Dr. Lena Oerder im Porträt
„Wichtig ist, dass Frau auch harte Themen verhandelt, wie die Entgeltstrukturen.“
Dr. Lena Oerder, Fachanwältin für Arbeitsrecht bei silberberger.lorenz über Equal Pay, die gesellschaftliche Brisanz des Arbeitsrechts und die Chancen einer Promotion.
Dr. Oerder, warum haben Sie Jura studiert?
In dem Film „Eine Frage der Ehre“ gibt es eine Szene, in die Anwälte mehrere Soldaten (es sind alles nur Männer, bis auf Demi Moore, die aber ja in der ersten Gerichtsszene einen taktischen Fehler begehen muss und danach vor Gericht faktisch keine Rolle mehr spielt) ins Kreuzverhör nehmen. Das fand ich gut. Mir war auch damals schon klar, dass das in der wirklichen Welt nicht ganz so läuft, aber der Grundsatz, mit dem präzisen und geschickten Einsatz von Worten, mitunter große Dinge bewegen zu können, hat mich seitdem fasziniert.
Was fasziniert Sie an Ihrem Beruf als Juristin?
Mir gefällt, was man mit Sprache bewegen kann. Menschen kommen mit einem Gefühl von Ungerechtigkeit zu uns und wir haben die verantwortungsvolle Aufgabe, dieses Gefühl so zu übersetzen, dass es im Zweifel auch vor Gericht standhält. Damit geht auch viel Verantwortung einher, denn unserem Berufsstand wird großes Vertrauen entgegengebracht. Wenn ich sage „Es tut mir leid, dass ihr Arbeitgeber sie schlecht behandelt, aber in diesem Fall kann man nichts machen.“ sollte ich mir auch sehr sicher sein, dass das so ist und ich nicht durch unpräzise oder schlicht falsche Aussagen das Arbeitsleben einzelner Menschen erschwere.
Sie sind Fachanwältin für Arbeitsrecht. Wie kamen Sie zu diesem Fachbereich?
Das Arbeitsrecht ist wie wenig andere Rechtsgebiete klar in zwei Seiten aufgeteilt: Arbeitgeber*innen vs. Beschäftigte. Aus einer kapitalismuskritischen Sicht könnte man auch sagen: Menschen, die die Produktionsmittel innehaben und solche, die „nur“ ihre Arbeitskraft anbieten können. Damit gibt es von vorneherein ein Ungleichgewicht. Auf der anderen Seite geht es um ein Rechtsgebiet, was für die Allermeisten von uns für einen sehr langen Zeitraum im Leben extrem relevant ist. Diese beiden Faktoren machen das Arbeitsrecht meiner Meinung nach zu einem höchst politischen Feld, welches ständigem Wandel unterliegt. Zugespitzt könnte man sagen: Wenn ich ein Erbe in einem Testament fair aufgeteilt habe, ist das wenig bis gar nicht relevant für die Gesellschaft. Wenn ich es aber schaffe, den Arbeitgeber eines großen Unternehmens dazu zu bringen, 150 Beschäftigte weniger zu kündigen, oder faire Bedingungen für die Arbeit im Homeoffice zu auszuhandeln, habe ich das Ungleichgewicht zwischen Kapital und Arbeit ein ganz kleines Stückchen begradigt.
Wie wichtig ist ein roter Faden im Lebenslauf?
Dass Examensnoten im juristischen Bereich immer noch das große Thema sind für die späteren Jobchancen, braucht uns niemand zu erzählen, das hören wir seit dem ersten Semester. Daneben kann man sich jedoch ein Stück weit von der Konkurrenz absetzen, und vielleicht auch eine nicht ganz so starke Examensnote ausgleichen, wenn man durch Praktika, soziales Engagement, Wahlstage etc. zeigen kann, dass man sich für einen Themenbereich interessiert und diesen auch konsequent verfolgt. Häufig möchten Arbeitgeber*innen ja vor allem sehen, dass man auch tatsächlich Lust auf den Bereich hat, auf den man sich gerade bewirbt, und dann dort auch mit vollem Einsatz arbeiten wird. Ich war mittlerweile auf einigen Bewerbungsgespräche (auf Arbeitgeber*innenseite) dabei und kann sagen, dass das tatsächlich ein entscheidender Faktor ist.
Sie vertreten die Seite der Arbeitnehmer*innen und der Betriebsräte. Welche besonderen Herausforderungen zeigen sich dabei?
Die Individualmandate sind in der Regel von großer Emotionalität geprägt. Die meisten kommen, um sich gegen ein als unfair empfundenes Verhalten des Unternehmens zur Wehr zur setzen (Kündigung, Mobbing, unfaires Gehalt). Damit befindet man sich dann meist in einer Abwehrhaltung gegenüber dem Unternehmen. Die Betriebsratsvertretung ist häufig durch ein jahreslanges Miteinander (auch mit der Unternehmensseite) geprägt. Hier geht es häufig auch um politische und taktische Fragen: Wie kann ich mit der Arbeitgeber*innenseite eine Übereinkunft erzielen, nach der beide Seiten noch gut miteinander arbeiten können? Schicken wir eine einstweilige Verfügung raus oder ruft die Vorsitzende lieber nochmal beim Personalchef an, um die Sache außergerichtlich zu klären? Können wir in einer Betriebsvereinbarung in einem bestimmten Punkt nachgeben, oder reißen wir damit den Konzernstandard ein, den die Betriebsräte der Schwestergesellschaften mit Müh und Not gehalten haben? In der Regel ist hier auch ein steter Austausch mit der im Betrieb vertretenen Gewerkschaft vorhanden. Die große Herausforderung, aber auch der große Spaß besteht bei diesen Mandaten darin, eine ganzheitliche Beratung, unter Berücksichtigung aller Facetten (Betriebsrat, Tochter-/Schwestergesellschaft, einzelne Beschäftige, Gewerkschaft) anzubieten.
Sie sind außerdem für das Beratungsnetzwerk „Fairgütung“ tätig. Wer kann sich an das Netzwerk wenden und welche besonderen Vorteile verspricht eine Beratung?
Das Beratungsnetzwerk Fairgütung ist aus der Erkenntnis entstanden, dass die Entlohnung einer der sensibelsten Bestanteile zwischen Beschäftigen und Unternehmen ist. Neben dem monetären Aspekt steht sie für die Wertschätzung, die den einzelnen Beschäftigten und ihrem Beitrag an der Wertschöpfungskette entgegengebracht wird. Gleichzeitig ist es aber auch eines der komplexesten Themenfelder. Deshalb versuchen wir in unserem Netzwerk wirtschaftliche, soziologische und juristische Aspekte miteinander zu verbinden. Das Netzwerk richtet sich an alle Beschäftigten, die sich mit dem Thema Vergütung, flexible Zulagen, faire Entgeltsysteme etc. auseinandersetzen müssen/wollen. Neben allgemeinen Schulungen zu diesen Themen, bietet das Netzwerk auch individuelle Beratungen an.
Nach dem Ersten Staatsexamen haben Sie sich für eine Promotion entschieden. Warum?
Ich hatte nach dem ganzen Druck des ersten Examens wenig Lust, mich direkt wieder in das Hamsterrad des Referendariats zu begeben, bei dem zwei Jahre lang das Damoklesschwert des zweiten Examens über einem hängt. Ich wollte, nachdem ich so viel Kram gelernt hatte der mich wenig interessiert, wieder etwas machen, was mich daran erinnert, warum ich Jura studiert habe. Für mich war das die vertiefte juristische Auseinandersetzung mit einem Thema, was ich persönlich als spannend empfinde. Mit dieser Prämisse bin ich auf Themensuche gegangen und habe dann eher zufällig einen juristischen Artikel zum Thema Entgeltdiskriminierung zwischen Frauen und Männern gefunden. Dieses Thema deckte alle für mich interessanten Bereiche ab: Arbeitsrecht, Gender, Politik. Außerdem konnte (und kann) man auf Partys viele Männer damit in Sekundenschnelle auf die Palme bringen.
Was würden Sie Jurist*innen raten, die auf der Suche nach einem Dissertationsthema sind?
Eine Dissertation ist die einmalige Chance, sich ausführlich einem Thema zu widmen, was einen wirklich interessiert. Sehr häufig setzt man sich in der juristischen Ausbildung ja mit Bereichen auseinander, die man komplett uninteressant findet (bei mir war´s Baurecht, no offence). Ich kann nur raten, diese Gelegenheit zu nutzen, denn wenn man sich schon mehrere Jahre mit einer relativ eng gefassten Fragestellung rumärgert, sollte es doch wenigstens eine sein, die einen irgendwie interessiert. Für mich persönlich wäre diese Frage auch wichtiger als die, welche Themenbereiche meine Heimatuniversität anbietet. Meine Doktormutter saß beispielsweise in Frankfurt Oder, ich lebe in Köln.
Sie haben zum Thema „Entgeltgleichheit von Frauen und Männern“ promoviert. In welchen Berufsgruppen ist der Gender Pay Gap besonders groß?
Generell lässt sich sagen, dass der Gender Pay Gap dort am größten ist, wo am wenigsten Regularien bestehen. Wenn es also keine tarifliche Entlohnung gibt, keinen Betriebsrat, der regulierend eingreifen kann und wenn das Unternehmen keine feste Gehaltsstruktur hat, sondern jede*r sein Gehalt „frei“ verhandeln muss, ist der Gender Pay Gap größer, als wenn solche Strukturen gegeben sind. Die letzte Auswertung des statistischen Bundesamts zeigt, dass der Gender Pay Gap in den Bereichen „Kunst, Unterhaltung, Erholung, Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen“ mit 29% bzw. 28% deutlich über dem Durchschnitt von 19 % liegt.
Wie wirkt sich die Repräsentation von Frauen in Tarifverhandlungen auf den Gender Pay Gap aus?
Frauen haben nicht per se einen anderen oder gerechteren Blick auf Entlohnungsstrukturen. Uns allen wird von Klein auf beigebracht, dass bestimmte Dinge (z.B. Starksein) bestimmten Geschlechtern (Männern) zugeordnet sind. Wenn dann Krankenschwestern bewertet werden, besteht auch bei Frauen die Gefahr, diese Strukturen zu reproduzieren werden, was im Ergebnis zu einer geringeren Entlohnung führt („Starksein“ ist ein männliches Attribut, deshalb kommt es in typischen „Frauenberufen“ nicht vor). Dennoch: Frauen arbeiten nun mal häufig in „Frauenberufen“ und haben sich oft (unfreiwillig) mit Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts auseinandergesetzt. Es ist wichtig, dass Frauen nicht nur Vereinbarkeit und Arbeitszeit verhandeln, sondern auch die sog. harten Themen, wie eben die Entgeltstrukturen. Hierfür wäre es natürlich ideal, wenn sie sich zu dem Thema „ungleiche Bezahlung in Tarifverträgen“ gut schulen lassen.
Welche Hindernisse sehen Sie auf dem Weg zur Entgeltgleichheit und was muss sich noch verändern, dass Männer und Frauen gleich bezahlt werden?
Bei den vielen Dingen, die mir hierzu einfallen würden, sticht eines heraus: Wichtig für Menschen, die sich gegen ihre Diskriminierung im bestehenden Arbeitsverhältnis wehren wollen, ist immer, dass sie dies nicht persönlich und allein tun müssen. Für eine wirkliche Bekämpfung des Gender Pay Gap braucht es deshalb ein Verbandsklagerecht, damit Gewerkschaften und/oder Interessenverbände für diese Frauen kämpfen können. Solange ein solches Verbandsklagerecht nicht geschaffen wird, glaube ich nicht (mehr) daran, dass ein wirklicher Wille zur Veränderung besteht.
Sie haben selbst zwei Kinder im Kleinkindalter. Welchen Faktoren sind für Sie maßgeblich, um Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren?
Wie in den meisten Familien, gibt es auch bei uns ein recht fragiles System, um allen Bedürfnissen möglichst gut gerecht zu werden. Wenn dieses mal aus den Fugen gerät (Gerichtstermin außerhalb der Arbeitszeit, Kind krank, Kita zu) ist es unerlässlich, ein gutes Auffangnetz zu haben. Bei uns sind das klassischer Weise die Großeltern. Es ist aber mühselig und oft auch frustrierend, dass Familien zum großen Teil allein mit der Frage gelassen werden, wie man solche und ähnliche Fallstricke auffangen kann.
Ist man seines eigenen Glückes Schmied*in oder liegt die Verantwortung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch bei anderen? Wenn ja, bei wem?
Da bin ich tatsächlich zwiegespalten. Einerseits liegt es in der Verantwortung gerade von Menschen in gut abgesicherten Arbeitsverhältnissen, für ihre eigenen Bedürfnisse einzustehen und bestimmte Dinge für sich einzufordern. Damit kann man im besten Falle gesellschaftliche Realitäten auch für Beschäftigte ändern, die aus ihrer Position heraus nicht genug Einfluss haben, für sich einzustehen. Auf der anderen Seite habe ich mittlerweile auch oft genug mitbekommen, dass gerade Frauen selbstbewusst einfordern, was sie wollen, die Arbeitgeber*innen ihnen das dann aber trotzdem nicht geben. So einfach nach dem Motto: Die Frauen müssen nur einfach mal sagen, was sie wollen, ist es dann auch nicht. Es müssen weiterhin gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es Beschäftigten leichter machen, das, was sie einfordern, dann auch zu bekommen. Dass eine große Verantwortung bei den Unternehmen liegt, wie diese mit Vereinbarkeit, Anwesenheitskultur etc. umgehen, versteht sich von selbst. Aber von den Unternehmen erwarte ich nicht unbedingt, dass diese proaktiv für die Rechte von Beschäftigten eintreten.
Tendenziell nehmen immer noch mehr Frauen als Männer Elternzeit und treten auch danach im Job eher zurück als ihre männlichen Partner, die weiterhin in Vollzeit arbeiten. Wie stehen Sie zur Idee, den maximalen Elterngeld-Betrag nur noch auszuzahlen, wenn die Elternzeit paritätisch geteilt wird?
Als ehemalige Juso freue ich mich natürlich sehr, wenn dieser Vorschlag endlich ernsthaft diskutiert wird. Klar ist, dass das jetzige Modell der zwei „Partnermonate“ häufig nicht den gewünschten Effekt (Männer bringen sich mehr in die Sorgearbeit ein) hat, sondern vielen jungen Familien als lange Urlaubszeit dient – in denen sich die Frau wieder um´s Kind kümmert. Hier bedarf es definitiv einer Veränderung. Schwierig an dem Vorschlag finde ich allerdings, dass es unter den jetzigen Umständen bedeuten würde, dass Frauen dann faktisch nach sieben Monaten abgestillt haben müssten. Da muss ein kluger Weg gewählt werden, der den Frauen mehr Selbstbestimmtheit überlässt.
Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?
Eva Kocher, Johanna Wenckebach, Heide Pfarr, Berit Völzmann – diese Frauen fallen mir ganz spontan ein. Wir sind viele, wir sind gut und wir sind laut. Es muss uns aber auch jemand zuhören.
Herzlichen Dank für das spannende Interview!
Augsburg / Köln, 6. März 2021. Dr. Oerder hat die Fragen schriftlich beantwortet. Die Fragen stellte Simone Ruf.
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