Dr. Mina Aryobsei-Bergmann im Porträt
„Mein Herz hat schon immer für das Thema Menschenrechte geschlagen."
Dr. Mina Aryobsei-Bergmann, Senior Expert Human Rights bei Merck, über eine Tätigkeit im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte, den Wechsel von einer Kanzlei ins Unternehmen und die Lage der Frauen in Afghanistan.
Sie sind als Senior Expert Human Rights bei dem Wissenschafts- und Technologieunternehmen Merck tätig. Wie sieht Ihr beruflicher Alltag aus?
Mein beruflicher Alltag ist sehr vielfältig und jeden Tag aufs Neue zugleich spannend und herausfordernd. Von internen Besprechungen über die Implementierung unserer Menschenrechtsstrategie und dem Austausch mit Peer-Kollegen:innen aus anderen Unternehmen bis hin zur Teilnahme an internationalen Konferenzen ist alles dabei.
Was fasziniert Sie an dem Bereich Business and Human Rights?
Mein Herz hat schon immer für das Thema Menschenrechte geschlagen. Die meisten haben beim Thema Menschenrechte das Verhältnis Bürger:innen-Staat vor Augen. Allerdings spielen Menschenrechte im Zuge der Globalisierung und der Etablierung globaler Handelsketten auch für internationale Unternehmen eine große Rolle. Viele Menschenrechtsverletzungen finden am Anfang der Lieferkette im globalen Süden statt. Allerdings kommt es auch in Europa und in den USA zu Menschenrechtsverletzungen. Mir liegt es am Herzen, Bewusstsein für das Thema Menschenrechte innerhalb und außerhalb von Unternehmen zu schaffen und entsprechende effektive Prozesse zu etablieren. Mich fasziniert diese Aufgabe, da ich überzeugt davon bin, dass meine Tätigkeit für den Schutz von Menschenrechten sehr wichtig ist. Natürlich ist der Impact in meinem unmittelbaren Bereich nicht kurzfristig messbar, sondern muss eher als längerfristiger Prozess gesehen werden. Es ist kein Sprint, sondern ein Marathon.
Welchen Herausforderungen begegnen Sie bei Ihrer Aufgabe, wirtschaftliche Unternehmensinteressen und den Schutz von Menschenrechten in Einklang zu bringen?
Die größte Herausforderung ist es, effektive Prozesse umzusetzen, die tatsächlich den Schutz von Menschenrechten verbessern. Wenn wir Menschenrechtsverletzungen im eigenen Unternehmen entdecken würden, würden wir diese sofort abstellen. Herausfordernd werden allerdings die Fälle, in denen Menschenrechtsverletzungen in der tieferen Lieferkette auftreten. Zum einen ist es schwierig, hier überhaupt Kenntnis von der Verletzung zu erlangen; zum anderen ist unser Einfluss auf Lieferant:innen in der tieferen Lieferkette, zu denen wir keine direkte Vertragsbeziehung pflegen, gering.
Vor Ihrer Tätigkeit bei Merck waren Sie in einer Wirtschaftskanzlei tätig. Was hat Sie zum Wechsel von der Kanzlei ins Unternehmen bewogen?
Ich wollte nah am Geschehen sein und selbst Prozesse implementieren. Als Berater:in bekommt man meistens nur den Teil mit, den man berät. Allerdings sind die Diskussionen und Sensibilitäten im Unternehmen nochmal vielfältiger. Zudem ist es auch etwas Anderes, über menschenrechtliche Sorgfaltspflichten zu sprechen und sie dann tatsächlich durchzusetzen. Letzteres ist viel schwieriger und es ist für mich wichtig, diese praktische Erfahrung zu sammeln und nicht nur einen Blick aus der Theorie auf das Thema Wirtschaft und Menschenrechte zu haben.
Sie haben sich bereits mit Menschenrechten beschäftigt, während Sie als Anwältin gearbeitet haben. Welche Berührungspunkte hatten Sie aus anwaltlicher Perspektive mit diesem Thema?
Während meiner anwaltlichen Tätigkeit in diesem Bereich gab es keine gesetzlichen Anforderungen in Deutschland, menschenrechtliche Sorgfaltspflichten in Unternehmen umzusetzen. Das hat sich mit der Einführung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes geändert. Damals lag der Schwerpunkt darin, Unternehmen auf dieses Thema aufmerksam zu machen und sie hierfür zu sensibilisieren. Allerdings liefen schon damals die ersten zivilgerichtlichen Verfahren gegen Unternehmen wegen des Vorwurfs menschenrechtlicher Verletzungen und Umweltverletzungen. Zudem war schon damals die Möglichkeit außergerichtlicher Verfahren durch die OECD gegeben. Es war daher wichtig, unsere Mandant:innen auch auf die gerichtlichen und außergerichtlichen Risiken sowie auf entsprechende mögliche Rufschädigungen aufmerksam zu machen.
Hatten Sie Vorbilder oder Mentor:innen, die Sie auf Ihrem Weg begleitet haben?
Vorbilder oder Mentor:innen, die mich auf meinem Weg begleitet haben, hatte ich nicht. Ich bin bei diesem Thema meiner Leidenschaft und meinem Herzen gefolgt und habe zusammen mit weiteren interessierten und geschätzten ehemaligen Kollegen:innen den Bereich „Wirtschaft und Menschenrechte“ in der Kanzlei gegründet und mich schon sehr früh im Markt mit diesem Thema beschäftigt. Das hat wahnsinnig viel Spaß gemacht und wir haben sehr viel dabei gelernt und richtige Pionierarbeit betrieben. Mir macht es großen Spaß, neue und unentdeckte Wege zu gehen.
Sie sind im Grundschulalter aus Afghanistan nach Deutschland gekommen. Wie hat Sie das in Ihren beruflichen Entscheidungen beeinflusst?
Sicherlich hat meine Herkunft meine beruflichen Entscheidungen beeinflusst. Ich führe ein sehr privilegiertes Leben, aber aufgrund meiner Herkunft und meiner eigenen Migrationsgeschichte als Geflüchtete bin ich mir bewusst, dass es eben vielen Menschen auf der Welt nicht so gut geht wie mir. Ich bin mir bewusst, dass ich nicht die Welt verändern kann. Aber mir ist es wichtig, dass ich sowohl privat als auch beruflich zu einer Verbesserung beitragen kann.
Sie haben zur Stellung der Frau in der afghanischen Verfassung promoviert. Warum haben Sie sich für eine Promotion in diesem Bereich entschieden?
Nach dem ersten Staatsexamen hatte ich große Lust darauf, über den Tellerrand zu schauen und in einen für mich komplett neuen Rechtsbereich einzutauchen. Der Vorschlag über die Verfassung Afghanistans zu schreiben, kam tatsächlich von meiner geschätzten Doktormutter, Frau Prof. Dr. Christine Langenfeld, Richterin am Bundesverfassungsgericht.
Wie hat sich die Situation für Juristinnen in Afghanistan heute nach der Machtübernahme der Taliban verändert?
Mit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 hat sich die Situation für Frauen und Mädchen leider massiv verschlechtert. Die Taliban erließen zahlreiche Verbote, die Frauen und Mädchen daran hindern, grundlegende Rechte wahrzunehmen. Dazu gehört auch das Recht auf Arbeit und Bildung sowie das Recht auf Meinungsäußerung. Das trifft leider auch Juristinnen, so dass sie ihren Beruf derzeit nicht ausüben können. Den Mädchen wird der Besuch von weiterführenden Schulen verboten. Das ist unheimlich traurig.
Was wünschen Sie sich für Afghanistan?
Frieden, Sicherheit, Gleichberechtigung und eine verantwortungsbewusste Regierung.
Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?
Das wäre Mandy Linß, sie arbeitet als Cluster Lead Human Rights bei der Deutschen Telekom.
Vielen Dank für das spannende Interview!
Frankfurt / Berlin, 12. Juni 2024. Dr. Mina Aryobsei-Bergmann hat die Fragen schriftlich beantwortet. Die Fragen stellten Anna Isfort und Dr. Jennifer Seyderhelm.
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