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Lucia Rüth

Dr. Lucia Rüth im Porträt

„Einfach machen, dann geht es auch.“

Dr. Lucia Rüth, Ministerialrätin/Landtagsbeauftragte der Bayerischen Staatskanzlei, über die vielfältigen Möglichkeiten in der Ministerialverwaltung, die Bedeutsamkeit von Leidenschaft im Beruf und warum es wichtig ist, mutig zu sein und sich selbst etwas zuzutrauen.

Liebe Luci, Du bist Landtagsbeauftragte der Bayerischen Staatskanzlei. Was machst Du in dieser Rolle?

Zusammenfassend würde ich sagen, ich bin das Bindeglied zwischen der Staatskanzlei und dem Landtag in Bayern. Der Landtag hat viele Aufgaben, die zu erledigen sind und die Staatsregierung hat viele Punkte, die sie adressieren möchte. Auf dieser Informationsdrehscheibe agiere ich. Klassische Fälle sind zum Beispiel schriftliche Anfragen, wie es sie auch auf Bundesebene und in anderen Bundesländern gibt. Eine solche Anfrage eines Abgeordneten oder einer Abgeordneten an die Staatsregierung kann informationssuchend oder auch kritisch sein. Die Staatsregierung ist zu einer Antwort verpflichtet, was koordiniert werden muss. An der Spitze der meisten Bundesländer stehen die Staatskanzlei und die jeweiligen Fachressorts. In jedem Fachressort und in der Staatskanzlei sitzt ein Beauftragter oder eine Beauftragte, der oder die sich um die Belange des Landtags kümmert, also die Informationsdrehscheibe bildet. Als Landtagsbeauftragte der Staatskanzlei, die in Bayern über den Fachressorts steht, kommt mir die zusätzliche Aufgabe zu, zwischen den Ressorts zu koordinieren, insbesondere die Federführung innerhalb oder unter den Ressorts zu regeln.

Gehen wir einmal ein paar Jahre zurück: Warum hast Du Dich für Jura entschieden?

Ich wollte eigentlich nie Jura studieren; es war aber ein großes Glück, dass ich dazu gekommen bin. Daher auch gleich die erste Message: Man muss nicht mit 15 Jahren morgens aufstehen und sagen: „Ich werde mal ein großer Jurist oder eine große Juristin“. Ich wollte ursprünglich Brauereiwesen studieren, habe damals aber in Weihenstephan keinen Studienplatz bekommen, weil die Plätze sehr gefragt waren. Also habe ich überlegt, wie ich die zwei Semester Wartezeit überbrücken kann, bis ich ins Brauereistudium einsteigen kann. Ich kam dann zu dem Schluss, dass ich mit Jura nichts verkehrt machen kann; das kann ich zuhause gut verkaufen, sodass ich weiterhin Unterstützung von meinem Elternhaus bekomme. Die Brauereibranche fand ich total cool – männerdominiert, eine Mischung aus Maschinenbau und BWL. Ich hatte mir damals nicht den Stundenplan angeschaut mit den einzelnen Vorlesungen, sondern mir gefiel das Image und ich wollte mich gerne in dieser männerdominierten Welt in Weihenstephan versuchen.

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​Was hat Dich dann an Jura so fasziniert, dass Du dabeigeblieben bist und doch nicht mehr ins Brauereiwesen gewechselt hast?​

Der Überblick, den man durch das Jurastudium erlangt, hat mich schnell gepackt. Gerade das öffentliche Recht hat mir im Studium besonders viel Spaß gemacht. Man lernt schon im ersten Semester in der Verfassungsrechtsvorlesung die Grundrechte kennen, wo diese relevant werden und an welchen Stellen es sie zu schützen gilt. Das klingt etwas hochtrabend für eine 19-Jährige, wie ich sie damals war. Natürlich habe ich mir nicht den ganzen Tag darüber Gedanken gemacht, wie man die Verfassung schützen kann. Außerdem hat es mich schon damals begeistert, dass Jura überall ist und dass es so greifbar ist. Etwa dass man einen Kaufvertrag abschließt, egal, ob man nur eine Breze kauft oder ein kompliziertes Rechtsgeschäft eingeht. Überall im Leben kommt man mit Jura in Berührung, das fand ich klasse.

Hat Dich Jura die ganze Zeit so gepackt oder gab es auch Zeiten des Zweifelns im Studium oder im Referendariat?

Nein, Zweifel gab es nicht. Ich habe mich mit der Wahl des Jurastudiums dann gut arrangiert und fand es toll. Ich bin sehr schnell und gut damit warm geworden damit und auch die Scheine gingen mir leicht von der Hand. Ich habe dann auch bereits im dritten Semester am Lehrstuhl für öffentliches Recht bei meinem späteren Doktorvater als studentische Hilfskraft gearbeitet. Ab diesem Moment war ich im Jurastudium zuhause und wollte nicht mehr wechseln.

Wie bist Du denn an die Stelle am Lehrstuhl gekommen?​

Das weiß ich nicht mehr genau. Ich glaube, es war so, dass ich den besagten Professor ständig nach der Lehrveranstaltung mit Fragen gelöchert habe. Ich wollte dann auch bei ihm eine Hausarbeit schreiben, die eigentlich erst zwei Semester später angestanden hätte. Ich denke, ich habe ihn etwas „genervt“. Vermutlich dachte er, vielleicht hört sie auf mit ihrer Fragerei, wenn ich sie einstelle. Das ist aber natürlich nur eine freche Vermutung meinerseits (lacht). 

Hast Du Dein Referendariat auch in München absolviert?​ 

Ja. Ich habe allerdings vor dem Referendariat noch promoviert. Das fand ich passend. Denn wenn man nach dem Referendariat die Möglichkeit hat, zu arbeiten und der Arbeitsvertrag auf dem Tisch liegt, ist die Verlockung groß, die Promotion doch zu lassen. Ich bin während meiner Promotionszeit mit meinem Doktorvater, bei dem ich zuvor auch schon gearbeitet hatte, durch einen großen Zufall an die Europa-Universität Viadrina nach Frankfurt an der Oder gegangen. Mein Doktorvater hat dorthin gewechselt und mir hat die Uni sehr gut gefallen. Durch den Umzug habe ich einen einmaligen neuen Einblick erhalten, der mir verwehrt geblieben wäre, wäre ich damals nicht so mutig gewesen. Denn aus Sicht einer Münchnerin war Frankfurt an der Oder damals nicht besonders attraktiv. Ich hatte dort dann aber eine tolle Zeit. Gesine Schwan war damals die Präsidentin der Uni, eine faszinierende Frau, die einen frischen Wind reingebracht hat. Es hat mir besonders gut gefallen, wie es gelungen ist, in einer damals sehr armen Stadt wie Frankfurt an der Oder eine derart moderne und gut ausgestattete Universität hochzuziehen. Zum Beispiel hatte dort jeder Promovierende eine eigene Glaskabine zum Arbeiten, es waren sämtliche Zeitschriften und Bücher verfügbar und bei Bedarf wurde einem ein Laptop gestellt. Außerdem ging es dort sehr menschlich zu: Keine herausgerissenen Seiten in Büchern oder vergleichbare unkollegialen Machenschaften, wie man es andernorts leider kennt.

Du hast nach dem Referendariat im Bayerischen Finanzministerium angefangen. Wie kamst Du zu der Entscheidung, in die Ministerialverwaltung zu gehen?​ 

Ich war in der Anwaltsstation im Referendariat in einer Kanzlei, die öffentliches Baurecht gemacht hat. Ich fand das vom Aufgabenfeld her spannend und wollte das damals eigentlich auch machen. Im Laufe der Station habe ich aber gemerkt, dass man als Anwältin nicht so frei ist, wie ich mir das vorgestellt hatte. Es herrschte bei mir doch die Vorstellung vor, dass man als Anwältin für die Mandantschaft und deren Interessen kämpfen kann. Allerdings geht es am Ende dann doch auch um Geld. Vor diesem Hintergrund kann ich einen großen Mandanten oder eine große Mandantin nicht vor den Kopf stoßen, sondern muss mich als Kanzlei, wenn ich erfolgreich sein will, in gewisser Weise anpassen. Das ist nur meine vorsichtige Annahme, ich war seitdem nie mehr in einer Kanzlei tätig. Ich persönlich fand es dort nicht so „ehrlich“. Ich möchte nichts verkaufen müssen, nur weil ein großer Case dahintersteht. Dennoch verstehe ich, dass es Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter geben muss. Das ist aber nichts für mich. Nach dem Referendariat bin ich aufgrund dieser Erkenntnis auf das Finanzamt München gekommen. Dort musste ich keine Werbung für mich machen, sondern die Leute kommen nicht an einem vorbei. Also habe ich mich damals beim Bayerischen Finanzministerium beworben und bin dann im Finanzamt München als Sachgebietsleiterin eingestiegen.

Was sagst Du zu dem Vorurteil „Finanzämter sind langweilig“?

 

Das stimmt nicht. Ich war damals 26 oder 27 Jahre alt und habe direkt als Sachgebietsleiterin begonnen, d.h. ich hatte direkt die Verantwortung für 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das ist eine wahnsinnige Aufgabe und man wird sehr gefordert. In welchem Beruf, auch innerhalb der Ministeriumslandschaft, ist man ansonsten so früh Führungskraft? Wenn man in die Richterschaft geht, ist man für seine Fälle zuständig und in der Staatsanwaltschaft für seine Anklagen, was natürlich auch einen Reiz hat. Wenn man aber gerne früh Personalführung übernehmen möchte, gepaart mit einem hohen juristischen Niveau, ist ein Finanzamt ein toller Ort, um viel zu lernen, gerade auch in menschlicher Hinsicht.

Wieso hast Du Dich gerade für das Finanzressort entschieden? Es gibt ja noch viele andere Fachministerien, wie beispielsweise Wirtschaft oder Kunst?

Die Stellenwahl hat mich damals nicht eingeengt und daher fand ich es spannend. Ich bin eine Person, die Routine nicht so gerne mag, sondern immer auf der Suche nach spannenden neuen Aufgaben ist. Wenn man – wie ich – sagt, man möchte alle fünf bis zehn Jahre etwas anderes machen, ist man in einem Ressort wie dem Finanzministerium in Bayern gut aufgehoben. Im Finanzbereich hat der Freistaat viele Beteiligungen, wie etwa Banken (beispielsweise die BayernLB), alle Landesämter (zum Beispiel Landesamt für Steuern sowie Landesamt für Finanzen), alle Finanzämter, die Lotterieverwaltung und die Schlösserverwaltung. Das sind aus meiner Sicht alles spannende Felder und meist weiß man doch noch gar nicht, was einen in zehn Jahren interessieren wird. Wenn man allerdings beispielweise im Gesundheitsministerium tätig ist, sind die Möglichkeiten mangels Unterbaus des Ressorts hingegen nicht so groß. Ich empfand es nach dem Referendariat als passend, mich noch gar nicht näher festlegen zu müssen, sondern einfach mal im Finanzamt anzufangen, mit der Option am Ende vielleicht im Justiziariat der Schlösserverwaltung im Schloss Nymphenburg mitzuarbeiten.

Du bist damals im Bereich Steuerrecht eingestiegen. Wie ging es dann weiter für Dich?

Nach ungefähr einem Jahr wurde ich bereits ins Finanzministerium geholt und zwar ins Personalreferat. Das passte gut, weil ich im Beamten- und Verfassungsrecht promoviert habe. Im Personalreferat ist das öffentliche Dienstrecht für alle Angestellte sowie Beamtinnen und Beamten des Freistaats Bayern angesiedelt. Es handelt sich also um einen riesigen Personalkörper. Zusammen mit meiner zuvor gewonnenen Personalerfahrung aus dem Finanzamt war das eine tolle Kombination für mich. Aus dieser Zeit stammt auch noch meine Mitautorinnenschaft im Kommentar zum bayerischen Beamtengesetz, die mir bis heute geblieben ist. Nachdem ich ein halbes Jahr im Personalreferat tätig war, gab es einen Wechsel in der Hausspitze des Finanzministeriums. Es kam der damals neue Finanzminister Söder, der zuvor Umweltminister in Bayern war. Diesen Wechsel fand ich sehr spannend und ich wollte unbedingt in dem neuen Team mitarbeiten. Denn man konnte den frischen Wind und den Gestaltungswillen im Haus spüren. Da hatte ich Lust, mitzuarbeiten. Ich war damals allerdings noch sehr dienstjung als Referentin, da wird man für Aufgaben im Ministerteam noch nicht gefragt. Außerdem weiß man auch noch gar nicht, ob man geeignet ist, sodass man sich noch nicht so gut selbst ins Spiel bringen kann. Ich habe dann einfach vielen Leuten von meinem Wunsch berichtet, bis sich irgendwann eine Möglichkeit aufgetan hat. Ich wurde persönliche Referentin des damaligen Finanzministers und war im Ministerbüro angesiedelt. Dort war ich dann insgesamt fünf Jahre. Als Markus Söder schließlich Ministerpräsident wurde, war ich gerade in der Elternzeit mit meinem zweiten Kind. Daher kam ein Wechsel in die Staatskanzlei damals von vornherein nicht in Frage. Ich musste mich also erstmal neu sortieren, was ich aber auch als Chance empfunden habe. Ich bin dann zunächst in den sogenannten Lehrgang für Verwaltungsführung der Staatskanzlei gelangt. Jedes Ressort entsendet in diesen besonderen Lehrgang pro Durchgang eine oder zwei Personen. Es war eine große Ehre, dass ich daran teilnehmen durfte. Zehn Monate freigestellt vom Dienst beschäftigt man sich als Teilnehmerin oder Teilnehmer nur mit Themen rund um Führung. 

Du hast nicht nur einen sehr fordernden Beruf, sondern auch zwei Kinder. Hast Du Tipps zum Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf?

Man darf sich nicht so sehr darauf verlassen, was alle anderen einem raten. Vielmehr sollte man das machen, was sich richtig anfühlt. Für mich war immer klar, dass ich Kinder haben will. Es war mir aber auch immer klar, dass ich beruflich weiterkommen will – und zwar mit spannenden Aufgaben, nah am Puls dessen, was mich interessiert. Ich habe nie darüber nachgedacht, ob das geht oder nicht. Ich hatte aber auch Hilfe von meiner Mutter, die in unserer Nähe wohnt. Sie hat mich voll unterstützt und hat die Kinder sehr natürlich liebevoll mit aufgefangen. Gerade als die Kinder noch klein waren, ist sie viel eingesprungen. Aber als die Entscheidung anstand, Kinder zu bekommen, hatte ich diese Unterstützung noch gar nicht auf dem Schirm. Ich habe die Vereinbarkeitsfrage nicht als Problem gesehen, was sich dann auch bewahrheitet hat. Vereinbarkeit ist dann kein Problem, wenn man einfach macht und sich auch traut, Hilfe anzunehmen. Dies zu erkennen hat bei mir auch etwas gedauert. Wir haben heutzutage aber Unterstützung; die Kinder waren in guten Kitas und einem tollen Kindergarten und sind jetzt außerdem beide im Hort. Das fühlt sich richtig an. Wenn man also einfach macht, geht es auch. Selbst wenn man, wie ich jetzt, im Leitungsstab des Ministerpräsidenten tätig ist. Ich kann noch ergänzen, dass ich beide Kinder in der Zeit bekommen habe, als ich im Büro des Finanzministers tätig war. Nach meinem ersten Kind, meinem Sohn, bin ich auch wieder dorthin zurückgekommen. Das waren die einzigen, die mir eine Teilzeitstelle angeboten haben, die vereinbar war und das hat prima geklappt. Ich hätte mich vielleicht auch an einer anderen Stelle im Finanzministerium eingebracht, aber das war damals nicht möglich.

 

Würdest Du das Fazit ziehen, dass Karriere in der Verwaltung mit Familie möglich ist?

Auf jeden Fall; ein klares Ja. Ich sage aber nicht, dass es immer leicht ist. Ich glaube, für Männer ist es leichter, weil sie sich leichter loslösen können und es für sie „normaler“ ist. Ein plattes Beispiel: Auf Geschäftsreise fragt einen männlichen Mitarbeiter normalerweise niemand, was er gerade mit seinen Kindern macht. Das wird man als Frau aber häufig gefragt und das triggert mich manchmal schon, umso mehr je kleiner die Kinder waren. Wenn ich nur zuhause sitzen und acht Mal am Tag meine Fenster putzen würde, würde ich mich aber immer fragen, was es „draußen“ Spannendes zu erleben gibt. Dann wäre das eben mein wunder Punkt. Insofern hat jede und jeder sein Päckchen zu tragen. Wenn man Kinder hat, kann man es ohnehin nie richtig machen, weil alle anderen es immer besser wissen. Also: Nicht so viel auf andere hören, sondern einfach machen, dann geht es auch.

Kannst Du schildern, wie Du das Thema Vereinbarkeit rein organisatorisch konkret umsetzt?

Sehr gerne. Nimmt man eine typische Woche, gibt es einen Plenartag im Bayerischen Landtag, d.h. es findet die Vollversammlung des Plenums statt. Je nachdem wie lang die Tagesordnung ist, kann das bis spät nachts gehen. Teilweise geht es Open End, teilweise gibt es aber auch ein fixes Ende um 18 oder 19 Uhr. An diesen Tagen kann ich natürlich nicht meine Kinder um 16 Uhr im Hort abholen und zum Sport oder Ballett fahren. An solchen Tagen brauche ich Hilfe, um Ruhe reinzubringen. Derart zeitintensive und nicht überschaubare Tage kommen in der Regel zwei bis dreimal wöchentlich vor. An diesen Tagen sind Termine, die ich mit dem Ministerpräsidenten wahrnehme oder Termine des Landtags. Die Zeit hierfür muss ich mir nehmen, das gehört selbstverständlich zu meinem Job dazu. Mit diesem Wissen habe ich die Stelle auch angenommen und das ist es, was die Tätigkeit so spannend macht. Ergänzend stelle ich seit der Corona-Pandemie eine Flexibilisierung der Arbeitsmöglichkeiten im positiven Sinne fest. So empfinde ich es jedenfalls für mich. Ich kann ohne Probleme ins Homeoffice wechseln, bin dabei stets erreichbar und habe mein Diensthandy und meinen Laptop immer dabei. Dadurch, dass ich gewährleisten kann, immer erreichbar zu sein, ist es für mich kein Thema mehr, eine normale Arbeitswoche zu stemmen.

Du hast schon diverse Stationen in der Ministerialverwaltung durchlaufen. Du warst u.a. persönliche Referentin des Finanzministers, Referatsleiterin, Teil des Coronastabs, Du hast Untersuchungsausschüsse betreut und bist jetzt im Leitungsstab des Ministerpräsidenten tätig. Welche Tipps würdest Du heute Deinem jüngeren Ich mitgeben?

Wenn Du merkst, dass Du Lust und Interesse an der Mitarbeit im Auge des Sturms hast, musst Du Deine Arbeit verkaufen. D.h. nicht, dass ich jede E-Mail, die ich schreibe, zelebriere und damit hausieren gehe. Aber wenn ich etwas Besonderes gemacht habe, brauche ich mich auch nicht zu verstecken. Es gibt zwar natürlich klare Hierarchien in der Ministerialverwaltung: Ich kann mich als Referentin nicht vor die Referats- oder Abteilungsleitung drängeln. Aber ich kann mich ins Spiel bringen als gute Ansprechpartnerin für das konkrete Thema. Außerdem ist es wichtig, dabei zu sein, zu netzwerken. Beispielsweise abends noch ein Bier mitzutrinken, auch wenn man eigentlich müde ist und keine Lust mehr hat. Das machen Männer naturgemäß besser als Frauen, glaube ich. In meiner Zeit am Finanzministerium gab es eine Kegelrunde. Das klingt zwar spießig, war aber ein toller Ort, um Leute zu kennen, die einen weiterempfehlen oder die einem Tipps geben, wo es noch interessante Stellen im Haus gibt, von denen man bis dahin überhaupt nichts wusste. Man sollte also sich und die eigene Arbeit sichtbar machen und netzwerken, egal in welcher Form. Wichtig ist es auch, Wünsche zu äußern. Man darf nicht erwarten, dass die Welt hellsehen kann, was man gerne hätte, und dann enttäuscht sein, wenn man nicht gefragt wird. Vielmehr sollte man, wenn es passend und nicht zu aufdringlich ist, durchaus sein Interesse an einer Tätigkeit oder Stelle bekunden. Dabei sollte man auch nicht zu bescheiden auftreten. Denn wer würde schon eine Person einstellen, die von sich selbst sagt, dass sie daran zweifelt, der Aufgabe gewachsen zu sein. Man sollte stattdessen mutig sein, sich etwas zutrauen und darauf vertrauen, dass man dann schon immer eine Lösung für die Aufgaben finden wird.

Dein Weg zeigt auch, dass vieles überhaupt nicht planbar ist. Wenn Du erzählst, gewinnt man den Eindruck, dass Du die Frage „Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?“ im positivsten Sinne zu keiner Zeit Deiner Karriere beantworten hättest können, oder?

Ich konnte das weder zur Abiturzeit noch im Studium noch zu Beginn meiner Berufstätigkeit sagen, noch könnte ich es heute beantworten. Das liegt daran, dass es mich immer dorthin zieht, wo was los ist, wo es mich triggert und ich etwas lerne. Das größte Federn lassen hatte ich, als ich erkennen musste, dass ich mit Teilzeit nicht vorankomme. Das war keine schöne Erfahrung. Ich dachte nämlich immer, dass eine 85 Prozent-Stelle nicht wenig ist; ich war ja täglich immerhin bis etwa 16 Uhr bei der Arbeit. Allerdings habe ich irgendwann erkannt, dass in der Ministerialverwaltung viel abends läuft. So ist es nun einmal, das Politikgeschäft ruht nicht. Im Gegenteil, in der Staatskanzlei sind die Stoßarbeitszeiten vermutlich sogar eher noch etwas später als in anderen Ressorts. Irgendwann hat mir dann eine gute Freundin geraten, zu Coronazeiten Vollzeit zu arbeiten und dann später gegebenenfalls wieder herunterzustufen. Ich habe dann auf 100 Prozent aufgestockt und es wurde tatsächlich leichter für mich. Das klingt paradox, aber so war es. Ich habe mir damals Unterstützung für die Kinderbetreuung gesucht und versucht, mein schlechtes Gewissen abzulegen. Ab da ging es karrieretechnisch leichter, weil ich plötzlich für Positionen in Frage kam, die ich vorher ablehnen musste. Eine andere Freundin hat mir damals außerdem noch den Tipp gegeben, darauf zu schauen, wie die Männer sich verhalten. Das klingt zwar sehr abgedroschen, aber ein Mann adressiert in einem Termin beispielweise, er müsse gehen, weil er einen wichtigen Termin habe. Er sagt in der Regel nicht, dass er seine Kinder abholen und deshalb gehen muss. Es ist zwar menschlich und schön, wenn man im Arbeitskontext teilt, dass man den Job und die Kinder gut unter einen Hut bekommt. Allerdings sollte man dies nicht permanent an die große Glocke hängen, das geht niemanden etwas an. Natürlich weiß auch im beruflichen Umfeld jeder, dass ich Kinder habe. Aber dass es zwischenzeitlich weniger ein Thema in meinem Beruf ist, hat mich sehr entlastet. Seitdem gibt es für mich keine starren Grenzen mehr. Ich würde mich jetzt hinstellen und sagen, dass ich das kann, was ich mache. Ich bin sehr selbstbewusst geworden, dass mein Werkzeugkoffer, den ich mir über die Zeit erarbeitet habe, ein Werkzeug für jede Eventualität enthält.

 

Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Das ist für mich eine schwere Frage, weil ich wahnsinnig inspiriert bin von meiner Mutter und deren Umfeld. Das sind ganz tolle Frauen, die aber aus dem Bereich Sonderpädagogik kommen. Sie waren diejenigen, die mich gecoacht, unterstützt und unabhängig vom Ergebnis versucht haben, meinen Weg aus mir herauszukitzeln.

Vielen Dank für das spannende Interview!

 

München, 18. März 2024. Das Interview führte Dr. Christine Straub zusammen mit Marc Ohrendorf von „Irgendwas mit Recht“. Mehr von Dr. Lucia Rüth gibt es im Podcast „Irgendwas mit Recht“ zu erfahren – hört rein!

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