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Dr. Roya Sangi, M.A. im Porträt

„Den Menschen wahrnehmen.“

Dr. Roya Sangi, M.A., Rechtsanwältin für Verfassungs- und Europarecht bei Redeker Sellner Dahs in Berlin, über nötige Eigenschaften für eine Karriere in der Anwaltschaft, Vorbilder und ihre gesellschaftliche Verantwortung.

Frau Sangi, Sie sind seit 2017 Rechtsanwältin für Verfassungs- und Europarecht in einer renommierten Kanzlei, die aber wie die meisten deutschen Kanzleien bislang selten durch führende Frauen aufgefallen ist. Daneben sind Sie Mitglied des Ausschusses Verfassungsrecht des Deutschen Anwaltsvereins sowie der ANTI-SLAPP-Expertengruppe der Europäischen Kommission. Wie halten Sie es in so einem männlich dominierten Beruf aus?

Indem ich andere und mich primär als Menschen wahrnehme, mich auf die Inhalte konzentriere und die – nicht zu leugnende – männliche Dominanz in der Anwaltschaft schlicht ignoriere. Seit kurzem bin ich auch Mitglied der Kommission Verfassungsrecht, Öffentliches Recht und Gleichstellung im djb, die sich rechtspolitisch der von Ihnen gestellten Frage widmet.

Setzen Sie mit Ihrer Arbeit neue Standards?

Ich setze vor allem mir selbst Maßstäbe, denen ich mich jeden Tag stellen muss. Wenn diese auch mein Arbeitsumfeld beeinflussen oder Vorbildwirkung auf jüngere Juristinnen und Juristen hätten, wäre das ein schöner, aber nicht beabsichtigter Nebeneffekt.​​

Sie sind als nicht-deutschsprachige junge Frau nach Deutschland ausgewandert. Was hat Sie bewogen, hier ausgerechnet Jura zu studieren?

Die Entscheidung Jura zu studieren, hatte ich bereits mit 14 Jahren in Teheran getroffen. Ich hatte mir nichts weniger vorgenommen, als eines Tages an der Verfassung eines Rechtsstaats mitzuschreiben. Hierfür wollte ich das Handwerkszeug lernen. Es war aber nicht so, dass alle darauf gewartet haben, dass eine Roya Sangi einen Gesellschaftsvertrag entwirft. In Deutschland angekommen stand für mich fest: Ich werde jedenfalls nicht wegen der vermeintlichen Herausforderungen eines juristischen Studiums einen anderen Weg einschlagen.

Was war die größte Herausforderung als Migrantin in Deutschland? Wie könnte man diesen Weg für andere ebnen?​

Die größte Herausforderung war es, als entwurzelter Baum nicht selbst zum Felsen zu werden, sondern wieder aufzublühen. Wie man den Weg ebnen kann? Sich gegenüber scheinbar Fremden so zu verhalten, wie man sich selbst wünschte, im fernen unbekannten Ausland behandelt zu werden: Empathie, Offenheit und der Maxime, dass alle Menschen gleich sind, im Alltag Geltung zu verschaffen.

Während des Jurastudiums entdeckten Sie das Staats- und Verfassungsrecht für sich. In einem Interview haben Sie einmal den Satz gesagt, „den Rechtsstaat wie eine seltene Pflanze schützen zu wollen und zu müssen“, sei ein roter Faden in Ihrem Leben. Inwiefern trifft dieser Satz heute immer noch auf Sie zu?

Angesichts stetig steigender autoritärer Bedrohungen und Versuchungen ist er heute aktueller denn je. Insbesondere beschäftigt mich derzeit die Entwicklung in Ungarn und Polen. Im November 2021 war ich vor dem Europäischen Gerichtshof bei der mündlichen Verhandlung zu deren Klagen gegen den sogenannten Rechtsstaatsmechanismus. Die Verhandlung schien mir als Zäsur für den europäischen Rechtsstaat. Unter ihrem Eindruck blieb mir nichts anderes übrig, als sie bis in die frühen Morgenstunden des darauffolgenden Tags für den öffentlichen Diskurs zu dokumentieren.

War es dann auch diese Leidenschaft für das Staats- und Verfassungsrecht, weshalb Sie sich entschieden haben, in Barcelona einen Master in politischer Philosophie zu machen? Inwiefern hat dieses Studium Ihre Sichtweise auf das Recht verändert?​

Ich befürchte: Nein, im Gegenteil. Es war eher die Enttäuschung von der Rechtswissenschaft, die mich bewogen hat, politische Philosophie in Barcelona zu studieren. Mir hat die internationale und interdisziplinäre Perspektive gerade in der Staatsrechtslehre häufig gefehlt. Das Studium hat mich menschlich wie fachlich bereichert.

Im Referendariat haben Sie eine Station am Bundesverfassungsgericht absolviert. Was hat Sie an dieser Station am meisten beeindruckt?​ 

Der Station in Karlsruhe verdanke ich einiges, vor allem aber meine Wiedervereinigung mit der Juristerei. Das Zusammentreffen der mich inhaltlich interessierenden Themen mit den äußerst wunderbaren Menschen, die ich in Karlsruhe kennenlernen durfte, hat mich wie eine verlorene Tochter wieder in die Rechtswissenschaft zurückgeholt.

Heute sind Sie als Anwältin mit Schwerpunkt im Verfassungs-, Europa- und Völkerrecht tätig. Warum sind Sie Anwältin geworden? Kam für Sie mit Ihrem Schwerpunkt nicht vielleicht auch eine Tätigkeit beim Staat in Betracht?

Fachlich wäre das sicherlich denkbar gewesen. Persönlich stand ich mit einem Fuß noch in der Wissenschaft. Nach einem wissenschaftlichen Aufenthalt in Boston überlegte ich auch, mich dort auf eine Post-Doc-Stelle zu bewerben. Während meiner Station beim Bundesverfassungsgericht hat mich aber die Faszination für den Beruf des Prozessanwalts ergriffen.

 
Wer sind z.B. Ihre Mandanten und bei welchen konkreten Themen beraten Sie diese schwerpunktmäßig? Wie sieht Ihr beruflicher Alltag konkret aus?

Sehr gemischt: Ich vertrete unter Anderen die Bundesregierung, Landesparlamente ebenso wie internationale und europäische Konzerne aber auch NGOs zu öffentlich-rechtlichen, insbesondere zu verfassungs- und europarechtlichen Themen vor den Verfassungs- und Verwaltungsgerichten sowie vor den Gerichten der Europäischen Union. Auch mein Arbeitsalltag ist durchmischt: Überwiegend besteht er aus dem Verfassen von Schriftsätzen, der Kommunikation und Besprechungen mit den Mandanten. Immer wieder kommt es natürlich auch zu mündlichen Verhandlungen – die sind besonders spannend.

Welchen Tipp würden Sie Studierenden mitgeben, die ebenfalls eine berufliche Karriere im öffentlichen Recht anstreben? Ist es hierbei wichtig, sich speziell auf ein Teilgebiet – z.B. Völkerrecht oder Menschenrechte – zu fokussieren?

Öffentliches Recht, insbesondere Verfassungsrecht, ist sehr politiknah. Es versteht sich daher von selbst, dass man über aktuelle politische Geschehnisse hier im Bilde sein muss. Eine frühzeitige Spezialisierung halte ich nicht für zielführend. Die generalistische Perspektive erweitert den Blick immens und ermöglicht einem, sich auch in unbekannten Materien schnell zurechtzufinden. Spezialkenntnisse, insbesondere Vertiefungen während der Promotion, sind aber sicherlich von Vorteil.

Neben Ihrer anwaltlichen Tätigkeit publizieren Sie regelmäßig. Zuletzt haben Sie in der Frankfurter Allgemeinen einen Beitrag zur offenkundig misslungenen Evakuierung von Ortskräften und anderen gefährdeten Menschen aus Afghanistan verfasst. Wie gehen Sie damit um, wenn Sie sich etwa für Menschenrechte einsetzen, die Umsetzung dieses Ziels dann aber oftmals aus politischen Gründen "hinterherhinkt" oder sogar scheitert?

Ich bin keine Politikerin und schreibe auch keinen Artikel in der Erwartung, dass sich morgen die Welt ändert. Gerade als Anwältin trage ich aber gesellschaftliche Verantwortung. Der verstorbene Namensgeber meiner Sozietät hatte sich schon Anfang der Sechzigerjahre sehr für die Entnazifizierung der Justiz und der Hochschulen eingesetzt. In der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW) hatte er einen Aufsatz veröffentlicht, der wenige Tage darauf zum Rücktritt des angesehenen Staatsrechtslehrers Theodor Maunz als bayerischer Kultusminister führte. Auf den Beitrag meiner Wenigkeit und andere kritische Beiträge zur Nicht-Evakuierung hin sind zwar kurz vor der Bundestagswahl die das rechtsstaatliche Desaster verantwortenden Minister nicht zurückgetreten. Wiedergewählt sind sie aber auch nicht – und der Bundestag kann sich vor einem ordentlichen Untersuchungsausschuss nicht wegducken. 

Was tun Sie, wenn Sie gerade nicht am Schreibtisch sitzen und wie vereinbaren Sie das mit der doch sehr zeitintensiven Tätigkeit als Anwältin?

Ich stehe am hochfahrbaren Schreibtisch! Im Ernst: Ich treffe Freunde, ich sitze im Café und lese Zeitung und höre Musik; gehe joggen, tanzen und schwimmen, was coronabedingt zugegebenermaßen seltener vorkommt. Ich versuche aber bewusst meine freien Momente in den Alltag zu integrieren.

Was raten Sie jungen Juristinnen, die aufgrund ihres Wunsches Familie und Kinder zu haben, vor einer Laufbahn wie der ihren zurückschrecken?

Sich nichts vorzumachen: Es ist ein familienunfreundlicher Beruf. Da ist nichts schönzureden. Er macht aber Spaß und wenn man dafür brennt, diszipliniert ist, eine gleichberechtigte Beziehung führt bzw. ggf. auch als Alleinerziehende sich klarmacht, dass Fremdbetreuung kein Tabu ist (siehe fortschrittliche Länder wie z. B. Frankreich oder Belgien), ist es möglicherweise anstrengend, aber machbar. Ein gesellschaftlicher Wandel braucht eine normative Verankerung. Hierfür hat es aber in der deutschen Politik und Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten offensichtlich keine Mehrheit gegeben.

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Drei Frauen haben mich in jungem Alter inspiriert: Forugh Farrochzad, Simone de Beauvoir und Hannah Arendt – leider bin ich zu spät zur Welt gekommen, um sie neben ihren Werken auch persönlich kennenzulernen. Es ist traurig, wenn ich eingestehen muss, dass von den persönlich erlebten es fast immer Männer waren, die mich inspiriert haben. Ich hatte während des Studiums an der Universität kaum eine Professorin gehört. Schauen Sie sich die Bilder der Staatsrechtslehrertagungen an – das andere Geschlecht ist auch mit einer Lupe schwer zu erkennen. Später aber als wissenschaftliche Mitarbeiterin habe ich Prof. Dr. Dagmar Felix kennengelernt, eine beeindruckende, tatenfreudige und furchtlose Frau, die mich darin bestärkt hat, mir treu zu bleiben.

Vielen Dank für das Gespräch und die Zeit, die Sie sich dafür genommen haben!

Berlin, 25. Januar 2022, Frau Sangi hat die Fragen schriftlich beantwortet. Die Fragen hat Alicia Pointner gestellt.

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