Rabia Küçükşahin im Porträt
„Vielfalt muss sich in staatlichen Institutionen widerspiegeln. Representation matters.“
Rabia Küçükşahin, Jurastudentin, spricht über ihre Petition gegen das Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbildes von Beamt*innen, die Reichweite des Neutralitätsgebotes des Staates, und über die Notwendigkeit der Stärkung der Antidiskriminierungsgesetzgebung.
Rabia, Du hast einen Bachelor in „Islamischen Studien“ absolviert. Aktuell bist Du Jurastudentin an der Universität Frankfurt. Warum hast Du dich dazu entschieden, Jura zu studieren?
Ich habe 2016/17 in London studiert. Dort gab es eine unglaubliche Vielfalt sowohl unter den Studierenden als auch an der Universität. Dass ich ein Kopftuch trage, war dort überhaupt kein Thema. Mein Recht so zu sein, wie ich bin, wurde dort nicht infrage gestellt. Weder durch Blicke noch durch übergriffige Fragen und schon gar nicht durch irgendwelche Verbotsdiskussionen. Zurück in Deutschland wurde mir bewusst, wie sehr sich unser grundgesetzlicher Anspruch („Die Würde des Menschen ist unantastbar.“) von meiner alltäglichen Lebensrealität in Deutschland unterscheidet. Und das, obwohl mir auch hier die Verfassung das Recht auf Glaubens- und Religionsfreiheit garantiert. Dieser Unterschied zwischen Recht haben und Recht bekommen und auch so behandelt zu werden, wie es unsere Verfassung mir garantiert, treibt mich an. Und welch anderer Studiengang würde sich da besser eignen als die Rechtswissenschaft? Aufgabe der Judikative ist die Gesetze nach den in der Verfassung verankerten demokratischen Werten auszulegen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass diese demokratischen Werte und warum wir zu diesen gekommen sind, in Vergessenheit geraten.
Welche Tipps würdest Du jungen Studienanfänger*innen im Fach Jura geben?
Bildet Netzwerke, unterstützt Euch gegenseitig, pflegt einen wertschätzenden Umgang. Die Paragrafen dienen dazu, menschliches Miteinanderleben bestmöglich zu regeln. Also vergesst die Menschlichkeit nicht! Wenn Du bei Vorlesungen oder Seminaren ein merkwürdiges Bauchgefühl entwickelst, Dir etwas komisch vorkommt oder sich Dir der Sinn nicht erschließt, geh in die Bibliothek, beschäftige Dich mit dem Thema, schreibe Dir Deine Kritik auf und bringe sie ein. Ich habe selbst so viel über Systeme und Zusammenhänge gelernt, weil mich die Themen berührt und interessiert haben.
Du hast eine Petition gegen das „Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbildes von Beamtinnen und Beamten sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften“ gestartet. Wie bist Du auf diese Idee gekommen?
Nachdem ich einen Artikel von Prof. Dr. Kirsten Wiese in der Legal Tribunal Online (lto) gelesen habe, wurde mir klar, dass dieses Gesetz dazu führen kann, dass ich meinen künftigen Beruf nicht ausüben darf. Und für mich war es dann logisch, eine möglichst große Öffentlichkeit herzustellen, um darauf hinzuweisen, welche Auswirkung dieses Gesetz faktisch haben kann.
Der bereits in Kraft getretene § 61 Abs. 2 Bundesbeamtengesetz regelt: „Beamtinnen und Beamte haben bei Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug auch hinsichtlich ihres Erscheinungsbilds Rücksicht auf das ihrem Amt entgegengebrachte Vertrauen zu nehmen. Insbesondere das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken, Schmuck, Symbolen und Tätowierungen im sichtbaren Bereich sowie die Art der Haar- und Barttracht können von der obersten Dienstbehörde eingeschränkt oder untersagt werden, soweit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordert. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 durch ihre über das übliche Maß hinausgehende besonders individualisierende Art geeignet sind, die amtliche Funktion der Beamtin oder des Beamten in den Hintergrund zu drängen. Religiös oder weltanschaulich konnotierte Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 können nur dann eingeschränkt oder untersagt werden, wenn sie objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beeinträchtigen. (...)“
Die eigentliche Aufgabe des Gesetzgebers war es, ein Gesetz zur Regelung von verfassungsfeindlichen Symbolen zu verabschieden – im Ausgangsfall ging es u.a. um Hakenkreuztattoos bei einem Polizisten. Nun ist es aber durch das neue Gesetz möglich, auch religiöse Symbole, wie das Tragen (m)eines Kopftuches zu verbieten. Das geht nicht. Es ist nur dadurch erklärbar, dass eine Vielzahl von Vorurteilen bei dem Entwurf dieses Gesetzes eine Rolle gespielt haben müssen. Religiöse Symbole sind nicht verfassungsfeindlich. Darüber hinaus muss der Staat in einer pluralistischen Demokratie dafür Sorge tragen, dass die Vielfalt der Bürger*innen sich in ihren Institutionen widerspiegelt. Representation matters.
Was bedeutet das Gesetz für Dich persönlich?
Das Gesetz in seiner jetzigen Fassung ist ein Angriff auf meine Religionsfreiheit, meine Berufswahlfreiheit und auch ein Angriff auf mein Frausein. Es schränkt mich dahingehend ein und schreibt mir vor, wie ich als Frau aufzutreten habe!
Das Gesetz sagt mir, dass ich nicht als Teil dieser Gesellschaft gesehen werde. Ich bin deutsche Staatsbürgerin und werde durch dieses Gesetz aufgefordert einen Teil meiner Identität aufzugeben oder zu verstecken.
Ich habe mich kurz vor meinem 18. Geburtstag aus religiösen Gründen und aus freien Stücken dafür entschieden, ein Kopftuch zu tragen. Diese Entscheidung konnte ich so frei treffen, weil in unserem Land die Religionsfreiheit gilt. Und jetzt soll mir plötzlich ein Beruf wie der der Richterin oder der Staatsanwältin verwehrt werden. Nicht aufgrund einer Handlung von mir, sondern aufgrund der bloßen Annahme von anderen „so wie ich aussehe, könne ich doch nicht neutral und objektiv agieren“. Vorurteile wie diese haben noch bis vor 100 Jahren dazu geführt, dass Frauen keinen Zugang zu juristischen Berufen haben durften. Es ist irritierend, dass solche Vorurteile auch heute noch wirkungsmächtig sind!
Deine Petition ist innerhalb von wenigen Tagen von 190.000 Personen unterzeichnet worden. Welche Reaktionen gab es auf die Petition?
Zunächst hat mich die Resonanz total umgehauen. Die Petition wurde zum Selbstläufer: Viele Menschen auch außerhalb der muslimischen Communities haben verstanden, dass es ein riesiger Rückschritt wäre, ausgerechnet in diesem Land Menschen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit aus bestimmten Berufen auszuschließen. Ich erhielt Presseanfragen, wurde eingeladen zu dem ZDF-Fernsehformat „13 Fragen“, habe Interviews gegeben und mit großem Vergnügen eine Replik zu einem Artikel eines ehemaligen Berliner Innensenators verfasst. Perlentaucher.de hat darauf verwiesen und auch der Newsfeed von Mozilla Firefox. Und dennoch konnten wir nicht verhindern, dass der Bundesrat dem Gesetz zugestimmt hat und der Bundespräsident es unterschrieben hat. Ich bin inzwischen jedoch vom Innenausschuss eines Landes gebeten worden, zur Umsetzung des Gesetzes in ihrem Bundesland Stellung zu beziehen. Es scheint so, als hätte mein Engagement dazu geführt, dass man es sich nicht mehr leisten kann, nur über uns, anstatt mit uns zu sprechen. Übrigens sind offenbar auch die Medien erst durch meine Petition auf den diskriminierenden Inhalt des Gesetzes aufmerksam geworden.
Die Befürworter*innen des Gesetzes stützen sich darauf, dass Staatsdiener*innen neutral sein müssen, das Kopftuch hingegen als religiöses Symbol nicht neutral sei. Wie soll aus Deiner Sicht das Spannungsverhältnis zwischen Neutralitätspflicht des Staates und der Religionsfreiheit aufgelöst werden?
Dann stellen wir das doch mal eben vom Kopf auf die Füße. Unser Grundgesetz ist geprägt durch die Offenheit gegenüber der Vielfalt der Bevölkerung. Es ist aus dem Bewusstsein entstanden, dass niemand aufgrund einer Religionszugehörigkeit benachteiligt und insbesondere von bestimmten Berufen ausgeschlossen werden darf. Ich bin absolut dafür, dass der Staat auf die Neutralität seiner Bediensteten achtet. Aber ein Kopftuch sagt ja nichts über die Neutralität einer Person aus. Andernfalls könnte man – würde man dieser Logik folgen – auch das Geschlecht als vermeintlich neutralitätshindernd ansehen, was ja offensichtlicher Unfug ist. Die Neutralität ist bereits durch eine Vielzahl von Normen gewährleistet (z.B. der Eid, den Richter*innen ableisten müssen, nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen, Rechtsvorschriften zur Ablehnung von befangenen Richter*innen).
Neben Deiner Vielzahl an Aktivitäten bist Du auch Trainerin für Betzavta – einer Methode des Adam-Instituts aus Israel. Welche Inhalte vermittelst Du dort konkret?
Betzavta entstand aus der israelisch-palästinensischen Friedensbewegung. Die Grundidee besteht darin, ein gesellschaftliches Zusammenleben friedlich zu regeln. Die vom Adam-Institut entwickelte Methode lehrt eine prinzipielle Anerkennung des Rechtes auf Freiheit aller Menschen. In den manchmal fast spielerisch anmutenden Aktivitäten werden die Teilnehmenden immer wieder damit konfrontiert, dass sie unterschiedlich denken und sich unterschiedlich verhalten – je nachdem, ob sie gerade vermuten, dass sie in einem demokratischen System zur Mehrheit oder zur Minderheit gehören. Die „Dilemma-Methode“ schärft den Blick darauf, dass Konflikte in Gesellschaften häufig dann entstehen, wenn die Bedürfnisse von Minderheiten nicht in Entscheidungsfindungen einbezogen werden. Es geht um die kreative Suche nach Konfliktregelungen, die ein friedliches Miteinander auf Augenhöhe ermöglicht. Zentrale Werte sind dabei das Recht auf Unterschiedlichkeit, die Anerkennung des gleichen Rechts auf Freiheit, die dringende Notwendigkeit Diskriminierung zu vermeiden, die demokratische Entscheidungsfindung sowie der Zusammenhang zwischen Bedürfnissen, Rechten und deren Institutionalisierung.
Was sollte aus Deiner Sicht noch getan werden, um besser mit dem Thema Diskriminierung in Deutschland umzugehen?
Die leider inzwischen verstorbene Richterin Ruth Bader Ginsburg, erste jüdische Frau am US-amerikanischen Supreme Court, sagte einmal: „Man sollte mit besonderem Misstrauen jene Gesetze betrachten, die bestimmte Gruppierungen benachteiligen, vor allem, wenn diese nicht proportional in den gesetzgebenden Organen vertreten oder an der Entscheidungsfindung beteiligt sind.“ Daher ist es wichtig, dass Thema Repräsentation immer wieder in den Blick zu nehmen.
Darüber hinaus halte ich Bildungsarbeit zum Thema Nicht-Diskriminierung für absolut essenziell. Wir müssen dafür sorgen, dass die Werte unserer freiheitlich pluralistischen Demokratie auch wirklich in den Köpfen und Herzen der Bürger*innen ankommen. Betzavta ist eine gute Methode, weil durch sie gesellschaftliche und politische Zusammenhänge im wahrsten Sinne des Wortes begreifbar werden.
Und wir brauchen ein Antidiskriminierungsgesetz, das alle gesellschaftlichen Bereiche abdeckt. Leider regelt das Antidiskriminierungsgesetz in seiner jetzigen Form nur Arbeitsverhältnisse und Angelegenheiten von Privaten. Wenn der Staat beziehungsweise dessen Vertreter*innen mich diskriminieren, greift das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nicht!
Es ist schon merkwürdig, dass das AGG – soweit dessen Anwendungsbereich reicht – Private vor Diskriminierung durch andere Private schützt, während der Schutz vor diskriminierungsrechtlich relevanten Benachteiligungen durch den Staat aus meiner Sicht unzureichend ist. So kann ich mich gegenüber der Polizei, einer Hochschule, einer Verwaltung als Bürgerin rechtlich nicht effektiv genug gegen Diskriminierung wehren. Wir haben zwar den Schutz vor Diskriminierung in Artikel 3 des Grundgesetzes, dieser reicht aus meiner Sicht nicht aus. Deswegen brauchen wir Antidiskriminierungsgesetze auf Landes- und Bundesebene. Aktuell hat nur Berlin ein Landesantidiskriminierungsgesetz.
Welche Momente hast Du auf Deinem bisherigen Werdegang als besonders herausfordernd empfunden?
Ich erlebe immer wieder, dass Menschen mich auf mein Kopftuch reduzieren. Nicht als Mensch, nicht als Rabia Küçükşahin, sondern immer nur als kopftuchtragende Frau gesehen zu werden, ist herausfordernd. Und natürlich ist es herausfordernd, auf offener Straße angespuckt und beleidigt zu werden, wenn Menschen mir meinen freien Willen absprechen oder mich aufgrund meines Jungseins, Frauseins oder meiner Religion nicht ernst nehmen. Und natürlich empfinde ich es als herausfordernd, jetzt mitzubekommen, dass sich Politiker*innen in Deutschland damit beschäftigen, mir den Zugang zum Richter*innenamt zu verwehren.
Hast Du jetzt schon konkrete (Karriere-)Ziele?
Ja, klar hatte ich konkrete Karriereziele: Aufgrund der aktuellen Gesetzeslage bin ich aber gezwungen mich mehrgleisig zu orientieren.
Im Rahmen eines Praktikums bei renommierten Strafverteidiger*innen war ich bei einer Reihe großer Fälle an Oberlandesgerichten in Düsseldorf und München beteiligt. Letztes Jahr habe ich die Summer School „Artificial Intelligence and Criminal Justice“ in Rom besucht und bin fasziniert von den vielfältigen Fragestellungen und insbesondere der interdisziplinären Zusammenarbeit. Diese kenne ich sonst im deutschen Jurastudium so nicht. Als Projektmitarbeiterin im Landesmodellprojekt für Demokratie und Vielfalt habe ich Abendveranstaltungen an der Universität zum Thema „Islam und Demokratie“ und „Islam und Menschenrechte“ konzipiert und moderiert. Und bei meiner Tätigkeit im Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V. habe ich mich besonders mit dem Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und strategischer Prozessführung auseinandergesetzt. Ich könnte mir gut vorstellen, mich auf einen dieser Bereiche ganz zu konzentrieren
Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?
Ich finde, dass Seda Başay-Yıldız als Vorbild für breaking.through noch fehlt. Sie war eine Vertreterin der Nebenklage in den NSU-Prozessen und hat sich für die Interessen der Hinterbliebenen eingesetzt. Das hat zu wiederholten Morddrohungen durch Rechtsterrorist*innen geführt. In einem Fax wurden vertrauliche Informationen verwendet, an die eigentlich nur die Polizei herankommen kann, um Frau Başay-Yıldız einzuschüchtern. Der Rechtsstaat darf sich solchen Drohungen nicht beugen. Dafür setzt sich Seda Başay-Yıldız unermüdlich ein.
Warum mich das inspiriert? Sich prinzipiell für einen demokratischen Rechtsstaat einzusetzen, auch und gerade dann, wenn es Kräfte gibt, die diesen ablehnen, halte ich in dieser Zeit für unerlässlich.
Vielen Dank für das spannende Interview!
Stuttgart, Juli 2022. Das Interview führte Hülya Erbil.
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