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Dr. Nadja Harraschain im Porträt

„Karriere als Frau mit Familie funktioniert!“

Dr. Nadja Harraschain, Associate bei Allen & Overy und Gründerin und Geschäftsführerin von breaking.through, über die Gründung und den Aufbau der Plattform und ihre persönlichen Learnings in fünf Jahren breaking.through.

Nadja, wir wollen heute unter anderem über fünf Jahre breaking.through sprechen. Was habt Ihr bzw. hast Du in dieser Zeit aufgebaut?

breaking.through macht aus, dass wir erfolgreiche Juristinnen für andere (nicht nur Juristinnen) sichtbar machen.

Es gibt nach wie vor weniger Frauen als Männer in Führungspositionen, nicht nur im juristischen Bereich. Die Ursachen dafür sind sehr komplex und vielfältig, aber eine Ursache davon scheint mir das Fehlen von Vorbildern zu sein. Da es weniger Frauen in Führungspositionen gibt, ist es als Frau auch deutlich schwieriger, sich selbst in einer Führungsposition zu sehen. So kann man etwa auch heute noch ein Jurastudium absolvieren und keine einzige Professorin erlebt haben. Das macht es schwierig, ein Vorbild für sich zu finden, bei dem man sich Inspiration für den eigenen Werdegang suchen kann.

Hier wollen wir ansetzen. Deswegen veröffentlichen wir regelmäßig Interviews mit erfolgreichen Juristinnen; nicht nur mit Professorinnen natürlich, sondern mit Juristinnen aus allen erdenklichen Bereichen.

Was macht diese Interviews aus?

Wir wollen möglichst vielfältig und vielseitig sein, um möglichst viele Juristinnen zu erreichen. Dazu stellen wir allgemeine Fragen zum persönlichen Werdegang, also karrierebezogene Fragen. Außerdem beleuchten wir das Thema „Karriere als Frau“. Wenn die Porträtierte Familie hat und gewillt ist sich dazu zu äußern, sprechen wir außerdem auch über das Thema Vereinbarkeit. Nur zur Klarstellung: Wir finden natürlich nicht, dass Letzteres ein „Frauenthema“ ist (was auch immer das heißen soll). Im Gegenteil ist diese bis heute bestehende Wahrnehmung gerade Teil des Problems. Denn es ist ein Elternthema und nicht nur ein Frauenthema. Gleichwohl spielt die Frage, wie sich eine anspruchsvolle Karriere oder der eigene berufliche Werdegang mit Familie vereinbaren lässt, in der Praxis für Frauen immer noch eine riesige Rolle.

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Wie und wann findet man diese Interviews?

Wir veröffentlichen in der Regel ein Interview pro Woche. Die Interviews sind kostenlos auf unserer Website zugänglich. Inzwischen haben wir etwa 300 Interviews geführt. Auf der Webseite ist also wirklich ein großer, bunter Blumenstrauß an Interviews abrufbar, sodass dort hoffentlich jede*r Inspiration findet.

Was bietet breaking.through neben den Interviews noch?

Neben den Interviews bieten wir auch persönliche Austauschmöglichkeiten an, insbesondere durch unsere Events. Wir organisieren regelmäßig Panel-Diskussionen zu verschiedenen karriererelevanten Themen, etwa zum Thema Visibility oder zum Thema Netzwerken. Bei den Events kann man mit den Vorbildern in Kontakt kommen und sich persönlich mit ihnen und auch mit anderen Mitgliedern der Community austauschen.

breaking.through bietet auch eine Ratvermittlung an. Was kann man sich darunter vorstellen?​

Die Ratvermittlung kann ein nützliches Tool sein, wenn man als Juristin irgendeine karrierebezogene Frage hat, beispielsweise ob eine Doktorarbeit zu einem passt, oder sich eher ein LL.M. anbietet. Oder wenn man nach dem Berufseinstieg eine Ansprechpartnerin sucht, etwa weil man aus der Elternzeit zurückgekommen ist und das Gefühl hat, am Arbeitsplatz nicht mehr richtig ernstgenommen zu werden und/oder nicht mehr weiterzukommen. Sie kann auch hilfreich sein bei Überlegungen, sich umzuorientieren, da man von seiner alten Tätigkeit nicht mehr erfüllt wird. Hier bieten wir ab Beginn des Studiums die Möglichkeit an, sich mit seinem Anliegen an uns zu wenden. Wir kümmern wir uns dann darum, eine Juristin aus unserem Netzwerk als Gesprächspartnerin für ein einmaliges 30- bis 60-minütiges, kostenloses und unverbindliches Gespräch zu organisieren. Im Regelfall weiß die Suchende vorher nicht, wer es ist. Das funktioniert hervorragend, dafür kriegen wir immer ganz viel tolles Feedback.

Wann und wie kam es zur Gründung von breaking.through?

Ich habe in meiner Ausbildung ein paar Kernerfahrungen dazu gemacht, die mich schon 2016, also zwei Jahre vor der offiziellen Gründung von breaking.through, dazu veranlasst haben, die Plattform zu entwickeln.

Im Studium hatte ich noch das Gefühl, Frauen und Männer seien quasi gleichberechtigt. In meiner Schulzeit schnitten Mädchen genauso gut bzw. sogar besser als Jungs ab und im Studium kannte ich noch zahlreiche Frauen, die am Lehrstuhl gearbeitet haben, ein Stipendium hatten und gute Noten vorweisen konnten. Damals habe ich die Diskrepanz zwischen den Geschlechtern daher kaum wahrgenommen, obwohl es viel weniger Professorinnen als Professoren an meiner Universität gab. Als ich nach dem ersten Staatsexamen nach Frankfurt zog und promotionsbegleitend in größeren Kanzleien arbeitete, fiel mir die Diskrepanz zunehmend auf. Damals gab es typischerweise (maximal) eine Partnerin pro Standort und zahlreiche männliche Partner. Mütter fand ich kaum vor, während bei Männern in einer Kanzlei der Running Gag war: „Unter vier Kindern wirst du nicht Partner.“ Dabei hatte dieselbe Kanzlei zu dem Zeitpunkt sogar eine eher überdurchschnittliche Partnerinnenquote in Deutschland. Mein Bewusstsein für das Thema wurde durch diese Beobachtungen geschärft.

Daneben wurde mir zunehmend bewusst, wie wichtig Vorbilder für die eigene Entwicklung sind.

Ich selbst hatte in meiner Ausbildung das Glück, dass ich einige Juristinnen in meinem persönlichen Umfeld als Vorbilder erlebt habe. Das waren unter anderem Anwältinnen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, die Mutter eines Freundes (die wahrscheinlich früher die erste Teilzeitpartnerin in einer Großkanzlei in Deutschland war) und meine Doktormutter, die meines Wissens nach die erste Ordinaria an der juristischen Fakultät der Universität Basel wurde. Jede von ihnen hat sich die Zeit genommen und die Offenheit besessen, um mit mir über solche Themen zu sprechen. Das hat mir persönlich sehr viel Zuversicht gegeben, dass eine Karriere als Frau möglich ist und das auch mit einer tollen Familie funktioniert.

Gleichzeitig habe ich von top ausgebildeten Juristinnen in Gesprächen zur Karriereplanung am Ende ihrer Ausbildung immer wieder vermittelt bekommen, dass sie davon ausgingen, dass es unmöglich sei, Familie und Karriere in einer Großkanzlei miteinander zu vereinbaren. Dabei schien nicht nur der Eindruck zu bestehen, dass es schwierig ist oder man einen hohen Preis für die Vereinbarkeit zahlt, da man aufgrund der zeitlichen Anforderungen des Jobs wenig Zeit für seine Familie hat. Sondern der Eindruck war scheinbar wirklich, es ginge gar nicht. Dabei hatte ich ja parallel in den Kanzleien gesehen, dass sich dieses Problem für Männer (die regelmäßig vier Kinder hatten und Partner waren) offenbar nicht stellte.

Ich habe mich daher mit der Frage beschäftigt, woher diese Unterschiede kommen, und kam zu dem Schluss, dass viele Männer die Vereinbarkeit durch die wie Sand am Meer vorhandenen männlichen Vorbilder um sie herum als selbstverständlich wahrnahmen, während für Frauen durch das Fehlen erlebbarer Vorbilder das Gegenteil der Fall war.

Da ich bei mir selbst die inspirierende Wirkung von Vorbildern erfahren hatte, wollte ich eine Plattform schaffen, um Vorbilder auch für andere Frauen erlebbar machen. Durch diese wollen wir Frauen dazu inspirieren, ihren eigenen Karriereweg (was auch immer man darunter versteht, das ist sehr individuell) weiter zu verfolgen und sich nicht von vornherein zu beschränken. Auch wenn das Thema Gleichberechtigung wie ein komplexes Mosaik ist, von dem wir nur einen kleinen Mosaikbaustein adressieren können, wollen wir so zum Fortschritt beitragen.

Erhaltet Ihr denn auch negatives Feedback für Eure Arbeit, auch wenn mir das schwer vorstellbar erscheint?​

Mir gegenüber bisher kaum, aber es ist natürlich denkbar, dass es Vorbehalte gibt. Am ehesten erlebe ich – sowohl mit Blick auf breaking.through als auch auf andere Netzwerke, die sich als safer space für von Diskriminierung Betroffene verstehen – dass ein gewisser Rechtfertigungsbedarf für exklusive Events besteht. Die meisten unserer Events sind auch für Männer frei zugänglich, unsere (kostenintensiven) Workshops jedoch nicht. Interessant finde ich dabei aber, dass auch zu den anderen Events kaum Männer kommen. Das mag unter anderem daran liegen, dass wir als Frauennetzwerk wahrgenommen werden. Ich frage mich manchmal aber auch, inwieweit Männer überhaupt Interesse am Thema Gleichberechtigung haben. Erst kürzlich gab es etwa eine Veranstaltung zum Thema Vereinbarkeit in einer Großkanzlei, die nicht exklusiv auf Frauen zugeschnitten war, und einer der Referenten berichtete im Anschluss daran, dass kein einziger männlicher Anwalt an der Veranstaltung teilgenommen habe.

Das ist ja interessant. Glaubst Du, Männer sorgen sich, dass sie als „lame duck“ wahrgenommen werden, wenn sie sich mit „Familienthemen“ beschäftigen und sich dazu öffentlich positionieren?​ 

Ich kann da nur spekulieren. Einige Männer haben das mir gegenüber offen so eingeräumt, aber ich kann nicht einschätzen, wie repräsentativ das war. Vorstellen kann ich es mir jedoch sehr gut, denn das Thema wird in unserer Gesellschaft ja nach wie vor insbesondere Frauen zugeschoben. Auch Frauen exponieren sich mit dem Thema, gehen etwa Karriererisiken ein, wenn sie zum Beispiel in Teilzeit arbeiten. Für Frauen ist es nur viel anerkannter oder entspricht gar der Erwartungshaltung an sie, dass sie sich um solche Themen kümmern. Demgegenüber wird man als Mann tatsächlich wohl noch häufiger abgebügelt, wenn man sich mit dem Thema offen positioniert.

Du hast die letzten fünf Jahre viele tolle Vorbilder getroffen. Sind da Begegnungen oder Zitate besonders hängen geblieben? Oder gab es gar einen entscheidenden Moment für Dich?

Da waren ganz viele solcher Momente dabei. Ich finde es allgemein immer wieder toll zu sehen, wie die Juristinnen, die ich getroffen habe, ihren eigenen Weg gegangen sind. Das war für mich auch mein erstes Learning mit Blick auf Karrierewege und Karriereentwicklung aus der Zeit, in der ich selbst noch ganz viele Interviews für breaking.through geführt habe. Heute schaffe ich das nicht mehr, was ich sehr bedauere. Ich fand es immer spannend zu sehen, dass kein Weg dem anderen glich, die Frauen vielmehr einen ganz eigenen Weg für sich gefunden haben. Dadurch habe ich erkannt, dass es nicht den einen richtigen Weg gibt. Im Umkehrschluss dazu gibt es aber auch keinen per se falschen Weg. Das finde ich ermutigend.

Und es gibt viel weniger geradlinige Wege als man vermuten würde, oder?
 
Ja. Das fängt schon mit so banalen Fragen an, wie wann eigentlich ein guter Zeitpunkt ist, um ein Kind zu kriegen. Unsere Ausbildung ist nicht besonders familienfreundlich  in den ersten Jahren nach dem Berufseinstieg möchte man ggf. nicht gleich wieder raus aus dem Job, und die langen Karrierewege machen es auch schwierig darauf zu setzen, erst mal eine gehobene Position anzustreben. Gefühlt passt es daher irgendwie nie. Aber ebenso gut kann man sagen, dass es immer gleich gut passt. Man kann sich frei davon machen, dass es den einen richtigen Zeitpunkt gäbe.
Du hast selbst ja auch Kinder. Das heißt, das Du hast das nicht nur irgendwie zur Kenntnis genommen, sondern auch tatsächlich so umgesetzt oder?
Absolut. Ich hatte vor der Gründung vor breaking.through mal einen Erfahrungsbericht einer Referendarin gelesen, der für mich damals ausschlaggebend dafür war, meine Kinder bereits während der Ausbildung zu bekommen. Ich habe zu dem Zeitpunkt promoviert und musste auch noch das Referendariat absolvieren. Insofern habe ich mich sehr intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, ob und wie sehr ich mit der Entscheidung möglicherweise meine beruflichen Perspektiven negativ beeinflussen würde, sowohl was meine Note im zweiten Staatsexamen angeht als auch mögliche Vorurteile mir als Mutter gegenüber beim Berufseinstieg. Mit Blick auf die erste Frage hat mich damals besagter Erfahrungsbericht einer Referendarin bestärkt, die im Referendariat ihr zweites oder drittes Kind bekommen hat. Ihr Fazit war, dass es sehr anstrengend, aber machbar sei. Also dachte ich mir damals, wenn sie das mit drei Kindern schaffen konnte, würde ich das mit einem auch schon schaffen. Genau so war es dann nachher auch – total anstrengend, aber für mich auch genau das Richtige. Ich würde es heute wieder so machen.
Wir haben den Gedanken später übrigens bei breaking.through aufgegriffen und eine eigene Serie daraus gemacht. Unter der Überschrift „Alltagshelden“ interviewen wir Juristinnen, die von ihren Erfahrungen zum Thema juristische Ausbildung mit Kind(ern) berichten.

Was ist denn Dein Fazit aus fünf Jahren breaking.through? Gab es irgendwelche Veränderungen im Bereich Gleichstellung in den fünf Jahren?

Definitiv. Eine erste Veränderung habe ich schon zwischen 2016 und 2018 wahrgenommen. Als ich 2016 erstmals über die Gründung von breaking.through nachdachte, hatte ich gewisse Bedenken, mich mit dem Thema zu positionieren, da ich mit erheblichen Vorurteilen rechnete. Ich habe das Projekt dann aber erst mal wegen meiner Schwangerschaft zurückgestellt, um mich bis zur Geburt noch vollständig auf meine Promotion konzentrieren zu können. Nach der Geburt habe ich spezifische Zeitfenster genutzt, in denen ich zwar nicht an der Doktorarbeit weiterschreiben konnte, aber Gespräche für breaking.through führen konnte. Beim Launch 2018 hatte ich dann das Gefühl, dass sich mit Blick auf das Thema im Markt etwas verändert hatte. Das Thema Gender Diversity war inzwischen angekommen und breaking.through damit das richtige Projekt zur richtigen Zeit.

Seit der Gründung nehme ich eine Veränderung dahingehend war, dass man auch in Deutschland zunehmend die intersektionale Dimension des Themas versteht. Die Awareness ist also größer geworden. Auf den Führungsebenen hat sich allerdings leider nach wie vor noch nicht so viel verändert. Mir macht aber Hoffnung, dass die jüngeren Generationen Fortschritte zunehmend einfordern.

Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Mit Ruth Bader Ginsburg hätte ich unfassbar gerne ein Interview geführt. Oder mit Michelle Obama. Im deutschen Markt gibt es natürlich ebenfalls ganz tolle Vorbilder, aber die sind für uns deutlich erreichbarer, weshalb ich mich hier auf die beiden Namen beschränke.

 
Vielen Dank für das spannende Interview!

Frankfurt a.M., 7. Oktober 2023. Das Interview führte Dr. Christine Straub zusammen mit Marc Ohrendorf von „Irgendwas mit Recht“. Mehr von Dr. Nadja Harraschain gibt es im Podcast „Irgendwas mit Recht“ zu erfahren, hört rein!

Hier mit Kapitelübersicht und Transkript.

 

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