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Sophie Pollok

Dr. Sophie Pollok im Porträt

„Habt den Mut, euch zu verändern!"

Dr. Sophie Pollok, Venture Partnerin bei Auxxo, über ihre vielfältigen beruflichen Stationen, die Hintergründe ihres politischen Engagements für die Kampagnen #stayonboard und #Elterngeldschützen sowie über Grundsätze der gleichberechtigten Elternschaft.

Liebe Sophie, Du bist Venture Partnerin bei Auxxo, einer Risikokapitalgesellschaft, die Startups fördert, bei denen mindestens eine Frau Teil des Gründungsteams ist. Was ist die Idee dahinter?

Zwar werden zwanzig Prozent der Startups in Deutschland von Frauen gegründet, aber nur zwei Prozent des Venture-Capitals, also des gesamten für Startups zur Verfügung stehenden Kapitals, geht an Frauen. Hier gibt es eine große Diskrepanz und eine sogenannte „gender funding gap“.

 

Frauen haben also keinen gleichen und fairen Zugang zu Kapital in der Startup Welt. Hintergrund ist, dass auch in der Venture-Capital Welt, gerade die kapitalgebende Seite, sehr männlich dominiert ist und Männer eben nachweislich gerne in Männer investieren. Die Chance einer Frau für ein Investment steigt extrem, wenn sie Teil eines gemischten Gründungsteams ist.

 

Unser Ziel bei Auxxo ist es, Frauen diesen fairen Zugang zu Kapital zu geben. Deshalb ist Grundvoraussetzung für unsere Förderung, dass eine Frau Teil des Gründungsteams ist. Zudem ist erwiesen, dass diverse Gründungsteams erfolgreicher sind und dass Frauen effizienter mit dem ihnen zur Verfügung gestellten Kapital umgehen. Frauen holen nachweislich fünfzig Prozent mehr Umsatz auf einen investierten Euro heraus. Die Zahlen sprechen also für unsere Investmentstrategie.

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Wie können wir uns Deine Tätigkeit bei Auxxo vorstellen?​

Zunächst bin ich Teil des Investmentteams, das entscheidet, in welche Startups wir investieren. Wir schauen uns das Geschäftsmodell sowie das Gründungsteam an und beurteilen, ob das für uns interessant und ein potenziell erfolgreiches Investment sein kann.

 

Darüber hinaus stehe ich den Portfolio Companies, d.h. den Unternehmen, in die wir schon investiert haben, beratend zur Seite. Die Unternehmen kommen hierbei mit unterschiedlichen – nicht nur juristischen – Fragen auf mich zu. Die juristischen Fragen drehen sich dann meist um die typischen Startup Themen: Gesellschaftsrecht, Datenschutzrecht, aber auch Arbeitsrecht. Hierbei spielt zwar mein juristischer Background eine Rolle, vor allem aber auch meine eigene Startup Erfahrung.

 

Zudem begleite ich die Unternehmen in den Finanzierungsrunden juristisch. So wird die Phase bezeichnet, in der das Investment abgewickelt wird. In dieser Phase arbeite ich dann viel mit externen Anwält*innen zusammen.

Das klingt sehr vielfältig und spannend! Fangen wir aber doch noch einmal vorne an: War das Jurastudium nach dem Abitur Deine erste Wahl?

Nein! (lacht)

 

Ich habe zuerst angefangen BWL zu studieren, aber schon im ersten Semester gemerkt, dass mir das keinen Spaß macht. Zwar haben mich die wirtschaftlichen Zusammenhänge interessiert, aber das Studium war – bis auf den Privatrechtskurs – nichts für mich. Am Ende des ersten Semesters saß ich dann mehr in den Juravorlesungen als in meinen eigenen (lacht) und so habe ich mich dafür entschieden, mein Studium zu wechseln.

Dein Weg zur Venture Partnerin erscheint auf den ersten Blick nicht gradlinig, am Ende schließt sich bei Deinem Werdegang aber doch ein Kreis: Welche Deiner Stationen haben Dich wie zu Deiner heutigen Tätigkeit geführt?

Ich habe im Studium alles darauf ausgelegt, Rechtsanwältin in einer Großkanzlei im Gesellschaftsrecht zu werden. Ich habe entsprechende Praktika gemacht und auch im Kartellrecht promoviert. Das ist der erste kleine Kreis, der sich zu diesen wirtschaftlichen Interessen, die ich schon immer hatte, schließt.

 

Als Rechtsanwältin habe ich aber recht schnell gemerkt, dass die Kanzleiarbeit nicht wirklich etwas für mich ist. Dann habe ich jedoch trotzdem zunächst dort ins Venture-Capital gewechselt.

 

So hatte ich die ersten Berührungspunkte mit Startups und wurde mit der Zeit etwas unruhig (lacht), weil ich merkte, wie mich diese Startup Welt fasziniert. Allerdings gar nicht unbedingt die juristische Beratung, sondern mehr das Unternehmerische, das Dynamische, diese Reise von einer Idee bis hin zu einem großen Unternehmen, die wir dort begleitet haben und das Innovative…

 

Deshalb habe ich nach zwei Jahren in der Kanzlei gekündigt und wollte zunächst selbst gründen. Ich bin mit meinem Mann nach San Francisco gereist und habe mich inspirieren lassen, welche Geschäftsideen es dort gibt, die man auf den europäischen Markt bringen könnte. So kam ich auf wasserlösliche Reinigungstabs, mit denen man selbst auf nachhaltige Weise Reinigungsmittel herstellt. Dieses Modell ging damals in den USA durch die Decke. Allerdings hätte ich in Deutschland hohe Mengen produzieren müssen, d.h. gleich zu Beginn sehr viel Geld einsammeln müssen, während – wie ich dann merkte – in Deutschland auch schon andere Unternehmen an der Idee dran waren, die auch schon durch Venture-Capital finanziert waren. Ich war mit der Idee also einfach etwas zu spät. (lacht) 

 

Durch Zufall bin ich dann zu einem damals noch sehr kleinen Startup namens CHOCO gekommen, das Unterstützung – eigentlich nur für eine einzige, aber sehr große Finanzierungsrunde – gesucht hat. Letztendlich wurde die Tätigkeit dort zu einer meiner wichtigsten Stationen. Nach sechs Wochen bei CHOCO habe ich das Angebot bekommen, Teil des Managementteams zu werden. Innerhalb von drei Jahren haben wir CHOCO zum Unicorn, also zu einem Unternehmen mit einer Marktbewertung von über eine Milliarde US-Dollar, aufgebaut und mit über 700 Mitarbeiter*innen international aufgestellt.

 

Mit all diesen Erfahrungen im Rücken habe ich dann noch einmal die Seiten gewechselt und bin jetzt bei Auxxo auf der Seite der Investor*innen.

Was kannst Du Jurist*innen mit auf den Weg geben, die zwar einerseits unglücklich in ihrem klassisch juristischen Beruf sind, andererseits aber noch nicht den Mut hatten, für ihren weiteren Werdegang „outside the box“ zu denken?

Habt den Mut, euch zu verändern! Lasst euch nicht durch die lange Zeit, die Ihr euch auf dieser klassisch juristischen Bahn bewegt habt, einschränken. Wenn Ihr in der Praxis feststellt, dass dieser Weg nichts für Euch ist, dann lasst euch nicht davon einengen, dass Ihr schon so viel investiert habt – Zeit, Geld, Schweiß und Tränen…

 

Habt den Mut, euch „outside the box“ umzuschauen. Als Jurist*innen habt Ihr so viele großartige Skills und Möglichkeiten, die euch nicht nur beim inhaltlichen juristischen Arbeiten helfen, sondern auch an ganz anderen Stellen sehr wertbringend sind. Euer Profil ist – oft ungeahnt – auch für ganz andere Berufe geeignet. Diesen Aspekt unterschätzen viele, weil wir im Studium so darauf getrimmt werden, uns auf die klassisch juristischen Berufe vorzubereiten. Der Weg muss nicht immer geradeaus gehen!

Wer hat Dir damals geholfen, genau diesen Mut zu fassen?

 

Die Situation war für mich damals alles andere als leicht. Juristinnen aus dem Kanzleiumfeld sind mir eher mit Skepsis begegnet. Es war schwierig, diese kritischen Stimmen auszuschalten. Ich habe mir meinen Mut eher bei Unternehmerinnen geholt, die mir immer wieder vergegenwärtigt haben, wie interessant sie mein Profil finden. Den richtigen Schub habe ich von meinem Mann bekommen. Als Unternehmer brachte er Risikofreude mit und hat mir das Selbstvertrauen gegeben, mich beruflich komplett umzuorientieren.

 

Insgesamt würde ich in solchen Situationen vor allem nach Leuten Ausschau halten, die ein ähnliches Mindset haben wie man selbst. Die also beispielsweise auch schon einmal eine sichere Position in einer Kanzlei verlassen und einen alternativen Weg eingeschlagen haben. Dort kann man sich häufig noch eine Portion Mut und Inspiration abholen.

Welche Persönlichkeitsmerkmale und Arbeitsweisen muss man aus Deiner Sicht mitbringen, um als Jurist*in der Startup-Szene Fuß zu fassen? 

Wenn man als Jurist*in in einem Startup arbeiten möchte, muss man mit Chaos umgehen können und sehr aufgeschlossen gegenüber neuen Prozessen sein. Man wird das Gegenteil von dem erleben, was man in Kanzleien an Struktur und Prozessen gewohnt ist.

 

Man darf keine Angst davor haben, Aufgaben anzunehmen, für die es noch keine Guidance oder feste Bearbeitungsstrukturen gibt, sondern man muss in der Lage sein, diese Strukturen selbst aufzusetzen. Vor allem braucht man Risikoaffinität, und das ist etwas, was uns im Jurastudium leider abtrainiert wird. Als Jurist*innen sind wir sehr darauf getrimmt, Probleme zu finden. Das ist zwar auch im Startup eine wichtige Fähigkeit. Man darf aber nicht nur als Bedenkenträger*in auftreten. Stattdessen muss man lösungsorientiert sein und in der Lage, Hypothesen aufzustellen, die auch schiefgehen können.

Du hast erzählt, dass auch Netzwerken ein wichtiger Teil Deiner Tätigkeit ist. Für viele Jurist*innen stellt gerade dies aber eine große Hürde dar. Was hat Dir geholfen, hier Selbstsicherheit zu erlangen? 

Am Anfang habe ich mich beim Netzwerken auch total unwohl gefühlt, obwohl ich eine eher extrovertierte Person bin. Ich war in der Kanzlei immer froh, wenn noch ein Kollege bei Events dabei war, obwohl das für das Netzwerken ja eigentlich dumm ist. (lacht)

 

Mit der Zeit habe ich mich aber „rausgetraut“. Ich habe z. B. bei LinkedIn Persönlichkeiten kontaktiert, die ich spannend fand und von denen ich etwas lernen wollte. Hier habe ich durchweg positive Reaktionen erhalten. Das hat mir Selbstsicherheit gegeben und das Selbstverständnis, über meinen Schatten zu springen und auf unbekannte Menschen zuzugehen.

 

Ein wichtiger Merksatz für mich war: Jede*r fühlt sich auf solchen Veranstaltungen unwohl. Alle sind erleichtert, wenn man ein bisschen von sich erzählt und Menschen freuen sich, wenn man ehrliches Interesse an ihnen zeigt.

 

Mit der Zeit habe ich schon zahlreiche bereichernde Begegnungen gehabt, die mir Motivation für meine eigene Arbeit gegeben haben. Durch das Netzwerken sind tatsächlich all meine Jobs nach der Kanzlei zustande gekommen.

Hast Du einen Tipp, womit man ins Gespräch einsteigt? 

Klar ist der einfachste Einstieg immer: „Was machst Du?“. Schöner ist es aber doch, wenn man fragt: „Wer bist Du?“ und dann auch von sich etwas Persönliches erzählt, um dem / der Gesprächspartner*in zu signalisieren, dass er / sie das auch tun kann. Man will die Person ja kennenlernen und weiß im Zweifel ohnehin schon, was sie beruflich macht. Über die persönliche Schiene baut man, finde ich, auch die schöneren Verbindungen auf. Das habe ich insbesondere in Israel und auch in den USA immer wieder so erlebt.

Auch über Deine Tätigkeit bei Auxxo hinaus setzt Du Dich für Female Empowerment ein. Einer breiteren (Fach-) Öffentlichkeit wurdest Du 2020 / 21 durch Deine Mitwirkung an der Initiative #stayonboard bekannt, die im Sommer 2021 zu einer Änderung des Aktiengesetzes geführt hat. Worum ging es bei dieser Initiative und inwiefern hat die Initiative ihr Ziel erreicht? 

Gemeinsam mit meiner Freundin und Unternehmerin Verena Pausder habe ich aus der Zeitung erfahren, dass Delia Lachance, die Vorständin der Westwing AG, ihr Vorstandsmandat niederlegen muss, weil sie ein Kind bekommt. Es war gesetzlich bis dahin nicht vorgesehen, dass Vorständinnen eine familienbedingte Auszeit wie Mutterschutz, Elternzeit oder Zeit für Angehörigenpflege nehmen. Hätte Delia Lachance ihr Mandat nicht niedergelegt, wäre sie während ihres Mutterschutzes weiterhin dem vollen Haftungsrisiko ausgesetzt gewesen. Gleichzeitig gab es gesetzlich kein Recht auf Rückkehr, das Mandat wäre also einfach weg gewesen.

 

Verena Pausder und ich hatten dann einen dieser „Das-kann-doch-nicht-sein!“ Momente und wollten etwas gegen diese systematische Diskriminierung von Frauen in Vorstandsposten tun. Wir haben ein Team aus überwiegend Jurist*innen, vor allem Arbeits- und Gesellschaftsrechtler*innen, zusammengestellt und die Kampagne #stayonboard ins Leben gerufen. Erklärtes Ziel war, eine entsprechende Gesetzesänderung herbeizuführen.

 

Glücklicherweise ist unsere Kampagne auf sehr offene Ohren in Politik und Wirtschaft gestoßen. Wir haben zudem viele Zuschriften von Betroffenen erhalten, was uns die gesamtgesellschaftliche Relevanz des Themas noch einmal verdeutlicht hat. Es geht hier auch immer nur um sehr begrenzte Auszeiten von wenigen Monaten, die der Vorstandstätigkeit keinesfalls entgegenstehen.

 

Zudem haben Vorständ*innen auch immer eine Leuchtturmfunktion. Wenn sie nicht in der Lage sind, Vereinbarkeit vorzuleben, wie soll das dann in den Ebenen darunter funktionieren?

 

Schwierig war, dass die Legislaturperiode kurz vor dem Ende stand, sodass wir nur noch eine kurze Zeit hatten, das Gesetzesvorhaben in Gang zu bringen. Da gab es einige Skeptiker. Im Endeffekt haben wir es aber geschafft, weil alle an einem Strang gezogen haben und wir wirklich gute Argumente hatten.

 

Heute ermöglicht das Aktiengesetz, dass Vorständ*innen eine familienbedingte Auszeit nehmen können. Die Initiative hat ihr Ziel erreicht!

 

Das ist sehr beeindruckend, doch sollte es das noch nicht gewesen sein: Im Sommer 2023 hast Du gemeinsam mit Verena Pausder durch eine Petition im Bundestag verhindert, dass die Einkommensgrenze beim Elterngeld gesenkt wird. Warum war Dir Dieses Thema eine Herzensangelegenheit? 

Das Elterngeld ist das erfolgreichste gleichstellungspolitische Instrument, das wir haben. Es hat dazu geführt, dass Frauen schneller in den Beruf zurückkehren und dass Carearbeit gerechter aufgeteilt wird, weil auch Männer Elterngeld beziehen und ihren Teil übernehmen. Studien zeigen, dass die Verteilung der Carearbeit in den ersten zwölf Monaten nach der Geburt eines Kindes für die Zukunft entscheidend ist: Wenn ein Mann gleich zu Beginn auch einen Teil übernimmt, zeigt sich, dass sich diese Aufteilung dann auch weiter durchzieht. Und: Je schneller Frauen zurück in den Beruf kehren, desto einfacher wird es, ihre eigene Karriere wieder in Angriff zu nehmen. Das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen.

 

Studien zeigen aber auch, dass das Elterngeld eigentlich viel zu gering ist, um Anreize zu schaffen, dass auch der besserverdienende Partner – und das ist leider immer noch überwiegend der Mann – für eine längere Zeit Elternzeit nimmt.

 

Als dann im Bundesfamilienministerium der Plan aufkam, das Elterngeld ab einer Einkommensstufe von 150.000 Euro zu streichen, diese Einkommensstufe aber gleichzeitig noch so viele Paare betrifft – und darunter viele Akademikerinnen, die so lange darauf hingearbeitet haben, in entsprechende Positionen zu kommen – konnten wir das nicht einfach geschehen lassen. Wir fanden es unbegreiflich, dass man diese Frauen jetzt auf NULL EURO setzen will, während gleichzeitig die Betreuungssituation in Deutschland so schlecht ist. Das ist auch einfach eine Katastrophe für unseren Wirtschaftsstandort! Wir können es uns in Deutschland nicht leisten, diese hochqualifizierten Frauen zu Hause sitzen zu lassen. Gleichzeitig werden sie in die hundertprozentige finanzielle Abhängigkeit des Partners gedrückt. Auch wenn das Elterngeld gedeckelt ist, macht es ja schon einen Unterschied, ob man für die Elternzeit etwas „kriegt“ oder ob man jetzt jedes Mal seinen Partner oder seine Partnerin nach Geld fragen muss.

Hat Eure Initiative #Elterngeldschützen ihr Ziel erreicht? 

Nur teilweise.

 

Die Ausgangslage war auch hier sehr schwierig, weil zum einen der Haushaltsplan schon stand, d. h. die Verteilung des Budgets war eigentlich schon beschlossen. Auch hat die Öffentlichkeit – und damit auch wir – erst am Ende des Gesetzgebungsprozesses überhaupt von diesem Vorhaben erfahren. Da blieb uns nur noch eine Petition.

 

Zumindest konnten wir aber erreichen, dass Familien, die im Zeitpunkt der Verkündung des Gesetzes schon schwanger waren, von der Kürzung ausgenommen wurden und Paare so Zeit bekommen haben, sich auf eventuelle finanzielle Einschnitte einzustellen.

 

Zudem haben wir erreicht, dass die Einkommensobergrenze für das Elterngeld bei Geburten ab April 2025 zumindest nicht zumindest bei 150.000 Euro, sondern bei 175.000 Euro zu versteuerndem Einkommen festgelegt wird.

 

Unser eigentliches Ziel, dass die Grenze auch weiterhin bei 200.000 Euro zu versteuerndem Einkommen liegt, haben wir leider nicht erreicht. Wir haben im Petitionsausschuss verschiedene Modelle vorgestellt, wie das Budget für das Elterngeld gekürzt werden könnte, ohne dass man die Einkommensgrenze absenkt; bspw. durch eine Staffelung der Auszahlung je nach Einkommen oder eine Incentivierung, wenn beide Elternteile ein halbes Jahr Elternzeit nehmen. Insbesondere die skandinavischen Länder kann man sich hier zum Vorbild für funktionierende Modelle nehmen.

 

Leider ist an dieser Stelle das Bundesfamilienministerium den einfachsten Weg gegangen und hat sich scheinbar gar nicht so tiefgehend mit der Materie befasst, wie es der gesamtgesellschaftlichen Tragweite eigentlich angemessen gewesen wäre.  

Welche Erkenntnisse hast du aus Deinen Engagements persönlich gewonnen? 

Nimmt man einen status quo wahr, mit dem man sich nicht zufriedengeben möchte, lohnt es sich, diesen genauer anzuschauen und Vorgaben der Politik nicht einfach hinzunehmen! Bringt man gute Argumente vor und arbeitet man sich tief in eine Thematik ein und bleibt auch bei Gegenwind am Ball, ist man in der Lage – auch als normale*r Bürger*in – etwas zu verändern. Man hat mehr Möglichkeiten, aktiver Teil der Politik zu sein, als man so denkt. Gerade in Zeiten, in denen es viel Politik- und Demokratieverdruss in unserem Land gibt, ist das enorm wichtig!

Nach diesen beiden Kampagnen drängt sich die Frage auf: Welches Thema greifst Du als nächstes an? 

(lacht) Es gibt natürlich schon ein paar Ideen!

 

Allerdings gerade nicht so akut wie #Elterngeldschützen oder #stayonboard. Ich habe aber einige langfristige Themen, für die ich mich politisch engagieren möchte. Zum einen liegt mir das Thema Female Empowerment in Kombination mit der Startup Welt sehr am Herzen. Regulatorisch könnte sich der Innovationsstandort Deutschland aber auch noch deutlich besser aufstellen. Hierfür möchte ich mich in Zukunft engagieren.

Insbesondere die Elterngelddebatte hat in den sozialen Medien zeitweise auch zu sehr hitzigen Diskussionen geführt und Ihr wurdet mit Anfeindungen konfrontiert. Was war Eure Strategie, damit umzugehen? 

Die Anfeindungen waren tatsächlich teilweise sehr heftig, fachlich falsch und unter der Gürtellinie. Wir haben uns immer wieder gefragt, ob es die Sache wirklich wert ist.

 

Aber ja, sie war es! Unsere Strategie war, uns wirklich auf unser Anliegen zu besinnen und uns auf die fachliche und inhaltliche Arbeit zu konzentrieren. Rückenwind hat uns auch immer wieder gegeben, Kontakt zu betroffenen Paaren zu haben, die unglaublich dankbar dafür waren, dass wir das Thema in die Hand genommen haben.

Dein Ehemann ist als Unternehmer und Investor ebenfalls beruflich sehr eingespannt, gleichzeitig habt Ihr einen dreijährigen Sohn und ein Neugeborenes. Was sind für Euch die wichtigsten Grundsätze, um gleichberechtigte Elternschaft zu leben?

Wir sind uns einig, dass nicht per se der Job des einen wichtiger ist als der des anderen. Taucht ein Problem wie Kitaschließung oder Krankheit auf und müssen wir deshalb unsere Tagesplanung umwerfen, spielen wir „Kalender-Tetris“: Tag für Tag, bzw. Stunde für Stunde evaluieren wir, welcher Termin bei wem ansteht und welcher im konkreten Fall wichtiger ist. Es gibt kein „default“, wer einspringt.

 

Ich denke dabei gern an einen Tag, an dem für mich ganz spontan ein sehr wichtiger Termin aufkam. Gleichzeitig hatte mein Mann mit seiner Firma ein Sommerfest auf einem Boot geplant, natürlich mit konkreter Ablegezeit (lacht). Wir hatten zu Hause aber eine Stunde zu überbrücken, in der wir keine Babysitterin organisieren konnten. So hat mein Mann sehr spontan die Ablegezeit des Bootes und den Beginn seines Sommerfests um eine Stunde nach hinten verlegt, um bei unserem Sohn sein zu können und damit ich meinen wichtigen Termin wahrnehmen konnte.

 

Ich finde das wunderschön zu sehen, wenn von männlichen Führungskräften vorgelebt und gezeigt wird: Ich habe beide Rollen – Führungskraft und Vater – und springe eben auch ein, wenn für meine Frau etwas wichtig ist.

Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso? 

Anna Sophie Herken. Sie ist Vorständin bei der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) und hat einen wahnsinnig beeindruckenden Weg hinter sich: Sie ist nach Stationen im Bundeswirtschaftsministerium, der Privatwirtschaft und als Multiaufsichtsrätin seit August 2023 Vorständin der GIZ. Man merkt ihr an, wie sie diesen Job liebt und er ihre absolute Passion ist.

 

Für mich ist sie eine wahnsinnig inspirierende Frau, die mir auf meinem Weg sehr geholfen hat. Sie hat sich nie mit einem Umfeld einfach so zufriedengegeben, sondern hat immer Veränderungen angestrebt und hat insbesondere auch in männerdominierten Umfeldern wirklich tolle Veränderungen bewirkt. Sie hat schon eine starke Karriere hinter sich und gleichzeitig aber auch noch so viel vor sich.

Vielen Dank für das spannende Interview!

Berlin / Nürnberg, 20. August 2024. Die Fragen stellte Dr. Marie-Katrin Schaich.

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