Milena Frank im Porträt
„Vorleben, was man predigt.”
Milena Frank, Partnerin der Kanzlei KUCERA Rechtsanwälte in Frankfurt am Main mit dem Schwerpunkt auf Immobilienwirtschaftsrecht im Interview über die Gründung der eigenen Kanzlei, gute Führung und was man aus ihrer Sicht im eigenen Leben tatsächlich steuern kann.
Milena, nach Studium und Referendariat hast Du Deine berufliche Karriere bei Lovells, Vorläuferin der heutigen Kanzlei Hogan Lovells, begonnen. Was hast Du dort gelernt?
Ich habe dort nach meinem Start Anfang 2003 eineinhalb Jahre gearbeitet und in den ersten Monaten parallel zur Mandatsarbeit das – ich nenne es so – Programm für Berufseinsteiger* absolviert. Das waren verschiedene Fortbildungsveranstaltungen, in denen ich neben fachlichem Wissen auch viele Softskills erlernt und trainiert habe. Das sind Fähigkeiten, die man für den Anwaltsberuf immer braucht, egal, in welcher Einheit man praktiziert – ob als Einzelkämpfer, in mittelständischer Kanzlei oder in der Großkanzlei. Aber im Bereich der Softskills kann man immer wieder etwas dazulernen, das persönliche Wachstum ist ein lebenslanger Prozess. Daneben habe ich in der Zeit bei Lovells die sehr starke Mandanten- und Service-Orientierung verinnerlicht, also die Einstellung, dass man als Berater Dienstleister gegenüber den Mandanten ist und dass die Mandanten stets im Mittelpunkt stehen. Das ist sicherlich einer der Punkte, die ich auch für meine Selbständigkeit danach mitgenommen habe und die wir auch heute unseren Associates vermitteln.
Kurz nach Deinem Berufseinstieg hast Du mit zwei Kollegen dann die Kanzlei KUCERA in Darmstadt gegründet. Wie kam es dazu?
Mein damaliger Kollege Stefan Kucera, der schon sehr berufserfahren war und vor seiner Zeit bei Lovells in einer klassischen Prozesskanzlei (heute würde man Litigation Boutique dazu sagen) gearbeitet hatte, teilte mir damals mit, dass er entschlossen war, sich selbständig zu machen. Da habe ich kurzentschlossen gesagt: „Ich komme mit.“ Ich habe diese Möglichkeit als große Chance gesehen und mich gefragt, ob und wenn ja, wann sich so eine Chance noch einmal ergeben würde. Ich war unbeschwert und hatte keine Angst vor dem Scheitern. Ich dachte, wenn es schief geht, dann mache ich eben etwas anderes. Ich war nicht naiv – wir hatten natürlich einen Businessplan usw. –, aber eben unbeschwert und wagemutig.
Ein Aspekt der Selbständigkeit ist zwar, dass die Worte „selbst“ und „ständig“ gerade in der Start-up-Phase und häufig auch danach die Arbeitsweise schon gut beschreiben. Auf der anderen Seite ermöglicht die Selbständigkeit auch ein hohes Maß an Selbstbestimmtheit und Gestaltungsmöglichkeiten. Natürlich gibt es auch eine gewisse Fremdbestimmung – zum Beispiel durch Vorgaben von Mandanten, aber das bringt die Mandantenorientierung mit sich, von der ich vorhin gesprochen habe und die unsere Arbeit ausmacht. Die Selbstbestimmtheit, beispielsweise in Bezug auf die Gestaltung meiner Arbeitszeit oder die Mandate, die ich annehme, ist mein großer Antreiber.
Inwiefern habt Ihr Euch von den anderen Kanzleien in Darmstadt unterschieden?
Zu der Zeit unserer Kanzleigründung Anfang der 2000er Jahre gab es in Frankfurt einige Spin-Offs von internationalen Großkanzleien. Wir wollten nicht einer dieser vielen Spin-Offs sein, sondern bewusst etwas anders machen. Daher haben wir uns nach anderen Standorten in der Rhein-Main-Region umgesehen. Bei unserer Analyse haben wir verschiedene Faktoren bewertet, wie die am Standort und im Umkreis ansässigen Unternehmen als potentielle Mandanten und natürlich auch die bereits etablierten lokalen Kanzleien. Da haben wir die Potentiale von Darmstadt als Standort für die Gründung einer Kanzlei, die auf die Beratung von Unternehmen spezialisiert ist, erkannt. Darmstadt war schon damals der größte Landgerichtsbezirk in Hessen und Sitz vieler innovativer, aber auch vieler traditionsreicher, grundsolider Unternehmen. Bei der Gründung der Kanzlei hatten wir noch nicht diese starke Fokussierung auf das Immobilienrecht wie wir sie heute haben; wir waren aber stets auf die anwaltliche Beratung von Unternehmen spezialisiert – nicht als sogenannte Full-Service-Kanzlei, sondern auf bestimmten Rechtsgebieten bzw. für bestimmte Branchen. Die meisten größeren Kanzleien in Darmstadt hatten damals ein eher breites Spektrum ohne erkennbare Spezialisierung oder Dedizierung auf die Beratung von Unternehmen. Unsere damalige Analyse hat sich bestätigt: Darmstadt war genau das richtige Pflaster für die Gründung einer spezialisierten Wirtschaftskanzlei. Seit fünf Jahren sitzt KUCERA doch in Frankfurt – der Umzug war eine strategische Entscheidung, die durch viele Faktoren bestimmt wurde und die sich als richtig und sehr wichtig für die Entwicklung der Kanzlei erwiesen hat.
Dein Ehemann ist ebenfalls (Gründungs-)Partner bei KUCERA. Wie ist das mit dem Ehemann zusammenzuarbeiten?
Wir halten die Beziehung und die Arbeit getrennt voneinander. Daher würde ich sagen neutral. Tatsächlich haben wir auch nur sehr wenige Überschneidungen bei unseren Mandaten. Es ist aber natürlich schon auch eine Herausforderung, Arbeit und Privates zu trennen, insbesondere wenn wir beide durch die Arbeit sehr stark in Anspruch genommen sind. Gleichzeitig haben wir durch die gemeinsame Kanzlei sehr viel Verständnis füreinander entwickelt – man weiß genau, in welcher Situation der andere gerade steckt. Das macht es sehr viel leichter.
Wie bei vielen anderen hat sich auch bei KUCERA durch die Coronapandemie die Arbeit aus dem Homeoffice heraus etabliert. Welche Voraussetzungen müssen vorliegen, damit Arbeiten aus dem Homeoffice gut funktioniert – abgesehen von technischer Ausstattung?
Grundvoraussetzung ist gegenseitiges Vertrauen – aber wenn das fehlt, dann hat man als Arbeitgeber ein generelles Problem, nicht nur in Bezug auf Homeoffice. Ansonsten denke ich, dass erfolgreiches Arbeiten im Homeoffice auch eine Typfrage ist. Es gibt Menschen, die können das sehr gut und sind im Homeoffice vielleicht sogar produktiver. Aber es gibt auch Menschen, denen das nicht guttut. Es fehlt ja doch ein wenig der soziale Anschluss an das Kanzleileben. Und damit das gegenseitige Vertrauen entstehen, wachsen und erneuert werden kann, ist ein Mindestmaß an persönlichem Austausch „in Präsenz" unverzichtbar. Homeoffice ist aus der Arbeitswelt nicht mehr wegzudenken – wir als Kanzlei sind da sehr flexibel und versuchen jeweils individuell passende Lösungen zu finden, die den Wünschen der Beteiligten so gut wie möglich entgegenkommen.
Du hattest Dir bereits zu Beginn Deiner Karriere Gedanken gemacht, wie sich Familie und Beruf miteinander vereinbaren lassen, insbesondere in der Großkanzlei. Das Thema Familie kam dann bei Dir später als gedacht auf. Macht man / frau sich da im Vorhinein zu viele Gedanken über die Zukunft?
Sicherlich. Nur hilft es der betroffenen Person meist wenig, wenn man ihr sagt, dass sie sich nicht so viele Gedanken machen soll (lacht).
Ich glaube, man kann im Leben viel weniger steuern als man denkt. Man hat nur bedingt Einfluss auf die großen und wichtigen Dinge. Diese lassen sich nicht oder nur sehr wenig planen, da viele Faktoren eine Rolle spielen und das Leben voller unerwarteter Wendungen ist. Die Erkenntnis, dass ich – wenn es um die großen Dinge geht – nur wenig Kontrolle habe und gar nicht so viel beeinflussen kann, gibt mir eine gewisse Gelassenheit. Wenn es um das Thema Familie geht, denke ich, dass man sich nur darüber klar werden sollte, ob man generell Kinder möchte oder nicht. Und dann muss man die Dinge laufen lassen und kluge Entscheidungen treffen, wenn sie anstehen – in der jeweiligen Situation.
Hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist es meinem Empfinden nach in den letzten 10 bis 15 Jahren einfacher geworden – jedenfalls was die Kinderbetreuung angeht. Da gibt es bereits viel mehr Angebote als noch Anfang der 2000er Jahre. Auch in den Unternehmen, der Politik und den Medien ist das Thema viel präsenter. Gleichzeitig ist es vor allem für Frauen aus meiner Sicht insgesamt nicht unbedingt einfacher geworden. Gerade weil es heute so viele Möglichkeiten gibt, sehen sich viele Frauen noch mehr Erwartungen an ihre Rollen als Mutter, Karrierefrau, Partnerin, Tochter etc. ausgesetzt. Hier ist es aus meiner Sicht wichtig, solche Erwartungen hinter sich lassen und sich nicht von ihnen bestimmen zu lassen. Es wird immer jemanden geben, der falsch findet, was und wie man es macht.
Nach der Geburt Deines Sohnes vor neun Jahren hast Du ein Jahr mit der Mandatsarbeit pausiert. Wie gelingt ein guter Wiedereinstieg in den Beruf nach der Elternzeit?
Mandatsarbeit habe ich in der Zeit bewusst nicht gemacht, meine Sozietätspartner und unsere Associates haben alle meine Fälle übernommen und betreut. Das hat sehr gut geklappt, weil ich mich hundertprozentig darauf verlassen konnte, dass die Mandanten optimal betreut werden. Meine Partner haben meine Entscheidung, für ein Jahr mit der Mandatsarbeit zu pausieren, voll mitgetragen – auch daran zeigte sich, dass wir eine gut funktionierende Partnerschaft haben, die von Vertrauen geprägt ist. In dem Jahr meiner Elternzeit habe ich aber weiterhin Managementaufgaben in der Kanzlei übernommen. Dadurch habe ich nie den Anschluss an das Kanzleileben verloren. Ich bin häufig am Nachmittag auf dem Rückweg vom Spaziergang mit dem Kinderwagen an der Kanzlei vorbeigelaufen und habe dann dort vorbeigeschaut und Aufgaben erledigt. Nach dem Jahr Elternzeit habe ich wieder „in Teilzeit" angefangen mit Mandatsarbeit, wobei es bei der Selbständigkeit natürlich immer schwierig zu beurteilen ist, was eigentlich Vollzeit ist (lacht). Ich denke, da muss man – soweit man die Möglichkeit dazu hat – einfach ausprobieren und versuchen, eine individuell passende Lösung zu finden. Da sind auch viel Flexibilität und Bereitschaft auf Seiten der Arbeitgeber gefragt. Es kommt ja beispielsweise auch auf die Bedürfnisse des Kindes an, die immer verschieden sind. Jedes Kind ist anders. Als Eltern muss man aber auch schauen, womit man sich selbst wohl fühlt und welche Lösung für die jeweilige Situation stimmig ist.
In der Elternzeit und während der Teilzeit habe ich sicherlich mehr Care-Arbeit übernommen als mein Mann. Ich wollte das aber auch so. Inzwischen ist es sehr ausgeglichen, was auch daran liegt, dass unser Sohn als Schulkind mittlerweile viel weniger Betreuung braucht und auch mehr fremdbetreut wird.
Wozu hast Du zuletzt „Nein“ gesagt?
Zuletzt habe ich die Übernahme eines Mandats abgelehnt, weil ich nicht davon überzeugt war, dass wir den Bedürfnissen des potentiellen Mandanten hundertprozentig gerecht geworden wären. Die Fähigkeit „Nein" zu sagen und damit Grenzen zu setzen, ist aus meiner Sicht generell sehr wichtig. Wie oben schon erwähnt zum Beispiel zu bestimmten Erwartungen anderer an einen selbst. Gegenüber Mandaten „Nein“ zu sagen, ist nicht immer leicht, weil das auf den ersten Blick mit der Mandantenorientierung kollidiert. Aber in Wirklichkeit kann ein „Nein" an der richtigen Stelle die Vertrauensbeziehung zum Mandanten wesentlich stärken. Ich musste das Nein-Sagen aber auch erst lernen. Das ist ein Prozess, den man, glaube ich, auch nicht beschleunigen oder abkürzen kann. Das kommt einfach mit der Lebenserfahrung und der eigenen Persönlichkeitsentwicklung, dass man sich das traut und erkennt, wie wichtig es ist.
Was macht eine gute Führung eines Teams aus?
Für mich ist es Klarheit – Klarheit in der Kommunikation im Team, insbesondere was die eigenen Erwartungen und Ziele angeht. Dafür muss man sich natürlich selbst darüber bewusst und im Klaren sein, welche Erwartungen und Ziele man selbst hat. Manchmal hapert es bei Führungskräften nämlich daran, dass sie sich diesbezüglich selbst noch unsicher sind – bewusst oder unbewusst. Ohne diese innere Klarheit, die nach außen transportiert wird, gelingt gute Führung aus meiner Sicht nicht. Dazu gehören auch ehrliches Lob und sachliche Kritik.
Ebenso wichtig für die Führung eines Teams ist auch eine gute Menschenkenntnis und Empathie. Das versetzt die Führungsperson in die Lage, das Potential eines jeden Teammitglieds zu erkennen und optimal einzusetzen, was wiederum die Zufriedenheit der Teammitglieder und ihre Identifikation mit dem Team steigert. Für mich ist außerdem wichtig, als Führungsperson auch die eigenen vermeintlichen Schwächen offenzulegen. Schwäche zeigen zu können ist eine große Stärke von Führungspersonen. Es läuft nicht immer alles ausschließlich super. Es gibt auch schwierige Zeiten. Da offen miteinander zu kommunizieren, ist mir sehr wichtig. Das ist Teil einer gelebten Fehlerkultur. Denn Fehler passieren einfach in der täglichen Arbeit, egal wie sehr man versucht, sie zu vermeiden. Die Frage ist nur, wie man mit Fehlern umgeht und was man daraus lernt. Mein Anspruch ist, dass im Team nicht immer wieder dieselben Fehler gemacht werden und dass wir jeden Fehler dafür nutzen, daraus zu lernen und Lösungen dafür zu finden, wie dieser Fehler das nächste Mal vermieden werden kann.
Und wie gewinnt man Nachwuchs?
Indem man vorlebt, was man predigt. Authentisch sein.
In den meisten Kanzleien wird das Vorstellungsgespräch ähnlich sein. Meines Erachtens sagt das Vorstellungsgespräch aber recht wenig darüber aus, wie eine Zusammenarbeit wirklich aussieht. Auch da gilt es, auszuprobieren, ob die Zusammenarbeit für beide Seiten passt, beispielsweise durch ein Praktikum oder eine Referendariatsstation.
Welche Fähigkeiten neben den fachlichen Kenntnissen sollte man / frau sich aneignen, um erfolgreiche Juristin zu werden?
Kommunikation und Rhetorik sind meines Erachtens am wichtigsten. Die Sprache ist unser wichtigstes Handwerkszeug, mit dem wir täglich arbeiten und mit dem wir die Ergebnisse unserer Beratungstätigkeit „liefern", sei es in Form von Beratungsgesprächen, Schriftsätzen, Memoranden, Verhandlungen oder bei der Vertragsgestaltung. Als Anwalt oder Anwältin ist man immer auch Moderator, daher sind gute Kommunikationsfähigkeiten besonders wichtig.
Auch die Fähigkeit zuhören zu können, ist für alle juristischen Berufe von essentieller Bedeutung. Kleine Sachverhaltsdetails können die Lösung eines Falles maßgeblich beeinflussen – häufig erfährt man diese Details nicht aus den Akten, sondern im Gespräch mit den Mandanten bzw. Parteien.
Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?
Annette Benner, weil sie eine starke Powerfrau und Working Mum mit profundem Spezialwissen auf einem Gebiet ist, in dem nur wenige Frauen tätig sind.
Vielen Dank für das spannende Interview!
Frankfurt am Main, 13. Januar 2023. Das Interview führte Laura Nordhues.
* Der auf Wunsch der Juristin im Interview verwendete generische Maskulin bezieht sich gleichermaßen auf alle Geschlechteridentitäten.
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