Susanne Gropp-Stadler im Porträt
"Man sollte jedem Menschen auf Augenhöhe begegnen!"
Susanne Gropp-Stadler, Head of Litigation, Legal Counsel Litigation bei der Siemens AG, im Interview darüber, wie wichtig es ist, die Individualität von Mitarbeitern und Führungskräften anzuerkennen und dass es für Kind und Karriere keine Pauschallösung gibt.
Frau Gropp-Stadler, Sie sind seit Oktober 2014 Lead Counsel Litigation der Siemens AG. Als Lead Counsel überwachen Sie alle Rechtsstreitigkeiten des Konzerns. Wie behalten Sie dabei den Überblick?
Wenn ein paar Bedingungen erfüllt werden, ist es nicht so schwer, den Überblick zu behalten. Mein Team, das hervorragend ist, kommuniziert regelmäßig mit mir und umgekehrt. So bleibe ich über alle wesentlichen Themen laufend informiert. Das gilt auch für Kollegen und Kolleginnen auf der ganzen Welt, die streitige Verfahren führen. Sie sprechen mich in der Regel an, wenn es ein wichtiges Thema gibt, das ich kennen sollte. Darüber hinaus haben wir ein Tool, in das die wesentlichen Rechtsstreitigkeiten eingetragen werden. Somit bin ich auf dem aktuellen Stand.
Welche Rolle spielt Ihr Team dabei und wie gewährleisten Sie die von Ihnen gewünschte Atmosphäre in Ihrem Team?
Mein Team spielt eine ganz wesentliche Rolle. Jeder ist Spezialist und arbeitet selbstständig auf dem jeweiligen Fall. Mein Team ist gut im Unternehmen vernetzt und wird wertgeschätzt. Jeder hat direkten Zugang zum Management.
Ich selbst bin in einzelnen Fällen Sparring-Partner oder entwickele Strategien für das Führen oder Abwenden von streitigen Verfahren sowie Ideen oder Konzepte zur Steigerung der Effizienz. Meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wissen, dass ich deren Spezialkenntnisse neidlos anerkenne.
Bevor Sie Lead Counsel Litigation wurden, führten Sie von 2009 bis 2012 die Abteilung Compliance Legal, hatten also schon Erfahrung in einer Führungsposition als Sie 2014 Lead Counsel Litigation wurden. Welche Führungseigenschaften sind Ihrer Meinung nach für beide Positionen wichtig?
Es ist interessant, dass Sie gerade diese beiden Positionen herausgreifen. Als General Counsel der Division Mobility hatte ich ein breiteres Spektrum an Aufgaben abzudecken und ein weitaus größeres Team zu führen.
Aber ich gebe Ihnen recht: Sowohl bei Compliance Legal als auch bei Litigation sind die Anforderungen an die Führungskraft vergleichbar. Man hat mit Menschen zu tun, die sich in bestimmten Eigenschaften ähneln. Beide Teams sind extrem spezialisiert und müssen immer dann tätig werden, wenn etwas schief gegangen ist oder an Fällen arbeiten, in denen die Mitarbeiter Angst haben, dass man ihnen einen Fehler vorwerfen möchte. Das prägt.
Führungsseminare und spezifische Coachings sind seit einigen Jahren im Trend. Bedarf es Ihrer Meinung nach für einen „guten“ Führungscharakter einer stetigen Fortbildung in diesem Bereich? Wie sollte eine solche Fortbildung aussehen?
Wie misst man gute Führung? Ist ein Führungscharakter gut, der seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen menschlich behandelt und gute Ergebnisse erzielt, oder der, der seine Mitarbeiter schlecht behandelt und dafür aber hervorragende Ergebnisse erzielt? Oder ist es der, der emotional handelt, oder der, der rational handelt? Diese Frage muss meines Erachtens nach jeder für sich selbst beantworten.
Aber: Die Anforderungen, die die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an eine Führungskraft stellen, sind sehr unterschiedlich. Manche brauchen Freiheit, manche Druck, manche wollen ständig gelobt werden, andere einfach nur in Ruhe gelassen werden, manche schätzen den Diskurs, andere fühlen sich dadurch kritisiert, manche wollen Persönliches mit der Führungskraft teilen, andere nicht, manche haben gravierende Probleme, andere nicht, manche wollen viel Freizeit, andere viel Arbeit, manchen lieben das Home Office, andere nicht usw. Es gibt insoweit zwei Möglichkeiten: entweder Sie stellen sich selbst in den Mittelpunkt Ihres Handelns und organisieren um sich herum oder Sie stellen Ihre Mitarbeiter in den Mittelpunkt und organisieren sich und ihre Mitarbeiter.
Ich glaube, dass eine der wichtigsten Eigenschaften einer Führungskraft ist, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen oder nicht zu glauben, dass die Mitarbeiter sich zwingend dem Führungsstil der Führungskraft anzupassen haben, sondern in der Lage zu sein, sich auf die Bedürfnisse jedes einzelnen einzustellen, und dadurch aus jedem das zum jeweiligen Zeitpunkt Bestmögliche herauszuholen. Das ist zwar manchmal anstrengend, in der Summe aber sicherlich gut und richtig.
Aus meiner Sicht ist eine Führungskraft gut, die mit offenen Augen und Ohren durch die Welt läuft, die Welt um sich herum zu verstehen versucht und bei sich und anderen Potential und blinde Flecken sucht. Jede Fortbildung, die dem dient, ist hilfreich.
Welche Art von Führungsstilen haben Sie selbst erlebt und welche Vor- und Nachteile haben Sie entsprechend erfahren?
In meinem Berufsleben habe ich schon alle Arten von Führungsstilen erlebt. Auch hier verhält es sich wie bei Mitarbeitern. Führungskräfte sind in ihrer Art sehr unterschiedlich und jeder Mensch will individuell behandelt werden. Das ist ein Lernprozess.
Die Vor- und Nachteile der Führungsstile sind mannigfaltig. Nicht jede Erfahrung ist oder war gut, aber da ich grundsätzlich keine Angst vor Menschen habe und mich auch "im echten Leben" mit unterschiedlichen Personen beschäftige, fällt mir diese Herausforderung nicht sonderlich schwer.
Haben Sie in Ihren eigenen Führungspositionen geschlechterspezifische Unterschiede wahrgenommen – macht es für Sie einen Unterschied Frauen oder Männer zu führen? Falls ja, wie gehen Sie mit solchen Unterschieden um?
Ja, sowohl bei der Führungskraft als auch bei den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Ich erkenne die Unterschiede an, so wie ich es bei unterschiedlichen Kulturen, Religionen oder ähnlichem auch mache. Ich bemühe mich aber zugleich, nicht in "Schubladen" zu denken, sondern immer wieder kritisch zu hinterfragen, ob ich einem "unconscious bias" zum Opfer falle. Das Wichtigste ist, dass jeder Mensch als Mensch ernst genommen wird und die jeweiligen konkreten Anliegen gehört werden.
Im Kontext des Themas Vereinbarkeit von Familie und Karriere fällt ab und an das Schlagwort „Führungsposition in Teilzeit“. Ist ein solches Modell aus Ihrer Erfahrung möglich? Worauf kommt es hierbei an?
Ja, Führungsposition in Teilzeit ist möglich. Bei Compliance hatte ich selbst zwei Mitarbeiterinnen in Teilzeit in Führungspositionen gehoben. Das war damals ungewöhnlich und wurde auch immer wieder als "Benchmark" zitiert.
Ein derartiges Modell erfordert größere Flexibilität bei allen Beteiligten, Mut zu ungewöhnlichen Herangehensweisen und eine Abkehr von gängigen Vorgehensweisen und Denkmustern. Sie müssen sich beispielsweise genau überlegen, wer wann verfügbar sein kann, und nicht ihren eigenen Terminkalender als Maßstab verwenden. Auch hilft es, ganz offen über bestimmte Fragen oder mögliche Probleme zu sprechen und Antworten nicht zu antizipieren.
Was hat sich für Sie als die größte Herausforderung mit Blick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erwiesen?
Die größte Herausforderung im Hinblick auf Vereinbarkeit von Familie und Beruf war und ist mein eigenes Gewissen und der eigene Anspruch an mich selbst, dicht gefolgt von den Vorwürfen Dritter, die mir sowohl offen als auch verdeckt gemacht wurden.
So muss man es zum Beispiel aushalten können und sich ein dickes Fell zulegen, wenn in der Schule wiederholt Vorwürfe erhoben werden, dass man seine Kinder nie von der Schule abholt, oder wenn Kollegen den Vorgesetzten anrufen und sich beschweren, weil man hochschwanger an einem Tag der Woche nicht auch noch auf Dienstreise gehen möchte, nachdem man vorher schon vier Tage in der Woche unterwegs war.
Gibt es umgekehrt auch Bereiche, in denen Sie mit größeren Herausforderungen gerechnet hatten?
Nein, ich gehe in der Regel alles offen an und habe bisher noch immer eine Lösung für ein Problem gefunden.
Seit einiger Zeit sind Sie neben Ihrer Tätigkeit bei der Siemens AG stellvertretende Vorsitzende der ICC Kommission für Schiedsgerichtsbarkeit und Mediation. Diese Kommission wird als Think Tank der Schiedsinstitution ICC bezeichnet. Wie gestaltet sich diese Aufgabe im internationalen Kontext und mit Kommissionsmitgliedern, die sich nur selten persönlich treffen?
Auch bei Siemens arbeite ich international mit Menschen zusammen, die ich zum Teil nur sehr selten sehe. Ich finde das sehr spannend und lehrreich. Mir gefällt der Diskurs mit Anderen und deren unterschiedliche Sichtweisen. Mir wird nachgesagt, dass ich sehr gut zuhören und schnell das Wesentliche vom Unwesentlichen trennen kann. Dadurch entsteht meines Erachtens eine sehr kreative Atmosphäre.
Diese Aufgabe ist nicht die erste, die Sie neben Ihrem regulären Beruf wahrnehmen. Von 1996 bis 2002 waren Sie Gemeinderatsmitglied und seit 2015 sind Sie Vorstandsmitglied des Freundeskreis Wyschgorod. Wie organisieren Sie Ihr vielseitiges Engagement?
Ich denke, dass ich mich - wie viele andere auch - gut organisieren kann. Es geht immer viel mehr, als man denkt. Es macht mir unglaublich Spaß, viele Bälle gleichzeitig in der Luft zu halten, mich mit unterschiedlichen Themen zu beschäftigen und meine Energie sinnvoll einzusetzen. Das gibt mir mehr Kraft und inspiriert mich zu Neuem. Allerdings ist meine Familie sehr selbständig und "braucht" mich häufig nicht. Außerdem wird mir schnell langweilig, wenn ich nicht hinreichend gefordert werde.
Daneben publizieren Sie, nehmen Lehraufträge wahr und sind gern gesehenes Podiumsmitglied bei Vorträgen. Wie wichtig sind diese und ähnliche Tätigkeiten für eine juristische Karriere?
Sicherlich haben derartige Tätigkeiten beispielsweise für Mitarbeiter in Großkanzleien einen hohen Stellenwert, wenn sie die Partnerschaft anstreben. Allerdings meine ich nicht, dass derartige Engagements grundsätzlich für jede juristische Karriere wichtig sind.
Für meine derzeitige Aufgabe sind diese Engagements hilfreich, wenn auch nicht zwingend vorausgesetzt. Mir allerdings bereiten diese Tätigkeiten Spaß, weil sie Abwechslung bieten, mich mit anderen Sichtweisen konfrontieren, mir die Möglichkeit zur Diskussion mit anderen geben und mir immer wieder klarmachen, dass es sich lohnt, über Themen mehrfach nachzudenken und sich intellektuell weiterzuentwickeln. Dadurch kann ich meine Aufgabe im Unternehmen besser wahrnehmen und viele Impulse setzen.
Haben Sie einen Ratschlag für junge Berufsanfänger und Berufsanfängerinnen dahingehend, wie sie ihre Präsenz in diesem Bereich (Publikationen, Lehraufträge, Vorträge) ausbauen können?
Halten Sie Augen und Ohren offen. Es gibt mannigfaltige Möglichkeiten. Trauen Sie sich auch einmal, eine Aufgabe zu übernehmen, die eine Nummer "zu groß" für Sie ist, scheuen Sie sich aber auch nicht, um Hilfe zu bitten, wenn, beziehungsweise bevor Sie zu scheitern drohen.
Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte und wieso?
Es gibt unheimlich viele gute Juristinnen, die durch exzellentes Wissen, ein hohes Maß an Belastbarkeit, Vielseitigkeit, unprätentiöses Auftreten, menschliche Größe sowie durch besondere Lebensläufe auffallen. Etliche haben Sie bereits porträtiert.
Ich denke zum Beispiel an Inka Hanefeld (Hanefeld Rechtsanwälte), Ulrike Friese-Dormann (Milbank, Tweed), Bettina Limperg (Präsidentin des BGH), Dorothee Ruckteschler (CMS), Anita Schieffer (Pohlmann &Co.), Nadia Darwadzeh (Clyde&Co.), Maxi Scheerer (Wilmer Hale), Inge Preuss (Ex-Siemens), Gwendolyn Müller (Ex-Clifford, jetzt Munich Re) und viele mehr.
Ich bin immer wieder beeindruckt, wenn ich mit diesen Frauen spreche, und lasse mich zu Neuem inspirieren.
Vielen Dank für das Gespräch und die Zeit, die Sie sich dafür genommen haben!
München/Frankfurt, 16. November 2018. Das Interview führte Karen Kelat.
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