Dr. Nicole Englisch im Porträt
„Kanzleien müssen Frauen zeigen, dass Karriere auch mit Familie funktioniert.“
Dr. Nicole Englisch, Partnerin bei Clifford Chance, darüber, wie bei ihr seit knapp 20 Jahren eine unkonventionelle Form der Teilzeitarbeit in einer Wirtschaftskanzlei funktioniert und warum "de-SPACs" unter anderem ein Grund dafür sind, dass sie nach vielen Jahren immer noch von dem Fachbereich Corporate/M&A fasziniert ist.
Liebe Frau Dr. Englisch, Sie sind Partnerin für Corporate/M&A mit dem Schwerpunkt Private Equity. Wie sind Sie zu diesem Fachbereich gekommen?
Durch Zufall. 1998 habe ich angefangen als Rechtsanwältin zu arbeiten. Es gab damals während des Studiums oder Referendariats keine Berührungspunkte mit dem Thema Unternehmenskauf oder Private Equity – jedenfalls nicht in Deutschland. Beim Bewerbungsgespräch wurde ich gefragt, ob ich Corporate oder Finance machen möchte. Ich habe zum internationalen Kaufrecht promoviert und dazu passte Gesellschaftsrecht – auch wenn man regelmäßig die Vorschriften zum internationalen Kaufrecht in Unternehmenskaufverträgen ausschließt. Zum Anwaltsberuf und dem Fachbereich passte außerdem, dass mich internationales Arbeiten und Sprachen immer schon interessiert haben.
Was fasziniert Sie an diesem Fachbereich besonders?
Er ist sehr vielfältig. Ich bin 53 Jahre und berate seit über 20 Jahren M&A Transaktionen. Trotzdem gibt es bei jeder Transaktion immer wieder spannende und neue juristische oder wirtschaftliche Themen – gerade arbeite ich beispielsweise an meinem ersten "de-SPAC", also der Übernahme eines operativen Unternehmens durch einen börsennotierten Unternehmensmantel (SPAC).
Jede Transaktion ist anders, jede hat andere Herausforderungen, man lernt immer Neues dazu – das fasziniert mich, da ich immer neugierig auf diese Welt bin.
Sie sind im Office Management von Clifford Chance tätig. Was gehört zu Ihren Aufgaben?
Der Münchner Standort ist der Kleinste von Clifford Chance in Deutschland. Für mich bedeutet diese Rolle insbesondere „people handling“ und Personalmanagement, kein reines Office Management, das sich oftmals rund um die Immobilie dreht. Bei mir hängen eindeutig die zwischenmenschlichen Themen und das erfordert Empathie und Feingefühl. Ich kümmere mich auch um Abgänge, Neuzugänge und lateral Prozesse.
Was empfanden Sie auf dem Weg zu Ihrer heutigen Position als größte Herausforderung?
Die größte Herausforderung war die Zeit als die Kinder klein waren. Ich hatte das Glück damals schon Partnerin zu sein. Ich muss zugeben, dass es für mich eine Herausforderung war, bei der Stange zu bleiben und nicht alles hinzuschmeißen. Ich habe zwar „nur“ Teilzeit gearbeitet, aber kurz vor dem Abschluss einer Transaktion waren das dann mal eher 130 Prozent. Jetzt sind die Kinder schon 13 und 17 Jahre und ich freue mich, dabei geblieben zu sein. Ich liebe die Freiheit zu arbeiten, wann ich will, das ist aus meiner Sicht als Rechtsanwältin in einer großen Kanzlei einfacher als etwa in einer Rechtsabteilung.
Das Thema Leadership ist insbesondere in der COVID-19-Pandemie noch einmal mehr in den Fokus geraten. Was macht aus Ihrer Sicht eine gute Führungspersönlichkeit aus?
Für mich ist das Zwischenmenschliche wichtiger als alles andere. Dazu gehört auch in schwierigen Situationen, die Teammitglieder individuell zu fordern und fördern, allen gleichermaßen Chancen zu geben. Wertschätzung ist die Voraussetzung dafür. Zu Beginn der COVID-19-Pandemie gab es Kolleg*innen, die damit nicht umgehen konnten, dass zunächst weniger zu tun war. Im M&A sind Peak-Phasen und Phasen, in denen weniger los ist aber normal. Das ist immer so, auch unabhängig von Pandemien. Wichtig war es, dem Team Zuversicht zu geben und sich in die Leute einzufühlen. Mein Team litt auch darunter, nicht ins Büro gehen zu können. Meine Erfahrung war: Je mehr man sich im Team sieht, desto besser.
Wie schaffen es Kanzleien aus Ihrer Sicht, dass sich mehr Frauen für Partner*innenpositionen interessieren?
Man muss Frauen eine Perspektive und Role Models bieten, zeigen, dass Karriere in Teilzeit möglich ist und funktioniert, ihnen Zuversicht geben, dass sie es genauso können, wie Männer. Herausfordernder ist es, wenn Frauen Kinder haben, denn sie müssen ihr Leben anders aufteilen. Sie müssen daher erst recht gefördert werden. Ein Mentoring-Programm mit männlichen und weiblichen Mentor*innen und Coaching Angebote sind ein Ansatzpunkt. Man muss Frauen außerdem klar machen und vorleben, dass Sie eine Chance auf die Partnerschaft haben und ihnen Modelle dafür bieten. Bei Clifford versuchen wir auch, den Frauen Werkzeuge mit an die Hand zu geben, damit sie intern und extern ihr individuelles Branding schärfen und damit deutlich machen, für was sie stehen. Darüber hinaus ist es aber bei Frauen und Männern gleichermaßen eine Persönlichkeitsfrage, ob ihnen die Rolle als Partnerin oder Partner zusagt.
Was verstehen Sie unter Frauenförderung?
Ich bin eher für ein Frauentalentprogramm statt Frauenförderung. Es geht nicht um Bevorzugung, sondern darum, dass Frauen sich zutrauen, in bestimmten Positionen zu sein. Ganz oft höre ich von Frauen erstmal, dass sie sich die Rolle als Partnerin (insbesondere in Verbindung mit Familie) nicht zutrauen. Um Zuversicht zu schaffen, muss man die Rahmenbedingungen verändern, damit Frauen ihren Einsatz und ihre Leistung zur Geltung bringen können. Dann steht der Karrieren nichts mehr im Wege. Vorbilder bieten ist auch ein wichtiger Aspekt um das Gefühl zu vermitteln: wenn sie es schafft, schaffe ich das auch. Partner oder Partnerin wird dann letztlich aber der richtige Mensch – unabhängig vom Geschlecht.
Wie stehen Sie persönlich zur Quotenregelung?
Ohne Quote geht es leider nicht. Seit ich Partnerin bin, geht es um das Thema. Anfangs war ich nicht dafür, denn ich wollte nicht Partnerin werden, weil ich eine Frau bin, sondern weil ich gut in meinem Beruf und die richtige Person dafür bin. Die Vergangenheit hat aber gezeigt, dass es ohne Quote nicht geht, da sich sonst keiner darum bemüht, Frauen ebenfalls in höhere Positionen zu befördern. Die Quote ist hilfreich, um mehr Frauen in Führungspositionen zu sehen, wie etwa das Beispiel aus Norwegen zeigt. Dort ist es sogar strafbewährt, wenn weniger als 40% Frauen im Aufsichtsrat vertreten sind. Und wir sehen, dass sich die Qualität dort nicht verschlechtert hat.
Das Thema des sprachlichen Genderns wird derzeit viel diskutiert. Wie stehen Sie dazu und gendern Sie beispielsweise in der Vertragsgestaltung?
Ich persönlich finde das Gendern fürchterlich. Das ist der deutschen Sprache nicht zuträglich und es strengt mich an, wenn ich das etwa im Fernsehen höre. Die jüngeren Frauen finden das aber normal und gut. In Verträgen kommt es nicht so vor, zum Glück sind die Unternehmenskaufverträge häufig in englischer Sprache, da stellt sich das Problem nicht.
Meinen Sie, dass sich Mädchen/Frauen gleichermaßen angesprochen fühlen, wenn nicht gegendert wird?
Wenn ich an meine Tochter denke, dann ja – sie geht auch ohne Gendern von völliger Gleichberechtigung aus, weil ich ihr das vorlebe; sie kennt es nicht anders. Das wird aber nicht bei allen Mädchen/Frauen so sein.
Sie haben zwei Kinder, wie haben Sie Ihren Alltag mit Beruf und Familie organisiert, insbesondere als die Kinder noch klein waren?
Als unsere Kinder noch in der Krippe und im Kindergarten waren und die Betreuung bis Nachmittags organsiert war, ließ sich der Familienalltag noch ganz gut mit dem Beruf vereinbaren. Meine Kinder haben die Einrichtungen zum Glück immer gern besucht. Nachts habe ich öfter gearbeitet und wenn ich Verhandlungen hatte, kam meine Mutter und hat uns bei der Betreuung unterstützt. Als meine Tochter in die Schule kam und zum Beispiel um 11.15 Uhr fertig war, mussten wir eine Kinderfrau engagieren, weil die Mittagsbetreuung damals noch nicht so gut war wie heute. Inzwischen gibt es eine breitere Auswahl an guten Betreuungsmöglichkeiten nach der Schule wie Hort, Tagesheim und Mittagsbetreuung. Unsere Kinder fanden unsere Kinderfrau(en) toll, und dadurch konnten mein Mann und ich guten Gewissens arbeiten.
Im Vorgespräch erzählten Sie, dass Sie eine von wenigen Partner*innen der Kanzlei sind, die Teilzeit arbeiten. Warum wird die Teilzeittätigkeit, insbesondere auf Partner*innenebene bislang so selten ausgeübt und damit vorgelebt?
Das ist eine Frage des Partnerschaftsvertrags. In unserem ist es eigentlich nicht angelegt, dauerhaft Teilzeit zu arbeiten. Viele denken noch, dass jemand nicht Partner oder Partnerin sein kann, wenn er oder sie sich nicht 100% für die Kanzlei einbringt. Dadurch wird dann auch ein Platz für jemanden blockiert, der möglicherweise 100% arbeiten würde. Es stecken also auch wirtschaftliche Überlegungen dahinter.
Wie setzen Sie Grenzen, um nicht in Wirklichkeit 100% zu arbeiten, aber nur ein Teilzeitgehalt zu verdienen?
Das schaffe ich recht gut. Als Partner*in entscheidet man ja selbst, welche Mandate man annimmt. Ich schaue, dass ich gut ausgelastet bin, ebenso wie mein Team. Wenn ich zu viele Mandate parallel habe, dann gebe ich es an Kolleg*innen weiter, die sich darüber freuen. Als Associate ist es viel wichtiger Grenzen zu setzen und den Partner*innen zu sagen, dass man am Limit ist.
Ich sage beispielsweise auch offen, wenn ich mehr gearbeitet habe und bekomme dann grundsätzlich das Geld rückwirkend ausgezahlt. Da ist unsere Geschäftsführung sehr fair.
Gibt es einen Ratschlag, den Sie früher selber gern gehabt hätten und jungen Juristinnen mit auf den Weg geben möchten?
Macht das, womit ihr Euch selbst wohl fühlt. Entscheidungen sollten so getroffen werden, dass man nicht damit hadert. Diesen Ratschlag hat mir keiner gegeben, aber ich habe immer so gelebt. Ich hatte damals einen Mentor und eine Mentorin. Die Mentorin hat mir gesagt: Identifiziere Dich nicht zu sehr mit der Kanzlei, gib Dir selbst und anderen Wege und Alternativen – daran denke ich öfter.
Hatten oder haben Sie selber Vorbilder?
Meine Mentorin, Christine Koziczinski, war Partnerin als ich zu Clifford kam, hatte damals zwei kleine Kinder und arbeitete 65 Prozent. Sie hat mir vorgelebt, dass M&A und Teilzeit zusammengehen. Unser kanzleiinternes Frauennetzwerk ist und war auch ein Gutes. Wir halten zusammen und fördern uns gegenseitig.
Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?
Es gibt mehrere, beispielsweise Christine Koziczinski, Dr. Kerstin Kopp und Barbara Mayer-Trautmann.
Vielen Dank für das spannende Interview!
München, 24. September 2021. Das Interview führte Marina Arntzen, LL.M..
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