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Malu Dreyer

Foto: © Staatskanzlei RLP/Elisa Biscotti

Malu Dreyer im Porträt

 

"Vorbilder zeigen einem, was möglich ist."

Ministerpräsidentin Malu Dreyer über Erfüllung im Wahlkampf, die Ursachen für den geringen Frauenanteil in politischen Parteien sowie die Möglichkeiten zum Abbau von einschränkenden Rollenbildern.

Ministerpräsidentin Dreyer, seit Januar 2013 sind Sie Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz. Wie fühlt es sich an, nach einem monatelangen, aufreibenden Wahlkampf in ein solches Amt gehoben zu werden? Fängt hier die Arbeit nicht erst richtig an?

Es klingt vielleicht etwas merkwürdig, aber ich persönlich liebe es, Wahlkampf zu machen. Sicher ist es immer auch eine sehr anstrengende Zeit, aber sie ist auch sehr erfüllend, weil sie noch stärker als sonst die direkte Begegnung mit den Menschen ermöglicht. Man ist in dieser Zeit extrem fokussiert. Wenn dann am Ende der Wahlerfolg und die Bestätigung im Amt stehen, ist das umso schöner und ein großes Glücksgefühl. Aber natürlich geht die Arbeit dann weiter.

Neben Ihrem Posten als  Ministerpräsidentin üben Sie zudem die Funktionen der Vorsitzenden der Rundfunkkommission der Länder und des Verwaltungsrats des ZDF aus sowie der stellvertretenden Vorsitzenden der SPD. Wie jongliert man so viele Bälle gleichzeitig erfolgreich in der Luft? 

Die von Ihnen genannten medienpolitischen Funktionen sind mit dem Amt als Ministerpräsidentin verbunden. Rundfunkpolitik ist Ländersache und damit gehört dies zu meinem Aufgabenbereich. Medienpolitik ist ein sehr relevantes spannendes Thema, weil die Medien sich rasant entwickeln und damit auch unsere Art zu kommunizieren. Die Funktion der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD ermöglicht es mir, die politischen Ziele und Strategien der Partei auf Bundesebene mitzugestalten. 

Sie sind vor Ihrem Eintritt in die SPD zur Bürgermeisterin von Bad Kreuznach gewählt worden. Welche Rolle spielen Parteimitgliedschaften Ihrer Meinung nach heute noch für das Verfolgen einer politischen Karriere? 

Ich sehe das nicht aus Karriere-Sicht. Ich bin in die SPD eingetreten, weil sie wie keine andere Partei für das Thema soziale Gerechtigkeit steht. Das ist das Thema, für das ich selbst brenne. Darüber hinaus ist es mir wichtig, direkt mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und zu hören, wo sie der Schuh drückt. Es geht mir darum, konkret etwas für die Menschen zu tun und unser Land noch weiter nach vorne zu bringen. Oft weisen einzelne, auf den ersten Blick individuelle Probleme auch darauf hin, dass etwas strukturell im Argen liegt. Das Zuhören gibt daher auch immer wichtige Impulse für die Politik.

Konnten Sie in Ihrer politischen Karriere davon profitieren, dass Sie Volljuristin sind oder hätten Sie sich beizeiten gewünscht, eine andere Form der Ausbildung absolviert zu haben?

Sehr positiv, nach der theoretisch geprägten Zeit bei der Stiftung Wissenschaft und Politik habe ich es genossen, noch einmal eine sehr interessante Lern- und Ausbildungszeit wahrzunehmen, die auch noch bezahlt wurde. Ich finde es grundsätzlich gut und richtig, dass in der Politik die verschiedensten Berufsfelder vertreten sind, denn das ermöglicht es, unterschiedliche Sichtweisen einzubringen und umzusetzen. Davon lebt eine Demokratie. Ich habe ursprünglich Theologie und Anglistik studiert, bin dann aber schnell auf Jura umgestiegen, unter anderem deshalb, weil das Studium sehr stark analytisches und strukturiertes Denken fördert. Und das kommt mir im politischen Alltag zugute.

Sie sind die erste Frau im Amt der Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz. Hat dieser Umstand für Sie eine Rolle gespielt oder haben Sie ihm keine Bedeutung beigemessen?

Ich habe mich, seit ich denken kann, für die Rechte von Frauen und Mädchen eingesetzt. Ich bin von einer Mutter erzogen worden, für die es selbstverständlich war, als Frau eine Berufsausbildung zu haben und erwerbstätig zu sein und die dies auch an ihre Töchter weitergegeben hat. Daher war es für mich folgerichtig, dass ich als Frau das Amt der Ministerpräsidentin ebenso gut wie ein Mann ausfüllen kann. Dass ich als erste Frau im Land dieses Amt ausüben darf, macht mich aber natürlich auch sehr stolz.

Im Wahlkampf wurde regelmäßig mit Begriffen wie „Damenwahl“ in den Medien aufgegriffen, dass mit Julia Klöckner und Ihnen zwei Frauen von den beiden größten Parteien ins Rennen um das Amt geschickt wurden. Selbst eine Situation in der Sie beide ähnliche Outfits trugen gab Anlass für Medienberichte. Vergleichbares wäre bei zwei männlichen Bewerbern um das Amt undenkbar. Hat es Sie gestört, dass Ihr Geschlecht regelmäßig thematisiert wurde?

 

Den Begriff "Damenwahl" finde ich unpassend und dass die politische Konkurrenz zweier Frauen so hervorgehoben wird, zeigt meines Erachtens, dass wir mit der Gleichberechtigung bei allen Fortschritten noch einen langen Weg vor uns haben.

Ihr Ehemann ist ebenfalls Politiker. Haben Sie aus dem Vergleich Ihrer Erfahrungen jemals den Eindruck gewonnen, dass Sie als Politikerin anders behandelt wurden als männliche Politiker es werden? Falls ja, wie gehen Sie damit um?

Ich habe nicht den Eindruck, dass ich als Politikerin anders behandelt werde, ich würde es mir aber auch - ehrlich gesagt - nicht bieten lassen.

Bei der medialen Befragung von Experten bzw. Expertinnen fällt regelmäßig auf, dass die befragten Experten noch immer vorzugsweise männlich sind. Haben Sie gleichfalls den Eindruck, dass viele Medien dazu tendieren, männliche Politiker eher als weibliche Politikerinnen zu befragen oder zu zitieren? 

Bei allem Fortschritt in der Gleichberechtigung ist es nach wie vor so, dass Frauen in Führungs- und Spitzenpositionen unterrepräsentiert sind. Das gilt für Unternehmen ebenso wie für Politik und Wissenschaft. Da scheint es mir fast eine logische Folge zu sein, dass Männer in den Medien ebenfalls stärker vorkommen als Frauen. Das können wir nur auflösen, indem wir Parität in allen Bereichen durchsetzen. Es ist höchste Zeit für halbe-halbe.

Einerseits wird über die faktische Gleichstellung von Männern und Frauen heute wieder intensiv diskutiert; andererseits ist der Frauenanteil im Bundestag so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Hat sich im Zuge dessen das Klima für Politikerinnen in den letzten Jahren verändert? Falls ja, in welche Richtung? 

Es ist ein Skandal, dass der Frauenanteil im Bundestag 100 Jahre nach Inkrafttreten des Frauenwahlrechtes bei nur 31,3 Prozent liegt. Tendenz sinkend, denn 2013 waren es noch 37,3 Prozent. Dadurch, dass immer mehr Frauen auch führende Ämter in der Politik übernehmen, wird immer deutlicher, dass das eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Gleichzeitig ist ein sinkender Anteil von Frauen zum Beispiel in der Politik aber auch gefährlich für den weiteren Prozess der Gleichstellung.

Sehen Sie hier auch Frauen selbst in der Verantwortung, etwa vor dem Hintergrund, dass Frauen deutlich seltener als Männer einer Partei beitreten? Zum Vergleich: In keiner der im Bundestag vertretenen Parteien hat der Anteil der weiblichen Mitglieder je die Hälfte erreicht; Ende 2017 lag der Frauenanteil je nach Partei zwischen 17 % und 39 %.

Leider neigen noch immer viele Mädchen und junge Frauen dazu, ihre eigene politische Kompetenz zu unterschätzen. Obwohl sie sich häufig erfolgreich in Projekten und Initiativen engagieren, werten sie das oft nicht als politisch motiviertes Engagement. Frühe Demokratiebildung in Kita, Schule und Jugendarbeit ist deshalb wichtig: Wo wird mein Leben von politischen Entscheidungen beeinflusst? Wie kann ich Einfluss auf politische Prozesse nehmen? Wie kann ich meine Position selbstbewusst vertreten?

Was können Parteien umgekehrt noch besser machen, um Frauen besser zu erreichen und zu einer aktiveren Teilhabe zu motivieren?

Die Parteien sind gefordert, sich stärker bei der gezielten Nachwuchsgewinnung und -förderung zu engagieren. Dazu zählt zum Beispiel auch, Frauen aus zivilgesellschaftlichen Organisationen frühzeitig für eine Kandidatur zu gewinnen. Da Frauen sich noch immer deutlich stärker zurückhalten, wenn es um die Übernahme politischer Ämter geht, ist es wichtig, aktiv auf junge interessierte und talentierte Frauen zuzugehen und sie entsprechend zu motivieren. Darüber hinaus muss sowohl in der ehrenamtlichen wie in der hauptamtlichen politischen Arbeit über neue Zeit- und Organisationsmodelle nachgedacht werden. Parteistrukturen und Parteiarbeit müssen sich stärker an der Lebenssituation und den Bedürfnissen der Frauen orientieren.

Wie kann jeder einzelne dazu beitragen, die Gleichstellung zwischen Männern und Frauen einschränkende Rollenbilder abzubauen? 

Feminismus ist keine reine Frage von Frauenrechten, sondern eine Denkhaltung, die auf Gleichheit setzt. Für das Frauenwahlrecht, ein Meilenstein der Gleichberechtigung, haben in erster Linie Frauen selbst gekämpft; sie wären aber ohne die Unterstützung von Männern ganz sicher nicht erfolgreich gewesen. Feminismus, wie ich ihn sehe, richtet sich nicht gegen Männer, sondern tritt für Frauen ein. Und daher braucht er auch die Väter, Ehemänner, Kollegen und Arbeitgeber, die Gleichberechtigung verinnerlichen und sie gemeinsam mit den Frauen leben müssen. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass auch Männer davon profitieren, wenn wir in einer gleichberechtigten Gesellschaft leben – jeder Mann sollte daher eigentlich Feminist sein.

Welche Rolle haben Vorbilder in Ihrem Leben gespielt?

Meine Vorbilder waren Frauen, aber auch Männer; Lehrerinnen und Lehrer, politische Weggefährten oder auch Menschen, die sich schon sehr früh für die Rechte von Frauen eingesetzt haben. So hielt zum Beispiel mit Marie Juchacz am 19. Februar 1919 eine Sozialdemokratin als erste Frau eine Rede im damaligen Reichstag. Vorbilder zeigen einem, was möglich ist. Sie spornen an und ermutigen. Das ist für jeden von uns wichtig.

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Ich habe in Rheinland-Pfalz anlässlich 100 Jahre Frauenwahlrecht einen Frauenpreis gestiftet, den ich in diesem Jahr erstmals verliehen habe. Erste Preisträgerin ist die Juristin Frau Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit, die in vielen Bereichen Pionierarbeit geleistet hat und deren Biografie die wechselvolle Geschichte der Frauenrechte widerspiegelt. Die mit ihrem Namen verbundene ‚Lex Peschel‘ markiert einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur gleichberechtigten Teilhabe in Beruf, Familie und Freizeit. Sie hat erstritten, dass Beamtinnen und Richterinnen seit 1968 aus familiären Gründen Teilzeit arbeiten oder Familienurlaub nehmen können, statt wie zuvor ihren Dienst quittieren zu müssen. Sie ist für mich ein gutes Vorbild und macht Mut, sich weiter für die Verwirklichung der Gleichberechtigung von Mann und Frau einzusetzen.

Eine überaus inspirierende Frau für mich ist auch Ruth Bader Ginsburg, Richterin am Supreme Court. Justiz, Kanzleien und Rechtsfakultäten bestanden zu Beginn ihrer Karriere fast ausschließlich aus Männern. Sie hat sich mit Brillanz, Fleiß und Durchsetzungskraft bis zum Obersten Gerichtshof der USA durchgekämpft. Und schaffte einen rechtlichen Präzedenzfall nach dem anderen für die Gleichstellung der Geschlechter.

Vielen Dank für das spannende Gespräch und die Zeit, die Sie sich genommen haben!

Ministerpräsidentin Dreyer hat die Fragen schriftlich beantwortet. Die Fragen stellte Nadja Harraschain.

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