Margarete Hofmann im Porträt
""Einheit in Vielfalt“, da ist was dran!"
Margarete Hofmann, Direktorin bei OLAF, dem Betrugsbekämpfungsamt
der EU, über ihren Weg zur EU-Kommission, den Arbeitsalltag mit Menschen unterschiedlicher Kulturen und den Kampf für Frauenrechte.
Frau Hofmann, Sie sind seit knapp 20 Jahren Kommissionsbeamtin in Brüssel. Was fasziniert Sie an Ihrer Arbeit?
Mich fasziniert, dass ganz unterschiedliche Menschen aus (noch) 28 Mitgliedstaaten an einem gemeinsamen, großen Projekt arbeiten mit dem Ziel, Europa näher zusammenzubringen. Auch wenn es intern viele Diskussionen gibt, so haben doch alle eine gemeinsame Vision vor Augen. In der EU-Kommission arbeiten unzählige interessante Menschen mit besonderen Lebenswegen und unterschiedlichen kulturellen und administrativen Erfahrungen. Im Bundesministerium der Justiz (BMJ) hat es mir auch gut gefallen, aber dort arbeitete ich nur mit – deutschen – Juristinnen und Juristen zusammen. Das kann ich mir inzwischen gar nicht mehr so richtig vorstellen. Ich schätze die Diversität hier sehr. „Einheit in Vielfalt“, da ist was dran.
Die Kommission bietet viele Karrieremöglichkeiten und vielfältige Werdegänge. Man kann leicht von einer Generaldirektion in eine andere wechseln. Diese Abwechslung und Flexibilität sind Bereicherung und Herausforderung zugleich.
Laut Internetauftritt untersucht OLAF „Fälle von Betrug zum Nachteil des EU-Haushalts, von Korruption sowie von schwerwiegendem Fehlverhalten innerhalb der Organe und Einrichtungen der EU und entwickelt eine Betrugsbekämpfungsstrategie für die Europäische Kommission.“ Das klingt ziemlich abstrakt. Wie sehen typische Aufgaben in Ihrem Arbeitsalltag aus?
Die Arbeit bei OLAF ist spannend und zufriedenstellend, weil wir ein sehr klares Mandat haben: Das Geld der EU-Steuerzahlerinnen und -Steuerzahler auf der Ausgaben- und auf der Einnahmenseite zu schützen. Wenn wir z.B. Hinweise auf Betrug oder Korruption in großen mit EU-Geldern ko-finanzierten Infrastrukturprojekten bekommen, führen wir administrative Untersuchungen durch. Wir entwickeln zudem Gesetzgebung und Strategien zur Betrugsbekämpfung, indem wir Lehren aus der operativen Tätigkeit ziehen und diese in Politikentwicklung transportieren. Das ist mein Verantwortungsbereich, der vielfältig und interessant ist. Wir kooperieren einerseits mit vielen Generaldirektionen, andererseits mit den EU-Mitgliedstaaten, Drittstaaten sowie internationalen Organisationen. Mein Kalender ist dicht gedrängt und auch mit etlichen Dienstreisen verbunden. Häufig ist etwas mit anderen Generaldirektionen zu klären oder ich muss einen Mitgliedstaat von der Wichtigkeit eines Vorhabens überzeugen. OLAF ist zwar eine Untersuchungsbehörde, hat aber keine justiziellen Zwangsbefugnisse. Deswegen ist die Kooperation mit den Mitgliedstaaten und anderen Partnern so zentral.
Wie kamen Sie zur EU-Kommission? Wie wurden Sie Direktorin?
Es hat irgendwie alles gepasst – man muss nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein! Als Referentin des BMJ war ich vier Jahre nach Brüssel zur Ständigen Vertretung der Bundesrepublik bei der EU abgeordnet. Das war eine fantastische Erfahrung! Ich habe sehr viel über Europa gelernt. Später war ich Leiterin des Referats für Europaangelegenheiten im BMJ.
Dann stieß ich auf eine Ausschreibung der Kommission für einen Middle Management Concours. Ich dachte mir: „Du kannst dich ja mal bewerben“. Tatsächlich habe ich den Concours gleich geschafft. Von den zehn Laureaten der Reserveliste war ich die einzige Frau. Das war 1999.
In dieser Zeit befand sich die Kommission in einer Krise, sie trat geschlossen zurück und die grüne Politikerin Michaele Schreyer wurde Haushaltskommissarin. Ich habe mich direkt an Frau Schreyer gewandt und gleich eine Stelle in ihrem Kabinett bekommen. Da ich ja Laureatin war, konnte ich nach der Zeit im Kabinett als Beamtin bei der EU-Kommission bleiben. Ende 2004 wechselte ich zu OLAF.
OLAF ist immer noch ziemlich männlich dominiert, ich musste mich gegen einige Widerstände durchsetzen. Ich habe hoffentlich durch gute Arbeit überzeugt und wurde zunächst Referatsleiterin, dann die erste weibliche OLAF-Direktorin. Wer höher hinaus möchte, braucht einen langen Atem und ein dickes Fell, das gilt nicht nur für OLAF. Inzwischen gibt es übrigens zwei weibliche Direktorinnen bei OLAF und deutlich mehr Frauen in Führungspositionen als vor 20 Jahren.
Welche Eigenschaften und Interessen sollte man mitbringen, wenn man sich für die Arbeit bei der EU-Kommission interessiert?
Man benötigt eine solide Ausbildung, egal in welchem Bereich. Interesse an Europa, Neugier, Teamfähigkeit und eine besondere Offenheit für andere Kulturen sind unabdingbar. Man darf keine nationale Nabelschau betreiben, sondern muss sich immer wieder fragen, welche Gründe andere für ihre Auffassungen haben. Wer hier arbeitet, muss von der europäischen Idee überzeugt sein und eine gewisse Vision haben. Auch Kompromissbereitschaft ist notwendig, man muss Konflikte aushalten können und zum Dialog bereit sein. Manchmal gibt es 28 verschiedene Meinungen zu einem Thema – dann ist unsere Aufgabe, einen Kompromiss zu formen, der niemanden zurücklässt. Europa hat nur Erfolg, wenn alle sich berücksichtigt und geachtet fühlen.
In der Kommission arbeiten Sie mit Menschen aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten zusammen. Gehen damit bestimmte Herausforderungen einher?
Man trifft hier auf ganz unterschiedliche Kulturen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kommission sind so vielfältig, wie Menschen nur sein können! Als Führungskraft sehe ich meine Hauptaufgabe darin, allen so weit wie möglich gerecht zu werden und auf individuelle Besonderheiten einzugehen, sodass alle ihr Potenzial entfalten können.
Sie haben sich für eine Karriere außerhalb Deutschlands entschieden. Wie leicht trifft sich die Entscheidung, auszuwandern – auch wenn es „nur“ ins Nachbarland geht?
Das war für mich überhaupt kein Thema. Ich bin ein neugieriger Mensch, war jung, interessiert und wollte was erleben. Außerdem war ich ja vor meiner Zeit bei der Kommission schon einmal für vier Jahre in Brüssel gewesen. Ich war immer an Sprachen interessiert, habe neben Jura auch Romanistik studiert und ein Auslandssemester in Frankreich verbracht. Da war der Weg nach Brüssel eine ganz natürliche Entwicklung!
Es ist auffällig, dass in der Kommission viele zentrale Positionen von Frauen besetzt sind. Wie erklären Sie sich das?
Die Kommission hat eine erstaunliche Entwicklung hinter sich, was den Frauenanteil in Führungspositionen betrifft. Es war klares Ziel der Juncker-Kommission, den Frauenanteil in mittleren und höheren Leitungspositionen auf 40 % zu erhöhen. Der höhere Frauenanteil hat die Dialogkultur in der Kommission schon verändert. Dennoch habe ich den Eindruck, dass Männer untereinander oft noch besser organisiert sind und mehr untereinander kommunizieren als Frauen. Man muss an dem Thema also dranbleiben.
Sind Sie dennoch jemals speziell als Frau auf Probleme gestoßen?
Ich selbst hatte als Frau nie spürbare Nachteile, aber auch in der Kommission stößt man manchmal immer noch auf bestimmte Verhaltensweisen von Männern, die Frauen abwerten: Frauen werden häufiger in Sitzungen unterbrochen, Männern eignen sich die Ideen von Frauen an und verkaufen sie als eigene, Frauen werden manchmal nur als Juniorpartnerin gesehen. Man darf sich nie die Butter vom Brot nehmen lassen und muss Kontra geben!
Warum sind Organisationen wie der Deutsche Juristinnenbund (djb) oder die European Women Lawyers Association (EWLA), für die Sie sich engagieren, heute noch nötig?
Diese Organisationen sind unbedingt nötig, weil wir noch keine völlig gleichwertige Teilhabe von Frauen und Männern in der Gesellschaft erreicht haben. Und vieles von dem, das wir erreicht haben, ist nicht gesichert: Man schaue nur nach Ungarn oder Polen, wo ein Setback auch für Frauenrechte droht. Aber auch, wenn man über den großen Teich schaut, kann es einem schaudern. Die Situation macht einem Sorgen! Wir müssen weiter für die Rechte der Frauen kämpfen, in Europa und weltweit, und dies eben als Juristinnen auch unter dem Blickwinkel des Rechts. Frauenrechte sind Menschenrechte.
Welche Erfahrungen machen Sie mit jungen Frauen, die Sie als Trainees in der Kommission kennenlernen?
Es bewerben sich mehr Frauen als Männer. Im Raum nebenan sitzen z.B. gerade drei weibliche Trainees. Ich erlebe hier viele junge, selbstbewusste Frauen. Viele sind noch auf der Suche nach dem richtigen Weg, da bin ich gerne bereit, sie zu coachen, damit sie aus meinen Erfahrungen etwas mitnehmen können. Man muss sich mit Älteren austauschen und darf keine Scheu haben – ich bin happy, wenn sie mich ansprechen! Man muss offen über Stärken und Schwächen diskutieren und das auch aushalten können.
Männer sind häufig weniger kritisch sich selbst gegenüber. Das Glas ist für sie eher halbvoll, für Frauen eher halbleer. Ich beobachte auch, dass Männer oft entspannter sind, während die Frauen arbeiten „wie blöd“. Das sind natürlich Tendenzen und gilt nicht für jeden Einzelfall.
Neben Jura haben Sie Romanistik studiert. Wie wichtig ist der Blick über den juristischen Tellerrand während der Ausbildung und im Beruf?
Für mich war das Romanistikstudium sehr wichtig, um aus der Juristenblase herauszukommen. Ich liebe Kultur, Literatur und Sprachen. Während des Studiums habe ich mit anderen Romanisten Theater gespielt – ein ganz anderer Menschenschlag! Nur mit breitem Horizont kann man die eigene Arbeit im gesellschaftlichen Kontext gut einordnen.
Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte und wieso?
Eine Juristin, die mich sehr beeindruckt hat, war Jutta Limbach, die erste und bisher einzige weibliche Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts: Eine exzellente Juristin und Frauenrechtlerin, die an vielen Themen interessiert war und diese auch wunderbar vermitteln konnte. Sie hatte eine sehr überzeugende humanistische Herangehensweise an die Dinge.
Auch die Past Präsidentin des djb, Ramona Pisal, mit der ich im Bundesvorstand zusammengearbeitet habe, kann jungen Frauen als Vorbild dienen, als Juristin, Netzwerkerin und überzeugende Rhetorikerin. Im djb lernt man so viele tolle Frauen kennen! Als Vertreterin der jüngeren Generation möchte ich Katharina Miller nennen, die gegenwärtige Präsidentin von EWLA, die als Selbständige einen sehr beeindruckenden Karriereweg geht und im übrigen mit ihren Anliegen auf allen social media Kanälen unterwegs ist.
Vielen Dank für das Gespräch und die Zeit, die Sie sich dafür genommen haben!
Brüssel, 30. Oktober 2018. Das Interview führte Nora Wienfort.
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