Prof. Dr. Nele Matz-Lück, LL.M. im Porträt
„Glück allein führt nicht zu einer Karriere, nur aktives Interesse.“
Prof. Dr. Nele Matz-Lück LL.M., Professorin und Institutsdirektorin am Walter-Schücking-Institut für Internationales Recht, ehemalige Vizepräsidentin der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Richterin am Verfassungsgericht Schleswig-Holstein, über den langen und teilweise steinigen Weg zur Professur, Kinderbetreuung auf einer befristeten Vollzeitstelle in der Wissenschaft und ihre Leidenschaft für Seevölkerrecht und Umweltschutz.
Prof. Matz-Lück, Sie sind Professorin am Walter-Schücking-Institut für Internationales Recht, geschäftsführende Institutsdirektorin und ehemalige Vizepräsidentin der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Was macht Ihnen an Ihrem Beruf besonders Freude?
Die Freiheiten, meine Themen aussuchen zu können. Ich kann meine Energie voll und ganz auf meine Forschung richten. Zudem macht es mir auch sehr viel Freude, ein Institut zu führen und zusammen zu halten. Ich denke, es muss eine gute Mischung zu sein, je mehr Freiheit ich habe, meine Themen selber zu wählen, desto mehr nehme ich in Kauf, auch die Aufgaben zu erfüllen, die mir weniger Freude und Spaß bereiten.
Gleichzeitig sind Sie seit 2018 Richterin am Landesverfassungsgericht Schleswig-Holstein. Inwieweit unterscheidet sich die Richter:innentätigkeit von der Professor:innentätigkeit und inwieweit ergänzen sie sich?
Ich habe das Beste aus beiden Welten. Ich kann mich einerseits auf meine Forschung konzentrieren, insbesondere auf das Seerecht, was eher international geprägt ist. Auf der anderen Seite steht die Richter:innentätigkeit mit nationalem Verfassungsrecht, welche man im Kollektiv mit sechs anderen Richter:innen wahrnimmt und gezielte Fälle bearbeitet. Damit geht viel Abstimmung und Diskussion einher, bevor man zu einem Ergebnis kommt. Das ist ganz anders als im Institut, wo ich eher alleine und oft eher abstrakt arbeite. Das finde ich beides spannend.
Beide Tätigkeiten ergänzen sich nicht so sehr. Es sind doch sehr unterschiedliche Tätigkeiten. Das Arbeiten am Verfassungsgericht ist näher an dem, was man im zweiten Staatsexamen lernt und was mir auch sehr viel Spaß gemacht hat. Für die Professur hätte ich für meinen Forschungsbereich nicht zwingend Jura studieren müssen, da hätten ein Politikbachelor und -masterstudium mit dem Schwerpunkt im Völkerrecht womöglich gereicht. Aber dafür kann ich mein Wissen aus dem Jurastudium jetzt am Verfassungsgericht und natürlich weiterhin für die Lehrtätigkeit im deutschen öffentlichen Recht nutzen. Ich prüfe ja auch im Ersten Staatsexamen. Das Schöne am Verfassungsgericht ist auch, dass es kein Massengeschäft ist, sondern eher wie Rosinenpicken, anders als am Landgericht oder in der Verwaltungsgerichtsbarkeit zum Beispiel. Diesen Beruf konnte ich mir auch mal vorstellen, aber die Aktenberge, die möglichst schnell von links nach rechts bearbeitet werden müssen, haben mich abgeschreckt. Das ist am Verfassungsgericht anders, wo man nur wenige Fälle im Jahr hat. Das ist sehr angenehm.
Sie haben Jura in Trier, Lausanne und Heidelberg studiert und am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht promoviert. Wie sind Sie auf Ihre jetzige Spezialisierung, das Seevölkerrecht, gekommen?
Ich hatte im Studium keine Berührungspunkte mit Seevölkerrecht, ich habe nie eine völkerrechtliche Vorlesung besucht. Eigentlich wollte ich im nationalen oder europäischen Umweltrecht promovieren, konnte mir aber auch andere Themen vorstellen. Ich hatte schon Bewerbungen rausgeschickt, unter anderem nach Hamburg für ein Graduiertenkolleg in Law und Economics und hatte ein Angebot, in Heidelberg im Wirtschaftsrecht zu promovieren. Dass ich promovieren wollte, war zu diesem Zeitpunkt eine spannende Möglichkeit für mich, obwohl ich mich auch für einen Platz im Referendariat in Mannheim beworben hatte. Ich fand es im Ergebnis interessanter, mich vertieft mit einem Thema auseinanderzusetzen, als direkt in die Referendarsausbildung und das Zweite Examen zu gehen. Ich fand den Gedanken auch gut, an der Universität zu bleiben und dort zu arbeiten. Gleichzeitig wollte ich mir aber offenhalten, was ich später machen wollte.
Dann habe ich den Sommerkurs der Georgetown University an der Heidelberger Universität besucht. Neben einem Kurs im Europarecht von einem Heidelberger Professor, lehrte Edith Brown Weiss das Umweltvölkerrecht. Das Thema hat mich fasziniert. Sie hat mich dann zur Seite genommen und gesagt, sie würde mich gerne ihrem Kollegen Professor Rüdiger Wolfrum am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht empfehlen. Der würde gerade jemanden für eine Doktorand:innenstelle suchen. Mir sagte der Name damals nichts, aber ich habe meine Unterlagen zusammengesucht und hatte am nächsten Tag einen Termin. Und schon zwei Wochen später habe ich am Max-Planck-Institut in Heidelberg als Doktorandin angefangen. Tatsächlich hatte ich mir ein primär umweltrechtliches Thema für meine Doktorarbeit ausgedacht, aber zusammen mit Professor Wolfrum habe ich dann auch im Seevölkerrecht gearbeitet und mich dadurch immer mehr dafür begeistert. Damals war es ein totales Nischenfach, aber es ist über die Jahre immer relevanter geworden; Piraterie, die Fragen zur Beanspruchung des Festlandsockels unter dem Nordpol, die Migration über das Mittelmeer, Fragen zum Tiefseebergbau. Es sind immer mehr rechtliche Fragen dazugekommen, die nicht nur Forscher:innen, sondern auch die Öffentlichkeit bewegen und für die Expertise gefragt ist.
Sie haben bei Prof. Rüdiger Wolfrum, dem ehemaligen deutschen Richter am Seegerichtshof und Internationalen Gerichtshof, promoviert. Was macht einen guten Mentor oder eine gute Mentorin aus?
Eine:n gute:n Mentor:in schafft einem Möglichkeiten und bietet diese an, bleibt immer mit einem im Gespräch und hat ein offenes Ohr dafür, was gewollt ist. Das macht wirkliche Beratung aus: Möglichkeiten aufzuzeigen und zu besprechen, aber die Richtung offen zu lassen und gemeinsam zu entwickeln. Für mich hat Rüdiger Wolfrum immer sehr viele Möglichkeiten eröffnet. Ich habe mich sehr stark gefördert gefühlt. Rückblickend hätte ich öfters „Nein“ sagen sollen, man kann nicht immer alles machen. Aber das Arbeitsethos in der Wissenschaft war und ist teilweise auch noch so. Im Nachhinein habe ich auch sehr davon profitiert. Ich durfte auf Konferenzen und Events gehen und ihn in Vorlesungen vertreten. So konnte ich mir wirklich alles anschauen und es hat mich auf meinem Weg bestärkt.
Hatten Sie auf ihrem Karriereweg je den Eindruck, anders behandelt zu werden als Ihre männlichen Professorenkollegen?
Ganz lange nicht. Bis nach der Promotion und während der Habilitation nicht. Aber leider ist bei Berufungsverfahren die Menge qualitativ hochwertiger Publikationen ein entscheidendes Thema. Da konnte ich mit zwei kleinen Kindern zu Hause nicht so viel vorweisen wie meine männlichen Kollegen in der gleichen Position. Als es zum Beispiel um die Professur im Seevölkerrecht an der Universität Hamburg ging und ich wusste, dass ich im Berufungsverfahren an Nummer zwei stand und ich letztendlich nicht genommen wurde, kam später ein beruflicher Kontakt auf mich zu und meinte: „Es ist gut, dass nach Qualität entschieden wurde und nicht nach Geschlecht.“ Dabei bin ich absolut überzeugt davon, dass ich mehr Care-Arbeit geleistet habe, als meine männlichen Kollegen in der gleichen Position. Heute höre ich, insbesondere von männlichen Kollegen, dann: „Zwei Kinder, eine volle Stelle, neben der Professur noch habilitiert, das geht doch, sehen Sie doch Professorin Matz-Lück an.“ Das ärgert mich dann immer. Natürlich habe ich es geschafft, ich bin weit gekommen, aber unter welchen körperlichen und psychischen Anstrengungen und welchem existenziellem Druck, das wird nie erwähnt. Das Ergebnis ist toll und ich bin froh und glücklich, dass ich das geschafft habe, aber der Preis war auch sehr hoch und ich würde diesen Weg – mit dieser doppelt und dreifachen Belastung – eigentlich niemandem guten Gewissens empfehlen können.
Sie sind noch während der Zeit der Habilitation Mutter geworden. Welche Herausforderungen oder auch welche Chancen gingen damit einher?
Die Chancen bestehen eindeutig darin, dass man ganz viel über sich selbst lernt. Man kann nicht alles planen, so ist das im Leben. Die Herausforderungen gehen damit ebenfalls einher. Das selbstbestimmte Leben verliert man für eine lange Zeit. Für einen Arbeitsalltag ist es herausfordernd. Man ist abhängig von Kinderbetreuung, sei es die Kita, der Partner oder die Großeltern. Man wird in ein zeitliches Korsett gezwängt, weil man um 16 Uhr am Kindergarten sein muss, egal ob noch parallel ein Meeting läuft oder man gerade einen gedanklichen Durchbruch für die wissenschaftliche Arbeit hat. Die Zeit, in der man Ruhe für sich hat, wird sehr klein. Dabei sind die Notfallanrufe wie „Ihr Kind ist vom Klettergerüst gefallen!“ nicht miteingerechnet. Man wird pragmatischer und man wird effektiver durch die wenige Zeit, die man hat. Man sagt ja immer, Frauen würden effektiver arbeiten, da sie weniger Zeit für den Job haben und oft Teilzeit arbeiten und trotzdem unter dem Druck der begrenzten Zeit konzentriert viel leisten. Bei mir ist das nicht so, ich arbeite am besten, wenn ich weiß, dass ich zum Tagesende hin unbegrenzt Zeit habe. Die Woche in Dubai bei der COP28, bei der ich im Dezember 2023 war, war dahingehend super. Ich hatte keine Termine und Einflüsse von außen und konnte frei entscheiden, auf welche Veranstaltungen ich gehe oder nicht und welchen anderen Aufgaben ich mich widme. Da habe ich wirklich etwas geschafft und bin mit der Arbeit gut vorangekommen.
Sie sind aufgrund Ihrer Arbeit im Internationalen Recht viel in der Welt unterwegs, haben unter anderem Lehraufträge in Norwegen und Kanada. Wie gelingt es, das viele Reisen und die hohe Arbeitsbelastung mit einer Familie zu vereinbaren?
Es gibt kein Erfolgsrezept. Es geht nur mit einem Netzwerk, sei es mit einem Partner oder mit den Großeltern oder anderer Kinderbetreuung. Es erfordert sehr viel Organisation und das Abgeben von Verantwortung, die Frauen oft für sich vollends beanspruchen. Viele Frauen halten an der Organisationshoheit und einem Wissensvorsprung nach meiner Erfahrung gerne fest und können schlecht ganz loslassen. Ich schließe mich da ein. Das Wegfahren erfordert damit noch mehr Organisation, weil man die Tage dann im Vorfeld gut durchplanen muss. Je größer die Kinder sind, desto einfacher geht das aber. Für meine Reise zur COP28 nach Dubai habe ich das erste Mal gar nichts geplant und meine Kinder – heute elf und sechzehn Jahre – haben es überlebt, sie sind nicht untergegangen. (lacht) Die Dienstreisen waren und sind für mich auch eine Form des Abschaltens, also eine Auszeit von den familiären Verpflichtungen. Mir haben Dienstreisen immer gutgetan. Ich kann in Hotels am besten schlafen. Zu Hause fühle ich die Verantwortung, präsent und ansprechbar zu sein. Ich bin auf Abruf, falls irgendetwas passiert oder jemand etwas von mir will. Ich arbeite auf Dienstreisen auch effektiver.
Frauen halten oft an diesem Hoheitswissen fest, auch wenn sie nicht allein- oder getrennterziehend sind, wie zum Beispiel, welche Kleidergrößen die Kinder gerade tragen, wer neue Turnschuhe für den Sportunterricht braucht oder welches Geschenk für den Kindergeburtstag noch zu besorgen ist. Das führt dann unweigerlich zu der sogenannten Mental Load. Ich habe mich immer gefreut, dass die Kinder größer wurden. Mir fällt es leichter, sie an einer langen Leine zu lassen. Aber sie mussten auch frühzeitig selbstständig werden, dadurch, dass ich immer berufstätig war. Es ist auch eine Chance für die Kinder, ein gesundes Maß an Selbständigkeit zu erfahren. Natürlich darf man sie nicht überfordern, aber sie wachsen an dem Zutrauen in ihre Fähigkeiten, das man ihnen spiegelt, indem man sie loslässt. Natürlich geht dann auch mal etwas schief – ein Kind steigt in den falschen Bus oder vergisst den Schlüssel und niemand ist zu Hause –, aber auch an solchen Erfahrungen lernt man, selbst Lösungen zu finden.
Bei Ihrer Arbeit im Internationalen Recht sind Sie auf der ganzen Welt unterwegs und kommen somit auch regelmäßig mit Menschen aus anderen Kulturen in Kontakt. Stellen Sie im Vergleich zum rein „deutschen Arbeitsumfeld“ Unterschiede fest?
Es gibt Unterschiede, zum Beispiel im Vergleich zu Norwegen, wo die Ausstattung viel besser ist. So haben die Promotionsstudierende Vollzeitstellen in eigenen Büros und die Literatur ist umfangreicher vorhanden und alles ist digitalisiert. Die Ausbildungssysteme sind deutlich anders und, weil häufig das Verhältnis von Studierenden zu Professor:innen besser ist, persönlicher als in Deutschland.
Was aber auch auffällt, ist, dass gerade die Studierenden aus weniger entwickelten Ländern im Seevölkerrecht oft viel besser ausgebildet sind als ich damals im gleichen Alter. Und doch haben sie viel weniger Chancen. Sie tun sich schwer trotz ihrer hervorragenden und spezialisierten Ausbildung, einen adäquaten Job zu finden. Da ist man schon privilegiert als Jurist:in in Deutschland.
Auch wenn es bei Ihrem Lebensweg nicht so aussieht, gab es auch für Sie Momente des Zweifelns und des wenn auch nur gefühlten Scheiterns? Wie haben Sie die bewältigt?
Gab es letztendlich natürlich. Jede Dissertation hat Höhen und Tiefen. Die Promotion während des Referendariats fortzuführen und letztendlich fertigzustellen, war sicher ein Punkt, an dem ich nicht wusste, ob ich eines der beiden Dinge weitermache. Während der Habilitation hatte ich auch eine Durststrecke, das war schon anstrengend mit zwei kleinen Kindern auf einer nur befristeten Professur. Zuletzt war auch die Vizepräsidentschaft eine sehr hohe Arbeitsbelastung in dem Versuch, den Aufgaben in den Ressorts der Universitätsleitung gerecht zu werden, aber auch die eigene Forschung begrenzt weiterzuführen, Lehre und Korrekturleistungen zu erfüllen und Leitungsaufgaben am Institut wahrzunehmen.
Wenn ich wüsste, wie man das bewältigen kann, wäre ich schlauer. Man muss sich, glaube ich, selbst reflektieren, was einem wichtig ist und was Karriere für einen bedeutet. Es gibt aber kein Patentrezept. Man kann es schon als ein Scheitern ansehen, die Vizepräsidentschaft an der Universität wegen eines Burnouts vorzeitig beenden zu müssen. Ich hatte teilweise zehn Stunden lang Videokonferenzen zu bewältigen, die eigentlich vor- und nachbereitet werden müssten, plus die familiären Aufgaben. Aber da muss man für sich einfach reflektieren, wie man leben möchte. Rückblickend muss ich sagen, Gott sei Dank, dass ich die Vizepräsidentschaft nicht die vollen drei Jahre zu Ende geführt habe, weil der Körper von einen Tag auf den anderen gesagt hat, er will nicht mehr. Ich habe dadurch viel über mich gelernt. Ich bin im Nachhinein gefragt worden, warum ich das Amt überhaupt angenommen habe. Es hat mich sehr gereizt, zu gestalten und es hat mir auch Spaß gemacht. Es hätte also genauso gut sein können, dass ich ohne diesen abrupten Abbruch zu dem Schluss gekommen wäre, ich möchte eine strategische Leitungsfunktion in einer Universität oder anderen Institution fortführen. Dann hätte ich mich auf entsprechende Stellen beworben. Aber durch dieses Ereignis habe ich für mich gelernt, dass ich das nicht möchte. Meine Stärken liegen woanders. Ich denke, es ist wichtig, dass man aus jedem Schritt etwas lernt. Für mich habe ich gelernt, dass eine Leitungsposition, welche mit Strategieprozessen zu tun hat, mir nicht liegt und mich, selbst wenn die Ergebnisse gut sind, zu viel Kraft kostet. Dafür führe ich sehr gerne das Institut hier.
Welche Bedeutung hat Netzwerken für Sie?
(lacht) Ich bin keine gute Netzwerkerin. Ich bin zu introvertiert. Mir glaubt das immer keiner, aber eigentlich unterhalte ich mich am liebsten mit den Leuten, die ich kenne. Auf der COP28 in Dubai habe ich mich fast nur mit denen unterhalten, die ich kenne oder die ich über diese bekannten Gesichter dann kennengelernt habe. Ich hatte auch meine Visitenkarten vergessen, obwohl ich mich die ganze Woche davor immer wieder daran erinnert habe, sie bloß mitzunehmen, schließlich ist der COP28 nichts anderes als ein riesiges Networking-Event. Wahrscheinlich wollte ich sie unterbewusst gar nicht mitnehmen und verteilen. Andere haben einfach frei ihre Visitenkarten verteilt, ohne dass man wusste, was sie genau machen. Das ist das andere Extrem und auch nicht sinnvoll, aber das „Vergessen“ in meinem Fall ist schon bezeichnend.
Netzwerke sind aber unglaublich wichtig. Insbesondere für Frauen sind sie von Bedeutung und insbesondere auch in der Wissenschaft. Wir haben letztes Jahr deswegen im Rahmen des „Justitia-Programms“, ein Programm für junge Wissenschaftlerinnen, ein Event extra zum Netzwerken organisiert, um dieses Thema noch einmal zu unterstreichen.
Sie setzen sich in verschiedenen Projekten für Gleichberechtigung und wissenschaftlichen Nachwuchs ein. Welche Chancen und Risiken sehen Sie in der wissenschaftlichen juristischen Karriere, insbesondere für Frauen?
Ich glaube, dass wir noch mehr weiblichen Professorinnen brauchen. Die Bedingungen sind aber weiterhin schlecht und für Frauen noch deutlich schlechter. Wir haben durchschnittlich mehr weibliche Jurastudierende, im Referendariat und selbst noch bei den Doktorand:innen ist es dann 50:50, aber danach bricht die Frauenquote deutlich ein. Es ist für Frauen weiterhin abschreckender als für Männer, sich auf den sehr unsicheren Weg einer Karriere an der Hochschule einzulassen, gerade im Hinblick auf Familiengründung. Zudem sind die Arbeitsbedingungen schlecht. Ich hatte zum Beispiel bis zu meiner Promotion keine weibliche Professorin und damit überhaupt kein Vorbild. Gleichzeitig muss sich etwas ändern, allein wenn man sich diese Stereotypen in den Fallbeispielen anschaut: Der Unternehmer U verkauft der Hausfrau H ein Auto. Das ist jetzt ein harmloses Beispiel. Es gibt ganz andere und unverhohlen sexistische Beispiele in Klausuren und Übungsfällen. Wären mehr Frauen in der Wissenschaft, würden solche Fälle gar nicht mehr gestellt werden. Frauen würden das ganz anders formulieren und andere Fallbeispiele erfinden.
Aber leider sind immer noch viel zu wenig Frauen in der Wissenschaft und diese bekommen dann auch seltener Kinder. Als ich meinen zweiten Sohn bekommen habe, habe ich versucht, herauszufinden, ob sich die befristete Stelle nach der Elternzeit verlängert. Da hätte ich mal besser selbst ins Gesetz geguckt. Erst einmal wusste nämlich keiner Bescheid, egal, wo ich angerufen habe, und dann wurde mir auch noch erwidert: „Professorinnen bekommen keine Kinder.“ Damals war das natürlich scherzhaft gemeint, dennoch ist es bezeichnend. Es steht für das, was unserer Generation immer eingebläut wurde: „Die Professur ist kein Beruf, es ist eine Berufung.“ Diese Ansicht ändert sich heute ein wenig, aber viele arbeiten noch heute so.
Was würden Sie jungen Juristinnen grundsätzlich raten, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen?
Von Anfang an an einer Work-Life-Balance arbeiten. Natürlich gibt es immer Phasen, im Studium und im Beruf, in denen man viel arbeitet. Das hat seine Berechtigung, wenn es wirklich nur eine zeitlich begrenzte Phase ist. Aber man braucht dann auch eine Pause, diese Freiräume muss man sich schaffen. Diesen Phasen der Ruhe kommen auch nicht von alleine. Die muss man sich bewusst schaffen und manchmal erkämpfen. Nur so kann es langfristig funktionieren. Insbesondere wenn man das gefunden hat, was man machen möchte, sollte man auch so arbeiten, dass man die Begeisterung dafür behält. Das geht nur durch genügend Freiräume.
Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?
Edith Brown Weiss hat mich biografisch am meisten inspiriert und begeistert. Ich habe sehr viel von ihr gelesen. Insbesondere ihre Publikationen über Intergenerational Equity waren damals bahnbrechend und für meine Generation wirklich neu und inspirierend. Gleichzeitig war sie nahbar und sie hat mir die Tür für meinen späteren Werdegang geöffnet, in dem sie mich an Professor Wolfrum vermittelt hat. Früher habe ich immer gesagt, ich hätte damals Glück gehabt, aber das Narrativ habe ich mittlerweile abgelegt. Schließlich habe ich mich damals bewusst für die Summerschool der Georgetown University entschieden, als meine Kommiliton:innen nach dem Ersten Examen in den Urlaub gefahren sind, und so bin ich hier hingekommen, wo ich jetzt bin.
Vielen Dank für das spannende Interview!
Kiel, 14. Dezember 2023. Das Interview führte Mara Alin Brinker.
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