung. Das klingt so einfach wie selbstverständlich. Ist es aber nicht. Ich erlebe immer wieder, dass sich Bewerber*innen nicht hinreichend mit unserem Unternehmen, der ausgeschriebenen Rolle aber auch den Interviewpartner*innen beschäftigen. Sollte im Vorfeld nicht eindeutig klar sein, wer die individuellen Gesprächspartner*innen in dem Gespräch sein werden, sollten Bewerber*innen nachfragen. Neben dieser intensiven Vorbereitung über die Gesprächspartner*innen sollten die Bewerber*innen klarmachen können, welche Eigenschaften und Skills sie mitbringen, die konkret für die zur Rede stehenden Rolle wichtig sind.

Bei den Bewerbungsunterlagen ist darauf zu achten, dass diese branchenspezifisch gestaltet werden. Sie sollten in ihrer Form den Nerv der Branche treffen und jeweils so kreativ und individuell sein, wie es die Branche zulässt. Dies ist sicherlich einfach gesagt, aber schwer umgesetzt und damit ein Balanceakt. Neben dem Standard ist es ideal, wenn eine Bewerbung ansprechend gestaltet ist und beim Arbeitgeber Interesse an der jeweiligen Person weckt, so dass es auch ein Anknüpfungspunkt im Bewerbungsgespräch sein kann.

Welchen allgemeinen Rat kannst Du Bewerber*innen geben?
 
Nach dem gerade Gesagten ist mein primärer Rat, sich sehr gut vorzubereiten. Dies ist das A und O. Daneben sollten Bewerber*innen so authentisch wie möglich bleiben. Erfahrene Personalmanager*innen merken, wenn Bewerber*innen ihnen etwas vorspielen wollen, beziehungsweise versuchen etwas darzustellen, was nicht zutrifft.
Neben Deiner Tätigkeit im Personalmanagement bist Du unter anderem ehrenamtliche Richterin am Arbeitsgericht. Wie harmonieren Deine beiden Tätigkeiten miteinander?​ 

Die Tätigkeit als ehrenamtliche Richterin ist mir wichtig, da ich nach wie vor eine große Leidenschaft für das Arbeitsrecht habe. Ich habe in den letzten Jahren zunehmend die reine Juristerei verlassen. Bei der Tätigkeit am Arbeitsgericht habe ich weiterhin die Möglichkeit, mich mit juristischen Fragen im Kernbereich zu befassen. Da ich daneben auch im Personalmanagement ebenfalls mit arbeitsrechtlichen Fragestellungen konfrontiert bin, harmonieren beide Tätigkeiten gut miteinander.

Auch zeitlich lässt sich beides gut verbinden. Ich bin ca. 2-4 Mal im Jahr für das Arbeitsgericht tätig, habe also 2-4 Kammertermine im Jahr. Das lässt sich neben meiner Tätigkeit bei der ERGO gut erledigen.

2019 hat Dich das Wirtschaftsmagazin Capital in die Top 40 under 40 gewählt. Was bedeutet Dir diese Auszeichnung?​ 

Das war eine tolle Auszeichnung, über die ich mich sehr gefreut habe und die mich vor allem motiviert hat! Sie hat mir gezeigt, dass der Weg, den ich gerade eingeschlagen bin, für mich der richtige ist.

Daneben bin ich durch diese Auszeichnung Teil eines großartigen Netzwerks der Preisträger*innen geworden. Aus unterschiedlichen Branchen lerne ich hier spannende Persönlichkeiten kennen und habe die Möglichkeit, mich mit ihnen auszutauschen. Unter den Preisträger*innen sind Personen aus Staat, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Im Rahmen des Netzwerks gibt es regelmäßige Treffen auf Bundes- und Regionalebene. Dieses Netzwerk ist wirklich das eigentlich Herausragende, das mich nach wie vor sehr inspiriert.

Was treibt Dich an und was willst Du noch erreichen?​ 

Mich treibt jeden Tag eine große Wissbegierde und Neugierde an. Für mich sind Tage gute Tage, wenn ich abends das Gefühl habe, etwas Neues gelernt zu haben. In meinem Job aber auch von und über Menschen. Zudem treiben mich andere Menschen an. Der Mensch und der Austausch mit ihm treibt mich an; das ist mein Motor.

Ich bin mit sehr großer Leidenschaft Führungskraft. Als Führungskraft möchte ich noch weiterwachsen und noch besser werden. Das ist mir sehr wichtig. Gemeinsam mit den Teams, die ich führe, möchte ich noch Einiges erreichen.

Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?​ 

Die Nominierung meines größten juristischen Vorbildes, Ruth Bader Ginsburg, kommt wohl leider etwas zu spät. Etwas näher an meiner aktuellen Aufgabe inspiriert mich Dr. Elke Frank, die CHRO bei der Software AG ist. Mich begeistert, wie sie den Spagat zwischen der neuen und alten Arbeitswelt schafft und ihre HR-Agenda entschlossen vorantreibt.

Vielen Dank für das Gespräch und die Zeit, die Du Dir dafür genommen hast!

Düsseldorf, 31. Dezember 2021. Das Interview führte Dr. Ilka Beimel.

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