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Renate Künast im Porträt
"Junge Juristinnen: Die Gesellschaft braucht Euch!"
Renate Künast, MdB und ehemalige Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, im Interview über ihre Motivation dafür in die Politik zu gehen, den geringen Frauenanteil im Bundestag und internalisierte Sexismen.
Frau Künast, seit Ihrem Eintritt in die Alternative Liste 1979 sind Sie politisch aktiv und mittlerweile seit siebzehn Jahren Mitglied des Bundestages. Was war ausschlaggebend für Ihre Entscheidung, diesen Weg zu gehen und was hat Sie dazu bewogen, über fast vierzig Jahre aktiv in der Politik mitzuwirken?
Am Anfang stand einfach die Entscheidung, politisch aktiv sein zu wollen. Ich wollte nicht wie die Generation meiner Eltern sagen müssen, von nichts gewusst zu haben. Meine Eltern waren junge Erwachsene in der Zeit des Nationalsozialismus. Deshalb war ich in der Anti-Atomkraftbewegung aktiv und in der Berliner Frauenbewegung. Alles andere ergab sich Schritt für Schritt. Auf alle Fälle rate ich allen, einen Berufsabschluss zu haben, das gibt etwas mehr Freiheit.
Sie haben sich bereits als Schülerin entgegen der Erwartung ihres Umfeldes dafür eingesetzt, einen weitergehenden Schulabschluss machen zu können und Sozialwissenschaften zu studieren. Welche Eigenschaft oder welche Umstände, denken Sie, waren für Sie notwendig, um Ihren Weg zu gehen?
Ich war neugierig. Ich wollte nie den einfachsten Weg gehen. Für das, was ich wollte, bin ich immer beharrlich dran geblieben. Das gilt auch für politische Sachfragen. Wer mehr Verbraucherschutz, Tierschutz oder ökologische Landwirtschaft will, darf sich von den Lobbyisten, die das Alte vehement vertreten, nicht abschrecken lassen. Wer gleiche Rechte für Frauen will, muss auch stets die Arbeit neu aufnehmen und Bündnisse schmieden.
Erst nachdem Sie in einer JVA als Sozialarbeiterin gearbeitet hatten, studierten Sie Rechtswissenschaften. Was hat Sie zu ihrem zweiten Studium motiviert und hat es Ihren Gang in die Politik beeinflusst?
Nach dem Studium der Sozialarbeit hatte ich das Gefühl, von vielem Etwas zu kennen, aber zu wenig vertieft. Auf die Rechtswissenschaften bin ich gekommen, weil ja zeitgleich die Umweltbewegung gezeigt hat, dass es auf Paragrafen ankommt. Damals war so ein Spruch: "Gesetze sind in Paragrafen gegossene Macht." Da wurde mir klar, wer etwas grundlegend verändern will, muss mit den Paragrafen umgehen können. Schon der Unterschied der Worte "soll", "kann" und "muss" ist im Recht erheblich.
Sie haben sich bereits früh in ihrer Laufbahn für den Umweltschutz eingesetzt, nicht zuletzt mit Ihrer Beteiligung an der „Republik Freies Wendland“ bei dem damals geplanten Atommüll-Endlager Gorleben, von 2001 bis 2005 waren sie dann Bundesministerin für Ernährung, Verbraucherschutz und Landwirtschaft. Woher kam ihre Leidenschaft für diesen Bereich?
Vielleicht von meinem Vater und meinen Großeltern? Sie waren alle sehr naturverbunden, brachten mir die Nähe zu Pflanzen und Gärten bei. Umso mehr war ich damals enttäuscht, als mein Vater die Atomenergie als saubere Energie vertrat. Das gab jede Menge heiße Debatten.
Sie haben sich in ihrer Laufbahn nicht nur innerparteilich, sondern auch auf der politischen Ebene vielen Herausforderungen gestellt, nicht zuletzt mit Ihrer Kandidatur für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin 2011. Gab es für Sie wertvolle Erfahrungen, die Sie aus diesen mitgenommen haben?
Oh ja! Erstens war es die Erkenntnis, dass Frau sich was zutrauen muss. Männer kochen auch nur mit Wasser. Tun aber im ganzen Auftritt so als hätten sie schon lange Erfahrung mit der vor ihnen liegenden Aufgabe. Zweitens, dass Scheitern weh tut, aber auch immer etwas klüger macht. Nur wer nie was versucht, scheitert nie. Oder vielleicht doch an sich selbst?
Denken Sie, dass sich Frauen von mit solchen Herausforderungen häufig einhergehenden Konflikten zu häufig sich abschrecken lassen?
Es ist einfach so, die politische Arbeit sieht sehr anstrengend aus und ist es auch. Aber wir können das. Gute Vorbereitung und mitmachen bei Netzwerken, bei einem Mentoring hilft Ängste zu überwinden und sehr gut vorbereitet zu sein. Das gilt auch für die erfahrenen Häsinnen.
Als sie 2009 gefragt wurden, ob wir noch die Frauenquote für die Parteien benötigten, sagten Sie, die Partei bräuchte sie noch, da der Einstieg für Frauen nach wie vor nicht selbstverständlich sei. Hat sich hier in den letzten neun Jahren etwas geändert für die nächste Generation?
Leider glaube ich, dass wir die Frauenquote noch eine ganze Weile brauchen werden. Die Bedingungen für Frauen bei Bündnis 90/Die Grünen sind gut, aber auch bei uns trauen sich Frauen noch zu wenig zu. Neben der Quote brauchen wir deshalb Förderprogramme, die Frauen gezielt ermutigen und ihnen die Fähigkeiten und das Wissen an die Hand geben, Politik zu machen. Und auch Männer müssen in die Pflicht genommen werden: Oft drängt dominantes Redeverhalten oder Auftreten von Männern Frauen aus dem politischen Raum. Wir dürfen nicht aufhören, uns und unsere Strukturen ständig zu reflektieren und Konsequenzen daraus zu ziehen.
Ich bin übrigens überzeugt, dass zum Beispiel die Männer in den DAX-Vorständen sonst noch 100 Jahre nur Männer für die Jobs finden werden. Glücklicherweise haben insbesondere Frauen dafür gesorgt, dass im Grundgesetz ein aktiver Gleichstellungsauftrag steht. Solange Ungleichbehandlung existiert, ist Politik verpflichtet, diese abzubauen.
Mit der letzten Bundestagswahl ist der Anteil der Frauen unter den Abgeordneten auf 30,9% gesunken, nachdem er in der vorangegangenen Legislaturperiode sogar um 4% gestiegen war. Wie gehen die Frauen im Bundestag damit um?
Seit 19 Jahren war der Frauenanteil im Bundestag nicht mehr so gering wie in dieser Legislaturperiode. Mit der AfD ist eine offen antifeministische Partei in den Bundestag eingezogen, mit der FDP macht es sich neben CDU und CSU ein weiterer Herrenclub im Haus bequem. Wenn mehr als doppelt so viele Männer wie Frauen im Parlament die Politik bestimmen, kann das keine Politik im Sinne von Frauen sein. Als Politikerinnen müssen wir uns jetzt zusammentun und an einem Strang ziehen: Das bedeutet überfraktionelle Anträge einbringen, uns untereinander absprechen und austauschen, uns vernetzen. Und vor allem den historisch miserablen Frauenanteil immer wieder zum Thema machen - so darf der nächste Bundestag nicht aussehen!
Unser Druck hat immerhin dazu geführt, dass im Bundestag jetzt ernsthaft über ein Paritätsgesetz geredet wird. Das ist wegen der Direktmandate rechtlich schwierig, aber wir sind dran.
Die Bundesregierung und die Führungspositionen bei den Volksparteien waren noch nie so paritätisch besetzt wie heute. Ist diese Entwicklung quasi als sinnvolles Gegengewicht zur abnehmenden Beteiligung von Frauen im Parlament zu sehen oder steht dies in keinem Verhältnis?
Das steht in keinem Verhältnis. Wenn man sich die zweite und dritte Reihe in den Parteien und der Bundesregierung anschaut, sieht es wieder ganz anders aus - nämlich männlich. Gleichberechtigung muss alle Strukturen und Ebenen durchdringen, mit weniger dürfen wir uns nicht zufrieden geben.
Für die Grünen war Gleichstellung seit jeher ein großes Thema, im vergangen Wahlkampf aber ist es insgesamt von den Volksparteien nachrangig diskutiert worden. Ist die Gleichstellung schon so weit vorgeschritten, dass sich der Eindruck eingestellt hat, man müsse hier nicht mehr aggressiv Veränderungen vorantreiben?
Auf keinen Fall! Gerade die #metoo-Bewegung hat in den letzten Monaten eindrücklich gezeigt, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben. Wir haben vielleicht viele gesetzliche Ungleichberechtigungen ausgeräumt, aber jetzt müssen wir an internalisierte Sexismen ran: Wie werden Frauen im Vergleich zu Männern angesprochen? Wie ernst werden sie genommen? Was wird ihnen zugetraut? Welche Attribute werden ihnen zugeschrieben? Gerade im Arbeitsumfeld sind wir hier noch weit entfernt von Gleichstellung und -berechtigung.
Ein Punkt des Programms der Grünen war, Alleinerziehende besser zu unterstützen. Denken Sie, dass eine steuerliche Entlastung von Alleinerziehenden, die der Entlastung durch das Ehegattensplitting gleichkommt, hierzu beitragen könnte?
Ja, ich würde sogar noch weiter gehen: Das Ehegattensplitting muss schrittweise durch eine individuelle Besteuerung mit gezielter Förderung von Familien und Kindern ersetzt werden. Denn gerade für Frauen bietet dieses Steuerkonzept finanzielle Anreize für keine oder eine geringfügige Beschäftigung und mündet somit in einem Armutsrisiko. Dagegen könnte ein Familien-Budget Alleinerziehende durch eine Existenzsicherung für Kinder stärken, Familien mit geringem Einkommen entlasten und unterstützt somit insbesondere die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen.
Was würden Sie jungen Juristinnen raten, die sich eine Karriere in der Politik vorstellen können?
Verliert euer Ziel nicht aus den Augen und verzagt nicht an dem manchmal kniffligen und langwierigen Studium: Das Recht ist ein Handwerk, um in der Politik an den richtigen Stellschrauben zu drehen und die Verhältnisse zu verändern. Die Gesellschaft braucht euch! Bildet Banden, bildet Netzwerke. Das heißt als Erstes sich als Teil einer Gruppe zu empfinden und keine Scheu haben, andere anzurufen und nach Unterstützung zu fragen. Wenn das klappt macht es übrigens beiden Seiten Spaß!
Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte und wieso?
Susanne Baer – eine eindrucksvolle Bundesverfassungsrichterin und Staatsrechtslehrerin. Sie zeigt, dass Recht interdisziplinär gedacht werden muss und weshalb das Recht eine feministische Perspektive braucht.
Vielen Dank für das spannende Interview und die Zeit, die Sie sich dafür genommen haben!
Berlin, 10. Dezember 2018. Frau Künast hat die Fragen schriftlich beantwortet. Die Fragen stellte Charlotte Rosenkranz, LL.M.
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