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Niamh Leinwather im Porträt

„Kreativität braucht Raum und Zeit, um zu gedeihen.”

Niamh Leinwather, Generalsekretärin des Vienna International Arbitral Centre (VIAC), über ihren Weg von Irland nach Österreich, ihre Leidenschaft für das Schiedsverfahrensrecht und die Besonderheiten der Tätigkeit für eine Schiedsinstitution.

Niamh, Du hast als Irin Österreich in einem Erasmusjahr kennengelernt und bist nach Abschluss Deines Jurastudiums in Irland ganz nach Österreich gezogen. Wie ist es Dir gelungen, in Österreich juristisch Fuß zu fassen?

Als ich nach Österreich kam, habe ich zunächst den klassischen Weg einer österreichischen Konzipientin begonnen – allerdings nicht bewusst. EU-Bürger*innen können nämlich mit abgeschlossenem Jus Studium direkt ins österreichische Gerichtsjahr starten. Dieses Gerichtsjahr dauerte damals neun Monate und beinhaltete drei verschiedene Stationen. Mich interessierte diese abwechslungsreiche Ausbildung des Gerichtsjahrs. An das Gerichtsjahr schließt sich die praktische Ausbildung in einer Kanzlei an, bevor die Rechtsanwaltsprüfung abgelegt werden kann. Erst während meines Gerichtsjahres ist mir die Idee gekommen, auch die Nostrifizierung, d.h. die Anerkennung meines ausländischen Abschlusses, vorzunehmen.

 

Mein Weg in Österreich war keinesfalls im Vorfeld von mir skizziert, sondern hat sich vor Ort mit jedem neuen Schritt und durch verschiedene Begegnungen entwickelt. Als ich nach Österreich kam, hatte ich noch nicht das Ziel, die österreichische Rechtsanwaltsprüfung abzulegen. Das Gegenteil war der Fall: Ich bin ins Gerichtsjahr gestartet, um mich auszuprobieren – um zu schauen, welche Arbeitsbereiche mich in der Praxis wirklich ansprechen.

 

Am Ende waren es vor allem meine Kolleg*innen in der Schiedsrechtsabteilung bei Freshfields die mir dabei geholfen haben, Fuß zu fassen. Ich habe einen engen Kreis von ehemaligen Kolleg*innen, die mir den klassischen österreichischen Weg zeigten und mir halfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Als beispielsweise die Frage aufkam, ob ich die Rechtsanwaltsprüfung ablegen soll, standen mir diese Kolleg*innen und auch die Partner*innen mit Rat und Tat zur Seite.

 

Was fiel Dir besonders schwer beim Einleben in Österreich?

Zu Beginn war es vor allem die Sprachbarriere. Ich hatte in der Schule zwar Deutsch als Fremdsprache, die Kommunikation zu Beginn meines Erasmusjahres war aber trotzdem holprig. Mich im Erasmusjahr mit Germanistik-Studierenden angefreundet zu haben, hat mir geholfen, meine Sprachkenntnisse auszubauen. Eine kleine Anekdote hierzu: Zu Beginn meiner Zeit in Österreich habe ich einmal Palatschinken bestellt – ein österreichischer Pfannkuchen – und versucht, ihn zurück in die Küche bringen zu lassen, weil kein Schinken dabei war. Der Kellner war etwas verwirrt und ich bin erst viel später darauf gekommen warum.

 

Neben diesen Sprachproblemen haben Fremdheitsgefühle das Einleben teilweise erschwert. Mit zunehmenden Sprachkenntnissen verflog dieses Fremdheitsgefühl aber zum Glück, denn ich verstand die kulturellen Unterschiede besser. So habe ich den „Wiener Schmäh“ mit besseren Deutschkenntnissen nicht mehr als Unhöflichkeit mir gegenüber aufgefasst, sondern gelernt ihn zu schätzen und mittlerweile möchte ich ihn nicht missen!

Auf dem deutschen Arbeitsmarkt hören wir immer wieder, dass ausländische Jurist*innen unter schlechteren Arbeitsbedingungen leiden, wie einer pay gap und befristeten Arbeitsverträgen. Wie steht es um die Gleichbehandlung von ausländischen Jurist*innen in Österreich?

Ich selbst habe keine Ungleichbehandlung erfahren, weil ich die vollständige österreichische Ausbildung als Juristin durchlaufen habe. Bei Kolleg*innen, die keinen österreichischen Abschluss hatten, habe ich aber schwierigere Arbeitsbedingungen wie eine pay gap oder befristete Arbeitsverträge gesehen.

Die Großkanzleien – in denen die ausländischen Jurist*innen primär eingesetzt werden – profitieren ungemein von den ausländischen Qualifikationen und Expertisen der vielfältig ausgebildeten Jurist*innen. Dieser Profit muss aus meiner Sicht anerkannt und monetär belohnt werden! Erfreulicherweise habe ich in den letzten Jahren hier schon eine Verbesserung wahrgenommen, beispielsweise eine Abkehr von der pay gap. Die Aufmerksamkeit auf dieses Thema steigt und sollte auch weiter steigen. Das hilft!

Nach wenigen Jahren als Anwältin im Real Estate hast Du vor ca. zehn Jahren den Weg in das Schiedsverfahrensrecht gefunden und bis vor kurzem in diesem Bereich in einer Großkanzlei gearbeitet. Was hat Dir am Schiedsverfahrensrecht gefallen?

Vor allem die ausgeprägte Internationalität. Das ist wirklich etwas Besonderes in der Schiedsgerichtsbarkeit! Die vielen verschiedenen Jurisdiktionen, verschiedenen Parteien und Anwält*innen, die Frage nach dem anwendbaren Recht – deren Beantwortung unterschiedlich ausfällt –, die Zusammenarbeit mit lokalen Parteivertreter*innen anderer Rechtssysteme, und die großen, grenzüberschreitenden Fälle; all das hat mir unheimlich gut gefallen! Kein Fall war wie der andere. Ich hatte oft die Möglichkeit, mit anderen Standorten in anderen Städten und Ländern zusammenzuarbeiten und habe dadurch viele verschiedene, spannende Persönlichkeiten kennengelernt.

 

Inhaltlich finde ich an streitigen Verfahren wahnsinnig interessant, dass die Arbeit materiell-rechtlich so facettenreich ist. Ich erhielt Einblicke in Rechtsbereiche, von denen ich zu Beginn nicht viel Ahnung hatte. Am Ende eines Verfahrens kannte ich mich dann beispielsweise mit spezifischen Fragen des Steuerrechts, speziellen gesellschaftsrechtlichen Sonderfragen und sogar dem Autobahnbau aus.

 

Besonders spannend fand ich die Schiedsverhandlung selbst: Alle Vorbereitungen, also die Schriftsatzrunden und der Austausch mit der Gegenseite, dem Schiedsgericht und den Zeugen, finden den Höhepunkt in der Schiedsverhandlung. Das hat mir immer sehr gut gefallen! Der oft ähnliche Ablauf hat noch einen anderen Vorteil besonders als Mutter von drei Kindern: die Planbarkeit.

Seit Anfang des Jahres bist Du nun Generalsekretärin des Vienna International Arbitral Centre (VIAC). Was hat Dich motiviert, von der Großkanzlei in eine Schiedsinstitution zu wechseln?

Nach zehn Jahren als Anwältin verspürte ich den Drang nach einer Veränderung und einer neuen Herausforderung, wollte aber weiterhin in der Schiedsgerichtsbarkeit bleiben. Die konkrete Gelegenheit hat sich dann eher zufällig ergeben und ich dachte mir: „Jetzt oder nie!“. Der Perspektivwechsel von der Kanzlei in eine Schiedsinstitution hat mich gereizt.

 

Die konkrete Entscheidung für das VIAC war zudem eine emotionale Entscheidung. Ich begreife mich als eine Wahl-Österreicherin und bin stolz auf den Schiedsort Wien. Dass mir die Personen, die hinter dem VIAC stehen, das Vertrauen ausgesprochen haben, diesen Schiedsort nach außen zu vertreten und inhaltlich fortzuentwickeln, ist und bleibt eine Ehre für mich!

Wie sieht Dein Arbeitsalltag als Generalsekretärin des VIAC aus?

Kein Tag gleicht dem anderen! Und genau das gefällt mir in der Regel auch sehr gut. Trotzdem lässt sich meine Arbeit grob in die Fallarbeit, akute problematische Bereiche (wie zum Beispiel Sanktionen) und die allgemeine Positionierung des VIAC einteilen. Ich muss bei allen Themen immer den Überblick behalten, also wissen, wo wir stehen und wo wir hinwollen.

 

Bei meiner Arbeit hat die Fallarbeit höchste Priorität. Alle dringenden und komplizierten Fälle müssen im Sinne der Effizienz gründlich und schnellstmöglich von mir oder meiner Stellvertreterin abgearbeitet werden. Nichts darf liegen bleiben, denn wir wollen unseren Nutzer*innen eine gute Dienstleistung anbieten.

 

Problembereiche und Problemthemen sind beispielsweise seit Februar die Sanktionen mit Russland und russischen Parteien. Hiermit beschäftige ich mich ebenfalls fast täglich. Wir wollen für uns und für die Parteien Klarheit schaffen im täglichen Umgang mit diesen Themen.

 

Daneben beschäftigt mich die Positionierung des VIAC, hauptsächlich unsere Zukunftsstrategie. Wir müssen den Markt beobachten und schauen wie er sich entwickelt und als Institution entsprechend reagieren. Dazu gehören unter anderem konkrete Marketingmaßnahmen (zum Beispiel die Planung und Durchführung von Events und Publikationen), das Zusammenstellen von Arbeitsgruppen und das Fördern verschiedener Initiativen, wie zum Beispiel die Diversity (ERA Pledge) oder Green Arbitration.

Wie unterscheidet sich Dein jetziger Arbeitsalltag von dem in der Großkanzlei?

Die Arbeitsalltage unterscheiden sich stark voneinander! Mein jetziger Alltag ist wenig planbar. Eine Kollegin einer anderen Institution sagte mir zu Beginn meiner neuen Tätigkeit, dass die Position einer Generalsekretärin in einer Schiedsinstitution beinhaltet, konstant sehr viele Bälle in der Luft zu halten. Diesem Bild kann ich nur zustimmen.

 

Es gibt sehr viele unterschiedliche Aufgaben – organisatorisch und administrativ, rechtlich und personell –, die parallel bearbeitet werden müssen. Sicher sind nicht immer alle Themen gleich akut. Trotzdem muss ich alle im Blick behalten. Das ist ganz anders als in der Kanzlei. Dort habe ich in der Regel an einem oder zwei großen Schiedsverfahren gearbeitet. Die Themen innerhalb eines Verfahrens waren zwar auch vielseitig. Sie hingen aber alle miteinander zusammen. Zudem gab es innerhalb des Verfahrens auch ruhigere Zeiten, wie beispielswiese die lange Schriftsatzarbeit. Jetzt ist meine Arbeit viel dynamischer und ich habe mehr Kontakt nach außen, was mir sehr gut gefällt.

 

Daneben bietet und verlangt meine jetzige Tätigkeit mehr Raum für Kreativität und meine eigenen Ideen. In der Kanzlei war es oft so, dass Kolleg*innen davon sprachen, dass ihnen bestimmte Argumente oder Strategien für einen Fall in ihrer Freizeit oder unter der Dusche einfielen. Für mich sagt dieser Umstand sehr viel aus: Kreativität braucht Raum und Zeit, um zu gedeihen. Ich versuche, mir diese Zeit in meinen Berufsalltag einzubauen, denn um gute Arbeit leisten zu können brauche ich Raum und Zeit für Kreativität. Beispielsweise ist mir die Idee für VIACs CAN (Community Ambassador Network) Initiative in einer Zeit gekommen, die ich mir bewusst für neue Initiativen eingeräumt hatte.

Was gefällt Dir besonders gut an Deiner neuen Tätigkeit?

 

Mir gefällt es, den Überblick über und damit auch den Einblick in viele verschiedene Themenbereiche zu haben und zu erhalten. Die strategischen Überlegungen, die ich hierbei anstellen kann, sagen mir ebenfalls sehr zu. Ich beschäftige mich gerne mit den Fragen zur Entwicklungsrichtung der Institution und der Zielerreichung. In einer kleineren Institution ist es dankenswerterweise möglich, neue Ideen rasch umzusetzen. Auch macht es mir sehr viel Freude, Kontakte nach außen zu pflegen und die Schiedsinstitution nach außen zu vertreten.

Du erwähntest in unserem Vorgespräch, dass in Institutionen viele Frauen arbeiten. Was ist Deine Erklärung hierfür?

Die Arbeit in einer Schiedsinstitution ist ein „Frauen-freundlicher“ Beruf, wenn man das so sagen kann. Es besteht die Möglichkeit, an vielen spannenden Fällen zu arbeiten und am Puls der Zeit zu bleiben, ohne dass eine Anzahl an Stunden investiert werden muss, die keinen Raum mehr für andere Aktivitäten oder Familie lässt. Die Strukturen der Schiedsinstitutionen ergeben mehr Raum für eine Work-Life Balance.

Niamh, als Generalsekretarin bist Du nicht nur für das Case Management der Schiedsinstitution, sondern auch für eine allgemeinere Strategie zuständig. Wo siehst Du das VIAC in 50 Jahren? 

Ich habe zu Beginn des Jahres und damit zu Beginn meiner Tätigkeit gesagt, dass mein Ziel ist, dass das VIAC die Nummer Eins in Zentral- und Osteuropa wird, d.h., dass hier Verträge selbstverständlich ein Schiedsverfahren unter den VIAC-Regeln vorsehen. Optimalerweise haben wir uns auch noch weiterentwickelt und sind auch in Asien ein starker Player. Daneben ist mein Ziel, dass das VIAC eine besondere Expertise in bestimmten Sektoren entwickelt, wie zum Beispiel im Energiebereich, der Bauschiedsgerichtsbarkeit und Legal Tech.

 

Zuletzt hoffe ich, dass wir in spätestens 50 Jahren in einer gleichberechtigten Welt leben und bei der Benennung des Schiedsgerichts selbstverständlich Frauen hälftig präsent sind. Ich meine hier alle Benennungen, d.h. die durch Parteien und die durch Institutionen.

Gibt es auch eine Prognose für Deine eigene Zukunft? Welche Pläne hast Du?  

Zunächst werde ich die nächsten fünf Jahre hier beim VIAC mein Bestes geben und schauen, dass ich in meiner jetzigen Bestellung möglichst viele meiner Ziele für das VIAC umsetzen kann. Ich bin gespannt auf die Reflexion in fünf Jahren, bei der ich schaue, ob ich all meine Ziele erreichen konnte. Danach werden das VIAC Präsidium und ich schauen, ob eine weitere Amtszeit notwendig ist, um meine Ideen umzusetzen. Ich freue mich jedenfalls auf die unmittelbaren Herausforderungen.

Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Mich hat Eliane Fischer, Partnerin bei rothorn legal, sehr inspiriert. Sie ist eine ehemalige Kollegin von Freshfields und hat mich schon immer mit ihrem strategischen Denken, ihrer Einstellung und ihrer Arbeitsweise beeindruckt. Sie hat sich in der Schiedsszene um viele Initiativen bemüht und auch außerhalb ihrer Tätigkeit als Anwältin mit originellen Ideen beeindruckt.

 

Da ihr Eliane aber schon porträtiert habt, möchte ich gerne noch eine weitere Person nennen: Claudia Annacker, Präsidiumsmitglied des VIAC und Partnerin bei Dechert in Paris. Sie ist Österreicherin mit einem starken internationalen Profil. Sie hat ein beeindruckendes Renommee und ist gleichzeitig bodenständig und zugänglich. Ein tolles Vorbild!

Vielen Dank für das spannende Interview!

Wien / Düsseldorf, August 2022. Die Fragen stellte Dr. Ilka Beimel.

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