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Melanie Arndt

Dr. Melanie Arndt im Portrait

„Ihr seid mit dem Gefühl nicht allein!“

Dr. Melanie Arndt, Partnerin bei Ehlers, Ehlers & Partner, über den Beruf der Rechtsanwältin, eine Promotion neben Beruf und Familie und die Gründung eines neuen Kanzleistandorts.

Sie haben in Berlin Jura studiert. Wie war der Frauenanteil in Ihrem Studiengang damals im Gegensatz zu heute?

Zu Beginn meines Studiums an der Freien Universität Berlin im Jahr 1976 lag der Anteil der Frauen bei etwa 30 %. Der Frauenanteil hat sich im Laufe der Jahre deutlich erhöht. Er liegt heute bei über 50 %. Das ist eine erfreuliche Entwicklung.

Sie haben eine Karriere als Rechtsanwältin gemacht, ursprünglich hatten Sie aber darüber nachgedacht, in den Staatsdienst zu gehen. Was hat Sie dann doch dazu bewegt, Anwältin zu werden?

Der Anwaltsberuf ist sehr vielfältig und spannend. Mir hat es Freude gemacht, Mandant:innen mit ihren rechtlichen Problemen Orientierung zu geben und ihnen helfen zu können. Dieser direkte menschliche Kontakt ist im Staatsdienst aus meiner Sicht so nicht gegeben. Zugleich ist der Anwaltsberuf ein freier Beruf. Die Tätigkeit lässt es zu, sich seine Arbeitszeit unter Berücksichtigung der Anforderungen durch die Mandant:innen frei zu gestalten. Demgegenüber gibt es im Staatsdienst vorgegebene Hierarchien und Organisationen, in welche die eigene Tätigkeit eingebunden ist.

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Wie sahen Ihre ersten Berufsjahre aus?

 

Ich habe meine berufliche Tätigkeit in einer bekannten verwaltungsrechtlichen „Ku'damm-Kanzlei“ in Berlin begonnen. Mein Chef begann zu dieser Zeit seine politische Tätigkeit und wurde nach der Wende der erste Präsident des neu errichteten Landesverfassungsgerichts in Berlin. Deswegen wurde ich sehr schnell mit der eigenständigen Bearbeitung von großen Mandaten, vor allem im öffentlichen Baurecht, Immissionsschutzrecht und Pharmarecht betraut. Unsere Mandant:innen waren zumeist männliche Führungspersönlichkeiten. Da ich noch sehr jung und unerfahren war, habe ich dies ebenso wie die zu bearbeitenden juristischen Probleme als eine große Herausforderung empfunden. Das hat mich gefordert, mir aber auch sehr viel Spaß gemacht.

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Sie sind 1996 Partnerin geworden, ein paar Jahre später fusionierte Ihre Kanzlei mit einer amerikanischen Großkanzlei. Wie hat sich die Fusion auf das Arbeitsklima ausgewirkt?

Mit der Fusion hat sich für mich das Arbeitsklima deutlich verändert. Mandate wurden hauptsächlich in großen Teams bearbeitet. Der direkte Kontakt zu Mandant:innen wurde weniger. Es wurde erwartet, bis spät in die Abendstunden sowie bei Bedarf am Wochenende zu arbeiten. Ich habe meine Tätigkeit nicht mehr als Ausübung des freien Anwaltsberufs empfunden. Zugleich war es für mich schwierig, diese Anforderungen mit meinen familiären Aufgaben mit drei kleinen Kindern zu vereinbaren. Das Arbeitsklima war auch sehr männlich. Die Witze, die man in der Tee-Küche zum Besten gab, wurden nicht weitererzählt, wenn ich hineinkam. Letztlich war das kein Ort, an dem man sich als Frau wohl fühlen konnte.

Bei Ehlers, Ehlers & Partner sind Sie direkt als Partnerin eingestiegen und haben den Berliner Standort allein aufgebaut. Welche Herausforderungen hat diese „Gründungszeit“ mitgebracht?​

Ich habe mich seinerzeit bewusst dafür entschieden, in eine spezialisierte, mittelständische Kanzlei zu wechseln. Das Büro von Ehlers, Ehlers & Partner in Berlin befand sich zu dieser Zeit noch in einem „Dornröschenschlaf“. Alle meine von mir persönlich betreuten Mandant:innen der amerikanischen Großkanzlei waren mir gefolgt. Ich habe viele Vorträge und Seminare gehalten und Veröffentlichungen gemacht, um weitere medizinrechtliche Mandate zu akquirieren. Ein wesentlicher Aspekt der Herausforderungen war, dass ich für diesen Standort allein verantwortlich war: Ich musste sowohl alle wesentlichen Entscheidungen z.B. zum Personal, treffen und stand für die ordnungsgemäße Bearbeitung der Mandate ein, als auch Mandatspflege betreiben und für Umsatz sorgen. Das bringt Risiken mit sich – und damit auch die Angst zu scheitern. Es hat aber geholfen, Unterstützung aus München zu erhalten. Allein der Name der Kanzlei ist ein hilfreiches Gütesiegel. Insofern war es eine sehr spannende und lehrreiche, aber auch in jeder Hinsicht aufregende Zeit.

Als Rechtsanwältin vertreten Sie Pflegeeinrichtungen. Was sind hier typische Fälle bzw. Tätigkeiten?

Wir vertreten alle Leistungserbringer der Sozialwirtschaft, also alle Unternehmen, die für den Staat dessen Sozialversprechen erbringen. Namentlich handelt es sich dabei um Pflegeheime und Pflegedienste, Kindergärten, Kinder- und Jugendhilfen, Einrichtungen der Eingliederungshilfe und auch Ärzt:innen, Krankenhäuser und medizinische Versorgungszentren. Einen Großteil macht hier der Bereich Pflege aus: Aktuell gibt es in Deutschland ca. 16.300 Pflegeheime und ca. 15.400 ambulante Pflegedienste für 5,6 Mio. Pflegebedürftige, aber nur wenige Anwält:innen in diesem Gebiet. Wir unterstützen die Leistungserbringer bei allen ihren Problemen. Unsere Spezialisierung liegt rechtlich einerseits im Sozial- und Aufsichtsrechts (Anmerkung der Redaktion: Jede soziale Einrichtung wird von der jeweils zuständigen Behörde verwaltungsrechtlich beaufsichtigt. Das Recht, welches das Rechtsverhältnis zwischen der sozialen Einrichtung und der Behörde regelt, wird als „Aufsichtsrecht“ oder „Ordnungsrecht“ bezeichnet). Andererseits weist das Zivilrecht aufgrund der engmaschigen Regulierung in diesem Sektor gegenüber den Leistungsempfängern oder bei Unternehmenstransaktionen einige Besonderheiten auf, sodass unsere Expertise hier sehr gefragt ist.

Aktuell leiden viele stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen unter einem erheblichen Kostendruck. Mein Team und ich führen mit den Pflegekassen Pflegesatzverhandlungen und für die stationären Einrichtungen verhandeln wir mit den Sozialhilfeträgern die Übernahme betriebsnotwendiger Investitionskosten. Bei fehlender Einigung vertrete ich die Einrichtungen in Verfahren vor der Schiedsstelle oder einer Schiedsperson. Letztlich ist das ein spezielles Verfahren, in dem die einzelnen Unternehmen der Sozialwirtschaft darum kämpfen müssen, dass für Pflege, medizinische Versorgung, Kinder- und Jugendhilfe und die Eingliederungshilfe mehr Geld zur Verfügung gestellt wird.

Viele junge Jurist:innen suchen nach einem Beruf, den sie als sinnstiftend empfinden. Sie haben eine solche Tätigkeit für sich gefunden. Warum würden Sie Ihre Tätigkeit als sinnstiftend beschreiben?​

Die Rechtsanwaltschaft ist ein unabhängiges Organ der Rechtspflege. Wir sind Rechtsbeistand, Mittler in Rechtsangelegenheiten und vertreten die Interessen unserer Mandant:innen. Damit nehmen wir eine wichtige Aufgabe in unserer Gesellschaft wahr. Ich empfinde es aber als besonders sinnstiftend, für den Sektor der Sozialwirtschaft tätig zu sein und so bei der Erfüllung des Versorgungsauftrages unterstützen zu können. Unsere Mandant:innen erbringen wichtige soziale Dienstleistungen für besonders hilfebedürftige Menschen. Eine leistungsfähige, wirtschaftliche Versorgung dieser Einrichtungen kommt den betroffenen Menschen unmittelbar zugute.

Sie sind promoviert. Wie verliefen die verschiedenen Stationen Ihrer Promotionszeit?​ 

Ich habe während meiner Tätigkeit als Rechtsanwältin promoviert. Leider konnte ich meine erste vollständig abgeschlossene Dissertation, mit der ich gleich nach Einstieg in den Beruf begonnen hatte, nicht einreichen, da kurz zuvor das Gesetz maßgeblich geändert wurde, so dass sich meine Arbeit überholt hatte – eine absolute Horrorvorstellung für jede Doktorandin. Nach über zehn Jahren habe ich dann neben meiner anwaltlichen Tätigkeit erneut eine Doktorarbeit zu einem anderen Thema in verhältnismäßig kurzer Zeit fertigstellen können. Die Berliner Humboldt-Universität hat mir dann erfreulicherweise mit 42 Jahren endlich meinen Doktortitel verliehen.

Während Ihrer Tätigkeit als Anwältin haben Sie drei Kinder bekommen. Sie und Ihr Mann haben sich gemeinsam um die Kinder gekümmert und beide weiterhin gearbeitet. Wie hat Ihr Umfeld darauf reagiert?

Zu unserer Zeit wurde es – anders als heute – sehr kritisch bewertet, wenn eine Frau drei Kinder bekommt und zugleich arbeitet. Es existierte noch das vorherrschende Bild, dass die Mutter, insbesondere wenn die Kinder klein sind, zu Hause bleibt und die Kinder versorgt, während der Mann das Geld verdient. Mein Mann und ich haben die Care-Arbeit untereinander aufgeteilt. Das Umfeld hat einerseits meinen Mann belächelt, wenn er die Versorgung der Kinder sowie Hausarbeit übernommen hat, und andererseits mich getadelt, dass ich nicht dem damaligen Rollenbild entsprach. Das war auch für uns manchmal schwierig, weswegen es mich freut, dass solche Rollenverständnisse heute weniger stark ausgeprägt sind.

Welche praktischen Ratschläge würden Sie jungen Jurist:innen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie geben?
 
Im Wesentlichen gibt es drei praktische Ratschläge: Erstens sollten sich die jungen Jurist:innen ein gutes und sicheres familiäres und soziales Umfeld aufbauen, um die Kinderbetreuung neben der Berufstätigkeit sicherzustellen. Das können neben der Partnerschaft und der Familie auch Freundschaften, Nachbar:innen oder eine bezahlte Unterstützung sein, die neben Kita und Schule bei Bedarf helfen. Junge Eltern sollten nicht denken, dass es ihre Aufgabe sei, das Kind oder die Kinder komplett allein großzuziehen. Es ist vollkommen okay, andere um Hilfe zu bitten! Zweitens ist ein gutes Zeitmanagement wichtig. Die Termine müssen geplant und eingehalten werden, wobei in dieser Phase Zeit ein wertvolles Gut ist. So muss sowohl beruflich als auch bei der Care-Arbeit hinterfragt werden, ob dieser Termin, diese Tätigkeit, dieses Gespräch jetzt oder später oder auch gar nicht erledigt werden muss. Drittens sollte die Freude an bewusst erlebter Zeit („quality-time“) gerade für die Familie einen hohen Stellenwert haben. Anzustreben ist, sich in der mit der Familie zu verbringenden Zeit wirklich umeinander zu kümmern und gemeinsam gute Erlebnisse zu haben.
Aber bei alledem sollte man sich auch frühzeitig nach dem richtigen Arbeitgeber bzw. der richtigen Arbeitgeberin umschauen. Es gibt zwar in vielen Kanzleien tolle Elternzeitmodelle, aber am Ende ist das richtige Team entscheidend, das auch gemeinsam mit einem kreativ nach Lösungen schaut, wie der aktuell individuelle Betreuungsbedarf des Kindes oder der Kinder mit dem Arbeitsalltag unter einen Hut gebracht werden kann: Das sind flexible Arbeitszeiten, Rücksicht bei der Mandatsübertragung, Teamarbeit und Betreuungsgelegenheiten. Ich habe etwa mein erstes Kind jeden Tag mitgenommen in die besagte „Ku'damm-Kanzlei“.
Sie haben die Zeit zwischen 30 und 40 als „Rushhour“ des Lebens beschrieben. Welchen Rat haben Sie zum Zeitmanagement während dieser „Rushhour“?
Diese Zeit ist deswegen die „Rushhour“ des Lebens, weil es für viele Juristinnen, die sich während des Studiums noch nicht für Kinder entschieden haben, aus biologischen Gründen die Zeit des Kinderkriegens ist, falls sie sich Kinder wünschen. Zugleich werden in dieser Zeit wichtige Grundlagen für das berufliche Fortkommen und die Karriere gelegt. Daher handelt es sich um eine besonders intensive Zeit, in der viele Anforderungen an berufstätige Mütter (und natürlich auch Väter) gestellt werden. Für das erforderliche Zeitmanagement empfehle ich, den Tag so weit wie möglich zu strukturieren, Prioritäten zu setzen und „To-Do“-Listen zu erstellen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass frau in dieser Zeit immer das Gefühl hat, nichts perfekt zu erledigen. Sowohl beruflich als auch familiär mag eine Unzulänglichkeit empfunden werden. Dieses Gefühl ist den vielfältigen Anforderungen des Lebensabschnitts geschuldet und sollte akzeptiert werden: Ihr seid mit dem Gefühl nicht allein!
Sie sagten, dass der Beruf einer Rechtsanwältin sich in gewisser Hinsicht besonders für flexible Zeiteinteilung und damit auch für Vereinbarkeit von Beruf und Familie eignet. Warum?
Als selbstständige Rechtsanwältin bin ich im Wesentlichen meinen Mandant:innen verpflichtet. Termine, Fristen und Zusagen sind einzuhalten. Solange es ich nicht um Gerichtstermine oder offizielle Termine mit Dritten handelt, kann ich diese Termine, wie z.B. Gespräche mit Mandant:innen frei vereinbaren. Die Arbeit an Schriftsätzen und Rechtsprüfungen kann ebenfalls von der Rechtsanwältin zeitlich so eingeteilt werden, wie es ihren zeitlichen Bedürfnissen entspricht. Für eine selbstständige Rechtsanwältin gibt es keinen Chef oder Chefin, durch den oder die Arbeitszeiten vorgegeben werden. Somit gibt es weniger Fremdbestimmung über den eigenen Zeitplan, was den Beruf der Rechtsanwältin auch aus diesen Gründen sehr interessant macht. Und eines darf man auch nicht vergessen: In wenigen anderen Berufen reicht es für ein komfortables Leben mit Familie in einer Großstadt, zwischenzeitlich mal nur die Hälfte zu verdienen.

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn viele Anwält:innen ausgebildet. Eine junge Juristin hat mir dabei besonders imponiert, weil sie sich früh ebenfalls für die Selbstständigkeit entschieden hat und mit diesem Plan erfolgreich und glücklich ist: Frau Rebecca Mohr.

 
Vielen Dank für das spannende Interview!

Berlin, den 11. August 2023. Dr. Melanie Arndt hat die Fragen schriftlich beantwortet. Die Fragen stellte Anna Isfort.

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